S 5 AS 1118/10 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 1118/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, beim Antragsteller vorläufig ab Antragstellung bis zur rechtskräftigen Überprüfung ihrer Bewilligungsentscheidung vom 5.1.2010, längstens jedoch für 6 Monate, die volle Regelleistung in Ansatz zu bringen. 2.Die Antragsgegnerin wird ferner verpflichtet, ab sofort die Kosten für eine vom Antragsteller kurzfristig konkret zu benennende, verfügbare und ihren Angemessenheitskriterien entsprechende (EUR 3,94 à 47 qm = EUR 185,18 maximale Grundmiete) Wohnung, hilfsweise die Kosten für eine Obdachlosen- bzw. vergleichbare Notunterkunft bis zur endgültigen Regelung der Wohnung des Antragstellers, längstens jedoch für 6 Monate, vorläufig zu übernehmen. 3.Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. 4.Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Antragsteller zustehenden Regelleistung und die Kosten für eine Wohnung, in die der Antragsteller umzuziehen wünscht.

Der 22jährige Antragsteller lebte bis August 2008 gemeinsam mit seiner 13jährigen Schwester im elterlichen Haushalt. Dort verfügte er über ein eigenes Zimmer. Die Familie stand nicht im Bezug staatlicher Grundsicherungsleistungen.

Nachdem der Antragsteller eine Stelle bei der Gesellschaft für Beschäftigungsförderung mbH (GfB) in Duisburg aufgegeben und es infolge der Arbeitslosigkeit zu Streitereien mit dem Vater gekommen war, verwies dieser den Antragsteller aus der elterlichen Wohnung. Der Antragsteller zog darauf zu seinem 23jährigen Bruder, Herrn Y. C. (Y), der ihn mietfrei bei sich wohnen lässt. Der Bruder befindet sich in einer Ausbildung zum Bürokaufmann und bezieht monatlich EUR 325,00 Ausbildungsvergütung, sowie EUR 421,00 Berufsausbildungsbeihilfe (BAB). Die Brüder bewohnen eine 43,47 qm große Wohnung in der Ottostraße in Duisburg. Die Grundmiete beträgt EUR 200,83, die Neben- und Betriebskosten belaufen sich auf EUR 85,26.

Unter dem 7.10.2008 beantragte der einkommens- und vermögenslose Antragsteller erstmalig Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei der Antragsgegnerin. Seitdem erhält er von der Antragsgegnerin monatlich 80 % des regulären Regelsatzes. Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller aufgrund Bewilligungsbescheides vom 5.1.2010 für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2010 Grundsicherungsleistungen in Höhe von EUR 287,00. Ausweislich der vorgeleten Kontoauszüge werden davon lediglich EUR 272,70 ausgezahlt (EUR 229,60 und EUR 43,10). Zum 30.3.2010 lag der Kontostand des Klägers bei EUR 3,68.

Am 14.1.2010 sprach der Antragsteller bei der Antragsgegnerin vor und bat um Erklärung, warum ihm nur die verkürzte Regelleistung gewährt wird.

Mit Bescheid vom 28.1.2010 erläuterte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, dass es sich bei dem ausgezahlten Betrag um die wegen mangelnder Zustimmung zum Umzug verkürzte Regelleistung für unter 25jährige in Höhe von 80 % des regulären Regelsatzes handele.

Unter dem 4.3.2010 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Zustimmung zum Umzug, da sein Bruder beabsichtige mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Dabei legte der Antragsteller ein bis zum 9.3.2010 bestehendes unverbindliches Mietangebot der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Oberhausen-Sterkrade eG über eine 49,32 qm große Wohnung in der Sachsenstraße x, 47178 Duisburg, zu einer Warmmiete von EUR 331,50 (bestehend aus EUR 192,50 Grundmiete, 20,00 EUR Wassergeld, EUR 58,00 Heizkosten und EUR 61,00 Betriebskosten) vor.

