L 10 KR 34/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 16 KR 213/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 34/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erstattung von Krankengeld; Änderung der Verhältnisse
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hal-le vom 5. Juni 2008 – S 16 KR 213/07 – wird zurückgewiesen.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beru-fungsverfahren trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen einen Bescheid der Beklagten auf Rückzahlung von Krankengeld für die Zeit vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004.

Der 1953 geborene Kläger war zuletzt als Dreher beschäftigt und bezog anschließend bis zum 15. Mai 2003 Strukturkurzarbeitergeld. Seit Juli 2002 war er auf Grund von Rückenbeschwerden wiederholt für längere Zeiträume nach ärztlichem Attest arbeitsunfähig. Für einen Zeitraum im Oktober 2003 berechnete die Beklagte die Höhe des Krankengeldes mit 40,08 EUR täglich. Vom 27. Oktober 2003 bis zum 3. März 2004 befand sich der Kläger in einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme und bezog Übergangsgeld in Höhe von 40,26 EUR täglich. Nachdem er die Maßnahme wegen ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Rückenbeschwerden abgebrochen hatte, gewährte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 2. April 2004 ab dem 4. März 2004 Krankengeld in Höhe von nur noch 25,69 EUR täglich. Für die Zeit vom 13. April bis zum 4. Mai 2004 nahm der Kläger an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme des Rentenversicherungsträgers teil und bezog wieder Übergangsgeld in Höhe von 40,26 EUR täglich. Im Anschluss leistete die Beklagte weiter Krankengeld in ermäßigter Höhe von 25,69 EUR täglich. In einer Berechnung der Leistungshöchstdauer des Krankengeldes gemäß § 48 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) vom 24. August 2004 teilte sie dem Kläger mit, dass sein Anspruch auf Krankengeld am 10. Oktober 2004 ablaufe. Die Krankengeldleistung setzte sie bis zum 5. Oktober 2004 fort.

In einem Rechtsstreit über die Höhe des ab dem 4. März 2004 zu zahlenden Krankengeldes verurteilte das Sozialgericht Heilbronn die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil vom 13. Juni 2006 (S 9 KR 3357/04) zur Zahlung eines Krankengeldes in Höhe von 40,08 EUR täglich für die Zeit bis zum 7. Juli 2004. In den Gründen führte es aus, dass sich aus beigezogenen Unterlagen des Rentenversicherungsträgers ergebe, dass der Kläger auf Grund einer schwerwiegenden orthopädischen Erkrankung auch während der gesamten beruflichen Reha-Maßnahme arbeitsunfähig gewesen sei. Daraus folge, dass ein Krankengeldanspruch durchgehend bestanden habe. Während der Leistung des Übergangsgeldes habe dieser Anspruch gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V geruht. Das Krankengeld sei daher antragsgemäß ab dem 4. März 2004 nach § 47 Abs. 2 SGB V weiter auf der Basis des letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Arbeitsentgelts zu berechnen. Die Ruhenszeit sei jedoch gem. § 78 Abs. 1 SGB V auf die längst mögliche Bezugsdauer des Krankengeldes anzurechnen. Daher reiche der Anspruch nur bis zum 7. Juli 2004. Das Klagebegehren hat das Sozialgericht Heilbronn als auf diesen Zeitraum beschränkt angesehen.

Bereits zuvor hatte das Sozialgericht im Erörterungstermin am 28. September 2005 sowie mit Hinweisschreiben vom 21. Oktober 2005 auf seine Rechtsauffassung und ihre Folge hingewiesen, wonach der Kläger das für die Zeit vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 ausgezahlte Krankengeld zu Unrecht bezogen habe. Die Beklagte hielt demge-genüber an ihrer vorgenommenen Krankengeldberechnung fest. Sie teilte dem Kläger aber mit Schreiben vom 14. Oktober 2005 mit, dass sie das für die Zeit vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 in Höhe von 2.318,80 EUR gezahlte Krankengeld erstattet verlangen werde, wenn er seine Klageforderung auf Nachzahlung erhöhten Krankengeldes für die Zeit vom 4. März bis 7. Juli 2004 (insgesamt 1.432,59 EUR) weiterverfolge. Entsprechende Hinweise richtete die Beklagte nach Zustellung des Urteils an den Kläger. Der Kläger bestand in der Folge unter Androhung der Zwangsvollstreckung auf Zahlung aus dem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn. Die Beklagte zahlte am 19. April 2007 urteilsgemäß an den Kläger 1.432,59 EUR.

