L 13 RA 155/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 RA 300/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 155/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 3. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1935 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war nach eigenen Angaben von 1950 bis 1955 als Biermädchen und Be- dienung sowie von 1978 bis 1987 (mit wiederholten Unterbrechun- gen) als Verkäuferin sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Im Juni 1989 nahm die Klägerin erneut eine Beschäftigung als Verkäuferin in einer Bäckerei auf, für die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit von März 1990 bis September 1991 entrichtet wurden. Ob in der Zeit von Juni 1989 bis Februar 1990 eine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung (§ 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IV - in der bis zum 17.06.1994 geltenden Fassung) vorlag oder ebenfalls Versicherungspflicht bestand, ist zwischen den Beteiligten streitig. Anschließend bezog die Klägerin Krankengeld (bis 14.05.1992) und Arbeitslosengeld (bis 13.05.1993). Seit 01.06. 2000 bezieht sie Regelaltersrente.

Nach einer Operation an der linken Großzehe (April 1991) wegen Hallux valgus et rigidus und am Grundgelenk der zweiten Zehe links wegen Zustand nach Morbus Köhler (April und Dezember 1991) beantragte die Klägerin am 27.08.1992 über die Landesver- sicherungsanstalt Oberbayern Rente wegen verminderter Erwerbs- fähigkeit mit der Begründung, sie könne seit April 1991 wegen ständiger Schmerzen am linken Vorderfuß nur noch geringfügige leichte Arbeiten verrichten. Der behandelnde Allgemeinarzt Dr. E. gab in einem Befundbericht vom 04.09.1992 einen Zustand nach Hallux-valgus-Operation links und zweimaliger Operation bei Zustand nach Morbus Köhler linker Fuß, ein klimakterisches Syndrom bei Zustand nach Hysterektomie und Adnektomie, eine Hypercholesterinämie, eine grenzwertige Hypertonie und ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom an. Nach der zweiten Zehenoperation bestünden weiterhin erhebliche Schmerzen bei längerem Gehen und Stehen, die Belastbarkeit sei jedoch deutlich gebessert. In einem weiteren Befundbericht vom 26.10.1992 nennt Dr. E. ergänzend eine chronische Bronchitis bei Nikotinabusus.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom 22.11.1992 ein. Dieser stellte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ein unbeobachtet unauffälliges Gangbild bei fehlender Beschwielung der linken Großzehe und heftigem Druckschmerz ohne nennenswerte Funktionseinschränkungen im Vorfußbereich fest. Die dadurch mäßig eingeschränkte Steh- und Gehfähigkeit könne durch Änderungen an den Maßschuhen weiter verbessert werden. Als Verkäuferin sei die Klägerin zwei Stunden bis unterhalbschichtig erwerbsfähig. Leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Gehen und Stehen könne sie jedoch vollschichtig verrichten. Die Klägerin selbst gab ihre maximale Gehstrecke mit einer Viertelstunde, entsprechend etwa einem Kilometer, an.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag vom 27.08.1992 wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab (Bescheid vom 17.12.1992).

Auf den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin kam der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege seit April 1991 (erste Operation) ein halb- bis untervollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten vor. Auch sei eine Wegeunfähigkeit nicht auszuschließen. Im orthopädischen Gutachten des Dr. B. sei ein Schmerzsyndrom ungenügend berücksichtigt. Der Hausarzt habe nach der zweiten Operation keine wesentliche Besserung gesehen.

Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit, für die Zeit vom 09.04.1991 bis voraussichtlich 31.07.1995 liege Erwerbsun- fähigkeit auf Zeit vor. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsun- fähigkeit bestehe aber nicht, da die Klägerin die versiche- rungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Sie habe in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähig- keit weniger als drei Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Im (nicht benannten) maßgeblichen Zeitraum habe sie nur vom 01.01. bis 31.08.1987 und vom 01.03.1990 bis April 1991 Beiträ- ge zur Rentenversicherung entrichtet (Schreiben vom 03.02.1993).

Den nicht näher begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit der Begründung zurück, der angefochtene Bescheid vom 27.06.1997 sei nach Aktenlage nicht zu beanstanden (Widerspruchsbescheid vom 03.06.1993).

