L 4 SO 95/24 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 16/24 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 95/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze


1. Zu den Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung einer Zielvereinbarung i.S.d. § 29 Abs. 4 SGB IX.

2. Aufgrund der in § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX geregelten zwingenden Aufhebung der Leistungsbewilligung als Folge der Kündigung der Zielvereinbarung kann nach wirksamer Kündigung für den nachfolgenden Zeitraum ein Anspruch auf ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung jedenfalls dann nicht entstehen, wenn die die Kündigung tragenden Gründe noch fortbestehen. 
 


Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. August 2024 wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.


Gründe

Die am 18. September 2024 erhobene Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. August 2024 abzuändern und die aufschiebende Wirkung hinsichtlich des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 27. Mai 2024 hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligung kompensatorischer Assistenz für Juni 2024 wiederherzustellen, und für den nachfolgenden Zeitraum
im Wege der einstweiligen Anordnung die Beklagte zu verpflichten, zur Sicherstellung der Pflege an die Klägerin monatlich im Voraus zum 01. eines jeden Monats einen Betrag in Höhe von 13.607,60 € zu zahlen,

ist nach Rücknahme des Antrages zu 2. aus dem Schriftsatz vom 7. Oktober 2024 durch Schriftsatz vom 21. November 2024 sowie die Klarstellung im letztgenannten Schriftsatz zulässig, jedoch nicht begründet.

Der o.g. Antrag gibt in zulässiger Weise den vom Sozialgericht abgelehnten Antragsumfang wider. Das Rechtsschutzziel der Weitergewährung des persönlichen Budgets für die kompensatorische Assistenz kann für den Monat Juni 2024 über einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen den Aufhebungsbescheid nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erreicht werden, da der Monat Juni 2024 noch vom Leistungsbescheid vom 12. April 2024 mitumfasst ist. Das Rechtsschutzziel ab 1. Juli 2024 kann daher allein durch den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG angestrebt werden.

Weder der Antrag Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (1.) noch der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung (2.) sind begründet.

(1.) Im Verfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht die behördliche Anordnung stets formell und materiell zu überprüfen (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2016 – 1 BvR 1890/15 –, juris Rn. 18).

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf einer besonderen Begründung (zum Folgenden ausf.: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. Dezember 2008 – L 7 SO 62/08 B ER –, juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2016 – L 7 SO 3546/16 ER-B –, juris Rn. 10). § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Die Begründungspflicht gewährleistet nicht nur, dass die Behörde sich selbst kontrolliert und eine Übersicht über die Interessengegensätze gewinnt. Die Begründung schafft insbesondere auch Transparenz und Rechtsklarheit für den Betroffenen und eröffnet ihm die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Sie dient der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz – GG); dies prägt die zu stellenden, hohen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2016 – 1 BvR 1890/15 –, juris Rn. 18). Die schriftliche Begründung muss in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Sie muss außerdem erkennen lassen, warum in diesem konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Betroffenen überwiegt. Schließlich muss die Behörde darlegen, inwieweit die Anordnung der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Im Bescheid vom 27. Mai 2024 – 2 kA – genügen die Ausführungen auf Seite 5 und 6 diesen Anforderungen. Unter anderem wird ausgeführt, das öffentliche Interesse der sofortigen Vollziehung bestehe darin, dass bei Vorhandensein der aufschiebenden Wirkung im Falle eines Widerspruchs- und eines eventuellen Klageverfahrens der LWV Hessen den Rückforderungsanspruch nicht sofort vollziehen könnte. Ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre also die Vollstreckung hinsichtlich einer solchen Rückforderung gefährdet. Darüber hinaus müsste der Antragsgegner über einen voraussichtlich längeren Zeitraum rechtswidrige Leistungen im bisherigen Umfang weiter auszahlen, obwohl die konkrete Gefahr besteht, dass diese wie bisher zweckwidrig eingesetzt würden, und somit auch weitere Rückforderungsansprüche ebenfalls ins Leere gingen. Insbesondere hat der Antragsgegner mit der Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung von Leistungen ein besonderes Vollzugsinteresse formuliert, wie das Sozialgericht zutreffend hervorgehoben hat. Im Folgenden findet sich auch eine entsprechende Interessenabwägung, die die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes belegt.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch materiell rechtmäßig.

