S 7 R 118/05

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 7 R 118/05
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers:
- 01.08.1971 - 19.02.1975 - BAB Zahntechniker
- sodann bis 30.06.1985 - angestellter Zahntechniker
- 1982 - 1985 - berufsbegleitend Meisterschule
- 01.07.1985 - 31.07.1998 - Zahntechnikermeister in GmbH unter eigener Beteiligung als Gesellschafter + Geschäftsführer, alleiniger technischer Betriebsleiter (Meisterprüfung am 11.05.1983)
- 01.08.1998 - 31.03.1999 - arbeitslos bzw. arbeitsunfähig
- 01.04.199 - 06.09.199 - angesteller Zahntechnikermeister
- seit 07.09.1999 - arbeitslos bzw. arbeitsunfähig

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen d. Kl.:

aa) Diagnosen Auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet:

Symptomdiagnosen:
- Chronische Dysthymia, ICD 10: F 34.1, (Verbitterungsstörung nach Insolvenz des Zahntechnikerbetriebes)
- Chronisches Schmerzsyndrom sowohl mit organischen Erklärungsfaktoren wie auch psychogener (somatoformer) Überlagerung
- Chronische Alkoholabhängigkeit mit Folgeschäden, ohne dauerhafte Abstinenz
- Geringgradige kognitive Störungen
- Beginnende alkoholtoxische Polyneuropathie mit breitbasigem Gangbild

Strukturdiagnosen:
- Zwanghafte Persönlichkeitsausprägung mit gefährdeter individueller Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit

Körperliche Diagnosen im Übrigen (übernommen):
- Rezidivierend leicht- bis mittelgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionseinschränkungen der LWS bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschaden L5/S1 mit leichtgradigem sensomotorischen Defizit (Zehen- und Fußheberschäche links)
- Wiederkehrendes Schulter-Arm-Syndrom bei degenerativer Veränderung mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung
- Leichtgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionseinschränkungen beider Hüften
- Farb-Seh-Schwäche (Rot-Grün)
- Nikotinabusus (30 Zigaretten pro Tag)

bb) Qualitative Leistungseinschränkungen

Es sollten nur Arbeiten in wechselnder Körperhaltung stattfinden ohne Zwangshaltungen, kein Tragen und Heben von Lasten über 15 kg.

Die Rot-Grün-Schwäche sollte beim Sehvermögen berücksichtigt werden, bzw. es sollten keine Arbeiten ausgeführt werden, bei denen Farb-Unterscheidungsvermögen verlangt wird.

Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten bei alkoholtoxischer Polyneuropathie ist ein Einsatz auf Leitern und Gerüsten nicht möglich.

Bezüglich der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit ist festzustellen, dass ohne dauerhafte Abstinenz für die Fähigkeitsprofile keine ausreichende Flexibilität besteht.

So bestehen bei den kognitiv-intellektuellen Merkmalen leichtgradige Konzentrationsstörungen im Sinne einer kognitiven Störung durch eine reduzierte Merkfähigkeits- und Gedächtnisleistung.

Bezüglich der sozialen Merkmale ist die Kontakt- und Kritikfähigkeit und Kritisierbarkeit durch Alkoholproblematik eingeschränkt.

Der Kläger besitzt keine Krankheitseinsicht, auch besitzt er keinen Abstinenzvorsatz. Die Kritisierbarkeit ist gering, da er projektiv seine Schuldanteile auf das Umfeld richtet und von seinen eigenen Schwierigkeiten ablenkt.

Die Merkmale zur Arbeitsausführung (Ausdauer, Kontrolle, Ordnungsbereitschaft, Sorgfalt, Zeitdruck) sind ebenfalls unter der Alkoholproblematik nicht zu leisten.

Durch die Dysthymia und Alkoholeinnahme ist der Antrieb reduziert, die Feinmotorik bereits durch einen Fingertremor eingeschränkt.

Derzeit ist die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit mit ausreichenden Flexibilitäten für Arbeiten unter Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter fehlender Abstinenz nicht erreichbar.

cc) Quantitatives Leistungsvermögen

Aus psychiatrisch-psychosomatischer Sicht ist der Kläger unter den oben skizzierten Feststellungen derzeit nicht in der Lage, zumindestens 6 Stunden arbeitstäglich zu arbeiten.

Nach der Schweregradbeurteilung wäre es ihm möglich, mindestens 3 Stunden bis unter 6 Stunden arbeitstäglich einer Beschäftigung mit leichten, bis mittelschweren Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Bei der Maßgabe, dass innerhalb von 6 Monaten eine Rehabilitationsmaßnahme Abstinenz und damit psychische Besserung und Stabilisierung erzielen kann, wäre er danach wieder in der Lage, zumindestens 6 Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes leichte, bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.

Falls Abstinenz erzielt werden kann und die Dysthymia sich bessert, wäre auch ein Einsatz im bisherigen Beruf als Zahntechniker möglich. Allerdings ist fraglich, ob die Feinmotorik und die Gebrauchsfähigkeit der Hände so weit wiederhergestellt werden können, um die Feinarbeiten des Zahntechnikers zu verrichten. Hinzu kommen die erforderlichen Wechselhaltungen durch die degenerative Schädigung der Wirbelsäule. In der Summierung/Wechselwirkung wird deshalb der bisherige Beruf als Zahntechniker vermutlich nicht mehr auszuüben sein.