Dagegen erhob die Klägerin am 08.07.1993 Klage zum Sozialge- richt München (SG) - Az.: S 17 An 406/93 - mit der Begründung, der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit sei erst im Zeit- punkt der Rentenantragstellung im August 1992 eingetreten. Aus- gehend von diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt. Im April 1991 sei eine Aufgabe der Beschäftigung auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch nicht angezeigt gewesen. Der Gesundheitszustand habe sich erst in der Folgezeit wesentlich verschlimmert. Bis zur Antragstellung sei die Klägerin arbeitslos gemeldet und vom Arbeitsamt für vollschichtig einsatzfähig gehalten worden. Außerdem habe die Klägerin auch vom 02.08. bis 30.11.1989 rentenversicherungspflichtig gearbeitet.

Nachdem sich die Beklagte bereit erklärt hatte, ein Verfahren zur Klärung der streitigen Versicherungspflicht einzuleiten und nach dessen Abschluss erneut über den Rentenantrag vom 27.08. 1992 zu entscheiden, erklärte die Klägerin das Klageverfahren für erledigt.

Die zuständige Einzugsstelle (IKK Oberbayern) verneinte jedoch weiterhin eine Versicherungspflicht der Klägerin. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag vom 27.08.1992 erneut ab (Bescheid vom 27.06.1997). Bei der Klägerin liege für die Zeit vom 09.04.1991 bis 31.07.1995 Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vor, doch seien weder bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 09.04.1991 noch bei einem angenommenen Eintritt am 27.08.1992 oder mit Ablauf des Jahres 1992 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt. Nach Ermittlungen der zuständigen Einzugstelle seien die Beschäftigungen in der Zeit von Juli bis Dezember 1989 nach § 5 Abs.2 Nr.1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) i.V.m. § 8 Abs.1 und 2 SGB IV in der Rentenversicherung versicherungsfrei gewesen. Dieser Zeitraum könne daher nicht als Beitragszeit anerkannt werden.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch beantragte die Klägerin, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.08.1992 zu zahlen. Die Feststellungen der IKK Oberbayern zur Rentenversicherungs- pflicht der Klägerin in den Monaten Juli bis Dezember 1989 seien nachweisbar falsch. Es habe sich bei dem Beschäftigungs- verhältnis ab Juli 1989 von vornherein um ein zeitlich nicht befristetes Beschäftigungsverhältnis gehandelt.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 09.01.1998). Für die Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht sei gemäß § 28h Abs.2 SGB IV die Einzugs- stelle zuständig. Diese habe aber festgestellt, dass die Beschäftigungen der Klägerin in der Zeit von Juli bis Dezember 1989 in der Rentenversicherung versicherungsfrei gewesen seien. Eine andere Beurteilung durch die Beklagte könne nicht erfolgen.

Mit der dagegen am 26.01.1998 beim SG erhobenen Klage - Az.: S 12/31 RA 96/98 - hat die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltend gemacht. Eine vorübergehende Erwerbsunfähigkeit bis zum 31.07.1995 sei von der Beklagten anerkannt worden. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung seien unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten von Juli 1989 bis Februar 1990 erfüllt.

Die Klägerin hat ein Schreiben des Arbeitgebers vom 04.07.1998 vorgelegt, wonach die von der Klägerin im Januar und Februar 1990 geleistete Arbeitszeit auf eigenen Wunsch erst in der Zeit ab 01.03.1990 verbucht und die Klägerin erst ab diesem Zeit- punkt zur Sozialversicherung angemeldet wurde. Daraufhin hat sich die Beklagte bereit erklärt, in einem Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) über eine mögliche Aufhebung des Bescheides vom 27.06.1997 zu entscheiden. Das SG hat das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Mit Bescheid vom 05.06.2000 lehnte die Beklagte eine Aufhebung des Bescheides vom 27.06.1997 ab. Die Klägerin habe vom 01.07.1989 bis 28.02.1990 keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. An der Rechtmäßigkeit des diesbezügli- chen Bescheides der Innungskrankenkasse Oberbayern vom 15.09. 1999 bestünden keine Zweifel. Auch bei Berücksichtigung dieses Zeitraums als Pflichtbeitragszeit seien im Übrigen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei einem Leistungsfall vom 09.04. 1991 nicht erfüllt, da im maßgebenden Zeitraum nur 30 Pflichtbeiträge zurückgelegt worden seien.

