Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 17 AS 1503/10 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 687/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Erwerber eines zwischen dem Erbfall und dem Eintritt des Nacherbfalls übertragenen Nacherbenanwartschaftsrechts tritt im Moment des Nacherbfalls unmittelbar – also ohne Durchgangserwerb des vom Erblasser ursprünglich eingesetzten Nacherben – in die Rechtsstellung des Nacherben ein. Der Nacherbe wird damit zu keinem Zeitpunkt Vermögensinhaber am Nachlass.
2. Ist ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich, ist er auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht auf das ihm zur Verfügung stehende, aber gesetzlich geschützte Schonvermögen zu verweisen.
2. Ist ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich, ist er auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht auf das ihm zur Verfügung stehende, aber gesetzlich geschützte Schonvermögen zu verweisen.
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. November 2010 abgeändert und der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig - längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - ab 1.Oktober 2010 bis 30. April 2011 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes.
Die 1947 geborene Antragstellerin zu 1) und der 1948 geborene Antragsteller zu 2) sind Eigentümer einer selbst bewohnten Doppelhaushälfte in A-Stadt mit einer Grundstücksfläche von 278 qm und einer Wohnfläche von 107 qm. Aus der Vermietung einer Einliegerwohnung erhalten sie laut Mietvertrag vom 31.03.2005 Mieteinnahmen in Höhe von monatlich 153,00 Euro. Ende Juli 2010 besaßen die Antragsteller zudem Vermögen in Form eines Depots und Girokontoguthabens in Höhe von ca. 11.500,00 Euro.
Der Antragsteller zu 2) war zusammen mit seiner Schwester C. nach der als Vorerbin bestimmten Mutter Nacherbe am Nachlass seines Vaters. Mit notariell beglaubigtem Darlehensvertrag vom 16.05.1989 gewährte die Schwester des Antragstellers zu 2) den Antragstellern ein Darlehen in Höhe von 70.000,00 DM, verzinslich mit 2 % p.a. über dem Diskontsatz der X-bank. Die Rückzahlung war ab dem 15.01.1993 in monatlichen Raten a´ 500,00 DM vereinbart. Zur Sicherung des Darlehens übertrug der Antragsteller zu 2) sein sich aus seiner Nacherbenstellung ergebendes Anwartschaftsrecht am Erbe des Vaters auf die Darlehensgeberin. Die zunächst in das Grundbuch eingetragene Abtretung wurde am 22.07.2009 gelöscht. Die Mutter des Antragstellers zu 2) verstarb 2009, worauf der Antragsteller zu 2) und seine Schwester laut Erbschein vom 2009 Erben zu jeweils ½ wurden. Sie verkauften das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 01.07.2010 zu einem Preis von 207.000,00 Euro.
Der Antragsteller zu 2) bezog bis zum 09.10.2009 Arbeitslosengeld. Am 29.09.2009 beantragte er zusammen mit der Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mit Bescheiden vom 12.03.2010 gewährte der Antragsgegner ab dem 29.09.2009 bis 30.09.2010 darlehensweise Leistungen; für den Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2010 unter der Auflage der Eintragung einer brieflosen Grundschuld als Sicherungsleistung im Grundbuch. Am 24.07.2010 beantragten die Antragsteller die Weitergewährung von SGB II-Leistungen über den 30.09.2010 hinaus.
Mit Bescheid vom 10.8.2010 hob der Antragsgegner die bisher erfolgte Hilfegewährung für beide Antragsteller nach § 48 SGB X auf und stellte die Leistung ab dem 1.9.2010 ein. Durch den Verkauf des geerbten Grundeigentums sei ein Erlös von 207.000,00 EUR erzielt worden, wovon die Hälfte auf die Antragsteller entfalle. Außerdem bestehe weiteres Vermögen in Höhe von 20.549,66 EUR. Insgesamt verfügten die Antragsteller damit über ein Vermögen in Höhe von 124.049,66 EUR. Die Vermögensfreigrenze liege bei 42.890,00 EUR, so dass 81.159,66 EUR ungeschütztes Vermögen vorhanden seien.
