S 11 R 645/16 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 11 R 645/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 R 113/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auf welcher rechtlichen Grundlage der beklagte Rentenversicherungsträger über einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung entscheidet, ist nicht geeignet, den zur Entscheidung stehenden Lebenssachverhalt und damit den Streitgegenstand zu ändern. Der Umstand einer gesetzlichen Neuregelung, der eine neue Entscheidung über den Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach sich zieht, führt in Bezug auf die neue Entscheidung lediglich zu einer Abänderung bzw. Ersetzung des ursprünglichen Verwaltungsakts, so dass ein Fall des § 96 SGG vorliegt.
Nach § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI wirkt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass die rückwirkende Befreiung auch für bereits beendete Arbeitsverhältnisse gelten soll, soweit eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand.
Der Umstand, dass lediglich Mindestbeiträge in das Versorgungswerk eingezahlt wurden, steht einem Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nicht entgegen. Denn auch dabei handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2015 in der Fassung des Bescheides vom 23. Juni 2016 wird insoweit aufgehoben, wie es die Beklagte abgelehnt hat, die Klägerin für die von ihr vom 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübte Tätigkeit bei der R. GmbH & Co KG von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für die von ihr im vorgenannten Zeitraum ausgeübte und vorstehend bezeichnete Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vor dem Hintergrund der von ihr ausgeübten Tätigkeit in einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatergesellschaft.

Die im Jahr 1985 geborene Klägerin hat ein rechtswissenschaftliches Studium sowie ein Rechtsreferendariat absolviert. Sie war vom 1. Januar 2014 bis 28. Februar 2015 bei der Steuerberatungsgesellschaft R. GmbH & Co. KG angestellt. Nach Aufnahme dieser Tätigkeit wurde sie am 28. Februar 2014 als Rechtsanwältin zugelassen. Aufgrund dieser Zulassung wurde die Klägerin Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin sowie – insoweit am 6. März 2014 - des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Berlin.

Am 10. März 2014 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die von ihr ausgeübte abhängige Beschäftigung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Mit Bescheid vom 27. März 2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Es müsse ein innerer, "berufsspezifischer" Zusammenhang zwischen der Tätigkeit, für die eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht begehrt werde, und dem Versicherungsschutz durch die berufsständische Versorgungseinrichtung bestehen. Bei einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI müssten die Antragsteller daher nicht nur Pflichtmitglieder in der berufsständischen Kammer und in der berufsständischen Versorgungseinrichtung sein, sondern auch eine dem Kammerberuf entsprechende berufsspezifische Tätigkeit - bei Anwälten also eine für einen Rechtsanwalt typische anwaltliche Berufstätigkeit - ausüben. Hieraus ergebe sich, dass nicht jede Beschäftigung den als zugelassenen Rechtsanwalt tätigen Juristen zur Ausübung des Befreiungsrechts berechtige, sondern nur diejenige Tätigkeit, die auch tatsächlich Merkmale einer anwaltlichen Tätigkeit aufweise. Als Kriterien für die Beschreibung einer anwaltlichen Tätigkeit hätten sich in Literatur und Rechtsprechung die Arbeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung herauskristallisiert. Anknüpfungspunkt sei dabei auch § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO); hier werde der Bereich anwaltlicher Tätigkeit abgesteckt. Anwaltliche Tätigkeiten würden also dort ausgeübt, wo "Rechtsangelegenheiten" anstünden.