Mit Bescheid vom 5.3.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Umzug des Antragstellers mit der Begründung ab, dass der Antragsteller als unter 25jähriger bereits ohne Zustimmung aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen sei. Sollte die Wohnung dennoch angemietet werden, würden weder die Wohnkosten noch die Folgekosten (z.B. Kaution und Umzugspauschale) übernommen.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Antragsteller mit Schreiben vom 9.3.2010. Darin machte er geltend, dass er wegen des Wegzuges seines Bruder und des abgebrochenen Kontaktes zu seinen Eltern "auf der Straße stünde", wenn die Antragsgegnerin dem Umzug in eine eigene Wohnung nicht zustimmen würde.

Zur Untermauerung legte er ein Schreiben des Vereines für Kinderhilfe und Jugendarbeit und eine Stellungnahme des ihn betreuenden Streetworkers, sowie eine Erklärung seines Vaters vor.

In dem Schreiben des Vereines für Kinderhilfe und Jugendarbeit vom 24.9.2008 heißt es wörtlich über den Antragsteller "Er hat uns bezüglich seiner familiären Situation um Unterstützung gebeten. Er ist aus der Wohnung seiner Eltern rausgeworfen worden und lebt derzeit bei seinem Bruder. Dies stellt im Sinne des Gesetzes keinen Auszug in eigener Entscheidung dar."

In der späteren Erklärung vom 16.3.2010 erläutert der zuständige Streetworker ergänzend, dass die häusliche Situation bei den Eltern aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Vater eskaliert und es zu Handgreiflichkeiten gekommen sei. Der Vater sei der Ansicht, die Söhne könnten auch ohne qualifizierte Berufsausbildung arbeiten. Aus Sicht des Streetworkers ist eine Rückintegration in den elterlichen Haushalt nach zweijährigem Getrenntleben nicht möglich. Die berufliche Zukunft und Entwicklung des Antragstellers sei gefährdet, wenn der Bruder nunmehr mit seiner Freundin zusammenziehe und der Antragsteller keine Bleibe habe.

Ausweislich einer unterschriebenen Erklärung des Vaters, ebenfalls vom 16.3.2010, bestätigt dieser, dass die häusliche Gemeinschaft gescheitert sei, weil der Antragsteller sich geweigert habe, die Lebenseinstellung des Vaters anzunehmen. Es sei zu verschiedenen Auseinandersetzungen und leichten Handgreiflichkeiten gekommen. Es bestünde nur ein provisorischer Kontakt und keine Bereitschaft, den Sohn wieder aufzunehmen oder anderweitig zu unterstützen.

Unter dem 17.3.2010 lehnte die Antragsgegnerin die begehrte Zustimmung zu einem Umzug erneut ab. Die eingereichten Unterlagen könnten an ihrer Entscheidung nichts ändern. Die angeführten Streitereien mit dem Vater über die Notwendigkeit einer Ausbildung seien nicht glaubhaft, da der Antragsteller die Stelle bei der GfB aufgegeben und auch seitdem er bei seinem Bruder lebe nicht dafür gesorgt habe, dass er einen Ausbildungsplatz erhält. Stattdessen sei es regelmäßig zu Verstößen gegen geschlossene Vereinbarungen mit Maßnahmenträgern gekommen, sowie zu Meldeversäumnissen, die entsprechend auch sanktioniert worden seien. Dieses Verhalten habe auch die Unstimmigkeiten mit dem Vater verursacht. Der "Rausschmiss" aus dem elterlichen Haushalt sei damit selbstverschuldet.

Mit seinem unter dem 18.3.2010 bei Gericht eingegangen Gesuch um einstweiligen Rechtsschutz begehrt der Antragsteller die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihm die (volle) Regelleistung und die Kosten für Unterkunft und Heizung für die Anmietung der Wohnung in der Sachsenstraße ab dem 1.4.2010 zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, dass der Bruder die Wohnung zum 30.4.2010 gekündigt habe und vorhabe, diese binnen 2 Wochen zu räumen. Er erhalte nur eine verkürzte Regelleistung und keine Kosten für Unterkunft und Heizung von der Antragsgegnerin. Die beigefügte Erklärung des Streetworkers und seines Vaters würden belegen, dass eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt nicht möglich sei.