Nach Wiederaufnahme des Verfahrens unter dem Aktenzeichen S 31 RA 300/01 hat das SG ein Gutachten nach Aktenlage der Internistin, Kardiologin und Sozialmedizinerin Dr. L. vom 24.09.2001 eingeholt. Diese hat ausgeführt, seit April 1991 habe die Klägerin mit Rücksicht auf die festgestellten Gesundheitsstörungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Tätigkeiten mit einigen qualitativen Leistungseinschränkungen noch vollschichtig verrichten können.

Zum gleichen Ergebnis kam ein vom SG beigezogenes Gutachten des Arbeitsamtsärztlichen Dienstes vom 13.08.1992 mit der Einschränkung, die zumutbare Gehstrecke liege bei schmerzhafter Arthrose der Grundgelenke des dritten und vierten Zehs links unter 500 Meter

Hierzu hat die Sachverständige Dr. L. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 26.03.2002 ausgeführt, für höhergradige Gelenkveränderungen in diesem Bereich gebe es auf den Röntgenbefunden vom Mai 1990 sowie November 1992 keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr sei zum Befund 1990 explizit vermerkt, dass an den übrigen Gelenken glatte Konturen, normale Weite und regelrechte Fußwurzelknochen vorlägen. Auch im Befund vom November 1992 seien keine arthrotischen Veränderungen im dritten, vierten und fünften Zehenstrahl beschrieben. Eine ergänzend durchgeführte Sonographie habe in den Zwischenknochenräumen der Mittelfüße keine Besonderheiten erkennen lassen. Daher sei uneingeschränkt der Beurteilung des Orthopäden Dr. B. zuzustimmen, dass nur eine mäßige Einschränkung der Steh- und Gehleistung vorgelegen habe, zumal außer dem heftigen Druckschmerz keine nennenswerten Funktionseinschränkungen im Vorderfußbereich festzustellen gewesen seien. Bis auf eine fehlende Beschwielung der Großzehe links sei die Beschwielung der Füße bei der Begutachtung durch Dr. B. beidseits kräftig ohne nennenswerte Seitenunterschiede gewesen. In einer weiteren Stellungnahme vom 11.04.2002 hat Dr. L. mitgeteilt, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit habe bereits seit April 1991 bzw. nach dem Abklingen der unmittelbar mit der Hallux-valgus-Operation verbundenen Beeinträchtigungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen vorgelegen. Für eine anhaltende wesentliche Befundverschlechterung zwischen April 1991 und April 1992 bestünden keine Anhaltspunkte.

Das SG hat sich dieser Leistungseinschätzung angeschlossen und die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 03.06.2002). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, da sie nicht berufs- oder erwerbsunfähig gewesen sei. Das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin sei vor allem wegen der Gesundheitsstörungen am linken Fuß einge- schränkt. Sie sei aber noch in der Lage gewesen, körperlich leichte Tätigkeiten mit einigen qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Die auf einem angenommenen Schmerzsyndrom beruhende Einschätzung des Beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten sei nicht zutreffend. Entsprechende psychiatrische Befunde lägen nicht vor. Insoweit komme der auf Grund einer persönlichen Un- tersuchung getroffenen Leistungseinschätzung des Orthopäden Dr. B. ein höherer Beweiswert zu. Die Klägerin habe auch Weg- strecken von mehr als 500 Metern zurücklegen können. Für die anders lautende Beurteilung des Arbeitsamtsärztlichen Dienstes fehle es ebenfalls an entsprechenden Befunden. Die zu Grunde gelegte Annahme einer operationsbedürftigen Arthrose sei von Dr. L. anhand zeitnah angefertigter Röntgenbilder vom Mai 1990 und November 1992 widerlegt worden. Auch habe die Klägerin gegenüber Dr. B. selbst angegeben, ca. eine Viertelstunde oder einen Kilometer gehen zu können. Zwar habe sie wegen ihrer eingeschränkten Steh- und Gehfähigkeit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin nur noch weniger als drei Stunden täglich ausüben können. Allerdings sei die Klägerin, die keine Berufsausbildung absolviert habe, (sozial) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, die ihren gesundheitlichen Kräften entsprächen. Eine Summierung spezifischer Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsminderung, die ausnahmsweise die Benennung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erfordern würde, liege nicht vor. Auf die Frage, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt wären und die Beschäftigung von Juli 1989 bis Februar 1990 sozialversicherungspflichtig gewesen sei, komme es danach nicht an.

