L 5 KR 208/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 61 KR 1906/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 208/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Als Prozesshandlung kann die Rücknahme eines Rechtsmittels nicht widerrufen oder angefochten werden.

 

I. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Berufungsrücknahme vom 21.07.2022 beendet ist.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zu befinden ist über die Wirksamkeit einer verfahrensbeendenden Erklärung zu einem Berufungsverfahren wegen Krankengeld.

Die Klägerin ist gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten, seit dem 01.01.2005 wegen Leistungsbezugs nach dem SGB II. Das letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis der Klägerin endete am 30.06.2016. Ab 04.01.2019 war sie arbeitsunfähig erkrankt.
Mit am 18.02.2019 eingegangen Schreiben begehrte die Klägerin von der Beklagten Krankengeld nach einem Sturzereignis, was diese mit Bescheid vom 18.04.2019/ Widerspruchsbescheid vom 30.03.2021 ablehnte mangels Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld. Dieses könne aus geringfügigen Beschäftigungen nicht resultieren.

Die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht München (SG) ist ohne Erfolg geblieben. Mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit am 04.01.2019 sei die Klägerin als Empfängerin von Arbeitslosengeld nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung habe die Klägerin nicht ausgeführt. Anspruch auf Krankengeld bestehe daher nicht.

Im dagegen gerichteten Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgebracht, sie sei in mehreren Nebenjobs und in Festanstellung in mehreren Unternehmen tätig gewesen. Sie sei alleinerziehend. Der Unfall habe auf dem Weg zur Arbeit stattgefunden, sie sei nur eine Minute in einen Laden gegangen, um eine Tasche im Sonderposten für 10,00 EUR zu kaufen. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 21.07.2022 hat die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen, die entsprechende Erklärung wurde ins Protokoll aufgenommen, vorgelesen und von der Klägerin genehmigt.

Mit Schreiben vom 22.07.2022, eingegangen am 27.07.2022, hat die Klägerin mitgeteilt, sie sei mit der Berufungsrücknahme einverstanden gewesen sowie "die Widerrufung" beantragt und weitere Unterlagen vorgelegt (zur Anmeldung bei der Minijobzentrale und einen Bescheid über die Gewährung von Arbeitslosengeld II vom 12.05.2022). Es seien zur Krankenversicherung Pauschalbeiträge für geringfügig Beschäftigte einbezahlt worden, also sei sie in Zeitpunkt des Sturzes beim Einkaufen krankenversichert gewesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass die Berufung nicht mit ihrer Erklärung vom 21.07.2022 zurückgenommen ist sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 31.03.2022 und den Bescheid der Beklagten vom 18.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld infolge des Ereignisses vom 04.01.2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
das Feststellungsbegehren der Klägerin, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Fortsetzungs- und Sachentscheidungsbegehren (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz (SGG), 13. Auflage 2020, § 156 Rn. 6) der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Rechtsstreit wurde durch die Berufungsrücknahme im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 21.07.2022 unzweifelhaft wirksam und unwiderruflich beendet.

Die Berufungsrücknahme ist wirksam zustande gekommen. Die Prozessfähigkeit der Klägerin liegt vor, insbesondere hat sie auch selbst nicht die Rücknahme der Berufung im Schreiben vom 22.07.2022 in Abrede gestellt. Die Erklärung ist auch eindeutig erfolgt und ausweislich der Gerichtsakten als Prozesserklärung wirksam zu Protokoll genommen - insbesondere vorgelesen und genehmigt - worden (§ 122 ZPO i.V.m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 8, 162 Abs. 1 ZPO. Die Rücknahme ist ohne Zustimmung der Berufungsbeklagten wirksam (§ 156 Abs. 1 SGG), da eine mündliche Verhandlung in zweiter Instanz noch nicht erfolgt war, sondern lediglich ein vorbereitender Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage.

Eine Anfechtung der Berufungsrücknahme ist nicht wirksam. Als Prozesshandlung kann die Rücknahme nicht widerrufen oder angefochten werden (BSG 01.02.2021 - B 14 AS 303/20 B, Rn. 2 - juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 156 Rn. 2a).

Eine Beseitigung der Berufungsrücknahme in Anlehnung an die Grundsätze der Wiederaufnahmeklage i.S.d. § 179 SGG, §§ 578 ff. ZPO ist ausgeschlossen. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Wideraufnahmeklage nach § 179 SGG, §§ 578 ff. ZPO wäre nämlich, dass das Verfahren, das wiederaufgenommen werden soll, durch ein rechtskräftiges Endurteil oder eine einem Endurteil gleichstehende rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen worden wäre. Daran fehlt es, wenn das Verfahren - wie vorliegend - durch Berufungsrücknahme beendet worden ist; eine Wiederaufnahmeklage ist in einem solchen Fall daher unzulässig (vgl. BSG, Urteile vom 09.07.1968, 10 RV 135/66, und vom 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R).

Auch eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften führt mangels vorgetragener oder anderweitig ersichtlicher Wiederaufnahmegründe nicht zu einem anderweitigen Ergebnis. Insbesondere ergibt sich aus dem Hinweis der Klägerin auf die Entrichtung der Pauschalbeiträge durch den Arbeitgeber kein Wiederaufnahmegrund, zumal diese nicht dazu führt, dass die ausgeübten geringfügigen Beschäftigungen versicherungspflichtig würden (vgl. § 7 SGB V iVm §§ 8, 8a SGB IV). Das gilt auch für den Einwand der Leistungen nach dem SGB II, zumal aus dem eingereichten Bescheid ersichtlich ist, dass nicht bei der Klägerin, sondern bei deren Sohn Einnahmen bedarfsmindernd berücksichtigt worden sind, und sich der Auszahlungsbetrag (lediglich) deshalb reduziert hat, weil ein (großer) Teil der Leistungen seitens des Jobcenters an den Vermieter ausbezahlt worden ist. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit dessen obliegt jedoch nicht diesem Verfahren.

Dem Feststellungsbegehren bleibt damit vollumfänglich der Erfolg versagt, sodass zu den weiteren Begehren keine weiteren Ausführungen veranlasst sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen der Klägerin.

Gründe, die Berufung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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