Bei der Beschäftigung der Klägerin handele es sich um eine solche bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber. Eine Befreiung könne daher nur ausgesprochen werden, wenn diese Tätigkeit die bekannten vier Kriterien anwaltlicher Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung sowie Rechtsvermittlung) kumulativ abdecke und daher auch ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich sei. Die Klägerin sei zwar Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin und des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Berlin aufgrund ihrer Zulassung als Rechtsanwältin. In ihrem Fall ergebe sich aber aus dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit, dass sie keine anwaltliche Tätigkeit bei ihrer Arbeitgeberin ausübe. Bereits nach der Stellenbeschreibung ihres Arbeitgebers vom 14. Januar 2014 erfülle sie nicht kumulativ die vier Kriterien für die Annahme einer anwaltlichen Tätigkeit. Aufgrund der beschriebenen Aufgaben seien die Merkmale der Rechtsentscheidung und Rechtsgestaltung nicht in hinreichendem Maße gegeben. Ihre Zulassung zur Rechtsanwältin sei erst nach der Beschäftigungsaufnahme bei R. GmbH & Co KG erfolgt. Dies belege, dass die Zulassung als Rechtsanwältin objektiv nicht erforderlich gewesen sei. Den arbeitgeberseitigen Angaben zu ihrem Aufgabenbereich könne weder zwingend ein außenwirksames Auftreten als rechtskundige Entscheidungsträgerin noch eine eigene Entscheidungskompetenz entnommen werden. Neben dem Merkmal der Rechtsentscheidung habe vor allem das Kriterium der Rechtsgestaltung die Funktion, die Weisungsfreiheit des Betreffenden zu dokumentieren. Dabei gehe es nicht um eine absolute Weisungsfreiheit im Sinne einer Alleinentscheidungskompetenz, sondern darum zu belegen, dass der bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigte Volljurist in seiner anwaltlichen Tätigkeit gleichermaßen weisungsfrei sei wie der bei einem Rechtsanwalt angestellte Rechtsanwalt. Bei der Klägerin sei die für eine anwaltliche Tätigkeit erforderliche Weisungsfreiheit zu verneinen. Nach Würdigung der Gesamtumstände erfülle sie nicht die Kriterien für die Annahme einer anwaltlichen Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 27. April 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie sei trotz ihrer Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber originär anwaltlich tätig. Die Tätigkeit als Rechtsanwalt in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sei gesetzlich ausdrücklich zugelassen.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. April 2015 zurück. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit seinen drei Entscheidungen vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R - klargestellt, dass bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern abhängig tätige Rechtsanwälte - sogenannte Syndikusanwälte - nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden könnten. Dabei habe es ausgeführt, dass die Erwerbstätigkeit von Syndikusanwälten bei ihren jeweiligen Arbeitgebern nicht zum Feld der anwaltlichen Berufstätigkeit im Sinne der BRAO gehöre. Nach gefestigter verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der BRAO werde derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt sei der Syndikus nur in seiner freiberuflichen Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses. Auf die von der Verwaltungspraxis entwickelte "Vier-Kriterien-Theorie" komme es daher nicht an.

Aufgrund der genannten Entscheidungen des BSG könnten seit dem 3. April 2014 keine Befreiungen mehr für bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern beschäftigte Rechtsanwälte ausgesprochen werden. Dies gelte auch für Anträge, die bereits vor den Entscheidungen des BSG am 3. April 2014 gestellt worden seien, über die aber nicht mehr vor den Urteilen entschieden worden sei.

Eine wirksame Befreiung für die Beschäftigung als Syndikusanwältin könne auch nicht aus einer für eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber erteilten Vorbefreiung hergeleitet werden. Der 5. Senat des BSG habe in seinen Entscheidungen vom 3. April 2014 darauf hingewiesen, dass nur die derzeitigen Inhaber einer begünstigenden Befreiungsentscheidung - bezogen auf die jeweilige Beschäftigung, für die die Befreiung ausgesprochen worden sei - ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Bestand dieser Entscheidung hätten, das über den Schutz durch die §§ 44 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) hinausgehen dürfte. Einen Vertrauensschutz räume das BSG mithin nur den Inhabern aktueller – rechtswidriger - Befreiungsbescheides für die derzeit ausgeübte Beschäftigung ein. Insoweit schließe sich der 5. Senat in seinen Entscheidungen vom 3. April 2014 den Urteilen des 12. Senats vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/11 R, B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R - an, in denen das BSG entschieden habe, dass sich die Befreiung stets auf die ganz konkret ausgeübte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber beschränke und mit dem Wechsel des Arbeitgebers oder der Tätigkeit ende.