In den Verweisungstätigkeiten wäre der Kläger nach Rehabilitationsmaßnahmen 6 Stunden und mehr einsetzbar.

Öffentliche Verkehrsmittel können uneingeschränkt benutzt werden.

Eine beurteilungsrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit besteht nicht.

Der Kläger besitzt die Fahrerlaubnis für ein Auto und führt dieses auch.

Die Einhaltung von zusätzlichen, betriebsunüblichen Arbeitspausen ist nicht erforderlich. Der Kläger verfügt derzeit über keine ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, weder für den Beruf als Zahntechniker noch für eine Verweisungstätigkeit, aufgrund der chronischen Dysthymia und der Alkoholproblematik. Derzeit besteht Arbeitsunfähigkeit. Nach einer entsprechenden Rehabilitationsmaßnahme dürfte aber ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit für eine andere als die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit als Zahntechniker vorhanden sei.

Nach einer entsprechenden Rehabilitationsmaßnahme dürfte innerhalb von 6 Monaten ausreichende Anpassung und psychische Belastungsfähigkeit für Tätigkeiten von mindestens 6 Stunden bestehen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Gesundheitszustand des Klägers mit Auswirkung auf die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit in einem Zeitraum von 6 Monaten durch eine entsprechende Rehabilitationsmaßnahme wesentlich gebessert wird.

II. Beweisfragen:
(Hinweis: Bei der Beantwortung der Beweisfragen bitte ich ein Leistungsvermögen von wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zugrundezulegen, das der Kläger nach dem vorläufigen Ergebnis der Beweisaufnahme nach einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in einem Zeitraum von 6 Monaten voraussichtlich wiedererlangen könnte. Ihre Einschätzung soll sich somit auf die Zeit nach erforgreicher Absolvierung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beziehen.)

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann die Klägerin/der Kläger noch ausüben?
Kann d. Kl. insb. noch die Tätigkeit eines Kundenberaters für Zahntechnik ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann die Klägerin/der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens ist der Kläger aus berufskundlicher Sicht in der Lage, die Tätigkeiten eines Poststellenmitarbeiters und eines Warenaufmachers - Versand vollwertig verrichten zu können. Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um berufsfremde Tätigkeiten.

Berufsnahe Tätigkeiten kommen für den Kläger nicht in Betracht. Die Tätigkeit eines Kundenberaters für Zahntechnik kann der Kläger nicht ausüben. In einer solchen Tätigkeit ist physische und permanente psychische Belastbarkeit notwendig. Bei Gesprächen mit Zahntechnikern und -medizinern kommt es neben entsprechendem Fachwissen sehr stark auf einwandfreies Auftreten, gefestigte Persönlichkeit und Überzeugungsfähigkeit an. Lt. fachärztlichem Gutachten ist jedoch derzeit u.a. die Kontakt- und Kritikfähigkeit und die Merkfähigkeit- und Gedächtnisleistung des Klägers deutlich reduziert.

zu 2) Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Die Tätigkeit umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

Warenaufmacher/in - Versand
Die wesentlichen Aufgaben umfassen das verschönernde und zweckbedingte Aufmachen von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft und die vorbereitenden Arbeiten für deren Versand. Im einzelnen wären hier zu nennen: Das Entfernen produktionsbedingter Verschmutzungen durch Blankreiben, Polieren, das Aufkleben, Einnähen oder Befestigen von Reklame-, Prüf-, Waren- oder Gütezeichen, Etiketten, Preisauszeichnungen, das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen. Schließlich gehört zu ihren Aufgaben auch, die Waren in geeigneter Form manuell oder maschinell zu verpacken und für den Versand auszuzeichnen.

Warenaufmacher können in Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche tätig sein. Eine vollständige Auflistung ist nicht möglich. Nachfolgend finden Sie eine exemplarische Auswahl: Handel, Nahrung und Genussmittel, Chemie, Pharmazie, Metall- und Elektroindustrie, Herstellung und Reparatur von Büromaschinen und Computern, Textil, Bekleidung, Leder, Kunststoff, Holz und Möbel, Glas, Keramik, Feinmechanik, Optik.

Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen oder Lagerhallen, überwiegend sitzend mit gelegentlichem Gehen. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist meist möglich. Funktionstüchtigkeit beider Arme und Hände sollte gegeben sein. Für diese Tätigkeiten sind meist keine Lese- und Rechtschreibkenntnisse erforderlich.

zu 3) Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um eine ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Im Regelfall betragen die betrieblichen Einarbeitungs- und Einweisungszeiten maximal drei Monate. Hinsichtlich der tarifvertraglichen Einstufung verweise ich auf das Tarifregister des Landes Hessen.

zu 4.) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht für in der Lage, die Tätigkeiten eines Poststellenmitarbeiters und eines Warenaufmachers - Versand nach einer betrieblichen Einarbeitungs-/Einweisungszeit von maximal drei Monaten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen vollwertig verrichten kann.

zu 5+6 Die in Betracht kommenden Tätigkeiten eines Poststellenmitarbeiters und eines Warenaufmachers - Versand stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang –mehr als 300 besetzte oder unbesetzte Arbeitsplätze- auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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