L 4 KR 296/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 110/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 296/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 111/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 2. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten zu erstatten, die dem Kläger für eine Behandlung in Kuba entstanden sind.

Der 1985 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er leidet am Usher-Syndrom, einer Erkrankung mit Retinopathia pigmentosa, progredienter Schwerhörigkeit, Vestibularisausfall und eventuell epileptischen Anfällen. Sein Vater beantragte für ihn mit Schreiben vom 16.12.2002 eine Kostenübernahme für eine Therapie (mit Operation) in der Klinik "C." in Havanna auf Kuba. Die Beklagte befragte zum Antrag ihren Medizinischen Dienst BEV (Dr.G.). Nach dessen Aussage fehle für die Retinitis Pigmentosa-Therapie in Kuba der wissenschaftlich erbrachte Nachweis der Wirksamkeit. Die Kostenübernahme wurde deshalb nicht befürwortet. Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 07.01.2003 die Kostenübernahme unter Hinweis auf § 18 SGB V mit der Begründung, es fehle der Nachweis der Wirksamkeit, abgelehnt. Die Methode sei kein Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der mit Schreiben vom 15.01.2003 eingelegte Widerspruch. Die Therapie in Kuba sei die einzige Möglichkeit, den Kläger vor der Erblindung zu retten. Viele Menschen, auch in Deutschland hätten sehr positive Erfahrungen mit dieser Therapie gemacht. Es handele sich um eine Routineoperation.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2003 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 29.04.2003 Klage beim Sozialgerich Augsburg. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandelnden Augenärztin des Klägers eingeholt. Dr.P. gab darin an, sie habe die Operation nicht empfohlen. Im Klagebegründungsschreiben vom 26.11. 2003 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, die Augenbehandlung sei in der Zeit vom 26.04.2003 bis 16.05.2003 in Kuba durchgeführt worden. Der Kläger habe Anspruch auf Kostenerstattung. Er sei an einer unheilbaren Krankheit erkrankt, für die es derzeit keine Therapie gebe, über deren Wirksamkeit in den einschlägigen Fachkreisen Konsens bestehe. Die verfasssungsrechtlich gebotene Folgenabwägung gebiete die Kostenerstattung. Als Anlagen der Klagebegründung wurden beigefügt ein Artikel aus dem Spiegel ein Artikel, aus der Zeitschrift "Der Kassenarzt" sowie (in spanischer Sprache) ein Buch des Dr.Orfilio Peláez Molina. Das Sozialgericht ermittelte im Internet und nahm ein Schreiben der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. zur Akte. Nr.10 dieses Schreibens enthält die Stellungnahme der Kommission vom 02.11. 2001 zur "Kuba-Therapie". Es wird von einer Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgeraten. Die Kuba-T. hat dem Vater des Klägers für die Behandlung 11.482,00 EUR in Rechnung gestellt, der Gesamtpreis der Therapie beträgt 8.921,00 Euro.

Das Sozialgericht hat die Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides mit Urteil vom 02.12.2003 abgewiesen. Die Beklagte habe gemäß § 18 Abs.1 SGB V zutreffend abgelehnt, die Kosten der sogenannten Kuba-Therapie zu übernehmen. Die Besonderheit dieses Rechtsstreits sei darin zu sehen, dass der Kläger taubstumm sei. Bei einer Erblindung wäre er von nahezu allen Kommunikationsmöglichkeiten ausgeschlossen, die das Wesen eines Menschen charakterisieren. Allein die Schwere des Gesamtleidens begründe den Anspruch, auch bei Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 22.11.2002 (1 BvR 1568/02) nicht.

Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung trägt der Bevollmächtigte des Klägers vor, die Behandlung in der Medizinischen Fakultät der Universität Havanna sei zwar schulmedizinisch nicht anerkannt, auch nicht von dem Ausschuss mit dem ständig wechselnden Namen akzeptiert, aber es gebe doch zahlreiche Berichte, dass diese Behandlung die Krankheit Tunnelblick lindern oder zumindest ihre Verschlimmerung aufhalten oder verlangsamen könne. Für das BSG sei die Rechtslage sonnenklar, Behandlungsmethoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befinden, lasse das Gesetz auch bei schweren und vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Das Bundesverfassungsgericht sehe die Lage anders, danach haben in der Verfassungsordnung Leben und körperliche Unversehrtheit hohen Rang. Es folge daraus die Pflicht staatlicher Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen. Dazu seien die Gerichte im konkreten Einzelfall aufgefordert. Die Auffassung des BSG sei grob abwegig. 99 % der schulmedizinischen Therapien, die die Kassen zahlen, seien wissenschaftlich nicht einwandfrei gesichert. Studien könnten nicht gefordert werden. § 18 SGB V stehe einer Auslandsbehandlung nicht im Wege, denn es entspreche dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, lebensbedrohende oder lebenszerstörende Erkrankungen mit den Methoden zu behandeln, die dafür zur Verfügung stehen. Der Kläger habe also dann einen Anspruch auf die streitgegenständliche Therapie, wenn zumindest eine geringe Erfolgsaussicht auf Linderung oder Verhinderung einer Verschlimmerung bestehe. Beim Kläger habe die Therapie einen erheblichen Erfolg gebracht, er sehe jetzt um Einiges besser als vor der Behandlung. Es existiere eine umfangreiche spanischsprachige Literatur zur streitgegenständlichen Behandlung. Nach der Rechtsprechung des BGH reiche eine geringe Erfolgsaussicht aus, diese ergebe sich u.a. durch eine Umfrage der bayerischen Polizei, wonach 76 % der in Kuba Behandelten eine Besserung verspürt hätten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 02.12.2003 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 07.01. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04. 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 11.482,00 Euro für die Operation in Kuba zu bezahlen, hilfsweise über den Antrag auf Erstattung der Kosten für die augenärztliche Behandlung in Kuba (einschließlich Reisekosten) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie habe aufgrund der Berufungsbegründung mit ihrem Medizinischen Dienst nochmals Rücksprache gehalten, es ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Es liegt hier kein Fall vor, in dem sich der eigentliche Sachleistungsanspruch des Klägers (§ 2 Abs.2 SGB V) in einen Erstattungsanspruch auf verauslagte Kosten einer Krankenbehandlung umgewandelt hat.

