Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 5 KR 342/09
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 23/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Sehbehinderter hat im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Anspruch auf Versorgung mit einer Zweitkamera für ein Bildschirmlesegerät (Tafelkamera), wenn diese erforderlich und geeignet ist, ihm den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.01.2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Kosten für eine zweite Kamera zur Ergänzung des vorhandenen Bildschirmlesesystems im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der Kamera "Sony EVI-D70" im Rahmen eines vorhandenen Kameralesesystems.
Bei der 1998 geborenen Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, besteht eine an Blindheit grenzende hochgradige Sehschwäche. Sie besucht seit Beginn des Schuljahres 2009/2010 die Wschule G ("Realschule plus") und ist mit einem mobilen Bildschirmlesegerät "Clearnote" der Firma T mit einer schwenkbaren Tafelkamera zur Darstellung von Tafel und Textbild versorgt. Mit Schreiben vom 10.11.2008 beantragte sie bei dem Beigeladenen die Gewährung von Eingliederungshilfe zur Finanzierung einer Tafelkamera. Sie legte einen Arztbrief des Augenarztes Dr. G vom 02.07.2008 vor, in der der Visus mit eigener Brille rechts mit 1/20 und links mit 0,05 angegeben wird. Beigefügt waren ein Kostenvoranschlag der Firma E GmbH für die "Tafelkamera Sony EVI-D70" zum Preis von 1.299,48 EUR und ein Angebot für die Installation der Tafelkamera in Höhe von 535,50 EUR sowie ein Kostenvoranschlag der Firma T für eine "EVI-Kamera Pan Tilt" einschließlich Installation und Grundeinweisung in Höhe von 2.401,42 EUR. Mit Schreiben vom 19.11.2008 leitete der Beigeladene das Schreiben an die Beklagte weiter und führte aus, nach Rücksprache mit der Klägerin handele es sich nicht um eine stationäre Tafelkamera. Beantragt werde eine mobile Kamera mit Schwenk-, Neige- und Zoom-Funktion. Hiermit wäre erst die vollständige Aufzeichnung aller Unterrichtsmaterialien, z.B. geographischer Karten, Bücher, Zeichnungen, möglich. Diese mobile und schwenkbare Kamera stelle gegenüber der bereits installierten stationären Tafelkamera ein neues Hilfsmittel dar und falle in den Leistungskatalog der Beklagten. Auf Grund des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nach § 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) werde der Antrag gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) weitergeleitet. Mit Bescheid vom 25.11.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und wies darauf hin, dass sie der Klägerin am 08.12.2004 ein Bildschirmlesegerät für zu Hause leihweise bewilligt und sich am 19.10.2005 an den Kosten einer Tafelkamera analog eines herkömmlichen Bildschirmlesegerätes in Höhe von 2.030,00 EUR für den Schulbesuch beteiligt habe. Bei dem vorhandenen Clearnote handele es sich um ein mobiles Tafelkamerasystem. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin ein Schreiben des Förderschullehrers W Landesschule für Blinde und Sehbehinderte, vom 06.12.2008 vor, der mitteilte, die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt noch die Grundschule besuchte, sei auf starken Kontrast und gute Beleuchtung angewiesen. Das Clearnote sei ausgewählt worden, da es ausbaufähig für die weiterführende Schule sei. Es beständen Anschlussmöglichkeiten für ein Notebook und für eine eigene Tafelkamera. Auf dem Notebook lasse sich das Kamerabild darstellen und zur Weiterbearbeitung speichern. Das Bildschirmlesegerät Clearnote habe eine Schwenkkamera für die abwechselnde Darstellung von Tafel- und Textbild. Für die Grundschule sei diese Möglichkeit ausreichend. Auch aus Kostengründen sei ein Zweikamerasystem nicht beantragt worden. Auf Grund der steigenden Textfülle und der zunehmenden Anforderung an die Arbeitsgeschwindigkeit sei die Klägerin künftig auf die zweite Kamera angewiesen, um dem Unterricht ohne großen Zeitverlust folgen zu können. Die Sony EVI Kamera habe eine eigene Fernbedienung zur Steuerung von Zoom und Schwenkrichtung. Die Clearnotekamera lasse sich per Knopfdruck leicht umschalten. Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme bei Dr. F, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) vom 23.01.2009 ein, der ausführte, wenn das Schulkind eine Sehbehindertensonderschule besuche, sei nicht die Krankenkasse, sondern der Schulträger leistungspflichtig und habe alle erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Verbandsgemeinde B mit Schreiben vom 30.03.2009 mit, als Träger der Grundschule N beteilige sie sich nicht an den Kosten für das beantragte Bildschirmlesegeräte. Sie habe sich bereits im Jahr 2005 an den Kosten für die Beschaffung eines Bildschirmlesegerätes für die Klägerin mit einem Kostenbeitrag in Höhe von 826,87 EUR beteiligt. Auch im Hinblick auf den Wechsel der Klägerin zur Wschule G mit Beginn des Schuljahres 2009/2010 werde keine Veranlassung für ein weiteres finanzielles Engagement gesehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen des § 33 SGB V seien nicht erfüllt, da es sich bei der Kamera Sony EVI-D70 um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Hiergegen hat die Klägerin am 23.07.2009 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte hätte gemäß § 14 SGB IX auch prüfen müssen, ob ein Anspruch auf Gewährung der Leistung im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 12 (Hilfe zur angemessenen Schulbildung) SGB XII bestehe. Durch Urteil vom 14.01.2010 hat das Sozialgericht Koblenz die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät Sony EVI-D70 als Tafelkamera zu versorgen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der beantragten Tafelkamera handele sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V, das in die Leistungspflicht der Beklagten falle. Die Klägerin, die die Regelschule (Realschule) besuche, bedürfe, um dem Unterricht folgen zu können, des bereits vorhandenen Bildschirmlesegerätes. Dieses sei aber nicht ausreichend, um den Behinderungsausgleich im Bereich des Grundbedürfnisses zu erzielen und ihr den Erwerb grundlegenden Schulwissens zu ermöglichen. Hierfür bedürfe es der Ausrüstung des Bildschirmlesegeräts mit einer zweiten Kamera, wie die Klägerin für das Gericht überzeugend dargelegt habe. Sinn dieser Hilfsmittelversorgung sei es, das dann vorhandene Bildschirmlesegerät mit einer Kamera auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera das Geschriebene an der Schultafel zu erfassen und über das Bildschirmlesegerät in einer für die Klägerin geeigneten Form auszugeben. Es sei für das Gericht nachvollziehbar, dass das Umschalten zwischen dem Lesebereich auf dem Arbeitsplatz und der Tafel mit dem jeweils erforderlichen Einjustieren der Kamera zu lange dauere und die Klägerin dadurch gehindert sei, in dem erforderlichen Maße dem Unterricht zu folgen. Bei der begehrten Kamera handele es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Klägerin begehre die Kamera nicht als isoliertes Hilfsmittel, sondern als zweite Kamera im Rahmen des vorhandenen Kameralesesystems. Bei der Beurteilung der Hilfsmitteleigenschaft sei auf das Bildschirmlesegerät mit zwei Kameras abzustellen, nicht aber auf die jeweils einzelne Kamera, die Bestandteil des Systems sei.
