L 4 RA 50/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 13 RA 718/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 50/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27.01.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Beendigung der Versicherungspflicht der Klägerin als selbständig Tätige.

Die am ... geborene Klägerin ist seit April 1991 als Physiotherapeutin selbständig tätig. Im Zeitraum April 1991 bis Dezember 1991 leistete sie Beiträge zur Rentenversicherung an die Überleitungsanstalt (ÜLA) der Sozialversicherung. Ab Januar 1992 zahlte sie keine Beiträge mehr.

Am 15.10.1997 beantragte sie bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht zum 01.01.1992 nach § 10 Sozialversicherungsgesetz (SVG) in Verbindung mit § 229a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Die Beklagte lehnte den Befreiungsantrag mit Bescheid vom 18.12.1997 ab, da die für einen diesbezüglichen Antrag nach § 229a SGB VI vorgesehene Antragsfrist bereits zum 31.12.1994 verstrichen sei. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 14.01.1998 Widerspruch eingelegt, da sie sich bereits vor dem 31.07.1991 selbständig gemacht habe. Eine Aufklärung und Beratung über das Bestehen von Versicherungspflicht sei seitens der Beklagten pflichtwidrig unterlassen worden. Erst durch Beratung der Bevollmächtigten sowie durch Mitarbeiter von Versicherungsunternehmen sei sie auf diesen Sachverhalt aufmerksam geworden.

Mit Bescheid vom 28.07.1998 stellte die Beklagte fest, dass eine Versicherungspflicht als selbständige Physiotherapeutin nach § 2 Nr. 2 SGB VI nicht bestehe und dass es bei der Versicherungspflicht nach § 229a SGB VI über den 31.12.1991 hinaus verbliebe. Für den Zeitraum 01.01.1993 bis 31.07.1998 forderte sie Beiträge in Höhe von 35.861,48 DM nach.

Mit Bescheid vom 09.12.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 18.12.1998 fristgemäß Klage zum Sozialgericht (SG) Leipzig erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Auf Grund der schon vor dem 31.07.1991 bestehenden Selbständigkeit habe sie zum Personenkreis des § 10 SVG gezählt. Eine entsprechende Beratung und Aufklärung über das Vorhandensein einer derartigen Versicherungspflicht habe durch die Beklagte nicht stattgefunden. Die Klägerin sehe eine grobe Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht seitens der Beklagten gegeben und sie habe aus Unkenntnis des Vorliegens der Versicherungspflicht nicht die gesetzlichen Fristen des § 229a SGB VI eingehalten. Sie habe ab Anfang 1992 Anstrengungen um eine eigenständige private Altersvorsorge unternommen, da sie annahm, dass ab 1992 keine Zugehörigkeit zur gesetzlichen Pflichtversicherung mehr bestehe. In dieser Annahme sei sie durch eine Information ihres Berufsverbandes im Jahr 1991 im Rahmen einer Versammlung und durch das Steuerbüro bestärkt worden. In ihrem Fall sei bei der Beklagten bis 12/1991 ein Beitragskonto vorhanden gewesen und ab diesem Zeitpunkt seien keinerlei Beiträge mehr geflossen. Hier hätte seitens der Beklagten Ursachenforschung über ein entsprechendes aufklärendes Schreiben einsetzen müssen. Aus diesen Gründen sei die Voraussetzung zur Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben und die Klägerin sei rückwirkend aus der Versicherungspflicht zum 01.01.1992 zu entlassen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27.01.2000 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.01.1992. Anspruchsgrundlage sei § 229a SGB VI. Danach blieben Personen, die am 31.12.1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig beschäftigt waren und nicht nach §§ 1 bis 3 SGB VI versicherungspflichtig sind, in der jeweiligen Tätigkeit und für die Zeit des jeweiligen Leistungsbezuges versicherungspflichtig. Auf Antrag hätte die Versicherungspflicht bis zum 31.12.1994 beendet werden können. Bei Antragstellung bis spätestens 30.06.1992 sei die Befreiung mit Wirkung zum 01.01.1992 eingetreten. Auf Grund der im April 1991 aufgenommenen selbständigen Tätigkeit sei die Klägerin gemäß § 10 SVG im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig gewesen. Nach den Vorschriften des Einigungsvertrages habe die gesetzliche Regelung des § 10 SVG für das Beitrittsgebiet bis zum 31.12.1991 fortbestanden. Die Klägerin habe einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht erstmals am 15.10.1997 gestellt, so dass eine Befreiung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 229a Abs. 1 SGB VI bei Antragseingang nach dem 31.12.1994 nicht mehr möglich sei. Eine Vorverlegung des Antrags im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) scheitere vorliegend daran, dass eine Wiedereinsetzung eine unverschuldete Versäumung gesetzlicher Fristen voraussetze. Objektive Gründe der Hinderung der Einhaltung der Frist aus § 229a SGB VI seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Umstand des Nichtkennens gesetzlicher Regelungen allein genüge insoweit nicht. Die Klägerin habe auch aus dem von der Rechtssprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als hätte sie den Befreiungsantrag fristgerecht bis spätestens 30.06.1992 gestellt. Ein konkretes - individuelles - Beratungs- bzw. Betreuungsverhältnis habe bis zur Antragstellung im Oktober 1997 zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht vorgelegen. Auch habe sich für die Beklagte ein Anlass zur "Spontanberatung" auch nicht aus der Neueinführung des SGB VI und der im Beitrittsgebiet erstmals möglichen Beendigung der Versicherungspflicht nach § 229a SGB VI ergeben. Eine Befreiungsmöglichkeit für Selbständige habe auch im Recht des Beitrittsgebiets bestanden (§ 20 SVG) und sei dem betroffenen Personenkreis zumindest der Sache nach nicht unbekannt. Der mit Bescheid vom 28.07.1998 geltend gemachte Beitragsanspruch ergebe sich aus den §§ 22 und 23 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) in Verbindung mit § 165 SGB VI. Eine Verjährung der Beiträge für das Kalenderjahr 1993 sei nicht eingetreten.