Am 10. Mai 2015 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI lägen in ihrem Fall vor, insbesondere übe sie eine dem Kammerberuf entsprechende berufsspezifische Tätigkeit aus. Im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses berate sie Mandanten zu verschiedensten Fragen des Steuerrechts mit Bezügen zum privaten Wirtschaftsrecht, insbesondere dem Gesellschaftsrecht und dem Vereins- und Stiftungsrecht. Insofern unterscheide sich ihre Tätigkeit nicht von solchen anderer, bei anwaltlichen Arbeitgebern beschäftigten Anwälten. Einzige Besonderheit sei, dass sich ihre Beratungsaufträge weitgehend auf Steuerrechtsfälle beschränkten. Bei der Steuerberatung handele es sich aber um einen Teilbereich der allgemeinen anwaltlichen Rechtsberatung. Anders als ein Unternehmensjurist werde sie rechtsberatend und rechtsgestaltend für und zugunsten der Mandanten ihres Arbeitgebers tätig. Die Tätigkeit werde damit zwar im Anstellungsverhältnis und auf Rechnung des Unternehmens ausgeübt, stelle sich aber inhaltlich und standesrechtlich als anwaltliche Tätigkeit gleich einem Organ der Rechtspflege mit freier Entscheidungsbefugnis dar. Vor diesem Hintergrund gehe die Bezugnahme der Beklagten auf die Urteile des BSG vom 3. April 2014 zur Frage der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für Syndikusanwälte fehl. Es handele sich bei ihr nicht um eine Syndikusanwältin. Eine etwaige verbleibende allgemeine Weisungsbefugnis ihrer Arbeitgeberin unterscheide sich nicht von der für die Annahme einer freien Rechtspflege unschädlichen allgemeinen Weisungsbefugnis, wie sie arbeitsgebende Rechtsanwälte über angestellte Kollegen zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs ausübten.

Zur weiteren Begründung übersandte die Klägerin eine Stellen- und Funktionsbeschreibung ihrer Arbeitgeberin vom 14. Januar 2014. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf diese Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 13. August 2015 ordnete die Kammer im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) das Ruhen des Verfahrens an, um vor dem Hintergrund des vom Bundeskabinett am 10. Juni 2015 beschlossenen entsprechenden Gesetzesentwurfes die Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte abzuwarten.

Auf den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2016 nahm die Kammer das Verfahren am 10. März 2016 wieder auf. Nach Auffassung der Klägerin sei durch das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte keine Regelung im Hinblick auf das hier streitgegenständliche Beschäftigungsverhältnis erfolgt. Auch wenn dieses Gesetz davon ausgehe, dass bei Steuerberatungsgesellschaften angestellte Rechtsanwälte Syndikusanwälte seien, lehne sie diese Auffassung weiterhin ab, da ihre Tätigkeit nicht mit der eines bei einem Unternehmen angestellten Rechtsanwalts vergleichbar sei. Dieser berate ausschließlich seinen Arbeitgeber, während sie Mandanten berate. Einziger Unterschied sei, dass sich ihr Beratungsgegenstand auf das Steuerrecht beschränke. Ungeachtet dessen sei sie auch unter Zugrundelegung der Wertungen des Gesetzes der Auffassung, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auch für sie gelten müsse. Allerdings sei diese für sie aufgrund der aktuellen Gesetzeslage wegen einer Gesetzeslücke nicht erreichbar. Das Gesetz bestimme zwar die - auch rückwirkende - Befreiung auch für bei Steuerberatungsgesellschaften angestellte Rechtsanwälte, wenn zuvor ein Antrag auf Zulassung als Syndikusanwalt bei der Rechtsanwaltskammer gestellt worden sei. In Bezug auf den streitigen Sachverhalt stelle sich jedoch das Problem, dass ihre Beschäftigung bei der R.GmbH&Co KG Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft nicht mehr fortbestehe. Voraussetzung für eine Zulassung als Syndikusanwältin sei aber ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis. Somit sei es ihr aufgrund einer Gesetzeslücke nicht möglich, die Voraussetzungen für eine Zulassung als Syndikusanwältin für die Zeit des mittlerweile beendeten Beschäftigungsverhältnisses und damit eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu erreichen. Diese Gesetzeslücke dürfe ihr aber nicht zum Nachteil gereichen, da sie sonst in ungerechtfertigter Weise gegenüber anderen bei Steuerberatungsgesellschaften angestellten Rechtsanwälten, deren Beschäftigungsverhältnis fortbestehe, ungleich behandelt werde.

Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelungen zum Recht der Syndikusanwälte stellte die Klägerin bei der Beklagten am 9. März 2016 für ihre in der Zeit vom 1. Januar 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübte Beschäftigung als Syndikusanwältin bei der R. GmbH & Co KG einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4 Buchst. b SGB VI.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2016 ab, wogegen die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2016 Widerspruch einlegte. Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Bescheid vom 23. Juni 2016 sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2015 in der Fassung des Bescheides vom 23. Juni 2016 insoweit aufzuheben, wie es die Beklagte abgelehnt hat, sie für die von ihr vom 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübte Tätigkeit bei der R. GmbH & Co KG von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien und