Die Antragsteller legten hiergegen Widerspruch ein, da hinsichtlich des geerbten Hausgrundstücks kein verwertbares Vermögen vorliege. Der Antragsteller zu 2) habe sich gemäß notariellem Vertrag verpflichtet, das Erbe nach dem Tod der Eltern auf seine Schwester zum Ausgleich für das gewährte Darlehen zu übertragen.
Am 20.09.2010 haben die Antragsteller einen Antrag auf gerichtlichen Eilrechtsschutz beim Sozialgericht Frankfurt am Main gestellt. Der Kaufpreis aus dem Verkauf des Grundstückes aus dem Nachlass der Eltern werde direkt an seine Schwester gezahlt, da er selbst im Hinblick auf den notariellen Darlehensvertrag aus dem Jahr 1989 hierauf keine Ansprüche mehr geltend machen könne. Die Verzinsung des Darlehensbetrags von 70.000,00 DM (35.790,43 Euro) ergebe zum 30.06.2010 eine Verschuldung von 118.277,54 Euro. Die Antragsteller haben eine Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers zu 2) und seiner Schwester zu den Akten gereicht, wonach beide versichern, dass die Darlehensforderung aus der notariellen Urkunde von 1989 bis zum Zeitpunkt der Erbschaft nach dem Tod der Mutter nicht getilgt war. Der Grundbucheintrag zur Absicherung der Darlehensschuld sei auf Anraten des Notars aus Kostengründen nach dem Tod der Mutter gelöscht worden.
Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass die im Grundbuch eingetragene Abtretung aus dem Grundbuch gelöscht worden sei. Insoweit handele es sich nun um eine rein schuldrechtliche Verpflichtung. Da nur die aktiven Vermögenswerte beachtlich seien und keine Bilanzierung mit passiven Vermögenswerten erfolge, müssten die Antragsteller den Kaufpreis aus dem Hausverkauf zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts nutzen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 12.11.2010, zugestellt am 18.11.2010, abgelehnt. Ein Anordnungsgrund im Sinne einer dringlichen existenziellen Notlage liege im Hinblick auf das bestehende Vermögen der Antragsteller nicht vor. Ende Juli 2010 habe nach den Angaben der Antragsteller noch Vermögen in Form eines Depots und Girokontoguthabens in Höhe von 11.500,00 Euro vorgelegen. Hiermit könne der Bedarf der Antragsteller längere Zeit gedeckt werden. Durch die Verwertung ihres Schonvermögens entstünden keine schwerwiegenden nicht zu korrigierenden Nachteile.
Hiergegen richtet sich die am 22. Dezember 2010 eingegangene Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht. Das Gericht hat den Teil der Klage, der sich auf den Zeitraum vom 20.09.2010 bis 30.09.2010 bezog und als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 17.08.2010 gegen den Bescheid vom 10.08.2010 auszulegen war, abgetrennt. Das Verfahren wird nun unter dem Az.: L 7 AS 125/11 ER geführt.
Die Antragsteller tragen vor, es bestehe nur noch ein Fondsvermögen laut Aufstellung vom 03.10.2010 in Höhe von 5.581,37 Euro sowie eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 3.645,62 Euro (zum 12.11.2010) und ein Girokontoguthaben mit 226,14 Euro. Der Verweis auf das den Antragstellern noch verbliebene Schonvermögen entspreche nicht der gesetzgeberischen Intension des SGB II und verletzte sie in ihrer Menschenwürde. Ihre Handlungsfreiheit werde unzulässig beschränkt und ein Zinsverlust nicht ausgeglichen.
