S 212 SO 1435/22 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 212 SO 1435/22 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Weiterer Ansatz zur Abgrenzung von Leistungen der Hilfe zur Pflege und der häuslichen Krankenpflege in Form der 24-stündigen Krankenbeobachtung in einer Wohngemeinschaft

ENTWURF

Sozialgericht Berlin

 

 

S 212 SO 1435/22 ER

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(erste) Zustellung erfolgt

am                                                    

an                                                     

 

                                                         

als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

 

Beschluss

In dem Antragsverfahren

         ,
 

vertreten durch

…,
 

 

- Antragstellerin -

Proz.-Bev.:

… Rechtsanwält innen mbB,  

gegen

         das Land Berlin vertreten durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin,
Abt. Soziales und Jugend Amt für Soziales - Fachbereich I - Rechtsstelle

Hans-Schmidt-Str. 18, 12489 Berlin,
 

- Antragsgegner -

         A & S Nachbarschaftspflege GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführer

- Beigeladene -

 

 

hat die 212. Kammer des Sozialgerichts Berlin am 19. Januar 2023 durch ihre Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht …, beschlossen:

 

Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin im Zeitraum vom 06. Oktober 2022 bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 17. Juni 2022, längstens jedoch bis zum 28. Februar 2024, vorläufig Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bei Leistungserbringung durch die Beigeladene durch vorläufige Zahlung an die Beigeladene zu erbringen und zwar im Umfang von einmal täglich Leistungskomplex (LK) 19 abzüglich Leistungen der Pflegekasse sowie unter täglichem Abzug des Produkts, das sich aus einer Multiplikation von 2,35 mit dem jeweiligen von der Beigeladenen mit der Krankenkasse vereinbarten Stundensatz bezüglich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege in Form von Leistungen mit hohem intensiven behandlungspflegerischem Aufwand in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft ergibt, sowie abzüglich bereits vom Antragsgegner aufgrund des Bescheides vom 17. Juni 2022 zu erbringender Leistungen.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes abgelehnt.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 50% zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

 

Gründe:

I.

Die im Jahre 1967 geborenen Antragstellerin ist seit dem 01. Januar 2022 von der Pflegekasse in den Pflegegrad 5 eingestuft und enthält entsprechende Sachleistungen aus der Pflegeversicherung bis zu einem Gesamtwert von 2095,00 EUR monatlich. Sie ist seit dem 11. Februar 2022 in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt 12 Plätzen unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift wohnhaft.

Die Antragstellerin bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung und steht ergänzend im Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bei dem Antragsgegner.

Der Antragstellerin wurde mit Bescheiden der Krankenkasse vom 23. Februar 2022, vom 04. März 2022 und zuletzt vom 20. Juli 2022 häusliche Krankenpflege nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Form der Kostenübernahme für eine 24-stündigen Krankenbeobachtung abzüglich des durch die Pflegeversicherung zu tragenden Anteils von (bei Pflegegrad 5) 141 Minuten im Umfang von 21 Stunden und 39 Minuten täglich bei Leistungserbringung durch die Beigeladene für den Zeitraum vom 11. Februar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 gewährt. Für den Zeitraum vom 01. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2023 liegt der Krankenkasse eine entsprechende Folgeverordnung bezüglich häuslicher Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich vom 21. Dezember 2022 vor; eine Bewilligungsentscheidung ist bislang nicht ergangen.

Die Beigeladene hat mit der Krankenkasse einen Vertrag über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abgeschlossen; nach der diesbezüglich zuletzt unter dem 17. Januar 2022 vom 01. Januar 2022 bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Vergütungsregelung bezüglich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege in Form von Leistungen mit hohem intensiven behandlungspflegerischen Aufwand, die nach § 2 der Vereinbarung bis zum Inkrafttreten einer neuen weitergelten sollte, ist als Vergütung für die Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft oder einer vergleichbaren ambulanten Wohnform ein Stundensatz in Höhe von 19,72 EUR, basierend auf einem durchschnittlichen Betreuungsverhältnis von 1:3, vereinbart worden.

