Bei aufeinanderfolgenden Insolvenzereignissen ist grundsätzlich das zeitlich erste für den Insolvenzgeldanspruch maßgebend. Etwas Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber zwischenzeitlich wieder Zahlungsfähigkeit erlangt hat.
Sieht eine laufender Insolvenzplan die Ausschüttung des festgelegten Betrages an die Insolvenzgläubiger vor und ist mittels einer Treuhandabrede die Zahlung des Gesamtbetrages sichergestellt, so ist für die Frage des Bestehens eines erneuten Anspruchs auf Insolvenzgeld auch bei bestehender Planüberwachung darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber wieder in der Lage war, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Einer laufenden Planüberwachung kommt insoweit lediglich indizielle Wirkung zu.
Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld. Er war von Mai 2010 bis März 2020 und dann ab 01.07.2022 als Teamleiter der Elektrowerkstatt bei einer regional bekannten Maschinenfabrik beschäftigt. Mit Beschluss vom 27.11.2019 eröffnete das Amtsgericht Wetzlar das Insolvenzverfahren (Erstinsolvenzverfahren) über das Vermögen des Arbeitgebers. Ein im Rahmen dessen aufgestellter Insolvenzplan (13.07.2020) sah vor, dass zur Befriedigung der Gläubiger zwei Ausschüttungszahlungen i.H.v. insgesamt 750.000,00 € erfolgen, die bis dahin durch einen Treuhänder verwaltet und dessen ordnungsgemäße Auszahlung von diesem überwacht werden sollte (Planüberwachung). Mit Beschluss vom 28.09.2020 hob das Amtsgericht Wetzlar das Insolvenzverfahren daraufhin auf. Unter dem 16.11.2022 wurde erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitsgebers eröffnet, u.a. infolge der Tatsache, dass die Beklagte die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch weniger als 2 % des hinterlegten Betrages zur Auszahlung offen, da noch ein Gutachten des Pensionssicherungsvereins ausstand. Alle 67 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Den am 06.12.2022 gestellten Antrag auf Insolvenzgeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2022 unter Hinweis darauf ab, dass ein erneutes arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis nicht eingetreten sei. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21.12.2022). Mit der Klage vom 05.01.2023 verfolgt der Kläger, wie eine Vielzahl seiner Kolleginnen und Kollegen darauffolgend, sein Begehren fort. Nur weil die Überwachung des Insolvenzplan formal noch fortbestanden habe, bedeute dies nicht, dass ein neues Insolvenzereignis mit Anspruch auf Insolvenzgeld nicht in Betracht komme - zumal die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beseitig gewesen sei.
Entscheidung
Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung des Insolvenzgeldes im streitgegenständlichen Zeitraum verurteilt. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers sei § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Als Insolvenzereignis gelte nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III u. a. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Dieses arbeitsförderungsrechtlich relevante Insolvenzereignis sei nach Ansicht des Gerichts mit der Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 16.11.2022 eingetreten. Das erste Insolvenzereignis aus 2019 habe keine Sperrwirkung entfaltet. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei bei der Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenzgeld im Falle des Aufeinanderfolgens mehrere Insolvenzereignisse grundsätzlich das zeitlich erste für den Insolvenzgeldanspruch maßgebend. Ein neues arbeitsförderungsrechtlich relevantes Insolvenzereignis trete nicht ein, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitsgebers noch andauere. Wenngleich das BSG vertrete, dass bei andauernder Planüberwachung „besonders deutlich“ erkennbar werde, dass die Zahlungsunfähigkeit fortbestehe, sei diese formale Betrachtungsweise aber nicht in jedem Falle zur Abgrenzung geeignet. Denn habe der Arbeitgeber den Gesamtausschüttungsbetrag treuhänderisch gesichert, stehe fest, dass die Gläubiger entsprechend des Insolvenzplans befriedigt werden. Die Beurteilung der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit müsse daher auch bei andauernder Planüberwachung im konkreten Einzelfall geprüft werden. Hier habe der Arbeitgeber die Fähigkeit wiedergewonnen, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Hierfür spreche u.a. eine Sondertilgung von über 1,2 Millionen Euro Ende 2021 auf ein erst 2020 aufgenommenes Darlehen über mehr als 2 Millionen Euro. Im Übrigen sei es arbeitsförderungsrechtlich geboten, Insolvenzgeld auch bei laufender Planüberwachung nicht von vornherein auszuschließen. Denn bei einer laufenden Sanierung bestünde sonst die Besorgnis, dass die Arbeitnehmer abwandern, da sie Gefahr laufen, bei Scheitern der Sanierung auf ihren Arbeitsentgeltansprüchen (ersatzlos) sitzen zu bleiben.
Sozialgericht Gießen, Urteil vom 15.05.2023, Az.: S 14 AL 4/23, nicht rechtskräftig.
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