Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 14 KR 389/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 175/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein einem Rehabilitationsträger von einem anderen Träger zugeleiteter Rehabilitationsantrag darf nicht ein zweites Mal weitergeleitet oder an den erstangegangenen Träger zurückgeleitet werden. In diesem Zusammenhang ist nicht zu prüfen, ob dem erstangegangenen Träger ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zur Last fällt.
2. Als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII kommt die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen in Betracht.
2. Als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII kommt die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen in Betracht.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 20.7.2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Umstritten ist, ob das Sozialgericht (SG) die Antragsgegnerin zu Recht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen.
Die am 1993 geborene Antragstellerin, bei der Antragsgegnerin krankenversichert, leidet ua an einer Anorexia nervosa vom restriktiven Typ mit massivem Untergewicht, weshalb sie stationär im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des D -Krankenhauses A -H behandelt wurde. Die behandelnden Ärzte rieten in ihrem Schreiben vom 17.5.2011 davon ab, die Antragstellerin in ihre frühere Umgebung, dh zu ihren Eltern, zu entlassen, da sie in dieser Familienstruktur stark gefährdet sei, in alte dysfunktionale Verhaltensmuster zu fallen und erneut ihr Gewicht so zu reduzieren, dass eine vitale Gefährdung nicht auszuschließen sei. In ihrer Stellungnahme vom 3.6.2011 empfahlen sie die Aufnahme in eine Wohngruppe für Patienten mit Essstörungen nach Ende der stationären Behandlung; eine langfristige Stabilisierung sei nur im Rahmen eines längerfristigen Aufenthalts dort von mehr als sechs Monaten gewährleistet.
Die Antragstellerin hatte bereits zuvor mit am 6.5.2011 bei dem beigeladenen Landkreis eingegangenem Schreiben ihre Unterbringung in der Wohngemeinschaft für Essgestörte des S G -W in A beantragt. Der Beigeladene hatte diesen Antrag mit Schreiben vom 11.5.2011 an die Antragsgegnerin weitergeleitet, da möglicherweise eine medizinische Rehabilitation notwendig sei. Die Antragsgegnerin hatte den Antrag mit Schreiben vom 18.5.2011 wegen eines "offensichtlichen Bearbeitungsfehlers beim erstangegangenen Träger" an den Beigeladenen zurückgeleitet.
Am 11.7.2001 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Koblenz beantragt, die Antragsgegnerin oder den Beigeladenen im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten ihrer Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen. Das SG hat das Verfahren unter den Aktenzeichen S 14 KR 389/11 ER und S 11 SO 80/11 ER erfasst. Die Antragstellerin hat vorgetragen, in der Einrichtung des S G -W in A sei bis circa Ende Juli 2011 ein Platz für sie reserviert; bis zu diesem Zeitpunkt müsse eine Entscheidung über die Kostenübernahme getroffen werden. Die Antragsgegnerin hat eingewandt, nicht sie, sondern der Beigeladene sei vorliegend der zuständige Rehabilitationsträger. Das Sozialwerk S G in A sei keine Rehabilitationseinrichtung im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), da in der Wohngemeinschaft keine medizinische Rehabilitation durchgeführt werde. Die Weiterleitung des Antrags durch den Beigeladenen an sie, die Antragsgegnerin, sei rechtsmissbräuchlich gewesen.
Das SG Koblenz hat mit Beschluss vom 20.7.2011 die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen. Zur Begründung hat es dargelegt: Die Antragsgegnerin sei im Sinne des § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständig, weil der Beigeladene den Antrag der Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen an sie weitergeleitet habe. Die Antragsgegnerin habe es versäumt, den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen, wie es § 14 Abs 2 Sätze 1 bis 3 SGB IX verlange. Ausgehend von den Ausführungen des D -K A -H sei das Ermessen der Antragsgegnerin dahin auf Null reduziert, dass nur die Unterbringung der Antragstellerin in einer Einrichtung für Essgestörte in Betracht komme. Auch der erforderliche Anordnungsgrund liege vor. Um die nahtlose Fortsetzung der begonnenen Genesung der Antragstellerin nicht zu gefährden, bedürfe es des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 26.7.2011 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin ist aufgrund der einstweiligen Anordnung des SG seit Anfang August 2011 in der Einrichtung des S G -W in A untergebracht. Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) S vom August 2008 vorgelegt, worin es heißt, nach Abschluss einer stationären Akutpsychiatrie, wie sie vorliegend durchgeführt worden sei, sei eine längerfristige klare Strukturgebung erforderlich, am Besten in Form einer Unterbringung in einer Wohngruppe für essgestörte Mädchen.
Die Antragsgegnerin trägt vor: Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sei wegen "doppelter" Rechtshängigkeit unzulässig. Die "reflexhafte" Übersendung des Antrags durch den Beigeladenen an sie ohne eingehende Prüfung könne nicht zur Folge haben, dass nunmehr sie für die beantragte Leistung zuständig sei. Da der Beigeladene sie lediglich um Prüfung der Zuständigkeit gebeten und nur die Möglichkeit einer medizinischen Rehabilitation gesehen habe, liege keine Weiterleitung iSd § 14 SGB IX vor. Eine solche habe aufgrund der von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) herausgegebenen Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens nicht erfolgen dürfen. Unabhängig davon sei sie, die Antragsgegnerin, zur Zurückleitung des Antrags an den Beigeladenen befugt gewesen (Hinweis auf Bayerisches LSG 29.5.2002 - L 4 B 106/02 KR ER; SG Hannover 24.10.2002 - S 4 KR 728/02 ER). Die von der Antragstellerin beantragte Leistung falle nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sei kein Sozialversicherungsträger leistungspflichtig, könne es keinen nach § 14 SGB IX zuständigen Leistungsträger geben. In der Einrichtung des S G -W in A werde die vom MDK für erforderlich angesehene geschlechterspezifische Trennung nicht vorgenommen. Mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werde unzulässigerweise die Hauptsache vorweggenommen.