Gegen den am 28.06.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.07.2002 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Der Klägerin sei für die Zeit vom 01.09.1992 bis 31.05.2000 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Grund eines Versicherungsfalles vom August 1992 zu gewähren. Die Beklagte habe den Rentenantrag der Klägerin zunächst unter Berufung auf das Gutachten des Orthopäden Dr. B. abgelehnt. Dabei seien jedoch verschiedene Erkrankungen (Adipositas, Bluthochdruck, psychiatrische Beschwerden) nicht berücksichtigt worden. Entsprechende Ermittlungen seien von der Beklagten auch nach Bekanntwerden dieser Erkrankungen nicht durchgeführt worden. Außerdem habe der Arbeitsamtsärztliche Dienst eine Einschränkung der Wegefähigkeit auf unter 500 Meter bestätigt. Im Übrigen habe die Beklagte eine Erwerbsunfähigkeit der Klägerin für die Zeit vom 09.04.1991 bis Juli 1995 schriftlich (Schreiben vom 03.02.1993) anerkannt. Die Klägerin sei auch berufsunfähig, denn sie genieße Berufsschutz als Verkäuferin. Eine Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten komme nicht in Betracht. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung seien erfüllt, weil die Klägerin in der Zeit von Juli 1989 bis Februar 1990 rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Nach einem von der Klägerin vorgelegten Abhilfebescheid des Am- tes für Versorgung und Familienförderung München II (AVF) vom 24.07.1995 beträgt der Grad der Behinderung für die Zeit ab 11.11.1994 30 auf Grund von Restbeschwerden im linken Vorfuß nach operiertem Hallux valgus, Sprunggelenksarthrose rechts, statischen Auswirkungen durch Senk-Spreizfuß beidseits und eines psychovegetativen Syndroms.

Der Senat hat ein Gutachten des Orthopäden Dr. L. (vom 11.11.2003) zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen der Klägerin in der Zeit vom 01.09.1992 bis 31.05.2000 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, aus orthopädischer Sicht sei die Klägerin seit 01.09.1992 noch in der Lage gewesen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte Tätigkeiten mit einigen qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten. Es seien keine Befunde ersichtlich, die gegen eine Wegefähigkeit der Klägerin (viermal mehr als 500 Meter täglich innerhalb von jeweils 15 Minuten) seit 01.09.1992 sprechen würden. Mit Ausnahme der Schmerzsymptomatik des linken Fußes seien die weiteren orthopädischen Gesundheitsstörungen von untergeordneter Bedeutung.

Die Klägerin hat dagegen eingewandt, das Gutachten sei nicht nachvollziehbar und weise erhebliche Qualitätsmängel auf. Es sei unvorstellbar, wie ein Gutachter auf Grund einer Untersuchung nach elf Jahren feststellen wolle, dass die damalige Einschätzung des Leistungsvermögens durch die Beklagte unzutreffend gewesen sei. Dasselbe gelte für die Ausführungen zur eingeschränkten Wegefähigkeit der Klägerin.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 03.06.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund eines Leistungsfalles vom August 1992 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bis zum 31.05.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. L. und Dr. L. für überzeugend und zutreffend.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des AVF, der LVA Ober- bayern (Witwenrente) und des SG (S 17 An 406/93, S 12/31 RA 96/98 und S 31 RA 300/01) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbe- standes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 105 Abs.2 Satz 1, 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01. 1998, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin auf ihren Antrag vom 27.08.1992 hin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.06.2002 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente we- gen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung, da der zu Grunde liegende Antrag am 27.08.1992 gestellt worden ist und die Klägerin Rentenleistungen nur für die Zeit bis zum 31.05. 2000 (Tag vor Beginn der Regelaltersrente) begehrt (§ 300 Abs.2 SGB VI).

Nach § 43 SGB VI (a.F.) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähig keit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Be schäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Zwar hat sie die allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs.1 Satz 1, 51 Abs.1 SGB VI) erfüllt, doch lag im streitigen Zeitraum keine Berufsunfähigkeit vor.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 SGB VI a.F.).