Die Antragstellerin schloss mit der Beigeladenen, einen im angegangenen Land nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zugelassenen Pflegedienst, einen Vertrag über die Erbringung von Pflegeleistungen, dabei für den Zeitraum ab Oktober 2022 im Umfang von täglich LK 19 (a) zu einem Preis von je 167,91 EUR zuzüglich Ausbildungsumlage, insgesamt (bei Monaten mit 31 Tagen): 5205,21 EUR abzüglich der Sachleistung der Pflegeversicherung, verbleibend 3305,44 EUR monatlich.

Die Beigeladene schloss mit der Pflegekasse unter Beteiligung des hier angegangenen Landes Vereinbarungen über die Vergütung der ambulanten Pflegeleistungen und der hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 89 SGB XI. In der aktuellen, ab dem 01. September 2022 bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Vereinbarung ist für die Beigeladene ein Punktwert von 0,07358 vereinbart. In der Anlage 1 zu dieser Vereinbarung sind die einzelnen Leistungskomplexe und die diesbezüglich anzusetzenden Punkte aufgeführt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf verwiesen. Die Beigeladene kann ferner gegenüber dem Antragsgegner Investitionskosten von 2,5% sowie eine Ausbildungsumlage in Höhe von 0,00092 EUR je anzusetzendem Punkt geltend machen.

Auf Antrag der Antragstellerin vom 14. Februar 2022 gewährte ihr der Antragsgegner, vertreten durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin, nach Einholung einer Individuellen Ambulanten Pflegegesamtplanung (IAP) von März 2022 mit Bescheid vom 17. Juni 2022 für den Zeitraum vom 14. Februar 2022 bis zum 28. Februar 2024 Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der häuslichen Pflegehilfe bei Leistungserbringung durch die Beigeladene, dabei für den Zeitraum ab dem 20. Juni 2022 in folgendem Umfang: 3,5 mal wöchentlich LK 2, 0,5 mal wöchentlich LK 3b, 3 mal wöchentlich LK 4, 21 mal wöchentlich LK 5, 3,5 mal wöchentlich LK 6, 7 mal wöchentlich LK 7a und 42 mal 4-wöchentlich LK 7b mit Punkten von insgesamt 32276 zuzüglich Investitionsaufwendungen in Höhe von 2,5% und Ausbildungsumlage in Höhe von 1,80 EUR, abzüglich der Pflegesachleistungen der Pflegekasse in Höhe von 2095,00 EUR monatlich. Ergänzend führte er unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) insbesondere an, dass – vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin von der zuständigen Krankenkasse Leistungen der Behandlungspflege erhalte, in der die Kosten für Grundpflege hälftig enthalten seien - nur die hälftigen körperbezogenen Pflegemaßnahmen als Kosten anerkannt werden könnten. Für September 2022 leistete der Antragsgegner an die Beigeladene aufgrund dessen Zahlung von 550,22 EUR.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Antragstellerin insbesondere damit, dass jede Grundlage dafür fehle, die Leistungskomplexe für die körperbezogenen Leistungen zu halbieren und die Leistungen der Hauswirtschaft überhaupt nicht zu bewilligen. Der Antragsgegner verwies daraufhin ergänzend auf die Ausführungen im Rundschreiben Nr. 01/2019 über Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege nach §§ 61ff SGB XII unter Nr. 1.3.3. Nachfolgend verwies die Antragstellerin ergänzend darauf, dass vom Antragsgegner nicht berücksichtigt worden sei, dass die Vergütungsvereinbarung nach § 89 SGB XI für die Versorgung von pflegebedürftigen Personen mit Pflegegrad 5 in Wohngemeinschaften – wie bei der Antragstellerin – den LK 19 vorsehe, was verbindlich vereinbart sei und worauf ein Rechtsanspruch bestehe; ein einseitiges Gestaltungsrecht des Antragsgegners anstatt des LK 19 Einzelleistungskomplexe zu gewähren, bestehe nicht. Bei deren Bemessung sei bereits berücksichtigt worden, dass Leistungen von mehreren Pflegebedürftigen gemeinsam abgerufen und in Anspruch genommen würden. Die Vergütung sei gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IX leistungsgerecht und einheitlich für alle Hilfebedürftigen in der gleichen Art und Weise zu gewähren. Nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB XI sei die Bemessung der Vergütung für alle Pflegebedürftigen nach einheitlichen Grundsätzen zu gewähren, was zwingend zur Folge habe, dass eine Differenzierung unzulässig sei und vorliegend mithin die Gewährung einzelner Leistungskomplexe nicht möglich sei. Überdies sei die kostenmäßige Reduzierung auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG rechtswidrig. Diese betreffe die Versorgung in einem Haushalt mit häuslicher Krankenpflege nach dem SGB V und Grundpflege nach dem SGB XI durch dieselbe Pflegekraft, nicht umfasst sei jedoch eine – wie hier erfolgende – Versorgung in einer Wohngemeinschaft, in der die Grundpflege durch Pflegehilfskräfte und nicht die für mehrere Versicherte gleichzeitig zuständigen Pflegefachkräften, die lediglich Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V erbrächten, erfolge. Zudem berücksichtige auch der mit der Krankenkasse vereinbarte Stundensatz ebenso wie die Vereinbarung nach § 89 SGB XI die Versorgung mehrerer Versicherter in einer Wohngemeinschaft und hiermit einhergehende Synergien; der Stundensatz sei wesentlich geringer als bei einer 1:1 Versorgung.