die Beklagte zu verpflichten, sie für die von ihr im vorgenannten Zeitraum ausgeübte und vorstehend bezeichnete Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Für Syndikusanwälte, die nach den Entscheidungen des BSG vom 3. April 2014 keine Möglichkeit der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht mehr gehabt hätten, sei nunmehr mit dem zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte wieder eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI möglich. Hierzu sei in der BRAO die Tätigkeit angestellter Rechtsanwälte geregelt und der Begriff des Syndikusanwalts legaldefiniert worden. Syndikusanwälte, die in der Vergangenheit nicht mehr im Besitz einer gültigen Befreiungsentscheidung gewesen seien und nach neuem Recht zugelassen sowie von der Rentenversicherungspflicht befreit würden, könnten zudem bis zum Ablauf des 1. April 2016 einen zusätzlichen Antrag auf rückwirkende Befreiung stellen (§ 231 Abs. 4 Buchst. b SGB VI). Eine rückwirkende Befreiung nach dieser Vorschrift sei indes nur zulässig, wenn die Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung erfüllt seien und ein entsprechender Bescheid erteilt worden sei. Danach sei die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4 Buchst. b SGB VI an eine wirksame Befreiung als Syndikusrechtsanwalt ab dem 1. Januar 2016 nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 231 Abs. 4 Buchst. a SGB VI gebunden. Eine solche Zulassung als Syndikusrechtsanwältin liege hier nicht vor und könne auch seitens der Klägerin nicht erbracht werden. So sei sie weder laufend noch rückwirkend als Syndikusrechtsanwältin befreiungsfähig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese lagen in der mündlichen Verhandlung und bei der Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2016 ist gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden.

Nach § 96 Abs. 1 SGG (in der Fassung, die die Norm mit dem Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 - BGBl I 444 - erhalten hat) wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt (nur) dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Bescheid immer, wenn er denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft, bzw. wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 8 SO 14/14 R, m. w. N.).

Streitgegenstand ist die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht für ihre bis 28. Februar 2015 ausgeübte Beschäftigung als zugelassene Rechtsanwältin bei der R. GmbH & Co KG. Auf welcher rechtlichen Grundlage die Beklagte über einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung entscheidet, ist nicht geeignet, den zur Entscheidung stehenden Lebenssachverhalt und damit den Streitgegenstand zu ändern. Der Umstand einer gesetzlichen Neuregelung, der eine neue Entscheidung über den Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach sich zieht, führt in Bezug auf die neue Entscheidung lediglich zu einer Abänderung bzw. Ersetzung des ursprünglichen Verwaltungsakts, so dass ein Fall des § 96 SGG vorliegt. Die Grenze der – nach dem Gesetz zur Änderung des SGG vom 26. März 2008 (siehe oben) ausdrücklich ausgeschlossenen – Analogie wird dabei nicht überschritten.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2015 in der Fassung des Bescheides vom 23. Juni 2016 ist rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und war damit aufzuheben. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin für die von ihr vom 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübte Tätigkeit bei der R. GmbH & Co KG rückwirkend von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Klägerin war in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 abhängig beschäftigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und unterlag daher auf Grund ihrer typisierend zu Grunde zu legenden Schutzbedürftigkeit grundsätzlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 SGB VI).

Die hinsichtlich eines Befreiungsanspruchs in Frage stehende Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gehört zu einem Kreis von Bestimmungen, die den betroffenen Pflichtversicherten nach Maßgabe ihrer eigenen Entscheidung und der im Gesetz jeweils im Einzelnen umschriebenen Voraussetzungen einen Anspruch auf eine konstitutive Befreiung von der Rentenversicherungspflicht durch eine gebundene Entscheidung des Rentenversicherungsträgers gewähren. Bei derartigen Regelungen handelt es sich dem Konzept der abgestuften Schutzbedürftigkeit folgend um abschließende Ausnahmeregelungen, die einer erweiternden oder entsprechenden Anwendung nicht zugänglich sind (BSG, Urteil vom 30. April 1997 - 12 RK 20/96 -; zitiert nach Juris). Die gesetzliche Rentenversicherung kennt als verfassungsrechtlich zulässig und ohne Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausgestaltete gesetzliche Zwangsversicherung weder ein allgemeines Befreiungsrecht noch im Hinblick auf die gleichzeitige Absicherung in anderen Systemen einen allgemeinen Grundsatz der Vermeidung von "Doppelversicherungen". Auch gibt es von Seiten der Verfassung kein Wahlrecht zugunsten der jeweils günstigsten Versorgungsmöglichkeit (BSG, Urteil vom 9. März 2005 - B 12 RA 8/03 R -; m. w. N., zitiert nach Juris).