Im Rahmen der sachlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug und dem privaten Aufschubinteresse vorzunehmen, die sich u.a. an den wahrscheinlichen Erfolgsaussichten orientieren kann und im Wesentlichen – vorbehaltlich einzelner streitiger Gewichtungsvorgaben zum Regel-Ausnahme-Verhältnis der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen – dem allgemeinen Maßstab bei der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung entspricht (vgl. zum Folgenden zu § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2016 – L 7 SO 3546/16 ER-B –, juris Rn. 14 m.w.N.; vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 12d ff.). So besteht etwa an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse; bestehen keine hinreichenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit (vgl. die Ausführungen am Ende des Absatzes), so bleibt es bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, sind diejenigen Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die beantragte Eilentscheidung nicht erginge, der Antragsteller in der Hauptsache später jedoch Erfolg hätte, mit denjenigen, die entstünden, wenn die beantragte Eilentscheidung erginge, der Hauptsacherechtsbehelf jedoch erfolglos bliebe. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen fällt dabei umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Dabei ist stets zu beachten, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG die Regel, die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die Ausnahme darstellt, so dass in Zweifelsfällen das Verhinderungsinteresse überwiegt.

Der Senat ist im Ergebnis mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass die vom Antragsgegner auf § 29 Abs. 4 Satz 7 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) in Verbindung mit § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestützte Aufhebung jedenfalls hinsichtlich des im Beschwerdeverfahren noch maßgeblichen Regelungen des Bescheides vom 27. Mai 2024 für die Zukunft ab Juni 2024 am Maßstab des § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX, ggf. in Verbindung mit § 48 SGB X, nach summarischer Prüfung zu Recht erfolgt ist.

Es bestehen keine Zweifel in formeller Hinsicht. Es kann offenbleiben, ob die Ansicht des Antragsgegners zutrifft, dass eine Anhörung nach § 24 Abs. 2 SGB X in Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung immer entbehrlich ist. In den beiden Bescheiden vom 27. Mai 2024 „1 – qA“ und „2 – kA“ deckt die jeweilige Sachverhaltsschilderung sowohl den Vorwurf einer nicht existenten Assistenzkraft als auch der zweckwidrigen Verwendung als entscheidungserheblichen Tatsachen in der Weise ab, dass der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren hinreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den für den Bescheiderlass maßgeblichen Tatsachen zu äußern, was zur Heilung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X führt (zum Maßstab BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 9/11 R, juris Rn. 14; Schütze, in: ders., SGB X, 9. Aufl. 2020, § 41 Rn. 15).

Gemäß § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX muss der Leistungsträger im Falle einer Kündigung der Zielvereinbarung die Bewilligung des persönlichen Budgets aufheben. Im Falle einer Aufhebung für die Zukunft zeitgleich mit der Kündigung des Budgets für die Zukunft als maßgebliche Änderung der Sachlage dürfte die Norm lex specialis zu § 48 Abs. 1 SGB X sein (so auch O'Sullivan in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 29 SGB IX (Stand: 01.10.2023) Rn. 55). Noch nicht abschließend geklärt ist, inwieweit weitere Voraussetzungen von § 48 SGB X in Tatbestand und Rechtsfolge über § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX hinaus zu prüfen sind. Dies ist im Falle der rückwirkenden Aufhebung aus Gründen des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) – auf den Zeitpunkt der Kündigung der Zielvereinbarung (bei auseinanderfallenden Daten) oder gar auf den Zeitpunkt des Eintritts des wichtigen Grundes – nur unter Anwendung der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4, Abs. 4 SGB X der Fall. Angesichts des Prüfungsumfangs der Beschwerde kann offen bleiben, inwieweit bei der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung auf § 45 SGB X zurückgegriffen werden kann oder muss. Soweit eine rückwirkende Aufhebung möglicherweise nicht auf die Kündigung der Zielvereinbarung als Änderung der Sachlage gestützt werden kann, weil die Kündigung erst zum Kündigungszeitpunkt wirken könnte (der Senat lässt dies offen), sind die Voraussetzungen des § 45 SGB X bei eine einer von Anfang an rechtswidrigen Leistungsbewilligung einzuhalten, wovon offenbar auch der Antragsgegner ausweislich der Begründung des Bescheides ausgeht. Für die Aufhebung der hier noch zur Überprüfung anstehenden zukunftsbezogenen Regelung im Bescheid vom 27. Mai 2024 ist indes allein die wirksame Kündigung der zuletzt abgeschlossenen Zielvereinbarung hinreichend.