Mit Bescheid vom 18. April 2007 hob sie die der Krankengeldgewährung "für die Zeit vom 7. Juli bis 5. Oktober 2004" zugrunde liegenden Verwaltungsakte unter Berufung auf § 45 SGB Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf und forderte zugleich die Erstattung der bereits erbrachten Leistungen für 88 Tage á 26,35 EUR = 2.318,80 EUR. Den dagegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 12. Juni 2007 zurück. Der Bescheid vom 18. April 2007 habe die Frist des § 45 Abs. 4 SGB X gewahrt. Erst mit Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Juni 2006 habe "definitiv" festgestanden, dass es zu einer Überzahlung von Krankengeld gekommen sei. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung bestünden nicht. Dem Kläger könne eine Zahlung in angemessenen Raten zugestanden werden. Etwaigen Vertrauensschutz habe er verwirkt, da er die Urteilssumme trotz vielfacher Hinweise der Beklagten auf ihre Erstattungsforderung eingefordert habe.

Mit seiner am 9. Juli 2007 beim Sozialgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die Beklagte ungeachtet der Frist des § 45 Abs. 4 SGB X jedenfalls die weitere Frist des § 45 Abs. 3 SGB X versäumt habe, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden könne. Die Beklagte müsse sich gemäß § 105 SGB X mit etwaigen Erstattungsansprüchen an die Agentur für Arbeit halten, da der Kläger im Nachhinein von dort keine Leistungen mehr erhalten könne.

Demgegenüber hat die Beklagte im Rechtsstreit die Auffassung vertreten, dass sie den Bescheid nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen, sondern nach § 48 SGB X aufgehoben habe. Die Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn habe eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bewirkt, welche die Aufhebung rechtfertige. Diese sei innerhalb der maßgeblichen Fristen erfolgt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5. Juni 2008 antragsgemäß

den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2007 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2007 aufgehoben.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Krankengeldbewilligung nur nach § 45 SGB X habe zurückgenommen werden können, da sich entgegen der Auffassung der Beklagten die Rechtslage durch das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn nicht geändert habe. Die Rücknahme des Verwaltungsaktes gem. § 45 SGB X scheide aus, da der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe.

Gegen das ihr am 26. Juni 2008 zugestellte Urteil wendet sich die am 14. Juli 2008 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten. Darin beruft sie sich für die Aufhebung der Krankengeldgewährung im streitigen Zeitraum weiter auf § 48 SGB X. Erst das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn habe die Leistungsunterbrechung vom 10. Oktober 2004 auf den 7. Juli 2004 vorverlegt, indem es von einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit auch während der Reha-Maßnahmen ausgegangen sei. Zuvor seien die Bescheide über die Krankengeldgewährung vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 daher nicht rechtswidrig gewesen. Die Verhältnisse hätten sich auch insoweit nachträglich geändert, als der Kläger durch die Krankengeldzahlung aus dem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn nachträgliches Einkommen erzielt habe.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und verteidigt das Urteil des Sozialgerichts nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 28. April 2009.

Die Beteiligten haben sich in der nichtöffentlichen Sitzung am 6. Mai 2008 überein-stimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden einverstanden erklärt.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten aus dem Jahre 2004 und 2006 bis 2007 sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts Heilbronn S 9 KR 3357/04 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsak-te sowie der weiteren beigezogenen Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Von einer Alleinent-scheidung durch den Vorsitzenden gemäß § 153 Abs. 3 SGG, zu der das Einverständnis der Beteiligten ebenfalls vorlag, wurde im Hinblick auf die Besonderheiten der Fallgestaltung, insbesondere den Gesichtspunkt von Treu und Glauben (unten III 3), abgesehen.

II. Die Berufung ist zulässig, da sie gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft ist sowie gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt wurde.

III. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die nach Rechtsweg (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und Klageart (§ 54 Abs. 1 SGG) ohne weiteres zulässige Klage ist, wie das Sozialgericht mit zutreffender Begründung erkannt hat, begründet. Der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 18. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG i. V. m. § 157 SGG). Die Voraussetzungen für die einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage des Erstattungsbescheides, nämlich § 50 Abs. 1 SGB X, liegen nicht vor. Die der Krankengeldgewährung für den Zeitraum vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 zugrunde liegenden Verwaltungsakte sind nicht wirksam aufgehoben worden. Als Rechtsgrundlage für eine Aufhebung scheidet in Ermangelung einer rechtserheblichen Änderung der Verhältnisse § 48 SGB X aus (im Folgenden: Ziffer 1). Eine Rücknahme der Verwaltungsakte gem. § 45 SGG X scheitert an dem gesetzlichen Vertrauens-schutz des Abs. 4, da dem Kläger keine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Krankengeldgewährung anzulasten ist (im Folgenden: Ziffer 2). Schließlich ist es dem Kläger auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Aufhebung der Verwaltungsakte zu berufen (dazu unten Ziffer 3).

1. Die der Krankengeldgewährung im Streitzeitraum zugrunde liegenden Verwaltungsakte konnten nicht gem. § 48 SGB X aufgehoben werden.

a) In Ermangelung besonderer schriftlicher Verwaltungsakte, die sich über die Krankengeldgewährung im streitgegenständlichen Zeitraum verhalten, bildet nach ständiger Rechtssprechung des Bundessozialgerichts die Auszahlung des Krankengeldes für den jeweiligen Zeitraum zugleich die Bewilligung der Leistung und damit den maßgeblichen Verwaltungsakt (vgl. BSG v. 29. Juni 1994 – 1 RK 45/93, BSGE 74, 287; BSG v. 16. September 1986 – 3 RK 37/85, SozR 2200 § 182 Nr. 103). Als aufzuhebender Verwaltungsakt kommt weiterhin in Betracht der Bescheid der Beklagten vom 24. August 2004 über die Höchstdauer seines Krankengeldanspruchs. Der Bescheid der Beklagten vom 2. April 2004 wird dagegen nicht berührt. Er verhält sich allein über die Höhe des ab dem 4. März 2004 zu leistenden Krankengeldes und trifft damit keine Bestimmung über die Dauer der Krankengeldleistung über den 7. Juli 2004 hinaus.

b) Die tatsächliche oder rechtliche Grundlage der vorgenannten Bescheide hat sich nicht verändert.

aa) Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dabei kommt es auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse an, die für den Erlass des Verwaltungsaktes bei zutreffender rechtlicher Würdigung maßgeblich waren, und nicht auf die, welche die Behörde ihrer Entscheidung möglicherweise irrtümlich zugrunde gelegt hat. Der Bescheid muss infolge der Veränderung der Verhältnisse im Gegensatz zum früheren Rechtszustand rechtswidrig geworden sein (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG vom 3. Oktober 1989 – 10 RKg 7/98, BSGE 65, 301). Eine – hier in Rede stehende – Aufhebung für die Vergangenheit kommt nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ebenfalls nur unter den genannten Voraussetzungen in Betracht.

bb) In diesem Sinne ist eine Änderung der Verhältnisse, die beim Erlass der o. g. für die Krankengeldgewährung maßgeblichen Verwaltungsakte vorgelegen haben, nicht eingetreten.

