L 2 RA 230/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 RA 345/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RA 230/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 22. August 2003 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVtI) für die Zeit vom 01. September 1964 bis 30. Juni 1990 und die Berücksichtigung der während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte hinsichtlich der Beschäftigung ihres verstorbenen Ehemannes Siegbert Arndt (Berechtigter).

Der im ... 1940 geborene Berechtigte, der zum Zeitpunkt seines Todes am 14. Juni 2004 mit der Klägerin in einem gemeinsamen Haushalt lebte, war Diplomphysiker (Urkunde der H.-Universität zu B. vom 05. August 1964).

Vom 01. September 1964 bis wenigstens 30. Juni 1990 war der Berechtigte als Physiker, Entwicklungsingenieur, Forschungsingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter, zuletzt seit 01. April 1988 als Forschungsingenieur Lizenzen, Technik (Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag vom 06. April 1988) beim VEB Stahl- und Walzwerk H. beschäftigt.

Im November 1999 beantragte der Berechtigte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die Zugehörigkeit zur AVtI festzustellen. Zu Zeiten der DDR sei ihm die Einbeziehung unter Hinweis auf die fehlende SED-Zugehörigkeit verwehrt worden.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen gewesen wäre.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Berechtigte geltend machte, während seiner gesamten Tätigkeit mit Arbeiten befasst gewesen zu sein, die eine ingenieurtechnische Qualifikation als Voraussetzung gehabt hätten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2003 zurück: Als Diplomphysiker sei er nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.

Dagegen hat der Berechtigte am 14. Mai 2003 beim Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben und vorgetragen, die Qualifikation eines Diplomphysikers sei der eines Diplomingenieurs gleichgestellt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. August 2003 die Klage abgewiesen: Der akademische Grad eines Diplomphysikers entspreche nicht dem Titel eines Ingenieurs. Die vorgetragene Gleichstellung lasse sich nicht beweisen. Eine solche Gleichstellung sei zu DDR-Zeiten möglich gewesen (§ 13 - gemeint: § 3 - Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962, GBl. DDR II 1962, 278 - Ingenieur-VO), sei aber nicht erfolgt. Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse zum 30. Juni 1990 ankomme, sei eine möglicherweise nach bundesdeutschem Recht erteilte Gleichwertigkeitsbescheinigung für die Streitfrage irrelevant. Auch entfalle eine Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem anderen Zusatzversorgungssystem. Das in Betracht kommende Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik (AVI) sei zwar grundsätzlich sämtlichen Angehörigen der wissenschaftlich tätigen Intelligenz zugänglich gewesen. Ein VEB habe jedoch nicht zu den in § 6 dieser Versorgungsordnung genannten Einrichtungen gerechnet.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 28. August 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 24. September 2003 eingelegte Berufung des Berechtigten.

Die Klägerin führt nach seinem Tod das Verfahren fort.

Sie ist der Ansicht, der Berechtigte habe die Berufsbezeichnung Ingenieur geführt, da er als Forschungsingenieur mit ingenieurtechnischen Aufgaben tätig gewesen sei. Dies sei im Arbeitsvertrag vereinbart gewesen. Auf einen förmlichen Akt der Zuerkennung komme es nicht an. Das Sozialgericht habe § 13 (gemeint: § 3) Ingenieur-VO verkannt. Die dort vorgesehene nachträgliche Anerkennung betreffe aufgrund der vorhandenen Qualifikation überhaupt nicht Diplomphysiker oder Diplomchemiker. Im Betrieb sei nicht leichtfertig die Berufsbezeichnung Ingenieur verwendet worden. Das Sozialgericht habe die Stellen- und Funktionspläne sowie Tätigkeitsbeschreibungen fehlerhaft nicht berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 22. August 2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2003 zu verpflichten, die Zeit vom 01. September 1964 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVtI sowie die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist auf die Urteile des BSG zu Diplomchemiker (vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 107/00 R, vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R und B 4 RA 32/01 R), zu Diplommathematikern (vom 10. April 2002 - B 4 RA 56/01 R) und Diplomphysiker (vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 R). Es sei zweifelhaft, ob die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 12. Juni 2001 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überhaupt zur Entscheidung angenommen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ( ...), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid vom 25. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2003 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zeit vom 01. September 1964 bis 30. Juni 1990 und die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte hinsichtlich der Beschäftigung des Berechtigten feststellt, denn dieser erfüllte nicht die persönlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung.