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gibt unter den dort im Einzelnen aufgeführten zusätzlichen Voraussetzungen seinem Wortlaut nach Beschäftigten einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung, wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Hieraus folgt, dass gerade diejenige Erwerbstätigkeit, die in der Form der Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) ausgeführt zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung geführt hat, notwendig gleichzeitig derjenigen Tätigkeit zugehören muss, die parallel die zwangsweise Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer und zugleich in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung begründet hat. Nur dann gewinnen die von beiden Systemen Erfassten ihre Vorsorgefreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in der Weise begrenzt zurück, dass sie ausnahmsweise eine "Doppelversicherung" vermeiden können, indem sie sich von der Versicherungspflicht im Rahmen der Beschäftigtenversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Allenfalls insofern ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI "Kollisionsnorm". Dies gilt dagegen nicht in dem Sinne, dass die Norm bei Zuordnung zu nur einer von ihnen zu einer generellen Trennung beider Regelungsmaterien nach abstrakten Gesichtspunkten führen würde.

Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht die Beschäftigtenversicherung nicht unter Verstoß gegen Grundrechte einer "Fortentwicklung" der freien Berufe entgegen (BSG, Urteile vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R -, - B 5 RE 9/14 R -, - B 5 RE 3/14 R -, m. w. N., alle zitiert nach Juris).

Die Klägerin ist seit dem 28. Februar 2014 als Rechtsanwältin zugelassen, deshalb Mitglied einer berufsständischen Kammer und zugleich seit dem 6. März 2014 Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte. Ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wurde unter den tatbestandlichen Voraussetzungen insbesondere der §§ 4 ff. Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit, im Wesentlichen personenbezogen und ohne zusätzliche Beschränkung für alle mit dem Beruf des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und berufener unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) verbundenen Betätigungen erteilt. Ihre Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer und im Versorgungswerk der Rechtsanwälte präjudiziert indes noch nicht, dass eine von ihr ausgeübte – auch juristische – Tätigkeit dem anwaltlichen Berufsfeld zuzuordnen wäre.

Für die Beurteilung, ob eine Tätigkeit der anwaltlichen Berufstätigkeit zuzuordnen ist, bedarf es - unter Anschluss an die oben benannten Urteile des BSG vom 3. April 2014 - keiner Prüfung anhand einzelner materieller Kriterien (insbesondere nach der sogenannten Vier-Kriterien-Theorie). Eine Überschneidung mit dem anwaltlichen Berufsfeld ist nämlich in Fällen der vorliegenden Art bereits durch das mit der unabhängigen Anwaltstätigkeit grundsätzlich und in aller Regel unvereinbare Vorliegen einer Erwerbstätigkeit in (persönlicher) Abhängigkeit von vorne herein ausgeschlossen. Umgekehrt ist ausgeschlossen, dass die abhängige Beschäftigung der essenziell unabhängigen Tätigkeit des Rechtsanwalts zugeordnet werden könnte (BSG, Urteile vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R -, - B 5 RE 9/14 R -, - B 5 RE 3/14 R -, m. w. N., alle zitiert nach Juris).

Es entspricht der übereinstimmenden gefestigten Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu dem Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der BRAO, dass derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig ist. Wer daher eine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt, die seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt, kann kein Anwalt sein. Auch dann, wenn ein Syndikusanwalt seinem Arbeitgeber in Rechtsangelegenheiten Rat und Beistand auf fachlich einem Rechtsanwalt entsprechenden Niveau gewährt und diesem gegenüber selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln vermag, entspricht seine Tätigkeit als Syndikus für seinen Dienstherrn nicht dem anwaltlichen Berufsbild. Die Bindungen und Abhängigkeiten in einem Dienst- und Anstellungsverhältnis stehen nicht im Einklang mit dem in §§ 1 bis 3 BRAO normierten Berufsbild des Rechtsanwalts als freiem und unabhängigen Berater und Vertreter aller Rechtsuchenden. Dies hat das BSG in seinen oben bezeichneten Urteilen vom 3. April 2014 unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts eingehend dargelegt. Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung dieser Rechtsprechung vollumfänglich an und nimmt auf sie Bezug.

Hinsichtlich der Anwaltschaft ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI damit nicht etwa jeden Anwendungsbereichs beraubt. Wer nämlich als Rechtsanwalt insbesondere bei einem Rechtsanwalt beschäftigt ist, kann der Verpflichtung zur unabhängigen und weisungsfreien Ausübung seines Berufs auch in einem entsprechend ausgestalteten Anstellungsverhältnis bei diesem genügen (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1997 - 12 RK 20/96 -; zitiert nach Juris).