Mit Eingang beim Sozialgericht Berlin am 06. Oktober 2022 hat die Antragstellerin den hier gegenständlichen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2022 hat der Antragsgegner, vertreten durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin, den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 17. Juni 2022 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der am 16. November 2022 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage S 212 SO 1691/22.

Zur Begründung wiederholt und vertieft die Antragstellerin zunächst die Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend gibt sie insbesondere an, dass die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg, L 15 SO 211/21 B ER, zu keiner anderen Einschätzung veranlasse. So betreffe diese Entscheidung einen Sachverhalt aus dem Land Brandenburg, in dem für Wohngemeinschaften nicht die Leistungserbringung nach dem LK 19 vereinbart worden sei, zudem bestehe jedenfalls im Land Berlin keine Regelungslücke und damit kein Raum für eine Rechtsfortbildung. Zudem hält sie es für unzulässig, einen nicht gültigen, aus dem Internet gegriffenen Stundensatz für Leistungen des SGB XI der Berechnung zu Grunde zu legen. Ferner führt sie unter Bezugnahme auf ein Schreiben der Beigeladenen vom 14. September 2022 an die Antragstellerin an, dass auch ein Eilbedürfnis gegeben sei, da im vorliegenden Fall die Gefahr bestehe, dass der Pflegedienst den Pflegevertrag kündige, weil die Leistungsbewilligung die notwendigen Leistungen nicht abdeckten und bereits ungedeckte Kosten über 10.000,00 EUR entstanden seien.