Der Antragsteller hat im Zuge des Eilverfahrens eine unterschriebene Erklärung seines Bruders vorgelegt, in der dieser seinen Auszug zum 30.4.2010 bestätigt. Das Kündigungsschreiben konnte nicht vorgelegt werden. Der Antragsteller hat ferner eine weitere auf den 31.3.2010 datierende Bescheinigung über das Mietangebot in der Sachsenstraße von der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Oberhausen-Sterkrade eG vorgelegt, das bis zum 7.4.2010 gültig ist. Danach besteht die Möglichkeit eines Mietabschlusses zum 16.4.2010, sofern zwei Genossenschaftsanteile und ein Eintrittsgeld in Höhe von EUR 530,00 übernommen würden. Aufgrund einer Aktion "Young and Independant" reduziere sich die monatliche Grundmiete von EUR 192,50 während der ersten zwölf Monate der Mietzeit um jeweils EUR 50,00.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihm ab Antragstellung die vollen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung für die seit dem 1.4.2010 zur Verfügung stehende Wohnung in der Sachsenstraße x in 47178 Duisburg zu gewähren, hilfsweise anderweitig sicherzustellen, dass er auch nach dem 30.4.2010 eine Unterkunft hat bzw. deren Kosten aus Grundsicherungsmitteln übernommen werden.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt sie aus, es lägen keine schwerwiegenden sozialen Gründe vor, die eine Zustimmung zum Umzug rechtfertigen würden. Die vorliegende Entfremdung zum Elternhaus sei auf die Person des Antragstellers selbst zurückzuführen.

Die Evonik Wohnen GmbH, die aktuelle Vermieterin des Y, hat auf telefonische Nachfrage des Gerichtes bestätigt, dass die Wohnung in der Ottostraße zum 30.4.2010 gekündigt wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II. 1. Der Eilantrag war zu Gunsten des unvertretenen Klägers dahingehend auszulegen, dass für den Fall, dass die Kosten für die Wohnung in der Sachsenstr. 3 nicht übernommen werden, anderweitig sichergestellt wird, dass über staatliche Mittel eine Obdachlosigkeit verhindert wird. Dies folgt aus dem sogenannten Meistbegünstigungsprinzip, wonach Anträge so auszulegen sind, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (vgl. nur BSG, Urteil v. 2.7.2009 – B 14 AS 75/08 R Rn. 11 m.w.N. unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist insoweit begründet, als der Antragsteller einen vorläufigen Anspruch auf die volle Regelleistung und zur Abwendung von Obdachlosigkeit ab sofort auch zur Übernahme der Kosten für eine angemessene Wohnung, und - falls sich ein entsprechender Umzug in der Kürze der Zeit nicht realisieren lässt - hilfsweise auf die Kosten einer Obdachlosen- oder vergleichbaren Notunterkunft hat. Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten für die Wohnung in der Sachsenstraße x in 47178 Duisburg war der Antrag hingegen abzulehnen. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch, d.h. den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, und einen Anordnungsgrund, d.h. die besondere Dringlichkeit des Begehrens, die ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lässt, glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern dass eine Wechselwirkung derart besteht, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteiles (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 86 b Rn. 27 und 29 mwN). Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Dabei darf im Rahmen eines Eilverfahrens grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung, sondern nur eine vorläufige Regelung erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1BvR 569/05, zitiert nach juris).

a) Ein Anordnungsgrund im oben beschriebenen Sinne ist zu bejahen.