Die Klägerin ist als Sonderrechtsnachfolgerin aktiv legitimiert. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten u. a. dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Dies ist der Fall. Die angefochtenen Bescheide begründen zwar keine unmittelbaren Ansprüche auf laufende Geldleistungen. Sie sind jedoch Grundlage der der Klägerin ggf. zustehenden Witwenrente. Hat die Klägerin somit mit ihrem Begehren Erfolg, würde sich diese möglicherweise erhöhen, so dass ihr der daraus resultierende Anspruch auf Nachzahlung als Sonderrechtsnachfolgerin zustünde. Daraus folgt zugleich ihre Rechtsstellung als Sonderrechtsnachfolgerin im anhängigen Verfahren.

Nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) hat der vor der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften zuständige Versorgungsträger dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung unverzüglich die Daten mitzuteilen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlich sind. Dazu gehören auch das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen des Berechtigten oder der Person, von der sich die Berechtigung ableitet, die Daten, die sich nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG ergeben, und insbesondere die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, und die als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). Der Versorgungsträger hat dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG durch Bescheid bekannt zu geben (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG).

Solche Zeiten der Zugehörigkeit liegen nach § 4 Abs. 5 AAÜG vor, wenn eine in einem Versorgungssystem erworbene Anwartschaft bestanden hatte (§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 AAÜG). Eine solche Anwartschaft setzt die Einbeziehung in das jeweilige Versorgungssystem voraus. Im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG genügt es grundsätzlich nicht, dass ein Anspruch auf Einbeziehung bestand, soweit dieser nicht auch verwirklicht wurde. Wie der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, wird allein auf Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem abgestellt. Dies setzt zwingend voraus, dass der Berechtigte tatsächlich in ein Versorgungssystem einbezogen worden war. Von diesem Grundsatz macht lediglich § 5 Abs. 2 AAÜG eine Ausnahme. Danach gelten als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem auch Zeiten, die vor Einführung eines Versorgungssystems in der Sozialpflichtversicherung zurückgelegt worden sind, wenn diese Zeiten, hätte das Versorgungssystem bereits bestanden, in dem Versorgungssystem zurückgelegt worden wären.

Eine solche Einbeziehung erfolgte in der AVtI grundsätzlich durch eine Entscheidung des zuständigen Versorgungsträgers der DDR. Lag sie am 30. Juni 1990 vor, hatte der Begünstigte durch diesen nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakt eine Versorgungsanwartschaft. Einbezogen war aber auch derjenige, dem früher einmal eine Versorgungszusage erteilt worden war, wenn diese durch einen weiteren Verwaltungsakt in der DDR wieder aufgehoben worden war und wenn dieser Verwaltungsakt nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EV unbeachtlich geworden ist; denn dann galt die ursprüngliche Versorgungszusage fort. Gleiches gilt für eine Einbeziehung durch eine Rehabilitierungsentscheidung (Art. 17 EV). Schließlich gehörten dem Kreis der Einbezogenen auch diejenigen an, denen durch Individualentscheidung (Einzelentscheidung, zum Beispiel aufgrund eines Einzelvertrages) eine Versorgung in einem bestimmten System zugesagt worden war, obgleich sie von dessen abstrakt-generellen Regelungen nicht erfasst waren. Im Übrigen - dies trifft jedoch auf die AVtI nicht zu - galten auch ohne Versorgungszusage Personen als einbezogen, wenn in dem einschlägigen System für sie ein besonderer Akt der Einbeziehung nicht vorgesehen war (vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 41/01 R).

§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG hat den Kreis der einbezogenen Personen jedoch in begrenztem Umfang erweitert. Er hat damit das Neueinbeziehungsverbot des EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe a, wonach die noch nicht geschlossenen Versorgungssysteme bis zum 31. Dezember 1991 zu schließen sind und Neueinbeziehungen vom 03. Oktober 1990 an nicht mehr zulässig sind, sowie den nach EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 zu Bundesrecht gewordenen § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz der DDR, wonach mit Wirkung vom 30. Juni 1990 die bestehenden Zusatzversorgungssysteme geschlossen werden und keine Neueinbeziehungen mehr erfolgen, modifiziert. Danach gilt, soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, dieser Verlust als nicht eingetreten. Dies betrifft jedoch nur solche Personen, die auch konkret einbezogen worden waren. Der Betroffene muss damit vor dem 30. Juni 1990 in der DDR nach den damaligen Gegebenheiten in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen sein und aufgrund dessen eine Position wirklich innegehabt haben, dass nur noch der Versorgungsfall hätte eintreten müssen, damit ihm Versorgungsleistungen gewährt worden wären. Derjenige, der in der DDR keinen Versicherungsschein über die Einbeziehung in die AVtI erhalten hatte, hatte nach deren Recht keine gesicherte Aussicht, im Versorgungsfall Versorgungsleistungen zu erhalten (BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R in SozR 3-8570 § 1 Nr. 1).