Die Antragstellerin beantragt in der Antragsschrift,

den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihr ab sofort Leistungen der Versorgung und Betreuung in Wohngemeinschaften von Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 nach LK 19 ohne Reduzierung zu gewähren.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Er verweist auf den Widerspruchsbescheid sowie auf die Ende November 2022 zuständigkeitshalber an das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin erfolgte Aktenabgabe.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene teilt die Rechtsauffassung der Antragstellerin und gibt ergänzend insbesondere an, dass die Leistungserbringung in einer Wohngemeinschaft regelmäßig im Team erfolge, d.h., dass die anwesenden Pflegefachkräfte, Pflegekräfte und Hauswirtschaftskräfte gemeinsam die Verantwortung übernähmen, wobei die anwesende Pflegefachkraft die Gesamtverantwortung trage und die Pflegekräfte und Hauswirtschaftskräfte koordiniere und üblicherweise die durchgeführten Pflegeleistungen zum Dienstende insgesamt abzeichne. Gerade bei Bewohnern mit notwendiger ständiger Interventionsbereitschaft würden Pflegeleistungen üblicherweise durch 2 Mitarbeiter durchgeführt, da der Gesundheitszustand äußerst fragil sei. Die anwesende Pflegefachkraft sei gleichzeitig für 3 Bewohner zuständig, müsse daher immer damit rechnen, dass ihr sofortiges Eingreifen erforderlich werde, dann könne sie die Antragstellerin wegen ihres Gesundheitszustandes nicht einfach allein lassen. Insofern unterscheide sich die Wohngemeinschaft von einer 1:1 Intensivpflege. Zudem hat sie im Schriftsatz vom 22. November 2022 weitere Angaben dazu gemacht, welche Maßnahmen der Pflege und der Behandlungspflege nach dem SGB V derzeit durchgeführt würden unter der Angabe, dass alle Maßnahmen der Behandlungspflege nach dem SGB V durch speziell qualifizierte Pflegefachkräfte erbracht würden, Leistungen der Grundpflege überwiegend durch Pflege(hilfs)kräfte, aber auch durch Pflegefachkräfte oder gemeinsam, hauswirtschaftliche Tätigkeiten würden überwiegend durch Hauswirtschaftskräfte, aber auch durch Pflege(hilfs)kräfte erbracht. Zudem hat sie im Schriftsatz vom 22. Dezember 2022 weitere Angaben zur aktuellen Pflegesituation gemacht, worauf wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Die Beigeladene hat ferner diverse Unterlagen, so eine Übersicht über die aktuellen Maßnahmen der Behandlungspflege und Nachweise über die durchgeführten Pflegeleistungen, eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin, das den Bescheid vom 17. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2022 erlassen hat, gegen den sich die Antragstellerin in dem Klageverfahren S 212 SO 1691/22 wendet und bis zu dessen Bestandskraft die Antragstellerin im hiesigen Antragsverfahren einstweiligen Rechtsschutz begehrt, nach Nr. I.1.3.2. Unterpunkt 14 der Ausführungsvorschriften über die örtliche Zuständigkeit für die Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII weiterhin als für den Antragsgegner vertretungsbefugt anzusehen.

In dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ist der Antrag auch begründet, im Übrigen ist er unbegründet.

Nach § 86b Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Weiter sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Vorliegend sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Antragstellerin ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b i.V.m. § 64b Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Nach der zuletzt genannten Vorschrift haben u.a. Pflegebedürftige der Pflegegrade 5 - wie die Antragstellerin - Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Pflegesachleistung (häusliche Pflegehilfe), soweit die häusliche Pflege – wie vorliegend - nach § 64 SGB XII nicht sichergestellt werden kann.

Das Land Berlin, gegen das sich der vorliegende Antrag richtet, ist als örtlicher und überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – AG SGB XII) für die entsprechende Leistungserbringung nach § 97 SGB XII sachlich und nach § 98 SGB XII auch örtlich zuständig.

Das Leistungserbringungsrecht in der Sozialhilfe ist auch im Bereich der ambulanten Dienste durch ein sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis geprägt, das als Sachleistungsprinzip in der Gestalt der Sachleistungsverschaffung/Gewährleistungsverantwortung ausgestaltet ist. Das gesetzliche Regelungskonzept geht also auch für die ambulanten Dienste davon aus, dass der Sozialhilfeträger die ihm obliegende Leistung nicht als Geldleistung an den jeweiligen Hilfeempfänger erbringt, um diesem die Zahlung des vertraglichen Entgelts aus dem Vertrag über die Erbringung von ambulanten Pflegeleistungen zu ermöglichen, sondern dass die Zahlung direkt an den Dienst erfolgt, der die Pflege leistet. Der Sozialhilfeträger übernimmt in diesem Zusammenhang nur die Vergütung, die der Hilfeempfänger vertraglich dem ambulanten Dienst schuldet und tritt damit (lediglich) einer bestehenden zivilrechtlichen Schuld (als Gesamtschuldner) bei. Dadurch wird ein unmittelbarer Zahlungsanspruch des Dienstes gegenüber dem Sozialhilfeträger geschaffen; der Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den Sozialhilfeträger ist auf Zahlung an diesen Dritten gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2014, B 8 SO 23/13 R, juris RdNr. 14).

Hinsichtlich des aus des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs ist dabei ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, im Übrigen hingegen nicht.