Demnach können zwar zugelassene Rechtsanwälte in einer Beschäftigung bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden, so dass auch ein entsprechender Anspruch der in einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatergesellschaft angestellten Klägerin ausscheidet.

Ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt sich jedoch auf der Grundlage der Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte, die als Reaktion auf die Entscheidungen des BSG vom 3. April 2014 erfolgt ist. Am 1. Januar 2016 ist das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 (BGBl I S. 2517) in Kraft getreten. Ziel des neuen Gesetzes ist dabei sowohl die Neuregelung der Stellung der Syndikusanwälte als auch die Wiederherstellung der Befreiungsmöglichkeit von der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 SGB VI.

Syndikusrechtsanwälte können nunmehr nach § 46 BRAO bei der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragen. Nach § 46 Abs. 1 BRAO gelten für sie die für Rechtsanwälte geltenden Vorschriften, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Zu den demnach anzuwendenden Vorschriften gehört auch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wonach Rechtsanwälte, wenn und solange sie Pflichtmitglieder der Versorgungswerke sind, auf Antrag von der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind.

In den §§ 46 ff BRAO wird nunmehr die Berufsbezeichnung als Syndikusrechtsanwalt definiert. Der Syndikusrechtsanwalt unterscheidet sich dabei vom "normalen" angestellten Anwalt dadurch, dass sein Arbeitsverhältnis nicht mit einem Arbeitgeber im Sinne von § 46 Abs. 1 BRAO - also nicht mit einem Arbeitgeber, der als Rechtsanwalt, Patentanwalt oder rechts- oder patentanwaltliche Berufsausübungsgesellschaft tätig ist -, sondern mit einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber besteht. Nicht-anwaltliche Arbeitgeber sind neben Unternehmen der freien Wirtschaft und Verbänden auch Angehörige eines sozietätsfähigen Berufs im Sinne von § 59 a BRAO, also etwa Steuerberater oder Steuerberatungsgesellschaften. Die Klägerin war in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum Angestellte einer Gesellschaft, deren Gesellschafter nur Steuerberater, vereidigte Buchprüfer und/oder Wirtschaftsprüfer sind und die deshalb anwaltliche Dienstleistungen nicht erbringen darf. Bei Erfüllung aller übrigen Voraussetzungen kann sie damit Syndikusrechtsanwältin sein, nicht aber "normale" angestellte Rechtsanwältin.

Eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt setzt nach der neuen Regelung in § 46 Abs. 3 BRAO weiterhin voraus, dass das Arbeitsverhältnis durch eine fachlich unabhängige und eigenverantwortlich auszuübende Tätigkeit sowie durch die folgenden vier Merkmale geprägt ist: Die Prüfung von Rechtsfragen, einschließlich der Aufklärung des Sachverhaltes, sowie das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten, die Erteilung von Rechtsrat, die Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, insbesondere durch das selbstständige Führen von Verhandlungen, oder auch die Verwirklichung von Rechten und die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten.

Ferner wird weiter spezifiziert, dass eine fachlich unabhängige Tätigkeit im vorstehenden Sinne nicht ausübt, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Insoweit ist die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwaltes vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten.

