S 14 RJ 182/04

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 14 RJ 182/04
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers:
01.04.1963 - 30.04.1966 Berufsausbildung zum Schmied und Fahrzeugbauer
1966 - 1969 Berufstätigkeit als Schlosser und Installateur
1969 - Mai 2002 Berufstätigkeit als Sanitärinstallateur

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen des Klägers: Zumindest 6 Stunden arbeitstäglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten
- ohne Überkopfarbeiten
- ohne Kopfzwangshaltungen
- ohne Tragen von Lasten auf den Schultern
- ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 5 kg
- ohne überwiegendes Stehen oder Gehen
- ohne häufige Rumpfzwangshaltungen oder vornübergeneigte Haltung
- ohne überwiegende kniende oder hockende Tätigkeit
- ohne erhöhten Stress (Wechsel-, Nachtschicht, besonderer Zeitdruck einschließlich Akkord oder Fließband, vermehrter Publikumsverkehr)

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann der Kläger noch ausüben? Kommen für den Kläger noch die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten
- Kassierer in Selbstbedienungstankstellen
- Versandfertigmacher
- Schalttafelwärter in Betracht?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann die Klägerin/der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

Zu 1.) Berufsnahe Verweistätigkeiten kommen aus berufskundlicher Sicht nicht in Betracht.

Zu 2.) Bei Beachtung des beruflichen Werdeganges und des gesundheitlichen Leistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht noch für in der Lage, folgende berufsfremde bzw. qualifizierte Verweistätigkeiten zu verrichten:

Kassierer in Selbstbedienungstankstellen:
Dies ist eine in nennenswertem Umfang auch isoliert vorkommende Teilaufgabe aus dem Berufsbild des dreijährig ausgebildeten Tankwartes. Sie umfasst die Abwicklung und Registrierung des Zahlungsverkehrs, daneben aber üblicherweise auch den Warenverkauf. Das Warensortiment kann unterschiedlich groß sein und beinhaltet neben notwendigem Kfz-Zubehör - speziell in Tankstellen der Größenordnung, die einen eigenen Kassierer beschäftigen - auch weitere Artikel sowie Zeitschriften, Tabak- und Süßwaren, Getränke usw. Das Kassieren erfolgt hauptsächlich im Sitzen, die Warenpräsentation einschließlich Auszeichnen und dem Auffüllen der Regale erfordert Gehen und Stehen, Bücken, auch Besteigen von Leitern und Heben und Tragen von häufig schwereren Lasten. Da die tägliche Öffnungszeit einer Tankstelle in der Regel die Arbeitszeit eines einzelnen Mitarbeiters übersteigt, ist Schichtarbeit üblich. Bei großem Kundenandrang ist Zeitdruck nicht zu vermeiden. Notwendig sind Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Zahlenverständnis, Kontaktfähigkeit und Höflichkeit im Umgang mit den Kunden.

Aufgrund der nach Aktenlage bekannten gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger auf die Tätigkeit als Kassierer in Selbstbedienungstankstellen nur zumutbar verweisbar, wenn Schichtarbeit vermieden werden kann.

Warenaufmacher / Versandfertigmacher
Die wesentlichen Aufgaben umfassen das verschönernde und zweckbedingte Aufmachen von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft und die vorbereitenden Arbeiten für deren Versand. Im einzelnen wären hier zu nennen: Das Entfernen produktionsbedingter Verschmutzungen durch Blankreiben, Polieren o.ä., das Aufkleben, Einnähen oder Befestigen von Reklame-, Prüf-, Waren- oder Gütezeichen, Etiketten, Preisauszeichnungen o.ä., das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o.ä.

Es handelt sich um körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen und in wechselnder Körperhaltung.

Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Die Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist, kann wechselweise im Sitzen, Stehen und Umhergehen verrichtet werden. Sie umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Die Anforderungen an Telefonisten sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind, recht unterschiedlich. Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeiten in der Regel auf das Bedienen einer z.T. recht umfangreichen Telefonanlage beschränken, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit einfachen Bürotätigkeiten, Schreibtätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten.

Während bei Telefonisten in Großunternehmen ein bedarfsmässiger Wechsel der Körperhaltung zumindest bezweifelt werden darf, kann man bei dieser Tätigkeit in kleineren Betrieben davon ausgehen, dass eine wechselweise Körperhaltung zum einen aufgrund des breiteren Betätigungsfeldes, zum anderen aber auch im Bedarfsfalle jederzeit möglich ist.