Gegen das der Klägerin am 18.02.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.02.2000 eingelegte Berufung. Seitens der Privatversicherung der Klägerin sei im Jahre 1992 ein Befreiungsantrag gestellt worden. Dazu legte sie einen Befreiungsantrag vom 08.11.1991 sowie Merkblätter über die Möglichkeit der Befreiung von der Pflichtversicherung nach § 20 SVG und Versicherungsscheine der Privatversicherungen vor. Der eidesstattlichen Erklärung des Herrn Witt vom 19.09.2000 ist zu entnehmen, dass er während seiner Tätigkeit beim Allgemeinen Wirtschaftsdienst (AWD), Geschäftsstelle Leipzig, Unterlagen im Rahmen der Befreiung von der Versicherungspflicht bei der Geschäftsstelle Leipzig eingereicht habe. Im Übrigen hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG Leipzig vom 27.01.2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18.12.1997 und vom 28.07.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.1998 aufzuheben und festzustellen, dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 31.12.1991 geendet hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht sei aus den eingereichten Unterlagen ein Antragseingang nach § 229a SGB VI nicht ersichtlich. Aus der Erklärung des Herrn Witt vom 19.09.2000 ergebe sich lediglich die Einreichung von Unterlagen an die Geschäftsstelle des AWD, welche kein Leistungsträger im Sinne des § 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sei. Das SG habe zutreffend entschieden.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 04.09.2000 zur beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Es bestand Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und zulässig (§ 143 SGG), erweist sich jedoch als unbegründet.

Der Senat konnte die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Leipzig nach Anhörung der Beteiligten durch einstimmigen Beschluss der Berufsrichter als unbegründet zurückweisen. Eine mündliche Verhandlung war nicht erforderlich (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Die angefochtenen Entscheidungen des SG und der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, eine Beendigung der Versicherungspflicht zum 01.01.1992 festzustellen. Für diesen Zeitraum hat sie als selbständige Physiotherapeutin im Beitrittsgebiet Pflichtbeiträge zu entrichten.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt § 229a Abs. 1 SGB VI in Betracht.

Danach bleiben Personen, die am 31.12.1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig waren und nicht nach §§ 1 bis 3 SGB VI versicherungspflichtig sind, in der jeweiligen Tätigkeit oder für die Zeit des jeweiligen Leistungsbezuges versicherungspflichtig (§ 229a Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Selbständig Tätige konnten nach § 229a Abs. 1 Satz 2 SGB VI bis zum 31.12.1994 beantragen, dass die Versicherungspflicht nach Satz 1 endet. Das Ende der Versicherungspflicht trat zum 01.01.1992 ein, wenn der Antrag bis zum 30.06.1992 gestellt wurde, sonst vom Eingang des Antrages an (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB VI). § 229a SGB VI führt eine nach dem Recht des Beitrittsgebiets begründete Versicherungspflicht, die nicht nach den §§ 1 bis 3, 229 SGB VI fortbestehen würde, fort und verbindet sie mit einer Beendigungsmöglichkeit. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Versicherungspflicht im Beitrittsgebiet weiter reichte als im übrigen Bundesgebiet. Sie umfasste grundsätzlich alle selbständig Tätigen und deren mithelfende Ehegatten. Abzustellen ist insoweit regelmäßig auf das Versicherungsrecht im Beitrittsgebiet. Die Regelung betrifft daher nur Personen, die nach diesem Recht am 31.12.1991 versicherungspflichtig waren. Die nach § 229a Abs. 1 Satz 1 SGB VI aufrechterhaltene Versicherungspflicht ist an die nach dem Recht des Beitrittsgebiets begründete Tätigkeit geknüpft und besteht so lange fort, wie diese Tätigkeit währt.

Die Klägerin übte unstrittig seit April 1991 eine selbständige Tätigkeit aus. In dieser Tätigkeit unterlag sie nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung (SVG) vom 28.06.1990 (GBl. I S. 468) in Verbindung mit §§ 19, 20 der Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der DDR vom 09.12.1977 (GBl. I 1978 S. 1) der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach § 10 Abs. 1 SVG sind Personen, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen, das entsprechend den Rechtsvorschriften der Beitragspflicht unterliegt, pflichtversichert, soweit in den Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist. Nach § 3 SVG ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Dieses Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit der Klägerin unterlag gemäß § 41 Abs. 1b SVG der Beitragsberechnung. Ab 01.01.1992 blieb sie in dieser Tätigkeit weiterhin versicherungspflichtig (§ 229a SGB VI) mit der Möglichkeit, bis zum 31.12.1994 auf Antrag die Versicherungspflicht zu beenden. Da sie als selbständig Tätige ab dem 01.01.1992, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VI, nicht der Pflichtversicherung nach §§ 1 bis 3 SGB VI bzw. § 229 SGB VI unterlag, aber dem Personenkreis angehörte, der bis zum 31.12.1991 pflichtversichert war, konnte sie nach § 229a Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf Antrag von der "fortwirkenden" Versicherungspflicht befreit werden. Der Antrag ist dabei neben der Erfüllung der sachlichen Voraussetzung eine weitere konstitutive Voraussetzung für eine Beendigung der Versicherungspflicht. Dabei stellt der nach § 229a Abs. 1 Satz 2 SGB VI erforderliche Antrag eine Willenserklärung des öffentlichen Rechts dar. Auf Willenserklärungen Privater sind die Grundsätze des bürgerlichen Rechts zur Willenserklärung entsprechend anzuwenden, weil weder im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung noch sonst im Sozialversicherungsrecht, aber auch nicht im allgemeinen Verwaltungsrecht besondere Rechtsvorschriften über Willenserklärungen des öffentlichen Rechts bestehen (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29.01.1990 - 5 BJ 361/89). Somit ist § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend anzuwenden. Danach wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie zugeht. Dies gilt auch, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist (§ 130 Abs. 3 BGB). Auch für die Beendigung der Versicherungspflicht ist, wie § 229 a Abs. 1 Satz 3 SGB VI bestätigt, der Zugang der Willenserklärung (des Antrags) maßgeblich. Die Versicherungspflicht endet zum 01.01.1992, wenn der Antrag bis zum 30.06.1992 gestellt wird, sonst vom "Eingang des Antrags an".