Danach ist die Klägerin zur Überzeugung der Kammer mit ihrer vom 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübten Tätigkeit bei der R.GmbH & Co KG als Syndikusrechtsanwältin einzuordnen. Dies ergibt sich aus der von ihr im Klageverfahren eingereichten Stellen- und Funktionsbeschreibung ihrer Arbeitgeberin vom 14. Januar 2014. Darin heißt es eingangs, die Klägerin sei als Rechtsanwältin – bzw. bis zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Rechtsassessorin – berufsspezifisch angestellt und übe die typischen Tätigkeiten eines Rechtsanwalts aus, das heißt, sie sei rechtgestaltend, rechtsberatend, rechtsvermittelnd und rechtsentscheidend tätig. Art und Inhalt der Tätigkeit der Klägerin würden sich nicht von der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einer großen wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Anwaltskanzlei unterscheiden. Für die Mandanten sei insoweit ein Unterschied zwischen der vorliegenden Tätigkeit im Vergleich zu einer Tätigkeit für eine große wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Anwaltskanzlei nur anhand der Visitenkarte feststellbar, nicht hingegen inhaltlich. Es bestehe auch keine Weisungsabhängigkeit der Klägerin. Im Rahmen ihrer Tätigkeit sei sie befugt, eigene von allen Weisungen unabhängige Entscheidungen zu treffen und auch nach außen selbstständig zu handeln. Nach ihrer Zulassung zur Anwaltschaft solle die Klägerin auch gegenüber den Mandanten selbstständig als Rechtsanwältin auftreten. Die Klägerin sei rechtsgestaltend tätig, indem sie eigenständig und weisungsunabhängig Verhandlungen mit Mandanten, Behörden und vor Gericht führe. Darüber hinaus erstelle sie regelmäßig Angebote über das Erbringen von Beratungsleistungen und verhandle diese mit den Mandanten. Weiterhin gehöre zu den grundlegenden Aufgaben der Klägerin die telefonische oder schriftliche rechtliche Beratung von Mandanten. Dies manifestiere sich unter anderem in der eigenständigen, unabhängigen und weisungsfreien fachlichen Beurteilung rechtlicher Fragestellungen von Mandanten und dem hiermit im Zusammenhang stehenden selbstständigen und unabhängigen Herausarbeiten, Aufzeigen und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten. Dabei berate sie Mandanten bei der Umsetzung rechtlicher Vorgaben und zeige Handlungsalternativen bezüglich der zu treffenden Entscheidungen auf. Des Weiteren berate sie Mandanten in steuerlichen Strafverfahren. Die Klägerin ermittle weiterhin steuerrechtlich relevante Themen, um diese sodann im Rahmen von Fachtagungen vorzutragen zu diskutieren. Zudem beabsichtige sie, gemeinsam mit anderen Rechtsanwälten und Steuerberatern der R. GmbH & Co KG steuerrechtliche und gesellschaftsrechtliche Beiträge in juristischen Fachzeitschriften zu publizieren. Schließlich gehöre es zu ihren Aufgaben, die rechtlichen Interessen ihrer Mandanten insbesondere in finanzgerichtlichen Verfahren sowie in Steuerstrafverfahren mit eigener Entscheidungsbefugnis zu vertreten und die Verfahrens- und Verhandlungsführung selbstständig wahrzunehmen. Eine Qualifikation als Rechtsanwältin sei für die von der Klägerin ausgeführten Tätigkeiten unabdingbar.

Die Kammer hat nach alledem keine Zweifel, dass die von der Klägerin ausgeübte und hier in Streit stehende Tätigkeit unter die Definition des Syndikusrechtsanwalts fällt, wie sie durch die Neuregelung des § 46 Abs. 3 BRAO vorgenommen wird.

Nach Auffassung der Kammer gebietet das Urteil des BSG vom 16. Dezember 2016 in dem Verfahren B 5 RE 7/16 R – zu dem bislang nur ein Terminbericht, nicht aber die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen – keine abweichende Sichtweise im Hinblick auf die Einordnung der Klägerin mit ihrer hier ausgeübten Tätigkeit als Syndikusanwältin. Soweit auf der Grundlage des Terminberichts ersichtlich, stellt das BSG lediglich klar, dass auch dann eine anwaltliche Tätigkeit in Betracht kommen kann, wenn eine Beratung in steuerrechtlichen Angelegenheiten bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber erfolgt. Zugleich verdeutlicht das BSG jedoch, dass sich dies letztlich unter Zugrundelegung des gesamten Vertragstextes und der hierdurch verkörperten Regelungsgesamtheit entscheidet, so dass in dem dortigen Fall eine Zurückverweisung an das Bayerische LSG als letztzuständige Tatsacheninstanz geboten war. Allein der Umstand, dass eine Beratung in steuerrechtlichen Angelegenheiten bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber erfolgt, steht demnach gerade nicht einer Einordnung als syndikusanwaltlicher Tätigkeit entgegen. Letztlich handelt es sich um eine Würdigung des Einzelfalls, die die hier erkennende Kammer wie oben dargelegt vorgenommen hat.

Fällt die Klägerin mit der von ihr bis 28. Februar 2015 ausgeübten Tätigkeit unter den Begriff des Syndikusrechtsanwalts im Sinne der §§ 46 ff BRAO, so greift in ihrem Fall die Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4 b SGB VI.

