S 71 KA 66/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 66/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2).

Tatbestand:

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses wegen der Verordnung von Ilomedin im Jahr 1999.

Die Kläger, ein Facharzt für Chirurgie mit den Teilgebietsbezeichnungen Gefäß-, Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, ist. Im Jahr 1999 war er im Besitz einer Ermächtigung, die ihm die Durchführung von ambulanten Leistungen im Rahmen der prästationären Untersuchung/Behandlung von Patienten vor Herzoperationen sowie Herz- und/oder Lungentransplantationen sowie die Nachbehandlung erlaubte. In dem Zeitraum 7. Jan. 1999 bis 17. Dez. 1999 verordnete er im Rahmen der ambulanten Versorgung eines Versicherten der Beigeladenen zu 2) das von der Fa. Schering hergestellte Medikament Ilomedin Ampullen (insgesamt 11 Einzelverordnungen mit jeweils 50 Ampullen Ilomedin) auf Kassenrezept. Das Medikament mit dem Wirkstoff Iloprost ist in Deutschland für die fortgeschrittene Thrombangitits obliterans (Buerger-Krankheit) zur intravenösen Verabreichung zugelassen und hat in Neuseeland seit September 2001 eine Indikationserweiterung für die intravenöse Behandlung der primären und sekundären pulmonalen Hypertonie nach der Klassifikation der New York Heart Association (NYHA) III/IV erhalten. Das von der Fa. Schering hergestellte Mittel Ventavis (Lösung für einen Vernebler), das ebenfalls den Wirkstoff Iloprost enthält, ist seit September 2003 für die Behandlung von Patienten mit pulmonaler Hypertonie mit funktionellem Schweregrad NYHA III zugelassen. Bereits in dem hier streitbefangenen Zeitraum liefen in mehreren deutschen Zentren klinische Studien im Hinblick auf die Zulassung von Ventavis. Auf den im Mai 2000 gestellten Antrag wurde von der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) der Orphan Drug Status zuerkannt. Die Studienergebnisse der durchgeführten Studien wurden im September 2001 vorgestellt und ein Jahr später im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Der im Mai 2000 transplantierte und mittlerweile verstorbene Versicherte litt an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (Lungenemphysem) mit sekundärer pulmonaler Hypertonie mit steroidinduziertem Katarakt. Die Behandlung mit Ilomedin erfolgte durch inhalative Gabe, indem die Ilomedin Ampullen in einen Vernebler eingesetzt wurden. Der Versicherte erhielt laut Arztbrief vom 21. Januar 1999 sechs Inhalationen pro Tag mit einer Gesamtmenge von 100 µg Iloprost. Mit dem am 21. September 2000 eingegangenen Schreiben beantragte die Beigeladene zu 2) wegen der genannten Verordnungen die Festsetzung eines sonstigen Schadens gemäß der Prüfvereinbarung (PV) in Höhe von 105.018,21 DM, weil Medikamentenerprobungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) nicht zulässig sind. Im Rahmen der Anhörung gab der Kläger an, bei dem Versicherten sei es trotz Ausschöpfung aller konservativen Möglichkeiten zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Im Gefolge der Grunderkrankung habe sich eine relevante schwere pulmonale Hypertonie entwickelt, so dass ein Therapieversuch mit inhalativen Prostanoiden angezeigt gewesen sei. Der Versicherte sei vor der Aufnahme in die klinische Studie zur Iloprost-Inhalation evaluiert worden, es sei jedoch keine Randomisierung erfolgt. Nach Aufklärung sei bei dem Versicherten ein individueller medizinischer Heilversuch begonnen worden, der in der Folgezeit zu einer Stabilisierung des Gesundheitszustandes unter der Inhalation geführt habe. Hintergrund dieser Entscheidung sei die bekannt hohe Letalität der Patienten mit pulmonaler Hypertonie während der Wartezeit auf ein geeignetes Spenderorgan gewesen. Zahlreiche Veröffentlichungen hätten die Vorteile einer inhalativen Iloprost-behandlung für ausgewählte Patienten zweifelsfrei belegt. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2000 setzte der Prüfungsausschuss antragsgemäß den Regress fest. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss vom 5. Dezember 2001 zurück. In der Begründung heißt es, es bestehe bei der hier vorliegenden Krankheit eine etablierte Behandlungsmöglichkeit mit dem nicht in Deutschland zugelassenen Medikament Flolan (Prostazyklin). Für die inhalative Iloprostbehandlung sei erst drei Jahre nach Beginn der Behandlung die Zulassung für das Anwendungsgebiet pulmonale Hypertonie beantragt worden. Die Leistungspflicht der GKV komme bis zum Abschluss der klinischen Arzneimittelerprobung Phase III nicht in Betracht. Denn bis zu diesem Zeitpunkt könne nicht von einer gesicherten therapeutischen Zweckmäßigkeit der Behandlungsweise ausgegangen werden. Eine rechtliche Grundlage für eine Serie von individuellen Heilversuchen existiere nicht. Der Kläger hat am 27. Februar 2002 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Rücknahme des angefochtenen Bescheides gestellt. Diesen Antrag hat der Beklagte mit Bescheid von 1. September 2001 zurückgewiesen. Der Kläger hält die Entscheidung des Beklagten für rechtswidrig. Die Beigeladene zu 2) habe die Frist für die Stellung des Prüfantrages versäumt. Ungeachtet dessen sei die Verordnung von Ilomedin zu Recht erfolgt. Der Beklagte verkenne die von der Rechtsprechung zum off-label-use aufgestellten Voraussetzungen. Er, der Kläger, behandele Patienten mit der sehr seltenen Krankheit der primären pulmonalen Hpyertonie, an der in Deutschland jährlich nur etwa 100 Personen erkrankten. Obwohl die Publikation der Ergebnisse für die Zulassungsstudie von Iloprost bei pulmonaler Hypertonie erst im Jahr 2002 erfolgt sei, habe über die Wirksamkeit bereits vorher in den Fachgruppen aufgrund wissenschaftlicher Studien Einigkeit bestanden, zumal therapeutische Alternativen nicht bestanden hätten. Zur Bekräftigung des Vorbringens legte der Kläger Stellungnahmen mehrerer deutscher Zentren für Innere Medizin/Kardiologie aus dem Jahr 2002 vor. Auch im vorliegenden Fall habe der Versicherte nach Einleitung der Behandlung bei mehreren Konsultationen im Lauf des Jahres 1999 von einer deutlichen Besserung seiner subjektiv empfundenen Leistungsfähigkeit berichtet. Eine im Juli 1999 durchgeführte Rechtsherzkatheteruntersuchung habe nach wie vor eine Reagibilität der pulmonal-arteriellen Strombahnen auf Iloprost-Inhalation gezeigt. Vor dem Hintergrund eines sich ab Ende 1999 verschlechternden Krankheitsbildes und einer massiven Rechtsherzbelastung sei es schließlich im Mai 2000 zu einer beidseitigen Lungentransplantation gekommen. In Anbetracht der genannten Umstände könne ein Verschulden nicht angenommen werden. Auch fehle es an einem bei der Beigeladenen zu 2) eingetretenen Schaden. Zudem habe der Beklagte von dem ihm eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht, bereits deshalb sei die Entscheidung rechtswidrig.

Die Kläger beantragt,

den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 13. Dezember 2000 in der Gestalt des Bescheides des Beklagten vom 5. Dezember 2001 sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. September 2003 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.

Der Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass ein Fristversäumnis nicht vorliege, da auf den Eingang der arztbezogen sortierten Rezepte abzustellen sei und der Antrag im vorliegenden Fall vor Eingang der Rezepte von der Beigeladenen zu 2) gestellt worden sei. Aus der in Neuseeland erteilten Zulassungserweiterung könne nichts hergeleitet werden. Auch ersetze die Erteilung des Orphan drug-Status nicht die Zulassung. Überprüfbare Ergebnisse im Hinblick auf eine inhalative Behandlung hätten frühestens Ende 2001 vorgelegen, da erst zu diesem Zeitpunkt ein Antrag bei der EMEA für die inhalative Applikation gestellt worden sei.