Sie beantragen (sinngemäß),
den Beschluss des SG Frankfurt am Main vom 12.11.2010 abzuändern und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab 01.10.2010,
hilfsweise
ab Eingang der Beschwerde Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe,
hilfsweise
auf Darlehensbasis, bis zum Ablauf von 6 Monaten nach der Beschwerdeentscheidung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich vollinhaltlich auf den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Frankfurt. Darüber hinaus sei die behauptete schuldrechtliche Verpflichtung gegenüber der Schwester des Antragstellers zu 2) nicht anzuerkennen, da im SGB II keine Bilanzierung von aktivem und passivem Vermögen erfolge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des SG Frankfurt (Az.: S 17 AS 1503/10 ER) sowie den Inhalt der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in LPK–SGB II, 2. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 117).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Senat, 29.6.2005 - L 7 AS 1/05 ER - info also 2005, 169; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a mwN.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166 unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60 (80)). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (Senat, 27.7.2005 – L 7 AS 18/05 ER).
Die Antragsteller haben das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als Arbeitslosengeld II insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Diese Voraussetzungen liegen im Wesentlichen unstreitig vor. Streitig ist die Frage, ob ½ des Erlöses aus dem Verkauf des geerbten Hausgrundstückes im Wert von 103.500,00 Euro als Vermögen des Antragstellers zu berücksichtigen ist und damit ein die Freibeträge des § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II übersteigendes Vermögen der Antragsteller vorliegt. Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 2 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vermögen ist die Summe der gesamten aktiven Vermögenswerte, wogegen die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten erst bei der Frage der Verwertbarkeit des Vermögens zu berücksichtigen ist (Mecke in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 14). Nicht zum Vermögen des Hilfebedürftigen gehören Ansprüche, die er bereits vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Leistungsbewilligung oder der Wiederbewilligung abgetreten hat. Denn im Fall der Abtretung nach § 389 BGB tritt der neue Gläubiger an die Stelle des alten Gläubigers und die abgetretene Forderung scheidet damit aus dem Vermögen des bisherigen Gläubigers aus (Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 389 Rn. 2; Mecke in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 23; Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 3 12 Rn. 9).
Der Antragsteller zu 2) ist zu keinem Zeitpunkt Eigentümer am Grundstück seiner Eltern geworden und hat auch keinen Anspruch auf ½ des Preises aus dem Verkauf des Grundstücks. Durch die Abtretung des Anwartschaftsrechts als Nacherbe am Nachlass seines Vaters an seine Schwester ist der Erbteil des Antragstellers zu 2) mit dem Tod der als Vorerbin eingesetzten Mutter unmittelbar auf seine Schwester übergegangen. Denn der Erwerber eines zwischen dem Erbfall und dem Eintritt des Nacherbfalls übertragenen Nacherbenanwartschaftsrechts tritt im Moment des Nacherbfalls unmittelbar – also ohne Durchgangserwerb des vom Erblasser ursprünglich eingesetzten Nacherben – in die Rechtsstellung des Nacherben ein (OLG Braunschweig, Beschluss v. 27.01.2004, 2 W 249/03; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 02.11.1990, 3 Wx 391/90; MünchKomm./Grunsky, 4. Aufl. 2005, § 2100 Rdnr. 30). Ungeachtet dessen wird aber nicht der rechtsgeschäftliche Erwerber, sondern der vom Erblasser eingesetzte (Mit )Nacherbe im Erbschein als Erbe ausgewiesen, wodurch der Erbschein, der auch nach der Übertragung des Anwartschaftsrechts den ursprünglich eingesetzten Nacherben weiterhin als Nacherben bzw. – nach Eintritt des Nacherbfalls – als Erben ausweist, bezogen auf die Rechtsinhaberschaft materiell-rechtlich unrichtig ist (OLG Braunschweig, Beschluss v. 27.01.2004, 2 W 249/03; OLG Düsseldorf, MDR 1981, 143).