Für die Frage der Rückwirkung eines entsprechenden Befreiungsantrags – den die Klägerin bei dem Beklagten am 9. März 2016 gestellt hat - hat der Gesetzgeber in § 231 Abs. 4b und 4c SGB VI folgende Regelungen getroffen: (4b) Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014. Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden. (4c) Eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung im Sinne des § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt als gegeben für Personen, die 1. 2. bis zum Ablauf des 1. April 2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung beantragen. Satz 1 gilt nur, solange die Personen als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt zugelassen sind und als freiwilliges Mitglied in einem Versorgungswerk einkommensbezogene Beiträge zahlen. Einen Antrag auf rückwirkende Befreiung im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI hat die Klägerin bei der Beklagten am 9. März 2016 gestellt.

Bei einer – wie vorliegend - bereits bestehenden Tätigkeit als Syndikusanwalt wirkt ein solcher Antrag rückwirkend bis frühestens ab dem 1. April 2014, wenn während dieser Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Sie gilt darüber hinaus auch für vorangehende Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Im Falle der Klägerin bestand eine entsprechende Pflichtmitgliedschaft jedenfalls seit dem 6. März 2014 und es wurden seither Pflichtbeiträge gezahlt, so dass der Antrag auch nur bis zu diesem Datum zurückwirken kann. Der Umstand, dass die Klägerin nach ihrem Vorbringen mit Schriftsatz vom 27. August 2015 lediglich Mindestbeiträge in das Versorgungswerk eingezahlt hat, steht einem Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nicht entgegen. Denn auch dabei handelt es sich um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Juli 2016 (1 BvR 2534/14, Rn. 16 Juris) klargestellt.

Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist gemäß § 231 Abs. 4c Nr. 2 SGB VI weiterhin eine auf einen entsprechenden Antrag hin erfolgte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt im Sinne der §§ 46 ff. BRAO erforderlich. Die Beschäftigung der Klägerin als Rechtsanwältin bei der R.GmbH & Co KG besteht jedoch nicht über den 28. Februar 2015 hinaus fort. Für diese Fälle ist nach dem Gesetzeswortlaut die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nicht möglich, da Voraussetzung ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis ist. Ausdrücklich hat der Gesetzgeber diesen speziellen Fall einer zwischenzeitlich erfolgten Aufgabe der Beschäftigung allerdings nicht geregelt. Nach Auffassung der Kammer kann die Verwehrung einer Befreiungsmöglichkeit in der genannten Fallkonstellation jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. So ist kein Grund ersichtlich, weshalb für die rückwirkende Befreiung das weitere Bestehen des streitgegenständlichen Arbeitsverhältnisses Voraussetzung sein sollte. Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bzw. der Wechsel des Arbeitgebers kann es aus Sicht der Kammer nicht rechtfertigen, der Klägerin eine lückenlose Altersversorgung vorzuenthalten. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn von ihrer Seite - wie oben ausgeführt – sämtliche formalen gesetzlichen Anforderungen, insbesondere eine fristgerechte Antragstellung auf rückwirkende Befreiung, eingehalten und die streitgegenständlichen Bescheide nicht bestandskräftig geworden sind.

Darüber hinaus wird diese Auffassung durch den Wortlaut der Norm selbst bestätigt. Denn nach § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI wirkt die rückwirkende Befreiung auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass die rückwirkende Befreiung auch für bereits beendete Arbeitsverhältnisse gelten soll, soweit eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand.

Auch rechtspolitische Gründe sprechen für diese Sichtweise. Der Gesetzgeber hat durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte zu erkennen gegeben, dass er die Rechtsstellung von Syndikusrechtsanwälten gegenüber derjenigen von "herkömmlichen" Rechtsanwälten weitgehend angleichen will und speziell im Hinblick auf die Befreiung von der Versicherungspflicht den vor Verkündung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 3. April 2014 bestehenden Rechtszustand aufrechtzuerhalten beziehungsweise wiederherzustellen gedenkt (vgl. BT-Drucksache 18/6915, S. 1 f.). Durch die Rechtsänderung ist die Klägerin - unbeschadet der Frage des Umfangs der Rückwirkung von der Befreiung von der Versicherungspflicht - unmittelbar begünstigt worden. Gründe, warum ihr dieser wirtschaftliche Erfolg allein aufgrund der inzwischen erfolgten Aufgabe der hier in Rede stehenden Beschäftigung wieder genommen werden soll, sind nicht ersichtlich.

Nach alledem besteht ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die von ihr vom 6. März 2014 bis 28. Februar 2015 ausgeübte Tätigkeit bei der R.GmbH & Co KG.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt dem Ausgang der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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