Die Kündigung im Bescheid vom 27. Mai 2024 ist nach summarischer Prüfung wirksam.

Sie ist der Antragstellerin am 28. Mai 2024 zugegangen.

Ein Kündigungsgrund lag nach summarischer Prüfung vor. Geregelt ist in § 29 Abs. 4 Sätze 4 bis 6 SGB IX nur der Fall einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund. Mit dem Begriff des wichtigen Grundes knüpft die Norm an ganz allgemeine Rechtsgrundsätze (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) an, die für öffentlich-rechtliche Verträge wie hier gesondert kodifiziert sind (§ 59 Abs. 1 Satz 2 Var. 2, Abs. 2 SGB X). Beispiele für einen wichtigen Grund sind in Satz 5 für den leistungsberechtigten Budgetnehmer und in Satz 6 für den zuständigen Leistungsträger genannt. Ein Verstoß gegen die Zielvereinbarung ist nur dann ein Kündigungsgrund für den Träger, wenn der Verstoß erheblich ist oder entsprechend dem Rechtsgedanken des § 314 BGB der Berechtigte zuvor wegen eines anderen Verstoßes bereits einmal abgemahnt wurde (O'Sullivan, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 29 SGB IX (Stand: 01.10.2023), Rn. 54). Die Entbehrlichkeit der Abmahnung folgt dabei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; einzustellen sind die Schwere der Verfehlung und die Frage der positiven oder negativen Prognose für das notwendige Vertrauen in die Fortführung des Vertragsverhältnisses (zusammenfassend: Riesenhuber, in: Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 626 BGB Rn. 61) oder hier: das Vertrauen in die Fortführung der Leistungsgewährung auf der Basis der Zielvereinbarung im Wege des persönlichen Budgets. Dabei können § 626 BGB konkretisierende Rechtssätze sowohl zum wichtigen Grund und zu deren Verhältnismäßigkeit nicht unverändert übernommen werden. Wie das Sozialgericht zutreffend hervorgehoben hat, muss es sich beim wichtigen Grund um einen schweren Gemeinwohlverstoß handeln (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 2 Var. 2, Abs. 2 SGB X); bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich eine Behörde nicht auf den Standpunkt der Unzumutbarkeit einer künftigen Leistungsbeziehung zurückziehen darf und unstreitig bestehende Ansprüche erfüllen muss.

Am Kündigungsgrund fehlt es daher nicht bereits deshalb, weil der Antragsgegner mit Bescheid vom 27. Mai 2024 einen Vorschuss auf künftige Leistungen i.H.v. 3.750,00 € für Juni 2024 gewährt hat und dies ein widersprüchliches Verhalten bezüglich der Zumutbarkeit einer künftigen Budgetgewährung darstellen könnte. Denn damit hat der Antragsgegner nicht signalisiert, dass ihm künftig die weitere Leistungsgewährung gerade im Wege des persönlichen Budgets und der Neuabschluss einer Zielvereinbarung zumutbar erscheint. Vielmehr will der Antragsgegner ersichtlich nur sicherstellen, dass er der Antragstellerin keine Leistungen rechtswidrig vorenthält, die zur Deckung des unstreitig bestehenden Bedarfs notwendig sind.

Sowohl der Vorwurf der Vorspiegelung einer nicht existenten Assistenzkraft „E.“ als auch der Vorwurf einer zweckwidrigen Verwendung des Budgets zur Versorgung von Hunden oder zur Bewirtschaftung des Gartens und der Wille, die Mittel künftig für „Kochen, Einkaufen, Reinigung, Wäsche, Garten, (...) Organisation, Pflege, Versorgung und Training der Hunde, Begleitung zu Terminen. KEINE Körperpflege" sowie für Damenschneiderarbeiten zu verwenden, liegen nach summarischer Prüfung mit hinreichender Gewissheit vor. Damit ist – mit Bindungswirkung nur für das vorliegende Verfahren – ein wichtiger Grund im Sinne eines schweren Gemeinwohlverstoßes gegeben, der eine Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung rechtfertigt.