Die besondere Dringlichkeit resultiert hier zum einen daraus, dass zu befürchten ist, dass der Antragsteller infolge der verkürzten Auszahlung der Regelleistung nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in menschenwürdiger Weise zu bestreiten. Ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge zahlt die Antragsgegnerin dem Antragsteller statt der mit Bescheid vom 5.1.2010 bewilligten EUR 287,00 lediglich EUR 272,70 aus (EUR 229,60 plus EUR 43,10). Der Grund hierfür lässt sich der dem Gericht überlassenen Leistungsakte nicht entnehmen. Das Konto des Antragstellers wies unter dem 30.3.2010 einen Saldo von EUR 3,68 auf.

Zum anderen besteht die unmittelbare Gefahr, dass der Antragsteller aufgrund der bestätigten Kündigung der Wohnung in der Ottostraße zum 30.4.2010 obdachlos wird (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss v. 16.3.2010 - L 6 AS 230/10 B ER und L 6 AS 231 10; Beschluss v. 10.2.2010 – L 7 B 469/09 AS ER; Beschluss v. 9.9.2009 – L 12 B 62/09 AS ER; Beschluss v. 20.12.2007 - L 1 B 65/07 AS ER; Beschluss v. 02.11.2006 - L 20 B 209/06 AS ER, jeweils abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

b) Im tenorierten Umfang liegt auch ein Anordnungsanspruch vor.

aa) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der vollen Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II glaubhaft gemacht.

Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Bewilligung vom 5.1.2010 insoweit auch mit seiner Vorsprache vom 14.1.2010 und mit dem hiesigen Eilantrag angegriffen hat.

Der Antragsteller ist leistungsberechtigt im Sinne des SGB II. Dies ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, wer das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig ist, hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Diese Voraussetzungen sind bei dem 22jährigen, einkommens- und vermögenslosen deutschen Antragsteller mit Wohnsitz in Duisburg erfüllt.

Dementsprechend steht dem Antragsteller auch grundsätzlich (vorbehaltlich der Anrechnung von nach aktuellem Stand nicht bekanntem Einkommen oder rechtmäßiger sanktionsbedingter Leistungskürzungen uÄ) ein Anspruch auf die volle Regelleistung für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II in Höhe von EUR 359,00 zu.

Die Voraussetzung einer Verkürzung der Regelleistung nach § 20 Abs. 2a SGB II auf EUR 287,00 sind hingegen nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht gegeben. Danach erhalten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a SGB II umziehen, abweichend von § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres 80 vom Hundert der Regelleistung.

§ 22 Abs. 2a SGB II sieht dabei vor, dass Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach dem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht werden, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat.

Eine solche Zusicherung zum Umzug zum Bruder in die Ottostraße liegt vorliegend – abgesehen davon, dass der Bruder den Antragsteller im Ergebnis auch mietfrei hat wohnen lassen - unstreitig nicht vor.

Allerdings wäre der SGB II-Leistungsträger nach § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II zur Zusicherung verpflichtet gewesen, wenn (1) der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern verwiesen werden kann, (2) der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder (3) ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt. Unter den Voraussetzungen des vorgenannten S. 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgewichen werden, wenn es dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen.

Vorliegend geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass die Zusicherung bereits deswegen zu erteilen gewesen wäre, weil das Verhältnis zu seinem Vater, dem elterlichen Haushaltsvorstand, zerrüttet ist.

Der Vater hat in Übereinstimmung mit dem Streetworker, dem Antragsteller selbst und seinem Bruder Y, schriftlich bestätigt, dass er den Sohn aufgrund von fortgesetztem Streit über die Lebenseinstellung und leichten Handgreiflichkeiten aus der elterlichen Wohnung verwiesen hat.