Die Zulässigkeit der Übertragung des Anwartschaftsrechts durch den Nacherben ist allgemein anerkannt. Wegen der Rechtsähnlichkeit zum Miteigentum ist eine notarielle Beurkundung notwendig (vgl. Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 2100, Rn. 14), die eingehalten worden ist. Damit ist die Schwester des Antragstellers zu 2) mit dem Tod der Mutter 2009 unmittelbar Anspruchsinhaberin am Erbteil des Antragstellers zu 2) geworden. Zu diesem Zeitpunkt war die Abtretung, die erst am 22.07.2009 gelöscht wurde, noch im Grundbuch eingetragen. Die Antragsteller haben durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung für das einstweilige Rechtsschutzverfahren ausreichend glaubhaft gemacht, dass das gesicherte Darlehen von den Antragstellern nicht zurückgeführt worden ist. Damit dürfte auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Antragstellers zu 2) gegen seine Schwester nach §§ 812 ff. BGB wegen Wegfall des Rechtsgrundes ausscheiden. Das im Übrigen bestehende Vermögen der Antragsteller liegt unter den Vermögensfreigrenzen. Der Antragstellerin steht, da sie vor dem 01.01.1948 geborenen ist, gem. § 65 Abs. 5 SGB II ein Vermögensfreibetrag von 520,00 Euro pro Lebensjahr zu, d.h. 32.240,00 Euro; dem Antragsteller 150,00 Euro pro Lebensjahr, d.h. 9.159,00 Euro, zuzüglich eines Freibetrages von 750,00 Euro für beide Antragsteller = insgesamt 42.890,00 Euro.
Da ein Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich ist, sind diese auch im einstweiligen Rechtsschutz nicht auf das ihnen zur Verfügung stehende, aber gesetzlich geschützte Schonvermögen zu verweisen. Die einstweilige Anordnung ist auf den Folgemonat der Bekanntgabe der Entscheidung beschränkt, weil im einstweiligen Rechtsschutz nur eine gegenwärtige dringliche Notlage beseitigt werden soll (Krodel, NZS 2007, 20, 21; enger, nur laufender Monat: Grieger, ZFSH/SGB 2004, 579, 585 m.w.N. zum Meinungsstand). Der Antragsgegner ist aber gehalten, über den Zeitraum hinaus bis zu einer Erledigung des Hauptsacheverfahrens im ersten Rechtszug der einstweiligen Anordnung Folge zu leisten, solange eine wesentliche Änderung der Tatsachen- oder Rechtslage nicht eintritt, um weitere Folgeverfahren zu vermeiden.
Die Kostenentscheidung berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens und beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Der Antragsgegner trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes.
Die 1947 geborene Antragstellerin zu 1) und der 1948 geborene Antragsteller zu 2) sind Eigentümer einer selbst bewohnten Doppelhaushälfte in A-Stadt mit einer Grundstücksfläche von 278 qm und einer Wohnfläche von 107 qm. Aus der Vermietung einer Einliegerwohnung erhalten sie laut Mietvertrag vom 31.03.2005 Mieteinnahmen in Höhe von monatlich 153,00 Euro. Ende Juli 2010 besaßen die Antragsteller zudem Vermögen in Form eines Depots und Girokontoguthabens in Höhe von ca. 11.500,00 Euro.
Der Antragsteller zu 2) war zusammen mit seiner Schwester C. nach der als Vorerbin bestimmten Mutter Nacherbe am Nachlass seines Vaters. Mit notariell beglaubigtem Darlehensvertrag vom 16.05.1989 gewährte die Schwester des Antragstellers zu 2) den Antragstellern ein Darlehen in Höhe von 70.000,00 DM, verzinslich mit 2 % p.a. über dem Diskontsatz der X-bank. Die Rückzahlung war ab dem 15.01.1993 in monatlichen Raten a´ 500,00 DM vereinbart. Zur Sicherung des Darlehens übertrug der Antragsteller zu 2) sein sich aus seiner Nacherbenstellung ergebendes Anwartschaftsrecht am Erbe des Vaters auf die Darlehensgeberin. Die zunächst in das Grundbuch eingetragene Abtretung wurde am 22.07.2009 gelöscht. Die Mutter des Antragstellers zu 2) verstarb 2009, worauf der Antragsteller zu 2) und seine Schwester laut Erbschein vom 2009 Erben zu jeweils ½ wurden. Sie verkauften das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 01.07.2010 zu einem Preis von 207.000,00 Euro.