Ausgangspunkt aller Überlegungen ist der Grundsatz des § 16 Abs.1 Nr.1 SGB V, wonach ein Leistungsanspruch bei Auslandsaufenthalt grundsätzlich (wegen Ruhens) ausgeschlossen ist, zumal keine entgegenstehende staatsvertragliche Regelung mit der sozialistischen Republik Kuba existiert.

Die somit einzigen in Betracht kommenden Ansprüche aus § 18 SGB V, als Ausnahme vom Grundsatz des Verbots der Auslandsbehandlung sind ausgeschlossen. Die Sonderregelung dieser Norm, die einen Erstattungsanspruch für im Ausland anfallende Behandlungskosten zulässt, durchbricht den Grundsatz des Verbots der Auslandsbehandlung in den Fällen, in denen eine erforderliche Behandlung nur im Ausland möglich ist und dort nach allgemein wissenschaftlich anerkanntem Standard erbracht wird. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Krankenkasse ein Ermessen, welches sich auf Null reduzieren kann, eingeräumt, darüber zu befinden, ob die Kostenübernahme für eine solche Auslandsbehandlung angezeigt ist. Dabei ist für den Kostenübernahmeanspruch ebenso wie beim Erstattungsanspruch auf der Grundlage des § 13 SGB V die vorherige Einschaltung der Krankenkasse zwingend erforderlich (BSG, Urteil vom 03.09.2003 - B 1 KR 34/71 R; SozR 4-2500, § 18 Nr.1). Da der Vater des Klägers vor Beginn der Behandlung bei der Beklagten wegen einer Kostenübernahme angefragt hat, sind die weiteren Voraussetzungen des § 18 SGB V zu überprüfen. Das Bundessozialgericht hat für diese Prüfung im Urteil vom 14.02.2001, SozR 3-2500, § 18 Nr.6 folgenden Maßstab aufgestellt: "§ 18 Abs.1 SGB V verlangt, dass die im Ausland angebotene Behandlung dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht; darüberhinaus darf im Inland keine diesem Standart entsprechende Behandlung der beim Versicherten bestehenden Erkrankung möglich sein. Dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht eine Behandlungsmethode nur dann, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte und Wissenschaftler) befürwortet wird. Von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen (Senatsurteil vom 16.06.1999, BSGE 84, 90, 96 f. = SozR 3-2500 § 18 Nr.4 m.w.N.)."

Diese Voraussetzungen treffen auf die von Dr.Peláez praktizierte Behandlungsmethode nicht zu. Die Methode wird weiterhin ernsthaft kritisiert und hat auch außerhalb Kubas keine nennenswerte Verbreitung gefunden. Dies hat der Senat bereits im Urteil vom 25.09.1997 - L 4 KR 68/95 - ausgeführt und dann erneut am 11.07.2002 - L 4 KR 160/02. Das Urteil des LSG Neubrandenburg vom 18.02.1997, L 4 KR 4/96 entscheidet wie der 4. Senat.

Der Kläger dagegen beruft sich auf den Erfolg der bei ihm durchgeführten Maßnahme in Kuba. Auch wenn man unterstellt, dass der jetzige Status im Krankheitsbild des Klägers einer an sich erwarteten weiteren Verschlechterung des Sehvermögens entgegen steht und dies durch die Operation verursacht worden ist, folgt daraus noch nicht die Kostenübernahmepflicht durch die Beklagte bzw. die Verpflichtung, ihr Ermessen diesbezüglich erneut auszuüben. Der Erfolgsgrad einer medizinischen Behandlung ist vom System her nicht maßgeblich für die Kostentragung. Die Beklagte stellt vielmehr eine Versorgung in einem nach §§ 2, 11 SGB V bestimmten Rahmen sicher, den sie nur in besonderen Fällen wie den des § 18 SGB V überschreiten kann. Sonstige Maßnahmen, unabhängig davon wie nützlich sie für den Gesundheitszustand des Versicherten sind, hat sie nicht zu erbringen bzw. deren Kosten nicht zu erstatten. Da aber die Ausnahmevorschrift des § 18 SGB V nicht erfüllt ist, findet sich kein gesetzlicher Anspruchsgrund. Auch übergesetzlich, direkt aus den Grundrechten heraus lässt sich ein solcher Anspruch nicht herleiten. Der Kläger hat die kostengünstige Familienversicherung gewählt, den Leistungsumfang sich in dem oben aufgezeigten Rahmen bewegt. Wenn Leistungen die den dort genannten Voraussetzungen nicht entsprechen, ausgeschlossen sind, lässt sich darin keine Grundrechtsverletzung erblicken.

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte erstatten zu lassen (§ 193 SGG).

Da die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Voraussetzungen einer Auslandsbehandlung auf den vorliegenden Fall ohne Einschränkung angewendet wird, besteht kein Grund, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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