Die Kammer verkennt nicht, dass nicht jede familiäre Zwistigkeit geeignet ist, eine Unzumutbarkeit des Zusammenwohnens zu begründen (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 28.8.2007 – L 20 B 142/07 AS ER unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Vielmehr stellt die Regelung des § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II bereits ihrem Wortlaut nach eine Härtefallregelung dar, allein dem Begriff "schwerwiegend" ist zu entnehmen, dass nur durchschnittliche soziale Umstände für eine Verpflichtung zur Zusicherung nicht ausreichen, vielmehr müssen die sozialen Gründe ein erhebliches Gewicht erreichen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.11.2007 – L 7 AS 626/07; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2007 – L 5 AS 29/06, je unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Vorliegend geht es allerdings nicht um bloße familiäre Spannungen oder gelegentliche Wortentgleisungen und vereinzeltes rücksichtsloses Verhalten in der Familie (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.05.2002 - L 2 AL 31/00 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Vielmehr dürfte ein erhebliche Gewicht bei einem Störungsgrad, der bei unüberbrückbaren Unvereinbarkeiten zur Lebensführung in Gewalt und einen Wohnungsrauswurf mündet und jeden tieferen weiteren Kontakt zwischen Eltern und Kind verbietet, erreicht sein (vgl. zu körperlichen Züchtigungen und familiärer Gewalt: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.05.2002 - L 2 AL 31/00; zu ständigem Streit über die Lebensführung vgl. Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 SGB II Rn 80 p). Diese Situation entschuldigt auch das Einholen einer vorherigen Zusicherung (Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 SGB II Rn 80 w).

Entsprechend hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 2.6. 2004 ausgeführt, dass schwerwiegende soziale Gründe in der Regel dann vorlägen, wenn Eltern und ein fast volljähriges Kind nach lang währenden tief greifenden Auseinandersetzungen übereinstimmend das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ausschlössen (B 7 AL 38/03 R zitiert nach juris zu § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III -; zur Übertragbarkeit auf § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.8.2007 – L 5 AS 29/96 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Es ist dabei entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin auch nicht von Belang, wem die Zerrüttung als Verschulden zuzurechnen ist (vgl. Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 80 p mit zahlreichen wN.). Der schwerwiegende soziale Grund stellt ergebnisorientiert auf die zu beseitigende Folge der Unzumutbarkeit des Zusammenwohnens zwischen Eltern und Kind ab, nicht auf die Frage des Verschuldens.

Die Kammer geht davon aus, dass die Antragsgegnerin mit den gesetzlichen Mitteln bspw. der §§ 31, 34 SGB II hinreichend Möglichkeiten hat, nach außen tretende "enorme Mängel im Arbeits- und Sozialverhalten" des Antragstellers (vgl. Vermerk der Sachbearbeiterin auf Bl. 110 der Leistungsakte) zu sanktionieren. Die Versagung des schwerwiegenden Grundes dürfte indes vorliegend nicht zu diesen Mitteln zählen.

In der Konsequenz ist daher nach summarischem Maßstab davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung der Regelleistung nach § 20 Abs. 2a in Verbindung mit § 22 Abs. 2a SGB II nicht vorliegen.

bb) Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung ist ein Anordnungsanspruch nur insoweit glaubhaft gemacht, wie aufgrund der drohenden Obdachlosigkeit des Antragstellers spätestens zum 1.5.2010 seine Unterbringung in einer angemessenen Unterkunft, hilfsweise in einer Notunterkunft erforderlich ist. Die konkrete Kostenübernahme für die Wohnung in der Sachsenstraße 3 ist indes nach Auffassung der Kammer nicht zwingend, um die Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ihm gem. §§ 22 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 22 Abs. 2a S. 2 und 3 SGB II die Zusicherung zu einem Umzug in eine angemessene Wohnung zu erteilen und die entsprechenden Kosten daher zu übernehmen wären.

Nach der aktuellen erweiterten Auslegung des gesetzgeberischen Willens (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 14) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Regelung des § 22 Abs. 2a nicht nur Erstumzüge unter 25jähriger erfasst, sondern jegliche Umzüge zur Vermeidung eines unkontrollierten Anstieges von Bedarfsgemeinschaften (vgl. hierzu ausführlich Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 SGB II Rn 80 d und e m.w.N.).