Die Beigeladene zu 2) geht ebenfalls davon aus, dass der Prüfantrag fristgerecht gestellt wurde. Im Übrigen ist sie der Ansicht, dass die in § 14 Abs. 2 PV festgelegte Frist lediglich einem geordneten Ablauf des Prüfverfahrens, nicht jedoch dem Schutz des betroffenen Arztes diene, der ausreichend durch die allgemeine Verjährungsfrist geschützt sei. Verschulden sei nicht erforderlich, da es sich - ungeachtet der Regelung in der PV - um einen verschuldensunabhängigen Verordnungsregress handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2001 sowie die Entscheidung vom 1. September 2003 (§ 96 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, denn die Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung von Ilomedin Ampullen ist nicht zu beanstanden. Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind befugt, Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln festzusetzen. Dies ergibt sich aus § 14 der am 1. Oktober 1993 in Kraft getretenen Prüfvereinbarung -PV- (KV-Bl. 4/94 Seite 179 f.) Danach entscheidet der Prüfungsausschuss auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt bei "Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat". Nach § 12 Ziffer 3 PV fallen hierunter auch Verordnungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ausgeschlossen sind. Die Ermächtigungsgrundlage für die gesamtvertragliche Regelung findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes, wonach die Krankenkassenverbände gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung durch gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (vgl. BSG SozR 3-5533 Allg Nr. 2; SozR 3-25oo § 106 Nr. 52). Ebenso wie der Beklagte und die Beigeladene zu 2) geht auch die Kammer von einer fristgemäßen Einleitung des Prüfverfahrens aus. Wie von der Beigeladenen zu 2) im Prüfantrag ausgeführt, hat sie die arztbezogen sortierten Rezepte für I und II/1999 am 16. bzw. am 30. Mai 2000 erhalten. Die Rezepte für III und IV/1999 lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung (21. Sept. 2000) noch nicht vor. Ausgehend hiervon ist die in § 14 Ziffer 2 PV vereinbarte Frist eingehalten. Denn dort ist geregelt, dass der das Verfahren einleitende Antrag innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit Bekannt werden des Sachverhalts mit Begründung beim Prüfungsausschuss vorliegen muss. Mit "Bekannt werden des Sachverhalts" kann nur gemeint sein, dass den Krankenkassen die arztbezogen sortierten Rezepte endgültig vorliegen, da sie sich erst dann ein vollständiges Bild von dem Verordnungsverhalten des Arztes machen können. Wenn - wie hier - vor Eingang der Rezepte der Prüfantrag gestellt wird, kann ein Fristversäumnis nicht vorliegen. Es kann daher im vorliegenden Fall offen bleiben, welche Bedeutung der in § 14 Abs. 2 PV vereinbarten Frist überhaupt zukommt (vgl. zur Antragsfrist bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20. August 2003 - L 5 KA 1089/03 - anhängig bei BSG - B 6 KA 72/03 R -). Jedenfalls dürfen nach der ständigen Rspr. des BSG (vgl. z. B. SozR 3-2500 § 106 Nr. 53 mwN) an einen Prüfantrag keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Unstreitig erfolgte die Behandlung der Lungenerkrankung des Versicherten der Beigeladenen zu 2) außerhalb der zugelassenen Indikation für Ilomedin, denn für die Behandlung einer obstruktiven Lungenerkrankung mit sekundärer pulmonaler Hypertonie ist das Arzneimittel nicht zugelassen. Überdies wurde auch die zugelassene Darreichungsform (intravenöse Behandlung) geändert und das Medikament inhalativ verabreicht. In derartigen Fällen scheidet die Verordnung von Fertigarzneimitteln grundsätzlich zu Lasten der Krankenversicherung aus, auch wenn das Arzneimittel generell zum Verkehr zugelassen ist. Denn die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt stets nur anwendungsbezogen. Für ein anderes als das zugelassene Anwendungsgebiet sind weder Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels in dem vorgeschriebenen Zulassungsverfahren geprüft