Hiergegen hat die Beklagte am 11.02.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, bei der beantragten Kamera handele es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sie sei weder speziell für Kranke und Behinderte konstruiert worden noch werde sie ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt. Es handele sich um eine Webcam, die von jedermann für Bildschirmkonferenzen, Video-Chats oder beliebige sonstige Zwecke verwendet werden könne, die eine Bildübertragung per Internet oder Intranet erforderten. Ob die Klägerin nach den für die Eingliederungshilfe des Sozialhilfeträgers geltenden Bestimmungen einen Rechtsanspruch auf die beantragte Kamera habe, könne sie, die Beklagte, nicht beurteilen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, die Hilfsmittelerweiterung sei erforderlich, um ihr die Teilnahme am Schulunterricht im Rahmen der Erfüllung der Schulpflicht zu ermöglichen. Nur auf Grund der Tatsache, dass sie aktuell ein provisorisches Leihgerät nutzen könne, das aber technisch nicht mehr in einem einwandfreien und ausreichend funktionstauglichen Zustand sei, sei die Teilnahme am Schulunterricht überhaupt noch möglich. Wenn eine "materiell-rechtliche" Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestehen würde, sei es der Beklagten ohne Weiteres zuzumuten, ihre Ansprüche gegenüber dem Sozialhilfeträger in einem eigenen Erstattungsstreitverfahren geltend zu machen. Leistungen im Rahmen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung oder der medizinischen Rehabilitation seien gemäß § 92 Abs. 2 Nummern 2 und 5 SGB XII unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu erbringen.
Der Beigeladene macht geltend, Leistungen der Sozialhilfe seien gemäß § 2 SGB XII gegenüber allen sonstigen Ansprüchen nachrangig. Nach § 74 Abs. 3 des Schulgesetzes Rheinland-Pfalz (SchulG) stelle der kommunale Schulträger neben dem Verwaltungs- und Hilfspersonal den Sachbedarf der Schule bereit und trage die hiermit verbundenen Kosten. Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG seien die Kosten für die Beschaffung und laufende Unterhaltung des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen Sachbedarfs vom kommunalen Schulträger zu übernehmen.
Der Senat hat eine Auskunft bei der Firma E GmbH vom 10.05.2010 eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die Kamera sei von Sony für Anwendungen außerhalb des Behindertenbereichs entwickelt worden. Für die Klägerin bringe der Einsatz der Fernkamera in Verbindung mit dem vorhandenen System eine deutliche Erleichterung und einen Geschwindigkeitsgewinn zur Erfüllung der Aufgaben in einer Regelschule (Bl. 89 f PA). Der Schulleiter der Wschule, Realschule plus, G Integrative Realschule, hat auf Anfrage mit Schreiben vom 07.09.2010 mitgeteilt, die von der Klägerin begehrte Kamera könne nicht seitens der Schule vorgehalten werden, da mit der Anschaffung 50 % des Budgets erschöpft wären.
Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört sowie die Lehrerin G B und den Förderschullehrer H W als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine zweite Kamera zur Ergänzung des vorhandenen Bildschirmlesesystem. Zwar steht ihr kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Kamera gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 33 Abs. 1 SGB V zu, sie hat jedoch einen Anspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII (Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung).
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Für die Abgrenzung zum allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens kommt es darauf an, ob das Mittel spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dient. Gegenstände, die regelmäßig auch von Gesunden benutzt werden, fallen nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Zur Ermittlung der Eigenschaft als Hilfsmittel der Krankenversicherung ist danach allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (Urteil des erkennenden Senats vom 18.02.2010 L 5 KR 146/09, juris, Rdnr. 14 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist die begehrte Kamera als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu qualifizieren. Wie sich aus der Auskunft der Firma E GmbH vom 10.05.2010 ergibt, wurde die Kamera nicht für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt. Sie wird auch nicht überwiegend von Behinderten genutzt. Der Umstand, dass die Klägerin die Kamera in Verbindung mit dem vorhandenen Kameralesesystem nutzt, rechtfertigt nicht die Einstufung als Hilfsmittel. Ein Anspruch nach § 33 Abs. 1 SGB V scheidet daher aus.
Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und so lange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin unstreitig erfüllt. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Gemäß § 12 Nr. 2 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch Maßnahmen zu Gunsten körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern. Die Hilfe darf nur dann gewährt werden, wenn die Fähigkeiten und Leistungen des Behinderten erwarten lassen, dass er das Bildungsziel erreichen wird (vgl. im Einzelnen Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 54 Rdnr. 21 m.w.N.). Zwar wird ein Mittel wie die begehrte Kamera nicht in § 12 EinglHV ausdrücklich genannt, im vorliegenden Fall ist die Kamera aber erforderlich, damit die Klägerin eine angemessene Schulbildung erreichen kann. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung demonstriert hat, verliert sie bei Verwendung der vorhandenen Kamera durch ständiges Wechseln der Einstellung und Suchen des Textes im Schulunterricht zu viel Zeit. Durch den Einsatz der beantragten zweiten Kamera hat sie die Möglichkeit, das vorhandene Bildschirmlesesystem mit einer Kamera auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera den an der Schultafel geschriebenen Text zu erfassen. Die Zeugin G B , die die Klägerin unterrichtet, hat glaubhaft dargelegt, dass die zweite Kamera als Tafelkamera für die Klägerin notwendig ist, um den Anschluss im Unterricht nicht zu verpassen. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin das einzige beeinträchtigte Kind in der Klasse ist und es sich bei der Wschule um eine Regelschule handelt. Schließlich hat auch der Zeuge W, der als Förderschullehrer für die Betreuung von Sehbehinderten an Regelschulen zuständig ist, eingehend und überzeugend dargelegt, dass das vorhandene Bildschirmlesegerät Clearnote für den Schulunterricht der Klägerin in der Realschule nicht ausreichend ist. Danach bestehen keine Zweifel daran, dass die beantragte zweite Kamera als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung notwendig ist.
Bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu ist gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII den in § 19 Abs. 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Die Leistung ist nach Satz 2 ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen.
Einem Anspruch steht auch nicht der Grundsatz der Nachrangs der Sozialhilfe entgegen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen und von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach Abs. 2 bleiben Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Vorliegend erhält die Klägerin die erforderliche Hilfe nicht von anderen; sie kann sich auch nicht selbst helfen. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen kann die Klägerin auch nicht auf einen Anspruch gegen den Schulträger verwiesen werden. Nach § 74 Abs. 3 SchulG stellt der kommunale Schulträger, soweit dieses Gesetz nichts Anderes bestimmt, u. a. den Sachbedarf der Schule bereit und trägt die hiermit verbundenen Kosten. Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG sind Kosten nach § 74 Abs. 3 SchulG insbesondere die Aufwendungen für die Beschaffung und laufende Unterhaltung des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen Sachbedarfs (z. B. integrierte Fördermaßnahmen). Hieraus ergibt sich kein Anspruch der Klägerin gegen den Träger der Regelschule, die die Klägerin zwischenzeitlich besucht, auf Bereitstellung der begehrten Kamera. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Schule sich in ihrem Briefkopf als "Integrative Realschule" bezeichnet, ist klarzustellen, dass sich dieser Begriff vorliegend nicht auf die Integration behinderter Schüler bezieht (vgl. auch § 10a SchulG). Unabhängig davon, dass ein Anspruch der Klägerin gegen den Schulträger nicht besteht, ist anzumerken, dass dieser wie sich aus der Auskunft der Schule vom 07.09.2010 ergibt eine zweite Kamera tatsächlich nicht zur Verfügung stellt (vgl. hierzu BVerwG 02.09.2003 5 B 259/02, juris Rn. 14). Nach alledem greift der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegen der Auffassung des Beigeladenen nicht ein, die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind erfüllt. Die Auswahl zwischen verschiedenen geeigneten Systemen bleibt dem Leistungsträger überlassen.
Gemäß § 14 SGB IX ist zunächst die Beklagte zur Gewährung der Leistung zuständig. Der Beigeladene, bei dem die Klägerin den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe gestellt hatte, hat den Antrag gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX fristgemäß an die Beklagte weitergeleitet. Durch die Weiterleitung des Antrags wurde die (vorläufige) gesetzliche Zuständigkeit der Beklagten begründet. Im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin endgültig zuständig (vgl. z. B. BSG 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R, juris, Rn. 15 m. w. N.). Die Beklagte hat gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX die Möglichkeit, einen Erstattungsanspruch gegen den "eigentlich" zuständigen Beigeladenen geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der Kamera "Sony EVI-D70" im Rahmen eines vorhandenen Kameralesesystems.