Da der Antragsteller aber aufgrund der Kündigung des Bruders obdachlos würde, hat sich die Situation, die vorliegend einen schwerwiegenden sozialen Grund glaubhaft macht (vgl. die Ausführungen unter 2 b) aa)) nur verschärft (vgl. SG Dresden, Beschluss v. 3.11.2009 – S 10 AS 5249/09 ER unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Allerdings hat der Antragsteller nur einen Anspruch auf Zustimmung zu einer Wohnung mit angemessenen Kosten und nicht auf die konkrete Wohnung in der Sachsenstraße 3.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist zwar keine in § 22 Abs. 2a SGB II ausdrückliche normierte Voraussetzung für die Erteilung der Zusicherung. Allerdings ergibt sich aus dem systematischen Gesetzeszusammenhang, dass die Angemessenheit der Unterkunftskosten stets als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist (Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 SGB II Rn 80 u).

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 07.11.2006, B 7 b AS 7/07 R; Urteil v. 7.11.2006 – B 7b AS 18/06 R; Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; Urteil vom 18.06.2008, B 14/7b AS 44/06 R; Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R; Urteil v. 17.12.2009 – B 4 AS 19/09 R, abrufbar jeweils unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) setzt die Prüfung der Angemessenheit von Kosten für Unterkunft und Heizung eine Einzelfallprüfung voraus:

Hierfür ist zunächst die maßgebliche - angemessene - Größe der Wohnung zu bestimmen, und zwar typisierend anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen für die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. Sodann ist der Wohnstandard festzulegen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegende Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht (BSG aaO). Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Nach Festlegung der abstrakten Angemessenheitsmaßstäbe muss im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung (dazu unter 3.) festgestellt werden, ob eine bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt (BSG aaO, mwN).

Für eine alleinstehende Person war unter Berücksichtigung der o. g. Grundsätze des BSG nach Auffassung der Antragsgegnerin, der ständigen Rechtsprechung der 5. Kammer (vgl. nur Urteil v. 31.3.2009 – S 5 AS 93/08 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de), sowie vor allem anderen der höchstrichterlich bestätigten (vgl. Urteil v. 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) Rechtsprechung des LSG NRW (vgl. Urteil v. 16.2.2009 – L 19 AS 62/08; a.A. wohl der 20. Senat des LSG NRW in einer unveröffentlichten Entscheidung) bis zum 31.12.2009 eine Wohnungsgröße von maximal 45 qm Wohnfläche angemessen. Dies folgte aus Ziffer 5.71 der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz 1990 (Ministerialblatt für das Land NRW 1989, 1714, 1716). In Ziffer 2 der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz vom 05.07.2004 (Ministerialblatt für das Land NRW 2004, 660) war geregelt, dass diese Verwaltungsvorschriften auch für die Zeit nach Aufhebung des Wohnungsbindungsgesetzes und nach Inkrafttreten des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001 (Bundesgesetzblatt I, 2376) weiterhin entsprechend anzuwenden sind.

Überwiegend von den SGB II-Leistungsträgern und der Rechtsprechung nicht angewandt wurde hingegen Ziff. 1.4.1. der Anlage zu den Wohnraumförderungsbestimmungen des Landes NRW (WFB), die für einen Ein-Personen-Haushalt eine angemessene Wohnfläche von 47 qm zu Grunde legen. Diese Bestimmungen berücksichtigen die Förderung von barrierefreien Wohnungen, die jedoch nicht grundsätzlich für Empfänger von Transferleistungen nach dem SGB II und SGB XII erforderlich sind. Soweit im Einzelfall eine behindertengerechte Wohnungsausstattung erforderlich war, hatten auch die Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (nämlich mit Ziff 5.72) eine Aufstockung der angemessenen Wohnfläche ermöglicht.