So werden nach § 63b Abs. 1 SGB XII Leistungen der Hilfe zur Pflege nicht erbracht, soweit Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Gleichartige Leistung in diesem Sinne kann dabei auch eine Leistung der Krankenversicherung sein, soweit sie den Pflegebedarf deckt, und damit auch eine Leistung nach § 37 SGB V (vgl. Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, 7. Aufl. 2020, SGB XII, RdNr. 5 zu § 63b). Die Antragstellerin erhält jedoch vorliegend bei Leistungserbringung durch denselben Pflegedienst Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V in Form der 24-stündigen Krankenbeobachtung in einer Wohngemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (grundlegend Urteil vom 17. Juni 2010, B 3 KR 7/09 R, juris) ist bei gleichzeitiger Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege und von Pflegesachleistungen durch dieselbe Pflegeperson oder denselben Pflegedienst (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2017, B 3 KR 11/16 R, RdNr. 36) eine Leistungsabgrenzung zwischen der häuslichen Krankenpflege in Form der 24-stündigen Krankenbeobachtung und den Pflegesachleistungen wie folgt vorzunehmen: Der hälftige Zeitumfang der reinen Grundpflege ist von dem Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderlichen häuslichen Krankenpflege abzuziehen. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der "reinen" Grundpflege ergibt sich demnach der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hat. Die Pflegekasse hat demnach hingegen die Kosten der (anderen) Hälfte des Zeitaufwands der "reinen" Grundpflege sowie die Kosten der hauswirtschaftlichen Versorgung zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe, mit der Folge, dass der Restbetrag vom Versicherten selbst bzw. ggfs. der Sozialhilfe zu tragen ist (siehe BSG, Urteil vom 17. Juni 2010, B 3 KR 7/09 R, juris, RdNr. 16ff). Mit der zum 01. Januar 2017 erfolgten Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des damit verbundenen neuen Begutachtungsinstruments entfiel jedoch die Orientierung am Zeitaufwand der Pflege, der im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nun nicht mehr festgestellt wird (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021, L 15 SO 211/21 B ER, juris, RdNr. 40; Sozialgericht (SG) Rostock, Urteil vom 5. April 2022, S 8 SO 57/21, juris, RdNr. 31ff).

Der Gesetzgeber hat aber durch § 17 Abs. 1 b SGB XI zum Ausdruck gebracht, dass er auch bei der Neuregelung prinzipiell an der bisherigen Rechtsprechung des BSG mit der hälftigen Aufteilung des Zeitaufwandes der „reinen“ Grundpflege zwischen Krankenkasse und Pflegekasse festhalten wollte. Hiernach erlässt der Medizinische Dienst Bund im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen Richtlinien zur Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V oder die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der außerklinischen Intensivpflege nach § 37c SGB V beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat. Von den Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI sind dabei nur Maßnahmen der körperbezogenen Pflege zu berücksichtigen (vgl. SG Rostock, Urteil vom 5. April 2022, S 8 SO 57/21, juris, RdNr. 31ff).

Die auf dieser Grundlage erlassene Kostenabgrenzungsrichtlinie nach § 17 Abs. 1 b SGB XI vom 16. Dezember 2016 enthält für Verfahren ab dem 01. Januar 2017 einen pauschalen Minutenwert, für den die Pflegeversicherung aufzukommen hat. Für den hier relevanten Pflegegrad 5 beträgt dieser pauschale Minutenwert demnach 141 Minuten. Dieser Wert ist bei gleichzeitiger Erbringung von medizinischer Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V und körperbezogenen Pflegmaßnahmen im Sinne von § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft bzw. denselben Pflegedienst vom Zeitaufwand, den die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen hat, in Abzug zu bringen.

Dieser Regelung entsprechend sind der Antragstellerin in den jeweiligen (bisher ergangenen) Bescheiden auch jeweils Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der 24-stündigen Krankenbeobachtung im Umfang von 21,65 Stunden gewährt worden und es ist auch zu erwarten, dass auf die Folgeverordnung den Zeitraum ab Januar 2023 betreffend lediglich Gewährung in diesem Umfang erfolgen wird.