worden. Jedoch ist im Rahmen der Arzneimittelversorgung in der GKV nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts davon auszugehen, dass die Versorgung von Versicherten mit einem Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation (off-label) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ausnahmsweise Anerkennung finden kann (vgl. Urteil des BSG vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R -). Dies darf jedoch nicht zu einer Aufweichung des grundsätzlichen Erfordernisses der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines zulassungspflichtigen Arzneimittels für die Versorgungsfähigkeit der GKV führen. Hinsichtlich der konkreten Zulässigkeit der etikettenfremden Anwendung von Arzneimitteln im Rahmen der GKV hat das BSG ein dreistufiges Prüfschema entwickelt. Danach ist der "off-label-use" zulässig, wenn es 1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht wurden, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Unstreitig litt der Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Ob für diese Erkrankung in dem hier streitbefangenen Zeitraum Therapiealternativen bestanden hätten, ist nach Ansicht der Kammer nicht abschließend geklärt. Soweit der Beklagte davon ausgeht, dass die Behandlung mit dem in Deutschland nicht zugelassenen Mittel Flolan habe erfolgen müssen, ist dies - ausgehend von der Rechtsprechung des BSG - zweifelhaft (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R - Seite 5). Ungeachtet der Frage nach einer vorrangigen Alternativtherapie sind im vorliegenden Fall die weiteren Voraussetzungen für die etikettenfremde Anwendung nicht gegeben. In dem maßgeblichen Zeitraum lagen keine publizierten Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass Ilomedin für die sekundäre pulmonale Hypertonie zugelassen wird. Weder zum Zeitpunkt der Verordnungen noch zum jetzigen Zeitpunkt ist die Erweiterung der Zulassung von Ilomedin für die Behandlung der obstruktiven Lungenerkrankung (Lungenemphysem) mit sekundärer pulmonaler Hypertonie in Deutschland beantragt worden oder waren Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III im Hinblick auf eine Zulassungserweiterung veröffentlicht. Bis heute kam es auch nicht zu einer Zulassungserweiterung für die Behandlung der sekundären pulmonalen Hypertonie mit Ilomedin in Deutschland. Ein entsprechender Antrag wurde nicht gestellt. Auch lagen in dem streitbefangenen Zeitraum keine ausreichenden veröffentlichten, außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse vor, die über Qualität und Wirksamkeit von Ilomedin zur Behandlung der sekundären pulmonalen Hypertonie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen, aufgrund derer Fachkonsens über den Einsatz des Mittels bestand. Soweit sich der Kläger auf die im Rahmen der Zulassungsstudie für das Mittel Ventavis gewonnenen Erkenntnisse bezieht, ist bereits fraglich, ob diese Ergebnisse für den Einssatz von Ilomedin Ampullen herangezogen werden können. Ventavis enthält zwar ebenfalls den Wirkstoff Iloprost, im Gegensatz zu Ilomedin wurde es aber mit anderer Wirkstoffkonzentration für die inhalative Anwendung entwickelt. Wie die Verwendung von Ilomedin Ampullen für die inhalative Gabe erfolgte, ist nicht näher erläutert. Der Kläger hat insoweit nur ausgeführt, die Ampullen des Fertigarzneimittels in einen Vernebler eingesetzt und dann das Mittel inhalativ verabreicht zu haben. Auch bleibt offen in welchen Abständen und in welcher Häufigkeit die Inhalationen von dem Versicherten im Lauf des Jahres durchgeführt wurden. Selbst dann, wenn die inhalative Behandlung mit Ilomedin Ampullen vergleichbar der Behandlung mit dem Mittel Ventavis sein sollte, kann nach Ansicht der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass in den einschlägigen Fachkreisen im Jahr 1999 Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bei Anwendung des Mittels bei sekundärer pulmonaler Hypertonie bestand. Es trifft zwar zu, dass Publikationen über die Gabe von Iloprost bei pulmonaler