Sozialwahlen 2017 für ungültig erklärt

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Kategorie
Pressemitteilungen

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hat
Altersrentenbezieher zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen


Die in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte sowie in der Gruppe
der Arbeitgeber im Jahr 2017 durchgeführten Wahlen zur Vertreterversammlung der
SVLFG wurden lediglich in der Unfallversicherung durchgeführt. Dadurch wurden insbesondere
Personen, die eine Altersrente der Altersversicherung der Landwirte beziehen
und nicht bei der SVLFG unfallversichert sind, von den Wahlen ausgeschlossen.
Die Wahlen sind daher ungültig und müssen wiederholt werden. Dies entschied der 9.
Senat des Hessischen Landessozialgerichts in drei Verfahren.

Arbeitgeber, Selbstständige und Jagdverbände fechten Wahlen an

Im Jahr 2017 wurden die Wahlen zur Vertreterversammlung der SVLFG durchgeführt.
Im Juli 2017 erhoben mehrere Selbstständige ohne fremde Arbeitskräfte, die bei der
Wahl kandidierten sowie Jagdverbände und ein Arbeitgeber, die Vorschlagslisten eingereicht
hatten, Wahlanfechtungsklagen beim Sozialgericht. Sie vertraten die Auffassung,
dass nicht nur die Bezieher einer gesetzlichen Unfallrente in der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft wahlberechtigt seien, sondern auch die Bezieher von anderen
Renten der SVLFG wie z.B. der Regelaltersrente. Dies habe die SVLFG verkannt und
daher den Begriff der Rentenbezieher falsch ausgelegt. Mit der Gesetzesänderung zum
1. Januar 2013 sei ein einheitlicher Träger der Sozialversicherung in der Landwirtschaft
errichtet worden. Seitdem seien die Versicherten in allen Zweigen wahlberechtigt.
Die SVLFG führte dagegen an, dass mit der Gesetzesänderung das Sozialwahlverfahren
nicht habe verändert werden sollen. Das Sozialgericht hat die Klagen abgewiesen.
Die Kläger haben Berufung eingelegt.

Landesozialgericht stellt Wahlfehler fest und erklärt die Wahlen für ungültig

Das Landessozialgericht hat nunmehr die erstinstanzlichen Urteile aufgehoben und die
Wahlen für ungültig erklärt. Die auf die Unfallversicherung beschränkte Durchführung
der Wahlen habe gegen das aktive und passive Wahlrecht verstoßen. Hierdurch sei ein
erheblicher Teil von Wahlberechtigten vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen
worden.
Bis zum 31. Dezember 2012 sei die Beschränkung der Sozialversicherungswahl in der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf die gesetzliche Unfallversicherung rechtmäßig
gewesen. Mit der gesetzlichen Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung sei die SVLFG geschaffen worden. Diese sei seitdem zuständig
für die Durchführung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, der Alterssicherung
der Landwirte sowie der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Unter den Begriff Rentenbezieher fielen seitdem nicht ausschließlich die Rentner aus
der Unfallversicherung.
Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz, der auch für Sozialversicherungswahlen
gelte, verbiete jedoch einen willkürlichen Ausschluss einer quantitativ nicht unbedeutenden
Gruppe von den Wahlen.
Der Wahlfehler sei auch mandatsrelevant. Durch ihn werde eine erhebliche Zahl von
Altersrentnern vom Wahlrecht ausgeschlossen. Es sei möglich, dass die Sitzverteilung
ohne diesen Fehler anders ausgefallen wäre bzw. eine abgelehnte Vorschlagsliste hätte
zugelassen werden müssen.

Hinweise zur Rechtslage

§ 44 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)

(1) Die Selbstverwaltungsorgane setzen sich zusammen (…)
2. bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau je zu
einem Drittel aus Vertretern der versicherten Arbeitnehmer (Versicherten), der
Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und der Arbeitgeber, (…).

§ 47 SGB IV
(2) Zur Gruppe der Arbeitgeber gehören
1. die Personen, die regelmäßig mindestens einen beim Versicherungsträger
versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen (…)
(3) Zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte gehören bei der Sozialversicherung
für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau
1. die versicherten Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und ihre versicherten
Ehegatten oder Lebenspartner; dies gilt nicht für Personen, die in den letzten
zwölf Monaten sechsundzwanzig Wochen als Arbeitnehmer in der Land- oder
Forstwirtschaft unfallversichert waren,
2. die Rentenbezieher, die der Gruppe der Selbständigen ohne fremde
Arbeitskräfte unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit
angehört haben.
(5) Rentenbezieher im Sinne der Vorschriften über die Selbstverwaltung ist, wer eine
Rente aus eigener Versicherung von dem jeweiligen Versicherungsträger bezieht.

§ 50 SGB IV
(1) Wahlberechtigt ist, wer (…)
1. bei dem Versicherungsträger zu einer der Gruppen gehört, aus deren
Vertretern sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers
zusammensetzen, (…)

§ 51 SGB IV
(1) Wählbar ist, wer (…)
1. bei dem Versicherungsträger zu einer der Gruppen gehört, aus deren Vertretern
sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers zusammensetzen,
(…)

§ 57 SGB IV
(2) Die in § 48 Absatz 1 genannten Personen und Vereinigungen, der Bundeswahlbeauftragte
und der zuständige Landeswahlbeauftragte können die Wahl durch Klage
gegen den Versicherungsträger anfechten.

§ 32 SGB IV (gültig bis 31.12.2012)
Organe der landwirtschaftlichen Krankenkassen und der landwirtschaftlichen Alterskassen
sind die Organe der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, bei denen
sie errichtet sind.

§ 131 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
(4) Hält das Gericht eine Wahl im Sinne des § 57b (…) ganz oder teilweise oder eine
Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für ungültig, so spricht es dies im Urteil aus
und bestimmt die Folgerungen, die sich aus der Ungültigkeit ergeben.
Art. 3 Grundgesetz (GG)
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Hessisches Landessozialgericht, Urteile vom 28.01.2022, Az. L 9 U 173/18, L 9 U 174/18 und L 9 U 175/18 – Die Revision wurde jeweils zugelassen.
www.lareda.hessenrecht.hessen.de 
 

Ab Datum
Bis Datum
Saved