Anders als die Antragstellerin dies meint, ist diese Rechtsprechung vorliegend auch nicht etwaig deswegen nicht einschlägig, weil vorliegend im Rahmen der häuslichen Krankenpflege keine 1:1 Betreuung erfolgt, sondern die Betreuung in einer Wohngemeinschaft, bei der nach den mit der Krankenkasse getroffenen Vereinbarungen nur eine 1:3 Betreuung sicherzustellen ist. Vielmehr ist ausreichend, dass Leistungserbringung durch denselben Pflegedienst erfolgt. Eine etwaige strikte personelle Abgrenzung zwischen den Maßnahmen der (verrichtungsbezogenen) Behandlungspflege, für die die Kosten ganz auf die Krankenkasse entfallen und der körperbezogenen Behandlungsmaßnahmen, für die die Krankenkasse hälftig zur Kostenübernahme verpflichtet ist, innerhalb des Pflegedienstes ist auch nicht erkennbar und würde zudem den gegenüber der Krankenkasse zu erfüllenden Vorgaben widersprechen. Vielmehr geht aus den o.g. Angaben der Beigeladenen im Schreiben vom 22. November 2022 hervor, dass lediglich Maßnahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung, die per se keine Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege darstellen, regelmäßig nicht durch Pflegefachkräfte erbracht werden.

Zur Frage, wie konkret die Abgrenzung der Leistungen der häuslichen Krankenpflege (und die hierin bereits anteilig vergüteten Maßnahmen der reinen Grundpflege) und der Pflegeleistungen und der Hilfe zur Pflege nach §§ 61ff SGB XII zu erfolgen hat, werden – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur bislang drei Ansätze diskutiert.

a) Die verrichtungsbezogenen Behandlungsmaßnahmen entfallen voll auf die Krankenkasse. Die körperbezogenen Pflegemaßnahmen (auf die § 17 Abs. 1 b Satz 2 SGB XI die hälftige Aufteilung allein bezieht) werden je zur Hälfte von der Pflege- und Krankenversicherung getragen, wobei gegenüber der Pflegeversicherung nach hälftigen Leistungskomplexen abzurechen ist. Die hauswirtschaftliche Versorgung und die pflegerischen Betreuungsmaßnahmen werden hingegen vollständig von der Pflegeversicherung entsprechend den Leistungskomplexen vergütet (so Manthey, ASR 2021, S. 9ff, SG Rostock, Urteil vom 05. April 2022, S 8 SO 57/21, juris, RdNr. 37ff). Bezüglich der hälftigen Aufteilung der körperbezogenen Pflegemaßnahmen scheint dem prinzipiell auch der Antragsgegner in dem Bescheid vom 17. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2022 zu folgen, allerdings hat er dabei den Bedarf der Antragstellerin an Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung ohne nähere Begründung vollständig unberücksichtigt gelassen.

b) Man multipliziert auch für die Pflegeleistungen den in der Kostenabgrenzungsrichtlinie vorgegebenen Zeitaufwand von hier 2,35 Stunden mit einem (gegriffenen) Kostensatz. Hinzu kämen die Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung entsprechend den Leistungskomplexen (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021, L 15 SO 211/21 B ER, juris, RdNr. 40ff).

c) Man berücksichtigt die Kostenabgrenzungs-Richtlinie lediglich zur Berechnung der von der Krankenkasse für die Behandlungspflege zu tragenden Kosten, d.h. man zieht von den verordneten 24 Stunden Behandlungspflege die in der Richtlinie festgesetzten 141 Minuten = 2,35 Stunden ab und legt für die Berechnung der Kosten der Pflege, auch der Grundpflege, den vollen für die Berechnung der Leistungskomplexe vereinbarten Preis zugrunde. Dieser Auffassung sind die Antragstellerin und die Beigeladene.