Bei der 1998 geborenen Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, besteht eine an Blindheit grenzende hochgradige Sehschwäche. Sie besucht seit Beginn des Schuljahres 2009/2010 die Wschule G ("Realschule plus") und ist mit einem mobilen Bildschirmlesegerät "Clearnote" der Firma T mit einer schwenkbaren Tafelkamera zur Darstellung von Tafel und Textbild versorgt. Mit Schreiben vom 10.11.2008 beantragte sie bei dem Beigeladenen die Gewährung von Eingliederungshilfe zur Finanzierung einer Tafelkamera. Sie legte einen Arztbrief des Augenarztes Dr. G vom 02.07.2008 vor, in der der Visus mit eigener Brille rechts mit 1/20 und links mit 0,05 angegeben wird. Beigefügt waren ein Kostenvoranschlag der Firma E GmbH für die "Tafelkamera Sony EVI-D70" zum Preis von 1.299,48 EUR und ein Angebot für die Installation der Tafelkamera in Höhe von 535,50 EUR sowie ein Kostenvoranschlag der Firma T für eine "EVI-Kamera Pan Tilt" einschließlich Installation und Grundeinweisung in Höhe von 2.401,42 EUR. Mit Schreiben vom 19.11.2008 leitete der Beigeladene das Schreiben an die Beklagte weiter und führte aus, nach Rücksprache mit der Klägerin handele es sich nicht um eine stationäre Tafelkamera. Beantragt werde eine mobile Kamera mit Schwenk-, Neige- und Zoom-Funktion. Hiermit wäre erst die vollständige Aufzeichnung aller Unterrichtsmaterialien, z.B. geographischer Karten, Bücher, Zeichnungen, möglich. Diese mobile und schwenkbare Kamera stelle gegenüber der bereits installierten stationären Tafelkamera ein neues Hilfsmittel dar und falle in den Leistungskatalog der Beklagten. Auf Grund des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nach § 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) werde der Antrag gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) weitergeleitet. Mit Bescheid vom 25.11.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und wies darauf hin, dass sie der Klägerin am 08.12.2004 ein Bildschirmlesegerät für zu Hause leihweise bewilligt und sich am 19.10.2005 an den Kosten einer Tafelkamera analog eines herkömmlichen Bildschirmlesegerätes in Höhe von 2.030,00 EUR für den Schulbesuch beteiligt habe. Bei dem vorhandenen Clearnote handele es sich um ein mobiles Tafelkamerasystem. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin ein Schreiben des Förderschullehrers W Landesschule für Blinde und Sehbehinderte, vom 06.12.2008 vor, der mitteilte, die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt noch die Grundschule besuchte, sei auf starken Kontrast und gute Beleuchtung angewiesen. Das Clearnote sei ausgewählt worden, da es ausbaufähig für die weiterführende Schule sei. Es beständen Anschlussmöglichkeiten für ein Notebook und für eine eigene Tafelkamera. Auf dem Notebook lasse sich das Kamerabild darstellen und zur Weiterbearbeitung speichern. Das Bildschirmlesegerät Clearnote habe eine Schwenkkamera für die abwechselnde Darstellung von Tafel- und Textbild. Für die Grundschule sei diese Möglichkeit ausreichend. Auch aus Kostengründen sei ein Zweikamerasystem nicht beantragt worden. Auf Grund der steigenden Textfülle und der zunehmenden Anforderung an die Arbeitsgeschwindigkeit sei die Klägerin künftig auf die zweite Kamera angewiesen, um dem Unterricht ohne großen Zeitverlust folgen zu können. Die Sony EVI Kamera habe eine eigene Fernbedienung zur Steuerung von Zoom und Schwenkrichtung. Die Clearnotekamera lasse sich per Knopfdruck leicht umschalten. Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme bei Dr. F, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) vom 23.01.2009 ein, der ausführte, wenn das Schulkind eine Sehbehindertensonderschule besuche, sei nicht die Krankenkasse, sondern der Schulträger leistungspflichtig und habe alle erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Verbandsgemeinde B mit Schreiben vom 30.03.2009 mit, als Träger der Grundschule N beteilige sie sich nicht an den Kosten für das beantragte Bildschirmlesegeräte. Sie habe sich bereits im Jahr 2005 an den Kosten für die Beschaffung eines Bildschirmlesegerätes für die Klägerin mit einem Kostenbeitrag in Höhe von 826,87 