Schalttafelwärter:
Schalttafelwärter sind in der früheren Berufsausübungsform nicht mehr vorhanden. Diese Arbeiten werden heute durch hoch qualifizierte Leitstandwärter verrichtet.

Früher gab es dem Stand der Technik entsprechend nur kleinere, örtliche Leitstände, die z.B. von einem Schaltbrettwärter bedient wurden. Er hatte die angeschlossenen Instrumente abzulesen und die Maschinen sowie die Stoffströme durch Handregler, -schalter und -ventile zu -fahren- oder zu -steuern-. Bereits in den fünfziger Jahren begann die Entwicklung zu zentralen Leitwarten und gleichzeitig stiegen die Anforderungen an das Bedienungspersonal.

Heute sind Leitwarten in aller Regel mit Datenverarbeitungsanlagen und den dazugehörenden Geräten wie Monitoren, Druckern und einer Vielzahl optischer und akustischer Anzeigegeräte ausgestattet.

Die Anzeigengeräte in diesen Warten zeichnen die Parameter der ablaufenden Prozesse automatisch auf und senden bei Störungen akustische und optische Signale aus. Man findet solche Warten überall dort, wo kontinuierliche und diskontinuierliche Prozesse ablaufen und dabei überwacht und gesteuert werden müssen. Es gibt zentrale Warten in Kraftwerken, Stahlwerken, Walzwerken, Kläranlagen, Müllverbrennungsanlagen, Heiz- und Fernheizwerken, Kokereien, Bergwerken, Brauereien, Mühlen und Chemischen Werken (die Aufzählung ist nicht vollständig). Die Berufsbezeichnung für die Tätigkeit in der Warte ist sehr unterschiedlich. Beispielhaft seien genannt: Bediener der ...Warte, Operateur, Schalttafel-, Schaltpultwärter, Leitstandführer, Anlagenfahrer.

Charakteristische Tätigkeiten in einer Schaltwarte sind z.B.
- Kontrollieren der Anzeigengeräte am Pult und an der Wand
- Überprüfen von Abläufen in der Anlage am Bildschirm
- ggf. Informationen mittels Tastatur auf den Bildschirm holen und auswerten
- ggf. durch Bedienen von Schaltern und Reglern in den Prozess eingreifen, um ihn in die gewünschte Richtung zu steuern
- Auswerten von Computerprotokollen, Führen von Kontroll- und Schichtbüchern, Durchführen von Kontrollgängen in der Anlage ggf. Prozessregelung direkt in der Anlage
- Ausrüsten von Druckern und sonstigen Peripheriegeräten
- Gespräche mit Vorgesetzen und Kollegen über den Prozessverlauf führen. Da häufig Gefahren für die Bevölkerung von den Anlagen ausgehen (z.B. Kernkraftwerke, chemische Fabriken) und große Vermögenswerte betroffen sind (Anlage selbst, Chargen) werden hohe Anforderungen an die persönlichen Mindestvoraussetzungen gestellt. Die Tätigkeit des Schaltanlagenwärters erfordert eine hohe Konzentrationsfähigkeit, Selbständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, schnelles Reaktionsvermögen und nervliche Belastbarkeit. Sie wird überwiegend im Sitzen verrichtet. Sie kann auch mit der Durchführung von Kontrollgängen verbunden sein, die ins Freie aber auch in zugige und feuchte Räume führen können. Wartungsarbeiten sind dabei durchzuführen. Es können auch Reparaturarbeiten in kleinem Umfang, insbesondere während der Nachtschicht anfallen (größere Reparaturen werden von den Betriebswerkstätten meist während der Tagesschicht durchgeführt), bei denen mittelschwere körperliche Arbeit erforderlich wird. Wegen des kontinuierlichen Verlaufs der Prozesse ist in vielen Fällen Schichtarbeit sowie Arbeit an Sonn- und Feiertagen notwendig.

Aufgrund der nach Aktenlage bekannten gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger auf die Tätigkeit als Schalttafelwärter nicht zumutbar verweisbar.

Zu 3. und 4.) Bei den vorgenannten Verweistätigkeiten handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können.

Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt.

Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers - auch für ihn ausreichend sein.

Zu 5.) Die genannten Tätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

Zu 6.) Die in Betracht kommenden Tätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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Datum