Der Antragsteller zu 2) bezog bis zum 09.10.2009 Arbeitslosengeld. Am 29.09.2009 beantragte er zusammen mit der Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mit Bescheiden vom 12.03.2010 gewährte der Antragsgegner ab dem 29.09.2009 bis 30.09.2010 darlehensweise Leistungen; für den Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2010 unter der Auflage der Eintragung einer brieflosen Grundschuld als Sicherungsleistung im Grundbuch. Am 24.07.2010 beantragten die Antragsteller die Weitergewährung von SGB II-Leistungen über den 30.09.2010 hinaus.
Mit Bescheid vom 10.8.2010 hob der Antragsgegner die bisher erfolgte Hilfegewährung für beide Antragsteller nach § 48 SGB X auf und stellte die Leistung ab dem 1.9.2010 ein. Durch den Verkauf des geerbten Grundeigentums sei ein Erlös von 207.000,00 EUR erzielt worden, wovon die Hälfte auf die Antragsteller entfalle. Außerdem bestehe weiteres Vermögen in Höhe von 20.549,66 EUR. Insgesamt verfügten die Antragsteller damit über ein Vermögen in Höhe von 124.049,66 EUR. Die Vermögensfreigrenze liege bei 42.890,00 EUR, so dass 81.159,66 EUR ungeschütztes Vermögen vorhanden seien.
Die Antragsteller legten hiergegen Widerspruch ein, da hinsichtlich des geerbten Hausgrundstücks kein verwertbares Vermögen vorliege. Der Antragsteller zu 2) habe sich gemäß notariellem Vertrag verpflichtet, das Erbe nach dem Tod der Eltern auf seine Schwester zum Ausgleich für das gewährte Darlehen zu übertragen.
Am 20.09.2010 haben die Antragsteller einen Antrag auf gerichtlichen Eilrechtsschutz beim Sozialgericht Frankfurt am Main gestellt. Der Kaufpreis aus dem Verkauf des Grundstückes aus dem Nachlass der Eltern werde direkt an seine Schwester gezahlt, da er selbst im Hinblick auf den notariellen Darlehensvertrag aus dem Jahr 1989 hierauf keine Ansprüche mehr geltend machen könne. Die Verzinsung des Darlehensbetrags von 70.000,00 DM (35.790,43 Euro) ergebe zum 30.06.2010 eine Verschuldung von 118.277,54 Euro. Die Antragsteller haben eine Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers zu 2) und seiner Schwester zu den Akten gereicht, wonach beide versichern, dass die Darlehensforderung aus der notariellen Urkunde von 1989 bis zum Zeitpunkt der Erbschaft nach dem Tod der Mutter nicht getilgt war. Der Grundbucheintrag zur Absicherung der Darlehensschuld sei auf Anraten des Notars aus Kostengründen nach dem Tod der Mutter gelöscht worden.
Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass die im Grundbuch eingetragene Abtretung aus dem Grundbuch gelöscht worden sei. Insoweit handele es sich nun um eine rein schuldrechtliche Verpflichtung. Da nur die aktiven Vermögenswerte beachtlich seien und keine Bilanzierung mit passiven Vermögenswerten erfolge, müssten die Antragsteller den Kaufpreis aus dem Hausverkauf zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts nutzen.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 12.11.2010, zugestellt am 18.11.2010, abgelehnt. Ein Anordnungsgrund im Sinne einer dringlichen existenziellen Notlage liege im Hinblick auf das bestehende Vermögen der Antragsteller nicht vor. Ende Juli 2010 habe nach den Angaben der Antragsteller noch Vermögen in Form eines Depots und Girokontoguthabens in Höhe von 11.500,00 Euro vorgelegen. Hiermit könne der Bedarf der Antragsteller längere Zeit gedeckt werden. Durch die Verwertung ihres Schonvermögens entstünden keine schwerwiegenden nicht zu korrigierenden Nachteile.