Ausgangspunkt für die Prüfung von Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ist dies die letzte, nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.130, 164). Kann ein Versicherter seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, liegt Berufsunfähigkeit aber nur dann vor, wenn es nicht zumindest eine andere berufliche Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar und für ihn sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Nach dem vom BSG hierzu entwickelten Mehrstufenschema ist die Klägerin der Gruppe der Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Angelernte) zuzuordnen (vgl. BSGE 55, 45; 57, 291). Sie hat keinen Beruf erlernt und war nach einer Tätigkeit als Biermädchen und Bedienung als Verkäuferin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Anhaltspunkte für eine höher qualifizierte Tätigkeit, für die eine längere Ausbildung (regelmäßig von drei Jahren, sog. Ausgebildete) erforderlich wäre, liegen nicht vor. Als Angelernte ist die Klägerin sozial (auch) auf ungelernte Tätigkeiten nicht allereinfachster Art verweisbar.

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum gesundheitlich auch noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Ar- beiten überwiegend im Sitzen ohne Heben und Tragen schwerer La- sten, häufiges Treppen- und Leitersteigen, häufiges Gehen auf unebenem Boden, besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, längere Fehlhaltungen sowie Kälte, Nässe, Zugluft, Rauch, Staub und Reizgasexposition zu verrichten. Dies ergibt sich aus den ausführlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. L. vom 24.09.2001 (nach Aktenlage) und Dr. L. vom 11.11.2003 (nach ambulanter Untersuchung). Beide Sachverständige kommen in Übereinstimmung mit dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten (nach ambulanter Untersuchung) des Orthopäden Dr. B. vom 22.11.1992 zu dem Ergebnis, dass das Leistungsvermögen der Klägerin im Wesentlichen durch eine Belastungsminderung des linken Vorfußes beeinträchtigt wird. Diese Beschwerden bedingten im Rahmen der operativen Versorgung im April und Dezember 1991 sicherlich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, nach den überzeugenden Ausführungen aller drei Sachverständiger aber unter Berücksichtigung der vorhandenen Röntgenbefunde und der zeitnah von Dr. B. erhobenen klinischen Befunde noch keine zeitliche Leistungseinschränkung bei der Klägerin und auch keine Einschränkung ihrer Wegefähigkeit.

Für eine vom Arbeitsamtsärztlichen Dienst bei einer Begutachtung im August 1992 angenommene Einschränkung der Gehfähigkeit auf weniger als 500 Meter fehlt es an objektiven Befunden. Eine vom damaligen Begutachter angenommene Arthrose am dritten und vierten Zeh ist, worauf bereits Dr. L. eingehend hingewiesen hat, auf Grund vorliegender Röntgenbefunde vom Mai 1990 und November 1992 ausgeschlossen. Weitergehende orthopädische Befunde, die 1991 oder in der Folgezeit das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin oder deren Wegefähigkeit weitergehend beeinträchtig hätten, liegen weder nach dem Gutachten des Orthopäden Dr. B. noch nach dem Gutachten des Orthopäden Dr. L. vor. Die bei der Begutachtung im November 2003 festgestellten Rücken-Kreuzschmerzen, die Instabilität des rechten Daumengrundgelenks und der Verlust des linken fünften Fingers bestehen überwiegend bereits seit vielen Jahren ohne erkennbare Progredienz.

Es liegen bei der Klägerin auch keine so wesentlichen interni- stischen oder psychiatrischen Befunde vor, dass von einer wei- tergehenden Leistungsminderung auszugehen wäre. Eine verminder- te nervliche Belastbarkeit bei depressiver Verstimmung, ein la- biler Bluthochdruck, Übergewicht, Bronchitisneigung sowie Hypercholesterinämie und ein Zustand nach Hysterektomie und Adnektomie 1963 waren bereits Gegenstand der sozialmedizinischen Begutachtung durch Dr. L ... Aus den ihr vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine weitergehende leistungsmindernde Bedeutung dieser Erkrankungen. Auch die Klägerin selbst hat weder bei der Antragstellung 1992 noch im Verlaufe des zehnjährigen Verwaltungs- und Klageverfahrens eine wesentliche Beeinträchtigung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit durch diese Erkrankungen geltend gemacht. Angeführt wurde lediglich eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin, die jedoch bereits in den Berichten des Allgemeinarztes Dr. E. im Jahr 2000 erwähnt wurde, ohne dass sich im Laufe des Verfahrens Anhaltspunkte für eine daraus resultierende weitere Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin ergeben hätten. Auch bei dem nunmehr gegenüber Dr. L. erstmals angegebenen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung vom 14.03. 1997 dürfte es sich um ein nur vorübergehendes, folgenlos ausgeheiltes Ereignis gehandelt haben, da auch diese Erkrankung im gesamten Sachvortrag der Klägerin bisher keine Erwähnung gefunden hat. Die Klägerin selbst gibt als Zeitraum des Schlaganfalls in einer handschriftlichen Aufstellung für Dr. L. den Zeitraum vom 14.03. bis 25.03.1997 an, was ebenfalls gegen eine dauerhafte leistungsmindernde Beeinträchtigung spricht.