Das Sozialgericht hat zur Würdigung der ermittelten Tatsachen ausgeführt: 

In dem beigezogenen Verfahren S 12 SO 20/23 hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 28.05.2024 mitgeteilt, Anfang Mai 2024 einen schriftlichen Hinweis erhalten zu haben, dass unter anderem die Assistenzkraft für die qualifizierte Assistenz „E.“ eine fiktive Person sei. Daraufhin habe der Antragsgegner entsprechende Ermittlungen eingeleitet. Die entsprechenden Ermittlungsergebnisse hat der Antragsgegner vorgelegt: Die Einwohnermeldeamtsanfrage an die Gemeinde C-Stadt hat ergeben, dass unter der dem Antragsgegner bekanntgemachten Adresse keine Person mit dem Namen E. gemeldet war und ist (Bl. 1003 Gerichtsakte S 12 SO 20/23). Eine Anfrage beim Geburtenregister aufgrund der Angaben in der Diplom-Urkunde (Bl. 1005 Gerichtsakte S 12 SO 20/23) bei dem Generalregister der Hansestadt Hamburg hat ergeben, dass die Geburt einer Person mit dem Namen „E.“ dort nicht verzeichnet ist (Bl. 100 Gerichtsakte S 12 SO 20/23). Eine Anfrage bei der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (die bis zum Jahr 2001 unter dem Namen Fachhochschule Hamburg geführt worden ist) hat ergeben, dass eine Studentin mit dem Namen „E.“ im System der Hochschule nicht geführt wird (Bl. 997 Gerichtsakte S 12 SO 20/23). Eine Abfrage beim zuständigen Finanzamt Göttingen hat ergeben, dass die auf den Rechnungen von „E.“ angegebene Steuernummer nicht existiert und unter dem angegebenen Namen auch kein Steuerkonto ermittelt werden konnte (Bl. 988 Gerichtsakte S 12 SO 20/23).
Aufgrund der von dem Antragsgegner vorgelegten Ermittlungsergebnisse geht auch das Gericht davon aus, dass die Person E. nicht existiert. Der Vortrag der Antragstellerin ist hingegen nicht geeignet die Ermittlungsergebnisse des Antragsgegners zu erschüttern. Die Antragstellerin hat ihren Vortrag zu der Person „E.“ nicht glaubhaft gemacht. Sie hat insbesondere keinerlei Nachweise über die Existenz einer Person, die sich als „E.“ ausgeben hat, vorgelegt. Im Gegenteil: Die Antragstellerin bestätigt mit ihrem Vortrag im gerichtlichen Eilverfahren (Bl. 249 ff. Gerichtsakte), dass sie den Namen „E.“ vielseitig für eigene Zwecke genutzt hat, wie z.B. durch die Bestellung von Paketen auf den Namen „E.“, die Nutzung eines E-Mail-Kontos unter dem Namen E.@mail.de und die Anmeldung bei Amazon unter dem Namen „E.“ und die Angabe des Namens „E.“ auf ihrem Briefkasten. Die Antragstellerin hat auch bestätigt, dass sie selbst die Rechnungen im Namen von „E.“ erstellt und in diesem Zusammenhang das Konto von Frau H. genutzt hat. Die Antragstellerin hat die für die Vergütung einer qualifizierten Assistenz bestimmten Budgetleistungen somit auf ein Konto überwiesen, auf dass sie selbst Zugriff hat. Ein Nachweis, dass dieses Geld tatsächlich am Ende an eine Person „E.“ (in bar) ausgezahlt worden ist, liegt nicht vor. Hinzu kommt, dass die angebliche Abreise der Frau E. zeitlich mit dem Erlass der Bescheide vom 27.05.2024 zusammenfällt und Frau E. nun nicht mehr erreichbar sein soll. Nicht verständlich ist für das Gericht ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Antragstellerin ausweislich des von ihr vorgelegten Kontoauszug des Budgetkontos noch am 04.06.2024 einen Betrag von 1.062,10 Euro auf das Konto der Frau H. unter dem Namen E. überwiesen hat, obwohl ihr bereits am 28.05.2024 die Bescheide vom 27.05.2024 zugegangen waren (vgl. PZU, Bl. 506 Verwaltungsakte). Der Vortrag der Antragstellerin bleibt auch vage insoweit sie vorträgt, dass sie sich nicht mehr genau erinnern könne, zu welchem Zeitpunkt Frau E. konkret gekündigt habe. Unklar bleibt auch, zu welchem Zeitpunkt Person E. die Tätigkeit bei der Antragstellerin aufgenommen haben soll. Mit E-Mail vom 18.08.2022 hat die Antragstellerin die Person „Frau E. wohl erstmals gegenüber dem Antragsgegner namentlich erwähnt und mitgeteilt, dass diese seit 1,5 Jahren für sie tätig sei. In dem hiesigen Eilverfahren hat die Antragstellerin nun mitgeteilt, dass Frau E. wohl Anfang 2022 bei ihr angefangen habe, Herr M. hat erklärt, dass dies im Dezember 2021 gewesen sei. Die Angaben sind vage und widersprüchlich. Es liegen keine Nachweise vor, dass eine Person, die sich möglicherweise als E. ausgegeben hat, qualifizierte Assistenzleistungen für die Antragstellerin erbracht hat. Auch die Erklärung von Herrn M. gibt keine Auskunft darüber, ob und welche Leistungen eine Person E. für die Antragstellerin konkret erbracht haben soll. Zudem wird nun erstmals im hiesigen Eilverfahren vorgetragen, dass im Jahr 2021 die pädagogischen Leistungen von Herrn M. erbracht worden seien, in der Verwaltungsakte finden sich dafür keine Anhaltspunkte. Letztlich liegen keine Nachweise für eine Verwendung der Leistungen für eine qualifizierte Assistenz vor, noch wurde dies von der Antragstellerin glaubhaft gemacht, so dass die Zweifel des Antragsgegners an einem bestehenden Bedarf der Antragstellerin berechtigt sein dürften.