Hiergegen richtet sich die am 22. Dezember 2010 eingegangene Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht. Das Gericht hat den Teil der Klage, der sich auf den Zeitraum vom 20.09.2010 bis 30.09.2010 bezog und als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 17.08.2010 gegen den Bescheid vom 10.08.2010 auszulegen war, abgetrennt. Das Verfahren wird nun unter dem Az.: L 7 AS 125/11 ER geführt.
Die Antragsteller tragen vor, es bestehe nur noch ein Fondsvermögen laut Aufstellung vom 03.10.2010 in Höhe von 5.581,37 Euro sowie eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 3.645,62 Euro (zum 12.11.2010) und ein Girokontoguthaben mit 226,14 Euro. Der Verweis auf das den Antragstellern noch verbliebene Schonvermögen entspreche nicht der gesetzgeberischen Intension des SGB II und verletzte sie in ihrer Menschenwürde. Ihre Handlungsfreiheit werde unzulässig beschränkt und ein Zinsverlust nicht ausgeglichen.
Sie beantragen (sinngemäß),
den Beschluss des SG Frankfurt am Main vom 12.11.2010 abzuändern und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab 01.10.2010,
hilfsweise
ab Eingang der Beschwerde Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe,
hilfsweise
auf Darlehensbasis, bis zum Ablauf von 6 Monaten nach der Beschwerdeentscheidung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich vollinhaltlich auf den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Frankfurt. Darüber hinaus sei die behauptete schuldrechtliche Verpflichtung gegenüber der Schwester des Antragstellers zu 2) nicht anzuerkennen, da im SGB II keine Bilanzierung von aktivem und passivem Vermögen erfolge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des SG Frankfurt (Az.: S 17 AS 1503/10 ER) sowie den Inhalt der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in LPK–SGB II, 2. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 117).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Senat, 29.6.2005 - L 7 AS 1/05 ER - info also 2005, 169; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a mwN.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166 unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60 (80)). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (Senat, 27.7.2005 – L 7 AS 18/05 ER).
Die Antragsteller haben das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als Arbeitslosengeld II insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Diese Voraussetzungen liegen im Wesentlichen unstreitig vor. Streitig ist die Frage, ob ½ des Erlöses aus dem Verkauf des geerbten Hausgrundstückes im Wert von 103.500,00 Euro als Vermögen des Antragstellers zu berücksichtigen ist und damit ein die Freibeträge des § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II übersteigendes Vermögen der Antragsteller vorliegt. Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 2 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vermögen ist die Summe der gesamten aktiven Vermögenswerte, wogegen die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten erst bei der Frage der Verwertbarkeit des Vermögens zu berücksichtigen ist (Mecke in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 14). Nicht zum Vermögen des Hilfebedürftigen gehören Ansprüche, die er bereits vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Leistungsbewilligung oder der Wiederbewilligung abgetreten hat. Denn im Fall der Abtretung nach § 389 BGB tritt der neue Gläubiger an die Stelle des alten Gläubigers und die abgetretene Forderung scheidet damit aus dem Vermögen des bisherigen Gläubigers aus (Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 389 Rn. 2; Mecke in: Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 23; Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 3 12 Rn. 9).