(1) Das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Juni 2006, das die o.g. Bescheide selbst nicht zum Gegenstand hatte, hat weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht die Grundlagen für die Leistungsgewährung im Streitzeitraum (8. Juli bis 5. Oktober 2004) geändert. Das Gericht hat über die Höhe des Krankengeldes im Zeitraum vom 4. März bis 7. Juli 2004 und damit über einen anderen Streitgegenstand entschieden. Dabei hat es sich auf die Rechtsauffassung gestützt, dass zuvor durch-gehend ein Anspruch auf Krankengeld auch in den Zeiträumen (ruhend) bestanden habe, in denen der Kläger an der beruflichen Reha-Maßnahme teilgenommen hatte. Träfe die Auffassung zu, so wäre die Gewährung des Krankengeldes von vornherein rechtswidrig gewesen, ohne dass insoweit eine Änderung der Verhältnisse nachfolgend eintrat. Dass die Beklagte die Verhältnisse in diesem Fall zunächst falsch eingeschätzt und erst durch das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn oder die vorausgegangenen Hinweise hiervon Kenntnis erlangt hätte, ist für § 48 SGB X, wie oben unter aa) ausgeführt, unerheblich.

Träfe die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Heilbronn dagegen nicht zu, hätte sich durch das Urteil für die Leistungsgewährung im streitigen Zeitraum ebenfalls nichts geändert. Die in diesem Fall ursprünglich rechtmäßige Leistungsgewährung wäre rechtmäßig geblieben. Insbesondere hätte das Urteil nicht, wie die Beklagte meint, den Zeitpunkt der Leistungsunterbrechung "vorverlegt". Seine Erwägungen sind insoweit für die Parteien nicht in Bindungswirkung erwachsen, sondern stellen lediglich Begründungselemente für die Entscheidung über einen anderen Streitgegenstand dar. Tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen nehmen an der Rechtskraft des Urteils nicht teil (BSG vom 11. Mai 1999 – B 11 AL 69/98 R, SozR 3-1500 § 75 Nr. 31). Ob die Erwägungen des Sozialgerichts Heilbronn zutreffen, woran in Bezug auf einen durchgehenden Anspruch auf Krankengeld wegen der fehlenden zeitnahen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit Zweifel bestehen können (vgl. BSG vom 8. November 2005 – B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219 Rz. 14), kann daher für den vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen.

(2) Auch die tatsächliche Nachzahlung des zugesprochenen Krankengeldes hat die maßgeblichen Verhältnisse nicht verändert, wie die Beklagte meint. Hierdurch ist dem Kläger nicht etwa Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder eine sonstige Leistung zugeflossen, die den Krankengeldanspruch für den Streitzeitraum (8. Juli bis 5. Oktober 2004) nachträglich hätte entfallen lassen können. Die von der Beklagten auf Grund des Urteils des Sozialgerichts Heilbronn erbrachten Leistungen betrafen gerade einen anderen Zeitraum.

2. Eine Rücknahme der der Krankengeldgewährung im Streitzeitraum zugrunde liegen-den Verwaltungsakte nach § 45 SGB X scheidet ebenfalls aus. Nach dieser Vorschrift kann ein begünstigender Verwaltungsakt, der von Anfang an rechtswidrig ist, nach näherer Maßgabe der Norm ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangen-heit zurückgenommen werden, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist. Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X jedoch nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 der Norm zulässig. Hiervon kommt im Streitfall lediglich Abs. 2 Satz 3 in Betracht, da die in Abs. 3 Satz 2 angeführten Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO nicht vorliegen. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung der Tatbestände Nr. 1 und 2 des Abs. 2 Satz 3 bestehen nicht. Im Streitfall bedarf daher allein der Fall des Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 der Norm, auf den die Beklagte sich auch beruft, einer näheren Prüfung. Danach kann sich der durch einen Verwaltungsakt Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

a) Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Bezugspunkt für das grobfahrlässige Nichtwissen ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde (BSG vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 AR, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Maßgeblicher Zeitpunkt für die grob fahrlässige Unkenntnis ist der der Bekanntgabe des aufzuhebenden Verwaltungsaktes (BSG vom 22. März 1995 – 10 RKg 10/89, SozR 3-1300 § 45 Nr. 24).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann dem Kläger grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des Gesetzes nicht angelastet werden. Die der Krankengeldgewährung für den Streitzeitraum zugrunde liegenden Verwaltungsakte wurden dem Kläger zeitnah zum Streitzeitraum bekannt gegeben. Das gilt für den Feststellungsbescheid vom 24. August 2004 betreffend die Leistungsunterbrechung ebenso wie für die jeweiligen für bestimmte Zeitabschnitte erfolgenden Auszahlungen des Krankengeldes. Nach der Praxis der Krankenkassen erfolgt die Auszahlung regelmäßig innerhalb eines Zeitraumes von einem, maximal zwei Monaten nach Ablauf des jeweiligen Bewilligungszeit-raumes. Eine Aufstellung über die Auszahlungszeitpunkte findet sich zwar nicht in den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten. Im Erörterungstermin hat die Beklagtenvertreterin jedoch dem entsprechenden Hinweis des Berichterstatters auf den Zeitpunkt der Krankengeldauszahlung nicht widersprochen. Der Senat legt damit seiner Entscheidung zugrunde, dass die Zahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 noch im Jahre 2004 erfolgte, jedenfalls aber noch vor dem ersten Hinweis des Sozialgerichts Heilbronn im Erörterungstermin am 28. September 2005.

In diesem Zeitraum lässt sich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers nicht feststellen. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers für die Zeit ab dem 4. März 2004 als "Erstbescheinigung" ausgestellt war. Die Bescheinigung bot damit für den Kläger keinen Anlass, von einer durchgehend bestehenden Erkrankung auszugehen. Auch im Widerspruchs- und Klageverfahren hat der Kläger sein auf ein höheres tägliches Krankengeld gerichtetes Rechtsbegehren nicht – wie das Sozialgericht Heilbronn – damit begründet, dass ein durchgehender Krankengeldanspruch bestanden hätte, dessen Leistungsunterbrechung bereits am 7. Juli 2004 eingetreten wäre. Er hat vielmehr gemeint, dass sich die Höhe seines Krankengeldes in jedem Fall auf der Grundlage seines letzten Arbeitsverdienstes berechne. Dieser Ansatz führt nicht zu der Annahme, dass der Zeitpunkt der Leistungsunterbrechung bereits vor dem 5. Oktober 2004 liegen müsse. Rechtlich erscheint zudem die Annahme des Sozialgerichts, dass dem Kläger ein durchgehender Krankengeldanspruch zusteht, im Hinblick auf die fehlende zeitnahe ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zweifelhaft, wie oben unter 1 b) bb) (1) ausgeführt wurde.

Aus den vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten für das Jahr 2004 ergeben sich ebenfalls keine Hinweise darauf, dass dem Kläger die vom Sozialgericht Heilbronn später angenommene Rechtswidrigkeit der Krankengeldgewährung im Streitzeitraum bekannt gewesen wäre. Die Beklagte hat solche Hinweise auch nicht vorgetragen. Sie hat vielmehr – in Kenntnis aller Tatsachen – selber bis zur Entscheidung des Sozialge-richts Heilbronn an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, dass ein durchgehender Krankengeldanspruch nicht bestanden habe.

Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rücknahme der der Krankengeldgewährung im Streitzeitraum zugrunde liegenden Verwaltungsakte rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 45 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 3 SGB X bewirkt wurde.

3. Dem Kläger ist es nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Rücknahme zu berufen (vgl. hierzu von Wulffen/Roos, SGB X, 6. Auflage § 39 Rz. 8 m. w. N.).

a) Es ist zunächst nicht rechtsmissbräuchlich, dass der Kläger sich gegen die Rückerstattung etwaig zu Unrecht bezogenen Krankengeldes wehrt. Dass die Beklagte gehindert ist, wegen der Gutgläubigkeit des Klägers eine möglicherweise zu Unrecht erbrachte Leistung mit Wirkung für die Vergangenheit zurück zu fordern, folgt aus § 45 Abs. 4 SGB X. Danach darf der gutgläubige Begünstigte eine in der Vergangenheit erbrachte Sozialleistung grundsätzlich behalten, wenn er erst später von ihrer Unrechtmäßigkeit Kenntnis erlangt hat.

b) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger zuvor den erhöhten Krankengeldanspruch für den vorausgegangenen Leistungszeitraum bereits in Kenntnis der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Heilbronn durchgesetzt hat, nach der ihm das Krankengeld für den nachfolgenden Zeitraum nicht zugestanden hätte. Treuwidrig könnte hier allenfalls die Durchsetzung der zusätzlichen Forderung sein, durch die sich per Saldo die bestehende "unrechtmäßige Bereicherung" erhöht hätte, nicht aber die Berufung auf den in Bezug auf die Krankengeldgewährung für die Zeit vom 8. Juli bis 5. Oktober 2004 bereits vorher entstandenen Vertrauensschutz aus § 45 Abs. 4 SGB X. Läge in der Durchsetzung der zusätzlichen Forderung ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, hätte das vor dem Sozialgericht Heilbronn berücksichtigt werden müssen. Das gilt auch in Ansehung ihrer späteren Eintreibung, da es sich dabei der Sache nach nicht um einen neuen Einwand handelte, der noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden könnte (§ 198 Abs. 1 SGG i.V.m. § 767 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn ist der Beklagten daher dieser Einwand genommen.

c) Unabhängig davon ist er auch in der Sache nicht begründet. Die Durchsetzung der zusätzlichen Forderung stellte sich weder unter dem Gesichtspunkt des fehlenden schutzwürdigen Eigeninteresses (etwa weil eine Leistung gefordert würde, die alsbald wieder zurück zu gewähren wäre) noch unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens als rechtsmissbräuchlich dar. Dem ersten Gesichtspunkt steht § 45 Abs. 4 SGB X entgegen, wonach dem Begünstigten eine etwa zu Unrecht bezogenen Leistung gerade verbleibt, ihre Rückgewähr also ausscheidet. Für den zweiten Gesichtspunkt fehlt es sowohl an einem widersprüchlichen Verhalten des Klägers als auch an schutzwürdigem Vertrauen der Beklagten. Die Krankengeldgewährung über den 7. Juli 2004 hinaus beruhte schon nicht auf einem Verhalten des Klägers, zu dem er sich im nachfolgenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Heilbronn hätte in Wider-spruch setzten können. Er hat sein Begehren im Übrigen auch dort nicht auf das vom Sozialgericht herangezogene Argument eines durchgehenden Krankengeldanspruchs gestützt, das allein einen Widerspruch zur vorausgegangenen Leistungsgewährung begründen könnte. Schließlich hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt im Vertrauen auf ein bestimmtes Verhalten des Klägers eine Leistung erbracht. Der Kläger hat insbesondere bei der Durchsetzung seiner Forderung vor dem Sozialgericht Heilbronn kein Entgegenkommen in anderer Hinsicht in Aussicht gestellt.

d) Ob etwas Anderes gälte, wenn die Beklagte etwa zunächst Krankengeld für die Leistungshöchstdauer von 78 Wochen (§ 48 SGB V) geleistet hätte und der Kläger sodann zusätzlich Krankengeld für einen davor liegenden Zeitraum mit der Begründung verlangte, dass der Krankengeldanspruch schon früher entstanden sei, bedarf keiner Entscheidung. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Der Kläger hat vor dem Sozialgericht Heilbronn nicht Krankengeld für zusätzliche Zeiträume begehrt, sondern lediglich höheres Krankengeld für einen bereits bewilligten Zeitraum. Die 78-Wochen-Grenze des § 48 Abs. 1 SGB V ist nicht überschritten. Schließlich ist, ohne dass es darauf aber noch entscheidend ankommt, zu bedenken, dass der Kläger – unverschuldet – im Falle einer Erstattung des Krankengeldes für den betroffenen Zeitraum nachträglich auch keine Leistungen der Agentur für Arbeit beziehen könnte.

IV. Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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