Ebenso teilt das Gericht die Zweifel des Antragsgegners am Pflege- und Teilhabebedarf der Antragstellerin. In dem Verfahren S 12 SO 20/23 hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 28.05.2024 vorgetragen, dass ihm im Hinblick auf die Leistungen der kompensatorischen Assistenz glaubwürdige Hinweise vorliegen würden, dass der dargestellte Assistenz- und Pflegebedarf nicht im angegebenen Umfang bestehe und im Rahmen des Bedarfsermittlungsgesprächs vom 16.02.2024 dramatisiert worden sei. Nach Zeugenaussagen könne Die Antragstellerin alleine aus dem Bett aufstehen. Das Laufen falle ihr schwer, sodass sie sich in der Wohnung mit einem Rollhocker fortbewege. Die Körperpflege (auch Duschen), sowie das An- und Auskleiden könne alleine durchgeführt werden. Toilettenbesuche würden selbstständig bewältigt. Die Assistenzkräfte würden vielmehr in hohem zeitlichem Umfang für die Versorgung der Hunde oder zur Bewirtschaftung des Gartens eingesetzt. Die Zweifel am Pflege- und Teilhabebedarf werden zur Überzeugung des Gerichts insbesondere durch die vom Antragsgegner vorleglegten Stellenausschreibung begründet, die die Antragstellerin bei der Agentur für Arbeit geschaltete hatte. Darin wird beschrieben, dass als Aufgaben im 2-Personen-Haushalt vorgesehen sind: „Kochen, Einkäufen, Reinigung, Wäsche, Garten, (...) Organisation, Pflege, Versorgung und Training der Hunde, Begleitung zu Terminen. KEINE Körperpflege“ (B. 986 f. Gerichtsakte S 12 SO 20/23). Weiter hat die Antragstellerin über eine Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit eine Damenschneiderin gesucht, die augenscheinlich aus Mitteln der Eingliederungshilfe finanziert werden soll und das Assistenzteam erweitern soll (Bl. 985 f. Gerichtsakte S 12 SO 20/23). Der Vortrag der Antragstellerin im Eilverfahren konnte die Zweifel des Gerichts am Pflege- und Teilhabebedarf nicht beseitigen. Die Antragstellerin hat mit Eidesstattlicher Versicherung vom 18.07.2024 (Bl. 120 Gerichtsakte) u. a. erklärt, sie habe deswegen eine Stellenausschreibung ausschließlich für Assistenzleistungen gefertigt, weil ihr Bedarf an grundpflegerischen Leistungen durch andere Assistenzkräfte abgedeckt sei. Diese Erklärung der Antragstellerin ist unzureichend, weil sie die Bedeutung von Teilhabeassistenz zu verkenne scheint. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass es nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe ist, in wesentlichem Umfang Tierversorgung oder Gartenpflege zu finanzieren. Gleiches gilt die Arbeit einer Damenschneiderin.
Darüber hinaus hat der Antragsgegner einen Screenshot aus der WhatsApp-Gruppe des Teams der Antragstellerin vorgelegt, in dem die Antragstellerin bei den Assistenzkräften anfragt, ob diese bereits seien, 100 bis 150 Euro mehr abzurechnen, um das Weihnachtsessen zu finanzieren (Bl. 194-195 Gerichtstakte) bzw. ein „Wegputzen“ der Stunden anordnet (Bl. 193 Gerichtsakte). Ob der Vortrag der Antragstellerin, dass es tatsächlich nicht zu einer falschen Abrechnung gekommen sei, zutrifft, bedarf an dieser Stelle keiner Aufklärung. Die Antragstellerin selbst hat zur Abrechnung des Weihnachtsessens u.a. vorgetragen, dass sie tatsächlich den Gedanken gehabt habe, „dass die/der Eine oder Andere für etwas mehr unterschreibt, damit das Geld ordnungsgemäß abgerechnet werden könne“ (Bl. 279 Gerichtsakte). Zum „Wegputzen“ der Stunden hat die Antragstellerin u. a. mitgeteilt, dass der Putz-Einsatz immer noch mit gewährten Extra-Stunden ihres Umzugs zusammenhänge. Diese Angaben sind vage und können die Zweifel an der Mittelverwendung nicht beseitigen. Auch die von der Antragstellerin im gerichtlichen Eilverfahren vorgelegten und auch in der Verwaltungsakte vorliegenden Verträge mit Assistenz- und Pflegekräften, entsprechende Lohnabrechnungen der vergangenen Jahre und auf die Umsätze des Budgetkontos reichen nicht aus, die Zweifel daran zu beseitigen, welche Tätigkeiten von den Assistenzkräften tatsächlich übernommen worden sind.
Ob und inwieweit von der Antragstellerin Leistungen des Persönlichen Budgets zweckwidrig verwendet worden sind bzw. in welchem Umfang ein Teilhabe- und Pflegebedarf der Antragstellerin tatsächlich besteht, bedarf im Eilverfahren keiner abschließenden Aufklärung. Für das Gericht ist nachvollziehbar, dass aufgrund der Ermittlungsergebnisse zu[r] Person „E.“, der vorgelegten WhatsApp-Chats und Stellenausschreibungen kein Vertrauen des Antragsgegners mehr in eine zweckmäßige bzw. bedarfsdeckende Mittelverwendung durch die Antragstellerin besteht. Zur Überzeugung des Gerichts liegt allein aufgrund geschilderten Vorgänge ein ausreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung der Zielvereinbarung vom 08.03.2024 vor.