EUR beteiligt. Auch im Hinblick auf den Wechsel der Klägerin zur Wschule G mit Beginn des Schuljahres 2009/2010 werde keine Veranlassung für ein weiteres finanzielles Engagement gesehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen des § 33 SGB V seien nicht erfüllt, da es sich bei der Kamera Sony EVI-D70 um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Hiergegen hat die Klägerin am 23.07.2009 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte hätte gemäß § 14 SGB IX auch prüfen müssen, ob ein Anspruch auf Gewährung der Leistung im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 12 (Hilfe zur angemessenen Schulbildung) SGB XII bestehe. Durch Urteil vom 14.01.2010 hat das Sozialgericht Koblenz die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät Sony EVI-D70 als Tafelkamera zu versorgen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der beantragten Tafelkamera handele sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V, das in die Leistungspflicht der Beklagten falle. Die Klägerin, die die Regelschule (Realschule) besuche, bedürfe, um dem Unterricht folgen zu können, des bereits vorhandenen Bildschirmlesegerätes. Dieses sei aber nicht ausreichend, um den Behinderungsausgleich im Bereich des Grundbedürfnisses zu erzielen und ihr den Erwerb grundlegenden Schulwissens zu ermöglichen. Hierfür bedürfe es der Ausrüstung des Bildschirmlesegeräts mit einer zweiten Kamera, wie die Klägerin für das Gericht überzeugend dargelegt habe. Sinn dieser Hilfsmittelversorgung sei es, das dann vorhandene Bildschirmlesegerät mit einer Kamera auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera das Geschriebene an der Schultafel zu erfassen und über das Bildschirmlesegerät in einer für die Klägerin geeigneten Form auszugeben. Es sei für das Gericht nachvollziehbar, dass das Umschalten zwischen dem Lesebereich auf dem Arbeitsplatz und der Tafel mit dem jeweils erforderlichen Einjustieren der Kamera zu lange dauere und die Klägerin dadurch gehindert sei, in dem erforderlichen Maße dem Unterricht zu folgen. Bei der begehrten Kamera handele es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Klägerin begehre die Kamera nicht als isoliertes Hilfsmittel, sondern als zweite Kamera im Rahmen des vorhandenen Kameralesesystems. Bei der Beurteilung der Hilfsmitteleigenschaft sei auf das Bildschirmlesegerät mit zwei Kameras abzustellen, nicht aber auf die jeweils einzelne Kamera, die Bestandteil des Systems sei.
Hiergegen hat die Beklagte am 11.02.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, bei der beantragten Kamera handele es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sie sei weder speziell für Kranke und Behinderte konstruiert worden noch werde sie ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt. Es handele sich um eine Webcam, die von jedermann für Bildschirmkonferenzen, Video-Chats oder beliebige sonstige Zwecke verwendet werden könne, die eine Bildübertragung per Internet oder Intranet erforderten. Ob die Klägerin nach den für die Eingliederungshilfe des Sozialhilfeträgers geltenden Bestimmungen einen Rechtsanspruch auf die beantragte Kamera habe, könne sie, die Beklagte, nicht beurteilen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, die Hilfsmittelerweiterung sei erforderlich, um ihr die Teilnahme am Schulunterricht im Rahmen der Erfüllung der Schulpflicht zu ermöglichen. Nur auf Grund der Tatsache, dass sie aktuell ein provisorisches Leihgerät nutzen könne, das aber technisch nicht mehr in einem einwandfreien und ausreichend funktionstauglichen Zustand sei, sei die Teilnahme am Schulunterricht überhaupt noch möglich. Wenn eine "materiell-rechtliche" Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestehen würde, sei es der Beklagten ohne Weiteres zuzumuten, ihre Ansprüche gegenüber dem Sozialhilfeträger in einem eigenen Erstattungsstreitverfahren geltend zu machen. Leistungen im Rahmen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung oder der medizinischen Rehabilitation seien gemäß § 92 Abs. 2 Nummern 2 und 5 SGB XII unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu erbringen.