Die AVtI kannte den in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochenen Verlust von Anwartschaften. Nach § 2 Abs. 1, 3 und 4 Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951(2. DB zur AVtI-VO) wurde die zusätzliche Altersversorgung gewährt, wenn sich der Begünstigte im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles in einem Anstellungsverhältnis zu einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb befand. Erloschene Ansprüche auf Rente lebten wieder auf, wenn spätestens vor Ablauf eines Jahres ein neues Arbeitsverhältnis in der volkseigenen Industrie zustande kam und die Voraussetzungen nach § 1 dieser Durchführungsbestimmung in dem neuen Arbeitsverhältnis gegeben waren. Für die Dauer von Berufungen in öffentliche Ämter oder in demokratische Institutionen (Parteien, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund usw.) erlosch der Anspruch auf Rente nicht.

War der Betroffene in die AVtI einbezogen, endete die zur Einbeziehung führende Beschäftigung jedoch vor dem Eintritt des Versicherungsfalles, ging der Betroffene, vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen, seiner Anwartschaft verlustig.

Das BSG hat wegen der bundesrechtlichen Erweiterung der Anwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG über die Regelungen der Versorgungssysteme hinaus einen Wertungswiderspruch innerhalb der Vergleichsgruppe der am 30. Juni 1990 Nichteinbezogenen gesehen. Nichteinbezogene, die früher einmal einbezogen gewesen seien, aber ohne rechtswidrigen Akt der DDR nach den Regeln der Versorgungssysteme ausgeschieden gewesen seien, würden anders behandelt als am 30. Juni 1990 Nichteinbezogene, welche nach den Regeln zwar alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hätten, aber aus Gründen, die bundesrechtlich nicht anerkannt werden dürften, nicht einbezogen gewesen seien (BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R). Wie oben ausgeführt, konnten zwar weder die ehemals einbezogenen, aber ausgeschiedenen Betroffenen, noch die Betroffenen, die zwar am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatten, tatsächlich aber nicht einbezogen waren, nach den Regelungen der DDR mit einer Versorgung rechnen. Wenn bundesrechtlich jedoch einem Teil dieses Personenkreises, nämlich dem der ehemals einbezogenen, aber ausgeschiedenen Betroffenen, eine Anwartschaft zugebilligt wird, so muss nach dem BSG § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass eine Anwartschaft auch dann besteht, wenn ein Betroffener aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach den zu Bundesrecht gewordenen abstrakt-generellen und zwingenden Regelungen eines Versorgungssystems aus bundesrechtlicher Sicht einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte (BSG, Urteile vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 41/01 R). Der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete rechtfertigende sachliche Grund für eine solche Auslegung ist darin zu sehen, dass bundesrechtlich wegen der zu diesem Zeitpunkt erfolgten Schließung der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 angeknüpft wird und es aus bundesrechtlicher Sicht zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Erteilung einer Versorgungszusage, sondern ausschließlich darauf ankommt, ob eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden ist, derentwegen eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen war (zu Letzterem Urteile des BSG vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R - und 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R).

Die oben genannte Rechtsprechung des BSG zum so genannten Stichtag des 30. Juni 1990 hat das BSG mit den weiteren Urteilen vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R und B 4 RA 20/03 R - fortgeführt und eindeutig klargestellt. Im Urteil vom 08. Juni 2004 - B 4 RA 56/03 R hat das BSG betont, es bestehe kein Anlass, diese Rechtsprechung zu modifizieren. Mit dem Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 12/04 R hat das BSG an dieser Rechtsprechung festgehalten. Eine Anwartschaft im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, die eine Zugehörigkeit zum Versorgungssystem begründet, beurteilt sich allein danach, ob zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine Einbeziehung vorgelegen haben.

Mit der oben genannten Rechtsprechung befindet sich das BSG nicht im Widerspruch zu seinen Urteilen vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R - und 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R. In jenen Urteilen wird zwar nicht auf den 30. Juni 1990 abgestellt. Dies rührt ersichtlich daher, dass bereits durch den Zusatzversorgungsträger jeweils Zeiten der Zugehörigkeit bis zum 30. Juni 1990 festgestellt waren und lediglich um einen vor dem Zeitpunkt der Aushändigung beziehungsweise Gültigkeit der ausgehändigten Urkunde gestritten wurde. Diese Entscheidungen betrafen somit tatsächlich Einbezogene. Allerdings haben diese Urteile zu erheblichen Missverständnissen geführt, die unter anderem zur Folge hatten, dass seitens des Versorgungsträgers - aber auch durch Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - Zeiten der Zugehörigkeit, insbesondere zur AVtI, entgegen der tatsächlichen Rechtslage festgestellt wurden. Insbesondere die Formulierung, die Typisierung solle immer dann Platz greifen, wenn in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt (nicht notwendig noch zum 01. Juli 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sei, derentwegen ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem errichtet gewesen sei, ist hierfür maßgebend gewesen. Dabei wurde jedoch verkannt, dass das BSG damit ausschließlich Zeiten von tatsächlich einbezogenen Berechtigten hat erfassen wollen. Über sonstige, nicht einbezogene Berechtigte, die also keinen Versicherungsschein erhalten hatten, hat das BSG mit diesen Urteilen überhaupt nicht entschieden.

Wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat, hat der Berechtigte nicht den Titel eines Ingenieurs geführt. Ob der Berechtigte einen Antrag auf Zuerkennung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" nach § 3 Ingenieur-VO hätte stellen können oder ob, wie die Klägerin meint, ein solches Verfahren für den Berechtigten wegen seiner Qualifikation als Diplomphysiker nicht in Betracht gekommen wäre, kann dahinstehen. Der mit dieser Vorschrift bezweckte Erfolg, die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur", ist jedenfalls nicht eingetreten. Der Berechtigte durfte nach der Ingenieur-VO die Berufsbezeichnung "Ingenieur" nicht führen.

Nach § 1 Abs. 1 Ingenieur-VO waren zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigt:

1. in der Wortverbindung "Dr.-Ing." und "Dr.-Ing. habil." Personen, denen dieser akademische Grad von einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen, Universitäten und Akademien der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt verliehen wurde;

2. in der Wortverbindung "Dipl.-Ing." Personen, die den Nachweis eines ordnungsgemäß abgelegten technischen Abschlussexamens an einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen bzw. Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können und denen das entsprechende Diplom verliehen wurde;

3. Personen, die den Nachweis eines abgeschlossenen technischen Studiums bzw. einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch das Ingenieurzeugnis einer staatlich anerkannten deutschen Fachschule vor 1945 oder einer Fachschule der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können;

4. Personen, denen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt wurde.

Im Übrigen galten die Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Buchstaben b und c Ingenieur-VO (nur noch) für die Berufsbezeichnung "Dipl.-Ing.Ök." und "Ing.-Ök." (§ 1 Abs. 2 Ingenieur-VO).

Bei Vorliegen eines solchen Sachverhaltes hat das BSG bereits im Urteil vom 12. Juni 2001 (B 4 RA 117/00 R) ausdrücklich festgestellt, die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVtI-VO) und die zu ihrer Umsetzung erlassene 2. DB zur AVtI-VO "benennen als dem Kreis der (unmittelbar, das heißt ohne gesonderten Gleichstellungsakt des zuständigen Fachministeriums o. ä.) Begünstigten zugehörig, u. a. Ingenieure (§ 1 Satz 1 2. DB zur AVtI-VO). Aus § 1 Satz 3 2. DB zur AVtI-VO ist dabei zu entnehmen, dass es hierfür wesentlich auf den entsprechenden Titel ankommt."

Wer den Titel eines Ingenieurs nicht hat, für den kann eine Zugehörigkeit zur AVtI jedenfalls dann nicht festgestellt werden, wenn er auch zu Zeiten der DDR nicht durch einen Verwaltungsakt in dieses Zusatzversorgungssystem bezogen war. In dem weiteren Urteil vom 12. Juni 2001 (B 4 RA 107/00 R) hat das BSG zu den anderen Spezialisten ausgeführt: "Ob die (dortige) Klägerin zum Personenkreis der anderen Spezialisten, die nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers haben ..., gehörte, für den derartige Weiterungen im Einzelfall und aufgrund eines besonderen Verfahrens in Betracht kamen, kann offen bleiben. Eine entsprechende begünstigende Entscheidung ist in ihrem Falle bereits nicht ergangen; selbst wenn eine derartige Entscheidung im Übrigen vorläge, wäre hierdurch gerade keine Zugehörigkeit auf der Grundlage abstrakt-genereller Vorgaben begründet worden."

Da der Titel eines Diplomchemikers nicht in § 1 Abs. 1 Satz 2 2. DB zur AVtI-VO aufgeführt wird, hat das BSG die persönliche Voraussetzung für die Einbeziehung in die AVtI abgelehnt (Urteile vom 10. April 2002 - B 4 RA 32/01 R und B 4 RA 18/01 R). In letztgenannter Entscheidung hat das BSG ausdrücklich betont, dass auch eine arbeitsvertragsrechtliche Bezeichnung als (im jenen Verfahren) Verfahrensingenieurin nicht ausreicht, weil es insoweit ausschließlich auf die Ingenieur-VO ankommt.