Dem ist die Antragstellerin mit ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 19. August 2024 gegenüber dem Sozialgericht und mit ihrem Berufungsvorbringen nicht substantiiert entgegengetreten. Die Möglichkeit, dass es sich bei „E.“ um eine real existierende Person unter falschem Namen handelt, die tatsächlich die abgerechneten Leistungen erbracht hat, ist aus Sicht des Senats am Prüfungsmaßstab des Eilverfahrens zu vernachlässigen. Denn die Antragstellerin liefert z. B. keine plausible Erklärung, warum diese Person sich darauf einlassen sollte, zu Überweisungszwecken den Namen „E.-H.“ zu führen, um so Überweisungen auf ein Konto zu ermöglichen, dass nach eigenen Angaben der Antragstellerin der Antragstellerin selbst wirtschaftlich zuzurechnen ist. Bereits bei der allerersten Rechnung ist dieses Konto zur Anwendung gelangt. Zu anderen Zahlungswegen trägt die Antragstellerin nichts vor. Auch in den vorgelegten Buchungsjournalen des D. e.V. (Bl. 278 ff. Bd. 2 der Verwaltungsakten) tauchen keine Gehaltszahlungen für eine „Frau E.“ auf. Insoweit überzeugt die Schilderung der Antragstellerin nicht, „Frau E.“ habe sich irgendwann der Antragstellerin wegen der Probleme mit ihrem Mann anvertraut. Die Ausführungen zu einem wechselseitigen Identitätstausch erscheinen ebenfalls unplausibel, denn die Identität „E.“ konnte im Geschäftsverkehr wahrscheinlich allein deshalb genutzt werden, weil es das Konto der „G.-H. GbR“ gab. Für eine Existenz der Person ist daraus nichts abzuleiten. Schließlich hat die Antragstellerin auch zugegeben, die Rechnungen der „Frau E.“ auf dem Computer von Herrn M. geschrieben zu haben. Als Zeuge für die Existenz wird allein Herr M. benannt, dessen schriftliche Erklärung im Wesentlichen in Charakterstudien besteht, und keinen weiteren Ermittlungsweg aufzeigt, dem der Senat sinnvoll nachgehen könnte. Für den Willen, in Vergangenheit und Zukunft Mittel zweckwidrig zu verwenden, sind die vorgelegte WhatsApp-Korrespondenz und die Stellenanzeigen hinreichende Indizien. 

Dabei geht der Senat davon aus, dass jeder der beiden Vorwurfskomplexe für sich genommen die Kündigung der gesamten Zielvereinbarung gerechtfertigt hätte. Daher ist der Senat auch von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Kündigungsgrundes überzeugt.

Allein deshalb, weil die wesentlichen Zweifel auf den widersprüchlichen Angaben der Antragstellerin, Auskünften von Dritten und vorgelegten Urkunden beruhen geht es nicht zu Lasten des Antragsgegners, dass er aus „ermittlungstaktischen Gründen“ im Hinblick auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen eine unvollständige Behördenakte vorgelegt hat.

(2) Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Der Antrag scheitert bezüglich des Teilbetrages von 3.750 € bereits an der Erforderlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Im Wege des Vorschusses gemäß § 42 SGB I erhält die Antragstellerin seit Juni 2024 Leistungen für die i.H.v. 3.750,00 € monatlich für kompensatorische Assistenzleistungen, die beantragte Summe entspricht demgegenüber der Höhe des bisher geleisteten Budgets für kompensatorische und qualifizierte Assistenz insgesamt (vgl. S. 2-3 der Zielvereinbarung sowie den Bescheid vom 12. April 2024).

Nach der in summarischer Prüfung wirksamen Kündigung der Zielvereinbarung fehlt es am Anordnungsanspruch. Werden Leistungen zur Teilhabe gemäß §§ 113 ff. SGB IX in der Form des persönlichen Budgets beansprucht, so ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar noch nicht abschließend geklärt, wann und in welcher Weise eine wirksame Zielvereinbarung Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist. Der vorherige Abschluss einer Zielvereinbarung mit dem Mindestinhalt ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur alten Rechtslage allenfalls „formale Voraussetzung“ für den anschließenden Erlass eines Verwaltungsakts über das persönliche Budget (BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 – B 8 SO 9/19 R –, Rn. 27, juris). Welche Konsequenzen sich für den Anspruch ergeben, wenn wegen des Streits um den Inhalt der Zielvereinbarung eine solche nicht zustande kommt, hat das Bundessozialgericht aber ausdrücklich offengelassen. Aufgrund der gesetzlich in § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX geregelten zwingenden Aufhebung der Leistungsbewilligung als Folge der Kündigung der Zielvereinbarung kann jedenfalls nach wirksamer Kündigung ein Anspruch auf ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung nicht entstehen, wenn – wie hier – die die Kündigung tragenden Gründe noch fortbestehen bzw. nicht widerlegt worden sind.

Darüber hinaus teilt der Senat auch die vom Sozialgericht formulierten Zweifel am Bestehen eines Anordnungsgrundes. Unter den gegebenen Umständen ist die Antragstellerin hinsichtlich eines möglicherweise ungedeckten Anteils am Bedarf an Eingliederungshilfe auf die Sachleistungsgewährung zu verweisen, zu der der Antragsgegner – allerdings nur dem Grunde nach – auch bereit ist (Schriftsatz an das Sozialgericht vom 6. August 2024). Dem vom Bevollmächtigten der Antragstellerin zuletzt vorgelegten Schreiben des Antragsgegners vom 25. Oktober 2024 an die Firma S. Pflege GmbH & Co KG entnimmt der Senat keine kategorische Ablehnung einer Sachleistungsgewährung nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Aus den vorgenannten Gründen konnte der Antrag auf Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG, §§ 114 ff. ZPO keinen Erfolg haben. 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
 

Rechtskraft
Aus
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