Der Beigeladene macht geltend, Leistungen der Sozialhilfe seien gemäß § 2 SGB XII gegenüber allen sonstigen Ansprüchen nachrangig. Nach § 74 Abs. 3 des Schulgesetzes Rheinland-Pfalz (SchulG) stelle der kommunale Schulträger neben dem Verwaltungs- und Hilfspersonal den Sachbedarf der Schule bereit und trage die hiermit verbundenen Kosten. Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG seien die Kosten für die Beschaffung und laufende Unterhaltung des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen Sachbedarfs vom kommunalen Schulträger zu übernehmen.
Der Senat hat eine Auskunft bei der Firma E GmbH vom 10.05.2010 eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die Kamera sei von Sony für Anwendungen außerhalb des Behindertenbereichs entwickelt worden. Für die Klägerin bringe der Einsatz der Fernkamera in Verbindung mit dem vorhandenen System eine deutliche Erleichterung und einen Geschwindigkeitsgewinn zur Erfüllung der Aufgaben in einer Regelschule (Bl. 89 f PA). Der Schulleiter der Wschule, Realschule plus, G Integrative Realschule, hat auf Anfrage mit Schreiben vom 07.09.2010 mitgeteilt, die von der Klägerin begehrte Kamera könne nicht seitens der Schule vorgehalten werden, da mit der Anschaffung 50 % des Budgets erschöpft wären.
Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört sowie die Lehrerin G B und den Förderschullehrer H W als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine zweite Kamera zur Ergänzung des vorhandenen Bildschirmlesesystem. Zwar steht ihr kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Kamera gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 3, 33 Abs. 1 SGB V zu, sie hat jedoch einen Anspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII (Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung).
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Für die Abgrenzung zum allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens kommt es darauf an, ob das Mittel spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dient. Gegenstände, die regelmäßig auch von Gesunden benutzt werden, fallen nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Zur Ermittlung der Eigenschaft als Hilfsmittel der Krankenversicherung ist danach allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (Urteil des erkennenden Senats vom 18.02.2010 L 5 KR 146/09, juris, Rdnr. 14 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist die begehrte Kamera als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu qualifizieren. Wie sich aus der Auskunft der Firma E GmbH vom 10.05.2010 ergibt, wurde die Kamera nicht für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt. Sie wird auch nicht überwiegend von Behinderten genutzt. Der Umstand, dass die Klägerin die Kamera in Verbindung mit dem vorhandenen Kameralesesystem nutzt, rechtfertigt nicht die Einstufung als Hilfsmittel. Ein Anspruch nach § 33 Abs. 1 SGB V scheidet daher aus.
Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und so lange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin unstreitig erfüllt. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Gemäß § 12 Nr. 2 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch Maßnahmen zu Gunsten körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern. Die Hilfe darf nur dann gewährt werden, wenn die Fähigkeiten und Leistungen des Behinderten erwarten lassen, dass er das Bildungsziel erreichen wird (vgl. im Einzelnen Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 54 Rdnr. 21 m.w.N.). Zwar wird ein Mittel wie die begehrte Kamera nicht in § 12 EinglHV ausdrücklich genannt, im vorliegenden Fall ist die Kamera aber erforderlich, damit die Klägerin eine angemessene Schulbildung erreichen kann. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung demonstriert hat, verliert sie bei Verwendung der vorhandenen Kamera durch ständiges Wechseln der Einstellung und Suchen des Textes im Schulunterricht zu viel Zeit. Durch den Einsatz der beantragten zweiten Kamera hat sie die Möglichkeit, das vorhandene Bildschirmlesesystem mit einer Kamera auf den Arbeitsplatz auszurichten und mit der zweiten Kamera den an der Schultafel geschriebenen Text zu erfassen. Die Zeugin G B , die die Klägerin unterrichtet, hat glaubhaft dargelegt, dass die zweite Kamera als Tafelkamera für die Klägerin notwendig ist, um den Anschluss im Unterricht nicht zu verpassen. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin das einzige beeinträchtigte Kind in der Klasse ist und es sich bei der Wschule um eine Regelschule handelt. Schließlich hat auch der Zeuge W, der als Förderschullehrer für die Betreuung von Sehbehinderten an Regelschulen zuständig ist, eingehend und überzeugend dargelegt, dass das vorhandene Bildschirmlesegerät Clearnote für den Schulunterricht der Klägerin in der Realschule nicht ausreichend ist. Danach bestehen keine Zweifel daran, dass die beantragte zweite Kamera als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung notwendig ist.
Bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu ist gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII den in § 19 Abs. 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Die Leistung ist nach Satz 2 ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen.
Einem Anspruch steht auch nicht der Grundsatz der Nachrangs der Sozialhilfe entgegen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen und von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach Abs. 2 bleiben Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Vorliegend erhält die Klägerin die erforderliche Hilfe nicht von anderen; sie kann sich auch nicht selbst helfen. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen kann die Klägerin auch nicht auf einen Anspruch gegen den Schulträger verwiesen werden. Nach § 74 Abs. 3 SchulG stellt der kommunale Schulträger, soweit dieses Gesetz nichts Anderes bestimmt, u. a. den Sachbedarf der Schule bereit und trägt die hiermit verbundenen Kosten. Nach § 75 Abs. 2 Nr. 8 SchulG sind Kosten nach § 74 Abs. 3 SchulG insbesondere die Aufwendungen für die Beschaffung und laufende Unterhaltung des für sonderpädagogische Maßnahmen erforderlichen besonderen Sachbedarfs (z. B. integrierte Fördermaßnahmen). Hieraus ergibt sich kein Anspruch der Klägerin gegen den Träger der Regelschule, die die Klägerin zwischenzeitlich besucht, auf Bereitstellung der begehrten Kamera. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Schule sich in ihrem Briefkopf als "Integrative Realschule" bezeichnet, ist klarzustellen, dass sich dieser Begriff vorliegend nicht auf die Integration behinderter Schüler bezieht (vgl. auch § 10a SchulG). Unabhängig davon, dass ein Anspruch der Klägerin gegen den Schulträger nicht besteht, ist anzumerken, dass dieser wie sich aus der Auskunft der Schule vom 07.09.2010 ergibt eine zweite Kamera tatsächlich nicht zur Verfügung stellt (vgl. hierzu BVerwG 02.09.2003 5 B 259/02, juris Rn. 14). Nach alledem greift der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegen der Auffassung des Beigeladenen nicht ein, die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind erfüllt. Die Auswahl zwischen verschiedenen geeigneten Systemen bleibt dem Leistungsträger überlassen.
Gemäß § 14 SGB IX ist zunächst die Beklagte zur Gewährung der Leistung zuständig. Der Beigeladene, bei dem die Klägerin den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe gestellt hatte, hat den Antrag gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX fristgemäß an die Beklagte weitergeleitet. Durch die Weiterleitung des Antrags wurde die (vorläufige) gesetzliche Zuständigkeit der Beklagten begründet. Im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin endgültig zuständig (vgl. z. B. BSG 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R, juris, Rn. 15 m. w. N.). Die Beklagte hat gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX die Möglichkeit, einen Erstattungsanspruch gegen den "eigentlich" zuständigen Beigeladenen geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Login
RPF
Saved