In gleicher Weise und mit derselben Begründung hat das BSG bezüglich der Berufsgruppe der Diplomphysiker entschieden (Urteil vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 R).

Der Berechtigte führte den Titel eines Ingenieurs nicht. Fehlt es an dem Titel eines Ingenieurs und erfolgte zu Zeiten der DDR auch keine Einbeziehung in die AVtI, so ist nach den o. g. Entscheidungen des BSG belanglos, ob nach dem Arbeitsvertrag die Bezeichnung "Ingenieur" lautete, Aufgaben eines Ingenieurs wahrgenommen wurden, solche Arbeitnehmer arbeits- und gehaltstechnisch einem Ingenieur gleichgestellt waren oder ob sie bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess hatten.

Das Sozialgericht hat somit zu Recht den Stellen- und Funktionsplänen sowie den Tätigkeitsbeschreibungen keine rechtliche Bedeutung zugemessen. Ob sich die von der Kägerin vorgetragene Gleichstellung der Qualifikation als Diplomphysiker mit der eines Diplomingenieurs nicht beweisen lasse, wie das Sozialgericht gemeint hat, kann letztlich dahinstehen, denn eine solche Gleichstellung ist ohne die Berechtigung zur Führung des Titels Ingenieurs rechtlich bedeutungslos.

Soweit die Klägerin der Ansicht ist, der Berechtigte sei wegen seiner fehlenden SED-Zugehörigkeit durch Maßnahmen, die der politischen Verfolgung gedient haben, an der Einbeziehung in die AVtI gehindert worden, können sich ggf. deswegen bestehende Ansprüche allein aus den Regelungen des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) ergeben, über die jedoch nicht im vorliegenden Verfahren, sondern durch die zuständige Rehabilitationsbehörde des Landes, von dessen Gebiet die Verfolgungsmaßnahme ausgegangen ist, zu entscheiden ist.

Der Berechtigte wird dadurch nicht in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG berührt. Dazu hat das BSG im Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - bereits entschieden, dass eine nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme am 30. Juni 1990 gegebenen (abstrakt-generellen) Regelungen der DDR, auch soweit sie in sich willkürlich seien, durch die vollziehende oder die rechtsprechende Gewalt nicht zulässig sei. Der EV habe grundsätzlich nur die Übernahme zum 03. Oktober 1990 bestehender Versorgungsansprüche und -anwartschaften von "Einbezogenen" in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten (vgl. Anlage II zum EV, a. a. O., Nr. 9 Buchstabe a, und Nr. 8 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz der DDR). Eine Erweiterung des einbezogenen Personenkreises durch die vollziehende Gewalt oder die Rechtsprechung wäre im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind, verfassungswidrig.

Eine weitergehende verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also von bundesdeutschem Recht, ist nicht geboten. Ein Wertungswiderspruch entsteht nicht dadurch, dass für den Berechtigten keine Zeiten der Zugehörigkeit zur AVtI festgestellt werden, denn er hatte nie eine Rechtsposition inne, die mit der der beiden oben genannten Personengruppen vergleichbar war. Das Verbot der Neueinbeziehung würde unterlaufen, wenn § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, ohne dass dies von Verfassungs wegen geboten ist, erweiternd ausgelegt würde (BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R).

Das BVerfG hat die verfassungsrechtliche Bewertung des BSG für zulässig erachtet (Beschluss vom 04. August 2004 - 1 BvR 1557/01). Es hat insoweit ausgeführt: "Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass sich das BSG bei der Durchführung ... am Wortlaut der Versorgungsordnungen orientiert und nicht an eine Praxis oder an diese Praxis möglicherweise steuernde unveröffentlichte Richtlinien der Deutschen Demokratischen Republik anknüpft. Zwar wird dabei auf eine Weise verfahren, welche in der Deutschen Demokratischen Republik unter Umständen nicht allein maßgeblich für die Aufnahme in Zusatzversorgungen war. Die mit der Auslegung des AAÜG befassten Gerichte sind aber verfassungsrechtlich nicht gehalten, die in der Deutschen Demokratischen Republik herrschende Praxis der Aufnahme in Systeme der Zusatzversorgung, soweit sie den Text der Zusatzversorgungssysteme entgegenstand, im gesamtdeutschen Rechtsraum fortzusetzen. Würde man unter Missachtung des Textes der Versorgungsordnungen Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssysteme entwickeln, würde dies zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und im Verhältnis der Versorgungssysteme zueinander führen".

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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