Hypertonie existierten. Dies allein ist jedoch noch nicht ausreichend, denn es müssen über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet (sekundäre pulmonale Hypertonie) zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorliegen, aufgrund derer in einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen des Mittels besteht. Hieran fehlt es. In der im Januar 2000 bei der Zeitschrift für Kardiologie eingereichten und im Juli 2000 erschienenen Veröffentlichung der Berliner Arbeitsgruppe für pulmonale Hypertonie, der der Kläger angehört, heißt es: "Die Behandlung mit inhalativem und intravenösem Iloprost stellt bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie eine wesentliche Erweiterung der konservativen Behandlung dar. Neben der bereits etablierten intravenösen Therapie mit Prostanoiden für Patienten mit PPH im NYHA-Stadium III/IV kann der endgültige Stellenwert der inhalativen Gabe von Iloprost erst nach Abschluss der zur Zeit laufenden kontrollierten Studien beurteilt werden (Zeitschrift für Kardiologie, 2000, 987 - 999, S. 988). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Mitarbeiter der Abteilung Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover, die ebenfalls Studien über den Einsatz von Iloprost durchgeführt haben. In einem Übersichtsartikel über die Behandlung der schweren pulmonalen Hypertonie heißt es in der Zusammenfassung: Während Studien die Wirksamkeit von kontinuierlich intravenös verabreichtem Prostazyklin belegen, ist noch unklar, ob Alternativen wie aerolisiertes Iloprost ... einen vergleichbaren therapeutischen Nutzen bringen (DÄBl 2001, A-2104 - 2108, S. 2104). Dementsprechend kann auch dem vom Kläger eingereichten Schreiben von Prof. Fabel, Zentrum für Innere Medizin, Hochschule Hannover vom 11. Mai 2002 nicht entnommen werden, dass über die Behandlung mit inhalativem Iloprost bei Patienten mit sekundärer pulmonaler Hypertonie Fachkonsens bestand. Die von dem Kläger genannten wissenschaftlichen Arbeiten über den inhalativen Einsatz von Iloprost beziehen sich in erster Linie auf die Behandlung der primären pulmonalen Hypertonie. Soweit es in den Veröffentlichungen auch um die Behandlung der sekundären pulmonalen Hypertonie ging, ist nicht ersichtlich, dass bereits im Jahr 1999 eine ausreichende Zahl von Patienten mit obstruktiver Lungenerkrankung und sekundärer pulmonaler Hypertonie entsprechend behandelt wurde. Auch das im Oktober 2001 erstellte Gutachten von Dr. Antonin, MDK Bayern, zur Behandlung der primären pulmonalen Hypertonie mit Iloprost kommt zu dem Ergebnis, dass die klinische Wirksamkeit einer Langzeit-Inhalationsbehandlung mit Iloprost durch die zu diesem Zeitpunkt publizierten Studien nicht belegt war. Erst im Jahr 2000 wurde eine Studie über die Behandlung von 19 Patienten mit sekundärer oder primärer pulmonaler Hypertonie publiziert. Die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Studien durch die Firma Schering, in denen Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Inhalationslangzeit-behandlung mit Iloprost bei Patienten mit primärer und sekundärer pulmonaler Hypertonie untersucht wurden, waren im Jahr 1999 noch nicht publiziert bzw. öffentlich zugänglich. Im Übrigen wurde Iloprost inhalativ (Ventavis) auch nicht für die Behandlung der sekundären pulmonalen Hypertonie zugelassen. Auch besagt die Erteilung des Orphan drug-Status (für das Mittel Ventavis), die im Übrigen erst im Dezember 2000 erfolgte, noch nichts darüber, ob die Verwendung des Arzneimittels für die ausgewiesenen Krankheiten gebilligt wird, da daraus nicht geschlossen werden kann, dass das Arzneimittel die Kriterien für die Erweiterung der Genehmigung für das Inverkehrbringen erfüllt. Die Antragstellung für die Zulassung stellt einen separaten Verfahrensschritt dar. Aufgrund der vorgenannten Ausführungen geht die Kammer davon aus, dass die Voraussetzungen für einen zulässigen off-label-use im vorliegenden Fall nicht vorlagen. Auch der Kläger selbst ist von einem individuellen Heilversuch