Die Antragstellerin weist allerdings zutreffend darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Anwendung sowohl der Variante a) als auch der Variante b) Bedenken ausgesetzt ist. So ist vorliegend in den geltenden Vergütungsvereinbarungen mit den Pflegekassen unter Beteiligung des angegangenen Landes für die Beigeladene gerade keine Abrechnung nach Stundensätzen möglich, sondern nur nach Leistungskomplexen. Diese sehen dabei bezüglich der Leistungserbringung von Pflegebedürftigen u.a. des Pflegegrades 5, wie der Antragstellerin, in einer Pflegewohngemeinschaft vor dem Hintergrund der Berücksichtigung hier auftretender Synergieeffekte die Besonderheit vor, dass hier zwingend keine Vergütung nach Einzelleistungskomplexen vorgesehen ist, sondern allein nach dem LK 19, der bezüglich der Versorgung und Betreuung in Wohngemeinschaften – wie der hier vorliegenden - von Pflegedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 Anwendung findet, und bei permanenter Anwesenheit der Pflegebedürftigen einzelfallbezogen alle Leistungen der LK 1 bis 16 sowie 20 enthält.

Anders als die Antragstellerin dies meint, folgt hieraus aber nicht, dass damit auf Variante c) zurückzugreifen wäre und die Antragstellerin damit vom Antragsgegner Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege im vollen von ihr begehrten Umfang beanspruchen könnte. Dies würde nämlich § 63b Abs. 1 SGB XII widersprechen.

Vielmehr ist in der vorliegenden Konstellation im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezüglich der hier allein gegenständlichen Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege bei summarischer Prüfung wie folgt vorzugehen: Von der unter Anwendung des LK 19 ermittelten Vergütung von Pflegeleistungen sind neben den Pflegesachleistungen der Pflegekasse für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5 in Höhe von (derzeit) bis zu einem Gesamtwert von 2095,00 EUR monatlich, die nach der o.g. Abgrenzungsrichtlinie bereits anteilig im Rahmen der häuslichen Krankenpflege mitvergüteten Leistungen der „reinen“ Grundpflege von 141 Minuten (2,35 Stunden) täglich multipliziert mit den bezüglich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege in Form von Leistungen mit hohem intensiven behandlungspflegerischem Aufwand zwischen der Beigeladenen und der Krankenkasse (jeweils) vereinbarten Vergütungssätzen für die Leistungserbringung in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft oder einer vergleichbaren ambulanten Wohnform in Abzug zu bringen. So resultiert der nach dieser Abgrenzungsrichtlinie vorzunehmende Abzug von 141 Minuten täglich unter Berücksichtigung der o.g. Rechtsprechung des BSG daraus, dass diese den hälftigen Zeitaufwand für die „reine“ Grundpflege darstellen, mit der Folge, dass dementsprechend im gleichem Umfang Leistungen der „reinen“ Grundpflege bereits als Leistung der häuslichen Krankenpflege miterbracht und mitvergütet anzusehen sind. Dieser Abzug beträgt damit vor dem Hintergrund der von der Beigeladenen mit der Krankenkasse geschlossenen Vergütungsvereinbarung vom 17. Januar 2022 derzeit insgesamt 46,34 EUR (2,35 Stunden*19,72 EUR/Stunde) täglich. Bei dem dementsprechend vorgenommenen Abzug ist dann auch berücksichtigt, dass der Vergütungsumfang der häuslichen Krankenpflege nicht einer 1:1 Betreuung der Antragstellerin, sondern lediglich einer 1:3 Betreuung entspricht.

Bezüglich der im Tenor allein ausgesprochenen Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung waren ferner die Leistungen in Abzug zu bringen, die aufgrund des (insofern bereits bestandskräftigen) Bescheides vom 17. Juni 2022 vom Antragsgegner bereits endgültig zu erbringen sind.

In dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. So liegt derzeit eine erhebliche Unterfinanzierung der Beigeladenen vor, die bereits mit Kündigung gedroht hat.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, orientiert sich am Ergebnis des Obsiegens und Unterliegens in der Sache und berücksichtigt, dass auch aus Veranlassungsgesichtspunkten keine abweichende Entscheidung geboten war.

 

 

W:\Schreibwerk\212\S_212_SO_1435_22_ER\S_212_SO_1435_22_ER_Beschluss_035e20cba49d4c0d9cc97ea3f938b562.docx

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