Eine Beendigung der Versicherungspflicht für den Zeitraum ab 01.01.1992 war nach § 229 a Abs. 1 Satz 3 SGB VI nicht festzustellen. Denn ein Befreiungsantrag ist nicht nachgewiesen und hat sich auch nicht feststellen lassen. Das Übermittlungsrisiko für empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärrungen - wie sie ein Antrag auf Beendigung der Versicherungspflicht darstellt - trägt der Absender. Die bloße Möglichkeit, dass der Antrag bei der zuständigen Stelle ankommt, dort aber verloren gegangen sein könnte - genügt für die Feststellung des Zugangs nicht (BSG, Urteil vom 26.10.1998 - B 2 U 26/97 R; Urteil vom 21.02.1991 - 7 RAr 74/89 = SozR 3-4100 § 81 Nr. 1 m. w. N.). Denn die Vorschrift des § 130 BGB, die das Übermittlungsrisiko dem Absender einer Willenserklärung auferlegt, verkörpert einen allgemeinen Grundsatz, der auch für empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärungen gilt (BSG, a. a. O.; vgl. zur Beweislast nach dem BGB auch: Förschler in: Münchner Kommentar, BGB, Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1993, § 130 Rn. 34).

Die Nichterweislichkeit des Zugangs eines solchen Beendigungsantrags geht nach den Grundsätzen der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden objektiven Beweislast, wonach derjenige die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den vom ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage 1998, § 103 Rn. 19 ff.), zu seinen Lasten. Somit mangelt es an einem rechtzeitig, d.h. einem bis zum 30.06.1992 nach § 229 a Abs. 1 Satz 3 SGB VI gestellten Antrag auf Beendigung der Versicherungspflicht für den hier streitigen Zeitraum.

In Anwendung dieser Regelung hat die Beklagte zutreffend den Antrag auf Beendigung der Versicherungspflicht abgelehnt und dem Begehren, das Ende der Versicherungspflicht mit Wirkung vom 31.12.1991 festzustellen, nicht entsprochen. Ein Befreiungsantrag nach § 20 SVG ist auch bis zum 31.12.1991 nicht nachgewiesen worden. Vielmehr hat die Klägerin ab Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im April 1991 bis einschließlich Dezember 1991 entsprechende Pflichtbeiträge entrichtet und die Zahlung anschließend eingestellt.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass eine Vorverlegung des Antrages im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X daran scheitert, dass eine unverschuldete Versäumung gesetzlicher Fristen vorliegend nicht gegeben ist. Auch der Umstand des Nichtkennens gesetzlicher Regelungen allein genügt nicht. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie in der Annahme der fehlenden Zugehörigkeit zur gesetzlichen Pflichtversicherung ab 1992 durch Informationen ihres Berufsverbandes und durch das Steuerbüro bestärkt wurde, sind derartige fehlerhafte Informationen und Auskünfte Dritter der Beklagten ohnehin nicht anzulasten. Gleiches gilt für eventuell vorliegendes Verschulden des Beraters Witt oder des AWD, falls dort ein Befreiungsantrag eingereicht und nicht weitergeleitet worden sein sollte.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist sie nicht auf Grund des von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (BSGE 60, 158, 164 m.w.N.) so zu stellen, als ob sie den Antrag bereits zum 01.01.1992 gestellt hätte. Voraussetzung hierfür ist, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Aufklärungs- und Beratungspflicht verletzt hat und die Pflichtverletzung ursächlich für einen dadurch eingetretenen sozialrechtlichen Schaden ist. Auf eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht nach § 13 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), kann die Klägerin den Herstellungsanspruch nicht stützen. Diese Aufklärungspflicht begründet nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig kein subjektives Recht des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger. Aus einer möglichen Verletzung erwächst dem Betroffenen daher grundsätzlich kein Herstellungsanspruch (BSG - Urteil vom 21.04.1993 - 5 RJ 98/91).