ausgegangen. Soweit der Kläger der Ansicht ist, ein Regress könne nicht festgesetzt werden, da er nicht schuldhaft gehandelt habe, kommt es hierauf nicht an. Mit der Verordnung eines Arzneimittels auf Kassenrezept übernimmt der Vertragsarzt die Verantwortung für die Zugehörigkeit des Arzneimittels zum Leistungsspektrum der GKV. Sollte sich später im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung herausstellen, dass es sich bei der Verordnung nicht um eine Leistung der GKV gehandelt hat, macht sich der Arzt im Wege eines Regresses haftbar, ohne dass es auf Verschulden ankommt. Die Verordnung auf Kassenrezept führt dazu, dass die Krankenkasse verpflichtet wird, die Kosten zu übernehmen und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Leistung handelt, die zum Leistungsspektrum der GKV gehört oder nicht. Die Möglichkeit zur vorherigen Prüfung, die nur dann gegeben ist, wenn die Verordnung auf Privatrezept erfolgt, ist ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall war für den Kläger eindeutig, dass außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet wurde. In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit auf Privatrezept zu verordnen, wenn dem Versicherten bestimmte Arzneimittel nicht vorenthalten werden sollen. Durch die Verordnung auf Privatrezept werden die Kostenträger in die Lage versetzt, zeitnah unter Heranziehung aller verfügbaren Unterlagen im Einzelfall zu entscheiden, ob die Kosten für das Mittel übernommen werden. Auch im vorliegenden Fall ist nicht ausgeschlossen, dass unter Zugrundelegung der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22. November. 2002 - 1 BvR 1586/2 -) ein etwa notwendig werdendes einstweiliges Rechtsschutzverfahren erfolgreich verlaufen wäre. Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger über die ablehnende Entscheidung der Beigeladenen zu 2) hinweg gesetzt und Ilomedin auf Kassenrezept verordnet. Somit hat er den Weg des Erlaubten verlassen und sich einem Regress ausgesetzt. Ein Verschulden des Vertragsarztes muss nicht gesondert festgestellt werden. Das Verschuldenserfordernis besteht nur bei der Festsetzung eines "sonstigen Schadens" im Sinne von § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Dieser sonstige Schaden ist dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes Folgekosten der Kassen ähnlich - einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht -ausgelöst hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Um einen solchen Mangelfolgeschaden geht es hier jedoch nicht. Aus der Zuordnung des Regresses zum Rechtsbereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung folgt, dass es für die Begründetheit des Verordnungsregresses nicht auf das Vorliegen von Verschulden ankommt (vgl. Urteil des BSG vom 27. April 2005 – B 6 KA 1/04 R -, Presse-Mitteilung Nr. 19/05). Es ist auch nicht zulässig, ein Verschuldenserfordernis durch entsprechende Regelungen in der Prüfvereinbarung einzuführen, da derartige Anforderungen dem Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung fremd sind (vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz SGB V Komm. § 106 Rdnr. 91 mwN). Soweit der Kläger ferner die Meinung vertritt, die Festsetzung eines Regresses sei deshalb rechtswidrig, weil eine andere Behandlung höhere Kosten verursacht hätte bzw. weil der Beklagte von dem ihm eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe, hat er mit diesem Vorbringen ebenfalls keinen Erfolg. Denn es dürfte kaum dem Schutzzweck der Norm entsprechen, wenn die Verordnung eines nicht verordnungsfähigen Medikaments, für dessen Kosten die Krankenkasse unter keinen Umständen aufzukommen hat, für den Vertragsarzt folgenlos bliebe. Hinsichtlich der Festsetzung der Höhe des Regresses in Fällen der vorliegenden Art ist Ermessen nicht gegeben. Jedoch hat der Beklagte bei Festsetzung der Schadenshöhe den Abzug des Apothekenrabatts und der Patientenzuzahlungen zu beachten. Dies ist geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
Saved