S 9 R 175/06

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 9 R 175/06
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers: Der Kläger hat in der Zeit von 1963 bis 1966 eine Lehre als Elektriker absolviert und ist im erlernten Beruf bis 1986 tätig gewesen. Im Zeitraum von 1986 bis 1995 arbeitete der Kläger in einer Härterei. Im Anschluss daran übte der Kläger bis zum 31.08.2001 eine Tätigkeit als Maschinenführer aus

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen des Klägers:
Der Kläger leidet unter folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen: Handgelenks- und Rizarthrose rechts, Verschleißerkrankung an Bandscheiben und kleinen Wirbelgelenken, rezidivierende mittelgradige depressive Episoden, hyperreagibles Bronchialsystem, Hypertonie, Ösophagogastritis, Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschlusserkrankung der Beine links mehr als rechts und Initialarthrose des oberen Sprunggelenkes. Der Kläger sollte nur noch Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Gehen und Stehen ausführen. Körperzwangshaltungen, z. B. in vornübergeneigter oder gebückter Haltung sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Die Hebe - und Tragebelastung sollte 5 kg nicht übersteigen. Aufgrund der Handgelenksverschleißerkrankung rechts ist die Ausübung kraftschlüssiger Dreh- und Hebetätigkeit mit der rechten Hand eingeschränkt. Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie das Begehen von unebenem Gelände ist auszuschließen. Gleiches gilt für stark staubbelastende Tätigkeiten mit der Entwicklung von Stäuben, Rauchen, Gasen oder Dämpfen. Tätigkeiten mit langen oder unregelmäßigen Arbeitszeiten, heimatsferner Unterbringung sowie erhöhten Anforderungen an die Anpassung- Umstellungsfähigkeit sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Nachtschicht- und Hitzearbeiten sind auszuschließen. Die Wegefähigkeit des Klägers ist aufgrund eines operationswürdigen Gefäßleidens derzeit eingeschränkt. Nach den Ausführungen des gehörten Sachverständigen Dr. W. ist der Kläger gegenwärtig nur in der Lage, schmerzfrei eine Gehstrecke von 100 bis 200 m zu bewältigen. Durch die beabsichtigte Operation werde sich jedoch die Wegefähigkeit des Klägers mit Wahrscheinlichkeit so deutlich bessern lassen, dass wieder eine Wegstrecke von 500 m oder mehr in einem üblichen Zeitraum von 20 Minuten bewältigt werden kann. Darüber hinaus ist der Kläger in der Lage, ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

II. Beweisfragen:

1. a) Wie ist die vom Kläger zuletzt verrichtete Tätigkeit als Anlagenführer in der Automobilindustrie einzustufen?

b) Ist der Kläger mit dem beschriebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Anlagenführer in der Automobilindustrie zu verrichten?

c) Wenn nein, welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann d. Kl. noch ausüben?

d) Ist der Kläger insbesondere noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Montierer in der Metall- und Elektroindustrie, eines Telefonisten, eines Poststellenmitarbeiters, eines Versandfertigmachers oder einer Büro- und Verwaltungshilfskraft zu verrichten?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann die Klägerin unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu drei Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

Zu 1a) Die erbetene Auskunft über die tarifliche Einstufung kann ich nicht erteilen, da die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit keine Tarifsammlung führen. Entsprechende Anfragen bitte ich an die Tarifvertragsparteien oder an die Tarifregisterstelle im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung zu richten.

Zu 1b) Unter Berücksichtigung der nach Aktenlage bekannten gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger für nicht in der Lage die Tätigkeit als Anlagenführer in der Automobilindustrie auszuüben.

Zu 1c), 1d) und 2) Berufsnahe Verweistätigkeiten kommen aus berufskundlicher Sicht nicht in Betracht. Bei Beachtung des beruflichen Werdeganges und des gesundheitlichen Leistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht für in der Lage folgende Tätigkeiten ausüben zu können:

Warenaufmacher/Versandfertigmacher
Die wesentlichen Aufgaben umfassen das verschönernde und zweckbedingte Aufmachen von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft und die vorbereitenden Arbeiten für deren Versand. Im einzelnen wären hier zu nennen: Das Entfernen produktionsbedingter Verschmutzungen durch Blankreiben, Polieren o.ä., das Aufkleben, Einnähen oder Befestigen von Reklame-, Prüf-, Waren- oder Gütezeichen, Etiketten, Preisauszeichnungen o.ä., das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o.ä.

Es handelt sich um körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen und in wechselnder Körperhaltung.

Mitarbeiter/Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde Die Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist, kann wechselweise im Sitzen, Stehen und Umhergehen verrichtet werden. Sie umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Die Anforderungen an Telefonisten sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind, recht unterschiedlich. Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeiten in der Regel auf das Bedienen einer z.T. recht umfangreichen Telefonanlage beschränken, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit einfachen Bürotätigkeiten, Schreibtätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten.

Während bei Telefonisten in Großunternehmen ein bedarfsmässiger Wechsel der Körperhaltung zumindest bezweifelt werden darf, kann man bei dieser Tätigkeit in kleineren Betrieben davon ausgehen, dass eine wechselweise Körperhaltung zum einen aufgrund des breiteren Betätigungsfeldes, zum anderen aber auch im Bedarfsfalle jederzeit möglich ist.

Büro-/Verwaltungshilfskraft
Bürohilfskräfte / Verwaltungshilfskräfte verrichten meist einfache Büroarbeiten. Sie erledigen beispielsweise Schreibarbeiten, kümmern sich um die Verteilung der Post und firmeninterner Umläufe, kopieren Unterlagen, sorgen für die Ablage, erfassen Daten - kurz, sie übernehmen alle Hilfsarbeiten, die im Büro anfallen. Je nach vorhandenen Kenntnissen und Fertigkeiten können sie auch zum Beispiel einfache Buchhaltungsarbeiten ausführen, bei der Erstellung von Statistiken und Auswertungen mitwirken oder im Telefondienst arbeiten. Bei ihren vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten verwenden sie oft moderne Büro- und Kommunikationsmittel und müssen daher mit Computern, Kopierern, Telefon, Telefax und anderen Bürogeräten nach entsprechender Einweisung umgehen können. Bürohilfskräfte können in allen Branchen tätig sein.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Datenverarbeitung, zunehmend Arbeit am Bildschirm.

Aufgrund des körperlichen Restleistungsvermögens des Klägers halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht nicht für in der Lage die Tätigkeiten eines Montierers in der Metall- und Elektroindustrie zu verrichten.

Zu 3) und 4) Bei den vorgenannten Verweistätigkeiten handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können.

Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt.

Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers - auch für ihn ausreichend sein.

Zu 5) Die genannten Tätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

Zu 6) Die in Betracht kommenden Tätigkeiten stehen auf Betriebsfremden zur Verfügung.
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