Dass bei der Klägerin zumindest bis 1995 neben den Vorfußbe- schwerden und der psychovegetativen Labilität keine weiteren wesentlichen Erkrankungen vorlagen, wird auch durch die Akte des AVF bestätigt. Auf Grund eines Befundberichtes des behandelnden Allgemeinarztes Dr. E. vom 09.12.1992 und eines für die LVA Oberbayern erstellten nervenärztlichen Gutachtens vom 31.01.1989 wurden bei der Klägerin Restbeschwerden am linken Vorfuß nach operiertem Hallux valgus und ein psychovegetatives Syndrom mit funktionellen Kreislaufstörungen als Behinderungen anerkannt (Bescheid vom 05.02.1993), die nach Hinzutritt einer Sprunggelenksarthrose rechts und statischer Auswirkung durch Senk-Spreizfüße letztlich zu einem GdB von 30 führten (Bescheid vom 24.07.1995). Auch hier lassen sich weder dem Befundbericht des behandelnden Allgemeinarztes noch den Einlassungen der Klägerin Anhaltspunkte für weitergehende wesentliche Gesundheitsstörungen, insbesondere solche auf internistischem Gebiet, entnehmen.

Angesichts der Tatsache, dass keine Befunde vorliegen, die auf eine wesentliche leistungsmindernde Bedeutung der genannten internistischen und psychiatrischen Erkrankung hinweisen und die Klägerin selbst bezüglich dieser Gesundheitsstörungen keine weitergehende Minderung ihrer Leistungsfähigkeit substantiiert geltend gemacht hat, ist eine weitere Begutachtung der Klägerin, insbesondere auf internistischem oder psychiatrischem Fachgebiet, nicht erforderlich.

Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit für leichte Arbeiten ist die Klägerin ohne Benennung einer konkreten Verweisungstätig- keit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhn- licher Leistungseinschränkungen, die ausnahmsweise die Benen- nung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würde (vgl. BSGE 80, 24), liegt nicht vor. Wie zuletzt Dr. L. überzeugend dargelegt hat, ist die Klägerin insbe- sondere in der Lage, viermal täglich Gehstrecken von über 500 Metern zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückzulegen und öf- fentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Ist die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs.2 SGB VI, so liegt auch keine Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI vor (vgl. BSG Urteil vom 05.04.2001 - B 13 RJ 61/00 R -).

Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte im Verwaltungsver- fahren zunächst von einer Erwerbsunfähigkeit der Klägerin auf Zeit für die Dauer vom 01.04.1991 bis 31.07.1995 ausgegangen ist (vgl. Schreiben vom 03.02.1993). Die Beklagte hat weder im Wege eines feststellenden Verwaltungsaktes (§ 31 SGB X) noch einer schriftlichen Zusicherung (§ 34 SGB X) eine die Beteilig- ten bindende Verwaltungsentscheidung über das Vorliegen von Er- werbsunfähigkeit für diesen Zeitraum getroffen.

Auch die Tatsache, dass die LVA Oberbayern sich dieser Ein- schätzung der Beklagten im Rahmen eines Antrags der Klägerin auf Gewährung einer großen Witwenrente angeschlossen hat, bin- det die Beteiligten im vorliegenden Verfahren nicht.

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob bei der Klägerin im streitigen Zeitraum die versicherungsrechtlichen Voraussetzun- gen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfä- higkeit (sog. 3/5-Belegung) vorgelegen haben und sie in der Zeit vom 01.07.1989 bis 28.02.1990 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, so dass es keiner Beiladung der IKK Oberbayern oder des damaligen Arbeitgebers der Klägerin bedurfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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