L 1 BA 75/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 53 BA 29/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 75/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 1. August 2019 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 4. September 2014 (Az. Sozialgericht Potsdam S 53 BA 44/18) aufschiebende Wirkung hat. Die Beschwerde wird im Übrigen zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, für welche diese selbst aufzukommen hat. Der Streitwert wird auf 1.264,02 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Sozialgericht Potsdam (SG) ordnete mit Beschluss vom 7. August 2018 (Az. S 43 BA 18/18 ER) unter anderem die "aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers" (vom 7. Februar 2018) gegen den Prüfbescheid der Beigeladenen vom 4. September 2014 an. Die Beigeladene wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2019 zurück. Der Antragsteller erklärte daraufhin im Klageverfahren vor dem SG (Az. S 53 BA 44/18) die bereits zuvor erhobene Untätigkeitsklage nunmehr gegen den Bescheid in der Fassung des Widerspruchbescheides fortzusetzen.

Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mit Mahnschreiben vom 13. Juni 2019 auf, die im Prüfbescheid festgesetzten Beiträge nebst Säumniszuschlägen und Mahngebühr in Höhe von 2.528,04 EUR unverzüglich zu überweisen, ansonsten werde vollstreckt werden. Sie ist der Auffassung, die gerichtlich angeordnete aufschiebende Wirkung habe sich mit Erlass des Widerspruchbescheides erledigt.

Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin vergeblich auf, mitzuteilen, dass die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt werde. Er hat am 5. Juli 2019 beim SG einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, den das SG mit Beschluss vom 1. August 2019 zurückgewiesen hat. In der hiergegen gerichteten Beschwerde vom 21. August 2019 weist er auf die aufschiebende Wirkung seiner Klage hin.

Er beantragt wörtlich,

der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach §§ 86a, b SGG untersagt, die Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller fortzusetzen bzw. die aufschiebende Wirkung der von ihm eingelegten Widersprüche herzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer Rechtsauffassung, die aufschiebende Wirkung sei mittlerweile entfallen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Das Beschwerdebegehren war in entsprechender Anwendung des § 123 SGG auszulegen: Es geht dem Antragsteller in der Sache darum, dass die Antragsgegnerin es unterlässt, die in dem genannten Prüfbescheid festgesetzte Beitragsschuld samt den Nebenforderungen zu vollstrecken, solange der Prüfbescheid noch nicht bestandskräftig ist, weil das Klageverfahren noch nicht beendet ist.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher rechtsgestaltender Ausspruch ist dem Senat hier nicht möglich, weil die Klage im Verfahren vor dem SG mit dem Az. S 53 BA 44/18 bereits aufschiebende Wirkung hat. Denn die vom SG mit Beschluss vom 7. August 2018 angeordnete aufschiebende Wirkung ist noch nicht beendet. Denn diese ist nicht an das Rechtsmittel gekoppelt, das zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache erhoben ist, sondern dauert bis zur Unanfechtbarkeit der Hauptsachenentscheidung an (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. A. 2017, § 86b Rdnr. 19). § 86b Abs. 1 SGG geht von einer einheitlichen aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs aus, die insbesondere nicht mit dessen Zurückweisung durch Widerspruchsbescheid endet und (erst) mit Klageerhebung neu begründet wird. Nur dadurch, dass das Ende der aufschiebenden Wirkung nicht mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides, sondern erst mit dessen Unanfechtbarkeit endet, ist lückenloser einstweiliger Rechtsschutz auch nach Erlass des Widerspruchsbescheides gewährleistet. Andernfalls entstünde für diese Zeit ein Rechtsschutzvakuum. Diese Auslegung entspricht auch dem Wortlaut des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, in der Widerspruch und Anfechtungsklage gleichberechtigt nebeneinander genannt werden (so zutreffend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 02. Dezember 2011 – L 5 KR 194/11 B ER –, juris –Rdnr. 9, juris mit Bezugnahme u. a. auf LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20. April 2006 – L 3 B 1138/05 U ER – juris-Rdnr. 10; ebenso VHG Kassel, Beschl. v. 29. Dezember 2014 – 7 B 1570/14- NVwZ-RR 2015, 498 Rdnr. 12, zit. nach beck-online mit Bezugnahme u. a auf BVerwGE 78, 129 [209] jeweils zu § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO). Hätte das SG die Wirkung zeitlich auf den des Widerspruchsbescheides beschränken wollen, hätte dies aus dem Tenor ersichtlich sein müssen.

Ignoriert eine staatliche Einrichtung die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels –wie hier die Antragsgegnerin aufgrund ihres Rechtsstandpunktes- kann und muss das Gericht die aufschiebende Wirkung in analoger Anwendung des § 86b Abs. 1 SGG feststellen (vgl. Keller, a. a. O. Rdnr. 15 mit umfangreichem Rechtsprechungsnachweisen). Der Antrag ist deshalb entsprechend umzudeuten.

Ein zusätzlicher Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG, der Antragsgegnerin einstweilig zu untersagen, die Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller fortzusetzen, ist jedenfalls im vorliegenden Falle nicht nötig. Es besteht nämlich kein Anlass zu der Annahme, dass die Antragsgegnerin die heutige Entscheidung ignorieren wird. Ihre Vorgehensweise ist nur der Auffassung geschuldet gewesen, dass es keine aufschiebende Wirkung mehr gebe. Da der Beschwerdeantrag offen formuliert worden ist, erfolgt die Beschwerdezurückweisung rein klarstellend.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist regelmäßig (nur) vom halben Hauptsachenstreitwert auszugehen.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht zulässig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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