S 9 R 211/06

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 9 R 211/06
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers:
Der Kläger absolvierte in der Zeit vom 01.08.1968 bis 31.01.1972 eine Lehre zum Kfz-Mechaniker und in der Zeit vom 01.03.1972 bis 31.01.1974 eine Lehre zum Kfz-Elektriker. Der Kläger war bis zum Jahre 2003 im erlernten Beruf tätig.

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen des Klägers: Ausweislich der Feststellungen des von Amts wegen gehörten Sachverständigen Dr. WL. leidet der Kläger unter folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen: posttraumatische Coxarthrose links, Verschleißerscheinungen an der Bandscheibe und den kleinen Wirbelgelenken der Hals- und Lendenwirbelsäule, Diabetis mellitus, arterielle Hypertonie, Lebervergrößerung und Leberfunktionsstörung, obstruktive und restriktive Ventilationsstörung der Lungen, Grünschwäche, Sehschwäche rechts mit Störung des räumlichen Sehens. Der Kläger ist aufgrund dieser Erkrankungen nur noch in der Lage, überwiegend sitzende Tätigkeiten mit gelegentlichem Gehen und Stehen zu verrichten. Arbeiten mit Zwangshaltungen (Knien, Hocken, Vornüberneigung) sowie Überkopfarbeiten sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Lasten über 10 kg sollten nicht überwiegend oder regelmäßig gehoben werden. Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefährdung sind auszuschließen. Gleiches gilt für das Gehen auf unebenem Gelände. Darüber hinaus ist der Kläger wegen der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auszuüben, die ein differenziertes beidäugiges Sehvermögen sowie ein differenziertes Farbsehvermögen erfordern. Die Einwirkung von Stäuben, Rauchen, Gasen und Dämpfen sollte wegen der noch abklärungsbedürftigen Atemwegserkrankung unterbleiben.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann der Kläger noch ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu drei Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens ist der Kläger aus berufskundlicher Sicht in der Lage, die berufsfremden Tätigkeiten eines Pförtners, eines Versandfertigmachers und eines Telefonisten vollwertig verrichten zu können. Die berufsnahe Tätigkeit eines Kundenberaters im Kraftfahrzeuggewerbe ist zwar aus gesundheitlichen Gründen möglich, jedoch wird bezweifelt, dass der Kläger fachlich geeignet ist diese Tätigkeit vollwertig verrichten zu können. Zu den Aufgaben eines Kundenberaters im Kraftfahrzeuggewerbe gehören u.a. die komplette Auftragsabwicklung einschließlich Schadensdiagnose durch Sichtprüfung, EDV-Diagnose und Probefahrt, Kostenkalkulation, Kulanzabwicklung mit dem Hersteller, Ersatzteildisposition, Terminplanung und qualifizierte Kundenberatung. Teilweise gehört auch die Beratung des Werkstattpersonals zum Aufgabengebiet. An Kenntnissen sind u.a. vertiefte EDV-Anwenderkenntnisse, das Wissen über spezielle konstruktive Details und marken- und modellspezifische Aus- und Fortbildungen notwendig. Als Kundenberater im Kraftfahrzeuggewerbe werden in der Regel Kraftfahrzeugmechaniker mit langjähriger markenspezifischer Erfahrung und Meisterprüfung beschäftigt!

zu 2) Pförtner
Diese Tätigkeit umfasst das Überwachen des Personenverkehrs in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen von Betrieben, Behörden oder Krankenhäusern, das Überprüfen von Ausweisen, das Anmelden von Besuchern, das Ausfüllen von Besucherzetteln und das Weiterleiten von Besuchern an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebes, der Behörde oder des Krankenhauses.

Die Arbeit ist grundsätzlich körperlich leicht, in der Regel wird in temperierten Räumen gearbeitet, es überwiegt sitzende Körperhaltung (ein Bewegungswechsel ist möglich). Erforderlich sind ein gutes Hörvermögen, eine ausreichende sprachliche Darstellungsfähigkeit sowie ein gutes Personengedächtnis.

Versandfertigmacher
Die wesentlichen Aufgaben bestehen in vorbereitenden Arbeiten für den Versand von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft. Im Einzelnen wären hier zu nennen: Das Anbringen von Etiketten, Preisauszeichnungen oder Gütezeichen, das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o. ä ...

Es handelt sich dabei meist um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen Räumen oder Lagerhallen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist meist möglich.

Versandfertigmacher verrichten u. a. folgende einfache Arbeiten:
- verpacken von Haushaltswaren und Lebensmitteln (z.B. Wurstwaren)
- elektrische Kleingeräte (Rasierapparate, MP3-Player, Bohrmaschinen usw.) mit Zubehörteilen versandfertig verpacken
- von verschied. Produkten (Kleidung, Kleinartikel, Haushaltswaren usw.) produktionsbedingte Verschmutzungen entfernen und diese in Pappschachteln/-kartons einlegen

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Je nach Art des Betriebes/ der Behörde können diese Tätigkeiten auch mit der Verrichtung von einfachen Büroarbeiten und/oder dem Empfangen und Anmelden von Besuchern gekoppelt sein. Die Anforderungen an Telefonistinnen sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind recht unterschiedlich.

Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeiten in der Regel auf das Bedienen einer z.T. recht umfangreichen Telefonanlage beschränken, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit einfachen Bürotätigkeiten, Schreibtätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten. Während bei Telefonisten in Großunternehmen ein bedarfsmäßiger Wechsel der Körperhaltung zumindest bezweifelt werden darf, kann man bei dieser Tätigkeit in kleineren Betrieben davon ausgehen, dass eine wechselweise Körperhaltung zum einen aufgrund des breiteren Betätigungsfeldes, zum anderen aber auch im Bedarfsfalle jederzeit möglich ist.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Datenverarbeitung, zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

zu 3) Bei den Tätigkeiten eines Pförtners, eines Versandfertigmachers und eines Telefonisten handelt es sich um eine ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Im Regelfall betragen die betrieblichen Einarbeitungs- und Einweisungszeiten maximal drei Monate. Hinsichtlich der tarifvertraglichen Einstufung verweise ich auf das Tarifregister des Landes Hessen.

zu 4.) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht für in der Lage, die Tätigkeiten eines Telefonisten, eines Versandfertigmachers und eines Pförtners nach einer betrieblichen Einarbeitungs-/Einweisungszeit von maximal drei Monaten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen vollwertig verrichten zu können.

zu 5+6) Die in Betracht kommenden Tätigkeiten eines Pförtners, eines Versandfertigmachers und eines Telefonisten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang -mehr als 300 besetzte oder unbesetzte Arbeitsplätze- auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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