Die Beklagte hat auch keine der Klägerin gegenüber gemäß § 14 SGB I bestehende Pflicht zur Einzelberatung verletzt. In der Regel wird eine solche Pflicht erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst (BSG SozR 1200 § 14 Nr. 9 und Nr. 12). Allerdings ist der Versicherungsträger, auch wenn ein Beratungsbegehren nicht vorliegt, gehalten, dem Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (BSG SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO [BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 5 und Nr. 6]). Ein solcher konkreter Anlass kann sich etwa aus einem laufenden Rentenfeststellungsverfahren oder nach dem erfolglosen Abschluss eines Rentenverfahrens bzw. eines Rechtsstreites über die beanspruchte Rente ergeben (BSG - Urteil vom 23.04.1990 - 5 RJ 65/89).

Ein in diesem Sinne beschriebener konkreter Anlass lag im Verhältnis zur Klägerin zu keiner Zeit vor, da seitens der Klägerin weder Anträge gestellt noch Beratungsbegehren geltend gemacht worden sind. Ein konkreter Anlass zur Beratung ergab sich für die Beklagte auch nicht aus der Neueinführung des SGB VI und der auf dem Gebiet der neuen Bundesländer erstmals möglichen Beendigung der Versicherungspflicht nach § 229a Abs. 1 SGB VI. Dies hätte die Verpflichtung der Beklagten zur Folge, jegliche Rechtsänderungen zu analysieren und ihren Rentenbestand zu beobachten bzw. im Falle der im Beitrittsgebiet tätig gewesenen Selbständigen den Aufbau des Kontenstammes nicht wegen des Beitragseinzuges, sondern wegen der mit Aufbau verbundenen Beratung über eventuell gewünschte Beendigungsoptionen bevorzugt durchzuführen. Die spezielle Beratungspflicht des § 14 SGB I würde damit ungerechtfertigt und ohne Not zu einer allgemeinen Beratungspflicht erweitert (Sächsisches LSG - Urteil vom 17.05.2000 - L 4 RA 217/99). Nach eigenem Vortrag hat die Klägerin selbst zu keiner Zeit in eigener Angelegenheit den Kontakt zur Beklagten gesucht. Folglich ist auch nicht nachvollziehbar, inwieweit Beratungs- oder Aufklärungspflichten hätten verletzt werden können. Die Klägerin war als selbständig Tätige verpflichtet, selbst der gesetzlichen Verpflichtung zur Abführung von Beiträgen nachzukommen. Hätte sie der ihr zukommenden gesetzlichen Pflicht zur Beitragsentrichtung genügt, hätte sie auf diesem Weg die entsprechende Information zur Änderung der Rechtslage erhalten. Sie wäre dann auch in die Lage versetzt worden, rechtzeitig einen entsprechenden Antrag zu stellen. Diese - mithin den Selbständigen allein obliegende - Pflicht der Beklagten über zu bürden, überspannt die Anforderungen an die der Beklagten zukommenden Auskunfts- und Beratungspflichten. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 229a Abs. 1 SGB VI für einen Zeitraum von drei Jahren eine Wahlmöglichkeit geboten, die bisherige Versicherung fortzusetzen oder diese auf Antrag zu beenden. Insoweit lag die Verantwortung nicht bei der Beklagten, sondern allein bei der selbständig Tätigen.

Der Senat schließt sich im Übrigen in vollem Umfang der zutreffenden und ausführlichen Begründung des Urteils vom 27.01.2000 an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Fehler in der festgesetzten Beitragshöhe hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind solche dem Senat nach eigener Prüfung ersichtlich. Weitere Ermittlungen oder eine nochmalige Anhörungsmitteilung waren nicht erforderlich (Meyer-Ladewig, Komm. SGG, § 153 Rn. 20).

Aus den genannten Gründen blieb die Berufung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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