Der Antragsteller zu 2) ist zu keinem Zeitpunkt Eigentümer am Grundstück seiner Eltern geworden und hat auch keinen Anspruch auf ½ des Preises aus dem Verkauf des Grundstücks. Durch die Abtretung des Anwartschaftsrechts als Nacherbe am Nachlass seines Vaters an seine Schwester ist der Erbteil des Antragstellers zu 2) mit dem Tod der als Vorerbin eingesetzten Mutter unmittelbar auf seine Schwester übergegangen. Denn der Erwerber eines zwischen dem Erbfall und dem Eintritt des Nacherbfalls übertragenen Nacherbenanwartschaftsrechts tritt im Moment des Nacherbfalls unmittelbar – also ohne Durchgangserwerb des vom Erblasser ursprünglich eingesetzten Nacherben – in die Rechtsstellung des Nacherben ein (OLG Braunschweig, Beschluss v. 27.01.2004, 2 W 249/03; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 02.11.1990, 3 Wx 391/90; MünchKomm./Grunsky, 4. Aufl. 2005, § 2100 Rdnr. 30). Ungeachtet dessen wird aber nicht der rechtsgeschäftliche Erwerber, sondern der vom Erblasser eingesetzte (Mit )Nacherbe im Erbschein als Erbe ausgewiesen, wodurch der Erbschein, der auch nach der Übertragung des Anwartschaftsrechts den ursprünglich eingesetzten Nacherben weiterhin als Nacherben bzw. – nach Eintritt des Nacherbfalls – als Erben ausweist, bezogen auf die Rechtsinhaberschaft materiell-rechtlich unrichtig ist (OLG Braunschweig, Beschluss v. 27.01.2004, 2 W 249/03; OLG Düsseldorf, MDR 1981, 143).
Die Zulässigkeit der Übertragung des Anwartschaftsrechts durch den Nacherben ist allgemein anerkannt. Wegen der Rechtsähnlichkeit zum Miteigentum ist eine notarielle Beurkundung notwendig (vgl. Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 2100, Rn. 14), die eingehalten worden ist. Damit ist die Schwester des Antragstellers zu 2) mit dem Tod der Mutter 2009 unmittelbar Anspruchsinhaberin am Erbteil des Antragstellers zu 2) geworden. Zu diesem Zeitpunkt war die Abtretung, die erst am 22.07.2009 gelöscht wurde, noch im Grundbuch eingetragen. Die Antragsteller haben durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung für das einstweilige Rechtsschutzverfahren ausreichend glaubhaft gemacht, dass das gesicherte Darlehen von den Antragstellern nicht zurückgeführt worden ist. Damit dürfte auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Antragstellers zu 2) gegen seine Schwester nach §§ 812 ff. BGB wegen Wegfall des Rechtsgrundes ausscheiden. Das im Übrigen bestehende Vermögen der Antragsteller liegt unter den Vermögensfreigrenzen. Der Antragstellerin steht, da sie vor dem 01.01.1948 geborenen ist, gem. § 65 Abs. 5 SGB II ein Vermögensfreibetrag von 520,00 Euro pro Lebensjahr zu, d.h. 32.240,00 Euro; dem Antragsteller 150,00 Euro pro Lebensjahr, d.h. 9.159,00 Euro, zuzüglich eines Freibetrages von 750,00 Euro für beide Antragsteller = insgesamt 42.890,00 Euro.
Da ein Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich ist, sind diese auch im einstweiligen Rechtsschutz nicht auf das ihnen zur Verfügung stehende, aber gesetzlich geschützte Schonvermögen zu verweisen. Die einstweilige Anordnung ist auf den Folgemonat der Bekanntgabe der Entscheidung beschränkt, weil im einstweiligen Rechtsschutz nur eine gegenwärtige dringliche Notlage beseitigt werden soll (Krodel, NZS 2007, 20, 21; enger, nur laufender Monat: Grieger, ZFSH/SGB 2004, 579, 585 m.w.N. zum Meinungsstand). Der Antragsgegner ist aber gehalten, über den Zeitraum hinaus bis zu einer Erledigung des Hauptsacheverfahrens im ersten Rechtszug der einstweiligen Anordnung Folge zu leisten, solange eine wesentliche Änderung der Tatsachen- oder Rechtslage nicht eintritt, um weitere Folgeverfahren zu vermeiden.
Die Kostenentscheidung berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens und beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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