Aufgrund der Föderalismusreform galten die Verwaltungsvorschriften zur sozialen Wohnraumförderung jedoch nur solange, bis das Land von seiner neuen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht und eigene Landesgesetze zur Wohnraumförderung schafft. Dieses ist nunmehr zum 1.1.2010 geschehen. Das Land NRW hat mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG) das bundesrechtliche WoFG außer Kraft gesetzt. Zum neuen Landesrecht wurden auch neue Verwaltungsvorschriften erlassen. Die für die Kosten der Unterkunft maßgeblichen Verwaltungsvorschriften zur Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins wurden ebenso geändert wie die bisherigen Flächenwerte. Danach gelten nunmehr für eine Person 50 m², für jede weitere Person 15 m² zusätzlich als angemessene Wohnungsgröße.

Zwischenzeitlich hat sich das Landesministerium für Arbeit Gesundheit und Soziales (MAGS) in NRW mit einer neuen Auflage der Arbeitshilfe zu Kosten der Unterkunft positioniert. Das MAGS ist der Auffassung, es würden nunmehr Flächengrenzen nach dem Muster 47 m² zzügl. 15 m² für jede weitere Person gelten (vgl. Arbeitshilfe: Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II, 4. Aufl., Stand: 1. März 2010, S. 15).

Die SGB II-Leistungsträger fühlen sich an diese Weisung gebunden.

Die Wohnung in der Sachsenstraße 3 liegt mit 49,32 qm über der neuen landesrechtlich für angemessen befundenden angemessenen Wohnungsgröße von 47 qm.

Auch nach dem Quadratmeterpreis liegt die Wohnung mit einer Kaltmiete von EUR 192,50 über der nach Auffassung der Antragsgegnerin angemessenen Kaltmiete von EUR 185,10 (früher EUR 177,30, jetzt: EUR 3,94 x 47 qm). Dass die Kaltmiete während des ersten Wohnjahres um EUR 50,00 reduziert wird und damit für diese Zeit unstreitig angemessen wäre, ist für die Beurteilung der Angemessenheit ohne Belang, da hierbei von der regelmäßigen Grundmiete auszugehen ist. Der angemessene Quadratmeterpreis für einen 1-Personen-Haushalt in Duisburg ist ungeklärt. Die Kammern des Sozialgerichts Duisburg haben die EUR 3,94 überwiegend für zu gering befunden, der bisher höchste ausgeurteilte Wert liegt bei EUR 4,33 (vgl. die Übersicht bei SG Duisburg, Urteil v. 10.7.2009 – S 27 AS 121/09 unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Eine zweitinstanzliche Entscheidung liegt bisher noch nicht vor.

Dem Antragsteller ist zum derzeitigen Zeitpunkt zum einen nicht damit gedient, wenn im Rahmen eines Eilverfahrens die Zustimmung zu einer Wohnung vorweggenommen wird, bei der weder die Wohnungsgröße noch der Quadratmeterpreis den Anforderungen der Antragsgegnerin genügen und insoweit in Ermangelung einer abschließenden höchstrichterlichen Klärung auch allgemeine Rechtsunsicherheit herrscht.

Da die Obdachlosigkeit auch nicht allein durch Anmietung der konkreten Wohnung in der Sachsenstraße behoben werden kann, so dass insoweit keine Ermessensreduzierung auf Null greift und der Antragsteller noch einen knappen Monat zur Verfügung hat, um sich eine den Kriterien der Antragsgegnerin entsprechende angemessene Wohnung (maximale Grundmiete EUR 185,18) zu suchen, war eine entsprechende Regelungsanordnung, die auf eine faktische Vorwegnahme der Zusicherung zu einem Umzug in die Sachsenstraße hinausliefe, auch nicht ausnahmsweise zu treffen.

Nicht auszuschließen ist überdies, dass die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Oberhausen-Sterkrade eG sich bereit erklärt, die Grundmiete für die Wohnung in der Sachsenstraße statt für ein Jahr auf EUR 50,00 grundsätzlich vorerst auf den von der Antragsgegnerin anerkannten Wert von EUR 185,18 zu senken. Dies ließe sich durch eine Vorsprache des Antragstellers kurzfristig klären.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved