1. Ausgangspunkt der Auslegung einer Klage ist, was der Kläger mit der Klage erreichen will.
2. Erklärt ein Sachbearbeit per E-Mail "andernfalls muss ein ablehnender Bescheid ergehen", liegt hierin einerseits noch keine Regelung und deshalb kein Verwaltungsakt, andererseits auch keine Zusicherung.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit der Klage in einem Verfahren wegen Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gegen eine E-Mail des Beklagten.
Die 1979 geborene Klägerin bezieht von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II.
In einem persönlichen Gespräch am 21. Februar 2022 wurde die Klägerin von ihrem Sachbearbeiter des Jobcenters darauf hingewiesen, dass das Erlernen der deutschen Sprache für sie wichtig sei und sie daher einen Sprachkurs besuchen solle. Im Sommer 2022 erhielt die Klägerin einen Brief, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass sie einen Sprachkurs vom 22. August – 4. September 2022 besuchen solle.
Mit E-Mail vom 18. Juli 2022 informierte die Klägerin ihren Sachbearbeiter, dass sie beabsichtige, ab dem 12. August 2022 Deutschland für einen Urlaub in der Türkei zu verlassen.
Mit E-Mail vom 19. Juli 2022 antwortete der Sachbearbeiter des Beklagten der Klägerin und wies sie darauf hin, dass sie keinen Urlaubsanspruch habe und daher vor der Buchung mit ihm habe sprechen müssen. In der E-Mail hieß es weiter, man könne der Klägerin die Ortsabwesenheit nicht genehmigen. Der Sachbearbeiter gab der Klägerin die Möglichkeit „bis Ende der Woche Bescheid“ zu gegeben, anderenfalls müsse er ihr „leider einen ablehnenden Bescheid zukommen lassen“.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Juli 2022 widersprach die Klägerin der E-Mail.
Am 5. August 2022 beantragte die Klägerin die Genehmigung der Ortsabwesenheit bei dem Beklagten, welche ihr sodann für den Zeitraum vom 12. August 2022 bis 1. September 2022 erteilt wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2022, der der Bevollmächtigten der Klägerin per Zustellungsurkunde am 10. September 2022 zugestellt wurde, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig zurück. Er trug vor, die Klägerin sei bereits nicht durch einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) beschwert. Die E-Mail vom 19. Juli 2022 habe keine Verwaltungsaktsqualität, da der Sachbearbeiter lediglich Hinweise bzw. Informationen gegeben habe.
Die Klägerin widersprach hiergegen mit Schreiben vom 10.10.2022, welches bei dem Beklagten am 11. Oktober 2022 eingegangen war. Sie war der Ansicht, bei der E-Mail der Beklagten handele es sich um einen ablehnenden Verwaltungsakt und die spätere Genehmigung der Ortsabwesenheit stelle einen Abhilfebescheid dar. Zumindest habe der Beklagte noch über die entstandenen Kosten zu entscheiden.
Die Beklagte verwies mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 auf die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2022, wonach gegen den Widerspruchsbescheid innerhalb eines Monats Klage erhoben werden könne und bat um Klarstellung, ob die Klägerin das Schreiben vom 10. Oktober 2022 als Klage verstanden haben wolle.
Gleichwohl gab der Beklagte mit Schreiben vom 4. November 2022 das Klägerschreiben vom 10. Oktober 2022 einschließlich des bei dem Beklagten entstandenen Vorgangs an das Sozialgericht Darmstadt ab, wo es am 7. November 2022 einging.
Auf richterliche Aufforderung stellte die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 22. Juni 2023 klar, dass das Schreiben vom 10. Oktober 2022 als Klage zu verstehen sei.
Die Klägerin wiederholt ihre Begründung aus dem Widerspruchsverfahren. Sie meint, die E-Mail des Beklagten stelle einen Ablehnungsbescheid dar, der sie ausweislich des späteren Genehmigungsbescheids in ihren Rechten beschwere.
Auch nach gerichtlicher Aufforderung stellt die Klägerin keinen schriftlichen Antrag und verweist sinngemäß auf das durchgeführte Widerspruchsverfahren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen in seinem Widerspruchsbescheid. Er ist der Meinung, die E-Mail des Sacharbeiters vom 19. Juli 2023 stelle ein formloses Schreiben dar, welches lediglich die Sach- und Rechtslage erläutert habe und gerade keine verbindliche Regelung treffen solle.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 13. Dezember 2024 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter entscheiden zu wollen, angehört.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zu dieser Entscheidungsform gehört worden (§ 62 SGG).
Streitbefangen ist nach dem erkennbaren Begehren der Klägerin das Schreiben des Beklagten vom 19. Juli 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2022. Gem. § 123 SGG entscheidet das Gericht über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche, wobei es aber nicht an konkreten Anträge, welche gem. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG nicht zwingend erforderlich sind, gebunden ist. Das Gericht hat gem. §§ 62 Abs. 2, 106 Abs. 1 SGG auf sachdienliche und klare Anträge hinzuwirken, wenn die Klägerin keine eindeutigen Anträge stellt. Soweit erforderlich, ist der Klägerantrag auszulegen. Ausgangspunkt ist daher, was die Klägerin mit der Klage erreichen möchte. Der Wortlaut der Erklärung ist hierbei nicht maßgeblich, sondern es ist der wirkliche Wille der Klägerin zu ermitteln. Das mit der Klage verfolgte Ziel muss aus dem gesamten Vorbringen der Klägerin inklusive den bekannten Umständen und dem Widerspruchsbescheid ermitteln werden (beckOGK-SGG/Hübschmann § 123 Rn. 17 ff.); dabei wird im Zweifel der Antrag zugrunde zu legen sein, der die Klägerin im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips am besten zum Ziel führt (beckOGK-SGG/Hübschmann § 123 Rn. 18).
Die Klägerin, die anwaltlich vertreten ist, hat sowohl bei Klageerhebung als auch nach Aufforderung durch das Gericht keinen konkreten Antrag gestellt. Aus dem gesamten Vorbringen sowie aus dem mit der Verwaltungsakte vorgelegten Widerspruchsbescheid lässt sich jedoch ableiten, dass die Klägerin die Aufhebung des Schreibens vom 19. Juli 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2022 begehrt wird.
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist ausweislich des ausgelegten Klagebegehren als Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 S. 1 SGG statthaft.
Die Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts gem. § 87 Abs. 1 SGG ist gewahrt. Der Widerspruchsbescheid wurde der Bevollmächtigten der Klägerin mittels Postzustellungsurkunde am 10. September 2022 zugestellt. Gem. § 37 Abs. 5 SGB X in Verbindung mit § 63 Abs. 1 SGG beginnt daher am 11. September 2022 die Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG und endet einen Monat später am 11. Oktober 2022, 23.59 Uhr. Die Klageschrift ging am 11. Oktober 2022 bei dem Beklagten und am 7. November 2022 bei dem Sozialgericht Darmstadt ein.
Gem. § 91 Abs. 1 SGG gilt die Klagefrist auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht bei einer anderen inländischen Behörde eingegangen ist. So verhält es sich hier. Das Schreiben der Klägerin welches sie als Klageschrift verstanden haben will, ist am 11. Oktober 2022 und somit innerhalb der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 SGG bei der Beklagten eingegangen. Der Beklagte hat das Schreiben sodann gem. § 91 Abs. 2 SGG unverzüglich an das Sozialgericht weitergeleitet. Dass das Schreiben nicht innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Darmstadt eingegangen ist, steht der Zulässigkeit der Klage daher nicht entgegen.
Die Klage ist aber unbegründet.
Die Klägerin ist aber durch die angefochtene E-Mail nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, denn bei dem Schreiben handelt es sich bereits nicht um einen Verwaltungsakt.
Die E-Mail des Beklagten vom 19. Juli 2022 stellt keinen Verwaltungsakt gem. § 31 S. 1 SGB X dar.
Gem. § 31 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Erforderlich ist also, dass eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gem. § 1 Abs. 2 SGB X wahrnimmt, im Hinblick auf einen konkreten Einzelfall eine rechtsverbindliche Anordnung trifft, welche final darauf gerichtet ist, Rechtswirkungen bei der betreffenden Person außerhalb des handelnden Verwaltungsträgers zu erzeugen.
Grundsätzlich unterliegt ein Verwaltungsakt keiner besonderen Form und kann daher gem. § 33 Abs. 2 SGB X auch schriftlich, elektronisch oder auf andere Weise erlassen werden. Die Auswahl der Form des Verwaltungsaktes unterliegt dem Ermessen der Behörde. Die Genehmigung der Ortsabwesenheit nach § 7b SGB II in Verbindung mit § 4 der Verordnung zur Regelung weiterer Voraussetzungen der Erreichbarkeit erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Erreichbarkeits-Verordnung - ErrV) unterliegt keinem Formzwang. Jedoch muss erkennbar sein, dass die Behörde eine Verwaltungsentscheidung getroffen hat und dies auch so wollte (BeckOGK/Mutschler SGB X § 33 Rn. 38). Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss gem. § 33 Abs. 3 S. 1 SGB X die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Die E-Mail vom 19. Juli 2022 genügt diesen formellen Anforderungen an einen elektronischen Verwaltungsakt. In der Signatur der E-Mail ist sowohl der Name des Sachbearbeiters und der Behörde für die er handelt zu erkennen.
Der Verwaltungsakt muss gem. § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt und gem. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB X begründet sein. Die hinreichende Bestimmtheit erfordert, dass der Verfügungssatz des Verwaltungsakts in sich widerspruchsfrei ist und der Adressat in die Lage versetzt wird, sein Verhalten daran auszurichten. Weiterhin ist ein Verwaltungsakt gem. § 36 SGB X mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.
Die streitgegenständliche E-Mail entbehrt einer Regelung im Sinne der Norm und stellt ein schlicht-hoheitliches Handeln dar.
Eine Regelung ist eine rechtsverbindliche Anordnung, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Ein Hinweis oder eine Auskunft stellen schlicht-hoheitliches Handeln dar und sind als Realakte und nicht als Verwaltungsakt einzuordnen (BeckOGK/Mutschler SGB X § 31 Rn. 25 f.).
Der Sachbearbeiter nutzte in seiner E-Mail die Formulierung „Ich kann Ihnen die Ortsabwesenheit nicht genehmigen. (...) Geben Sie mir bis Ende der Woche Bescheid (...), anderenfalls muss ich Ihnen leider einen ablehnenden Bescheid zukommen lassen.“ Ausgehend von der Sicht eines verständigen Empfängers ist ersichtlich, dass der Sachbearbeiter noch keinen Bescheid erlassen wollte, sondern dass er die Klägerin über die Möglichkeit eines solchen informiert hat. Es fehlt sowohl an einem Verfügungssatz als auch unmittelbar folgend an den Verfügungssatz konkretisierende Ausführungen. Dass die Klägerin keinen Anspruch auf Urlaub hat und sie vor der Buchung mit dem Sachbearbeiter hätte in Kontakt treten müssen ist lediglich ein allgemeiner Hinweis auf die Rechtslage der Klägerin als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II und hat daher keinen Regelungscharakter.
Der Sachbearbeiter gab der Klägerin die Möglichkeit, die Situation zu klären, mit dem Sachbearbeiter Kontakt aufzunehmen und so die Sachlage zu beeinflussen. Es ist daher auch nicht von einem feststehenden Sachverhalt auszugehen, welcher durch die E-Mail abschließend für die Zukunft geregelt werden sollte. Vielmehr stellt der Sachbearbeiter der Klägerin in Aussicht, selbstständig ihre Situation an die ihr nun bekannte Sach- und Rechtslage anzupassen und so den in Aussicht gestellten ablehnenden Bescheid abzuwenden. Die Inaussichtstellung eines ablehnenden Verwaltungsakts stellt jedoch noch keine Maßnahme des Beklagten zur abschließenden rechtsverbindlichen Regelung der Angelegenheit dar. Insoweit ist die E-Mail hinsichtlich eines potentiellen zukünftigen ablehnenden Bescheids ebenfalls mangels Regelungscharakter ebenfalls nicht als Verwaltungsakt anzusehen.
Die E-Mail enthielt neben dem fehlenden Verfügungssatz und einer weiterführenden Begründung auch u.a. keine Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 36 SGB X, sodass auch die äußere Form eines Verwaltungsakts vorliegend nicht gegeben ist.
Weiterhin ist die E-Mail des Beklagten auch nicht als Zusicherung gem. § 34 SGB X zu verstehen, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen. Nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X bedarf die Zusicherung der schriftlichen Form und soweit vor dem Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes die Anhörung Beteiligter erforderlich ist, kann die Zusicherung gem. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB X erst nach erfolgter Anhörung gegeben werden. Gem. § 24 Abs. 1 SGB X ist der Klägerin Gelegenheit zu geben, sich vor Erlass des ablehnenden Bescheids zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ist ausweislich der Verwaltungsakte zum Zeitpunkt der E-Mail vom 19. Juli 2022 nicht geschehen. Mangels einer verfahrensgemäßen Anhörung der Klägerin vor dem 19. Juli 2022 stellt die E-Mail vom 19. Juli 2022 daher keine Zusicherung gem. § 34 SGB X dar, einen ablehnenden Verwaltungsakt in der Zukunft zu erlassen.
Mangels eines Verwaltungsaktes ist eine über die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids des Beklagten hinausgehende Entscheidung nicht erforderlich.
Die angefochtene Nachricht des Beklagten stellt keinen Verwaltungsakt dar und die Klägerin ist daher auch nicht in ihren Rechten beschwert.
Die Klage konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.