II.
Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die beantragte einstweilige Anordnung (§ 86b SGG) erlassen. Sowohl die Voraussetzungen des erforderlichen Anordnungsanspruchs als auch des notwendigen Anordnungsgrundes sind erfüllt.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 94 Rn 7) unzulässig. Denn die Antragstellerin hat nur einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, auch wenn dieser vom SG unter zwei Aktenzeichen erfasst wurde.
Die Antragsgegnerin ist vorliegend die im Sinne des § 14 SGB IX vorläufig zuständige Rehabilitationsträgerin, weil der Beigeladene, der als Träger der Jugendhilfe ebenfalls Rehabilitationsträger ist (§ 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX), den Antrag der Antragstellerin rechtzeitig an sie weitergeleitet hat (§ 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX). Die Auffassung der Antragsgegnerin, es liege keine Weiterleitung des Antrags vor, trifft nicht zu, wie sich aus dem Wortlaut des Schreibens des Beigeladenen vom 11.5.2001 ("leiten wir den Antrag ... an Sie weiter.") ergibt. Mit der Regelung in § 14 Abs 2 Satz 5 SGB IX hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Antrag nicht ein zweites Mal weitergeleitet oder an den erstangegangenen Rehabilitationsträger zurückgeleitet werden darf (BSG 26.6.2007 - B 1 KR 34/06 R, juris Rn 13; vgl Bundestagsdrucksache 15/1783 Seite 13). Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Weiterleitung durch den erstangegangenen Träger nicht erfüllt waren. Wegen der Schutzbedürftigkeit des behinderten Menschen gibt es hiervon keine Ausnahme unter dem Gesichtspunkt eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Verhältnis zweier Rehabilitationsträger untereinander. Dass die von der Antragstellerin beantragte Leistung nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fällt und der Beigeladene kein Sozialversicherungsträger ist, ist für die Anwendung des § 14 SGB IX ohne Bedeutung.
Die Prüfungspflicht des nach § 14 SGB IX zuständigen Rehabilitationsträgers umfasst alle Rechtsgrundlagen, die in der gegebenen Bedarfssituation, auch für andere Rehabilitationsträger, vorgesehen sind. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Übernahme von Kosten der Unterbringung in der Wohngemeinschaft für Essgestörte des S G -W nach den rehabilitationsrechtlichen Vorschriften des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII). Nach § 35a Abs 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Beide Voraussetzungen stehen infolge der Stellungnahme des D -K A -H vom Juni 2011 fest. Als Leistung nach § 35a SGB VIII kommt ua die Übernahme der Kosten für die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen in Betracht (vgl Verwaltungsgericht - VG - München 25.1.2006 - M 18 K 04.3799, juris; VG Würzburg 18.3.2010 - W 3 K 08.700; juris). Die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen ist als soziale Integrationsmaßnahme und nicht als medizinische Rehabilitationsmaßnahme anzusehen (ebenso VG München aaO). Bei der Antragstellerin geht es nämlich darum, unter Herausnahme aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld gemeinsam mit Gleichaltrigen in der gleichen Lebenssituation zu verhindern, dass erneut Konfliktsituationen mit ihrem bisherigen sozialen Umfeld entstehen.
Wie das SG zu Recht entschieden hat, ist das Auswahlermessen der Antragsgegnerin über die im Rahmen des § 35a SGB VIII zu gewährende Leistung insoweit auf Null reduziert, als nur die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für Essgestörte in Betracht kommt. Alternativen zu dieser Unterbringung sind nicht ersichtlich. Der Senat stellt klar, dass das Auswahlermessen der Antragsgegnerin auch hinsichtlich der Unterbringung gerade in der Einrichtung des S G -W in A auf Null reduziert ist. Wie aus der Stellungnahme des D -K A -H zu entnehmen ist, war und ist die Unterbringung unmittelbar nach dem Ende der stationären Behandlung erforderlich. Dies steht im Einklang mit den Darlegungen des Arztes im MDK S. Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, erforderlich sei die Unterbringung in einer nur aus Mädchen bestehenden Wohngruppe. Aus der Stellungnahme des Arztes S geht jedoch nicht hervor, dass dies zwingend notwendig ist. Zudem haben die behandelnden Ärzte der Antragstellerin, die diese besser als der Arzt S kennen, eine solche Vorgabe nicht gemacht. Unabhängig davon wohnt die Antragstellerin in der Einrichtung des S G -W in A in einer Wohngemeinschaft nur mit weiblichen Bewohnern. Im Rahmen der Ermessensreduzierung auf Null ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bereits in der Wohngruppe des S G -W untergebracht ist, ohne dass bisher Probleme bekannt wurden (vgl Schreiben der Einrichtung vom 15.8.2011), und dass die Antragsgegnerin nichts unternommen hat, um eine anderweitige Unterbringung der Antragstellerin sicherzustellen.
Der erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich aus der Eilbedürftigkeit der Unterbringung. Selbst wenn die Entscheidung des SG bzw des Senats mit einer faktischen Vorwegnahme der Hauptsache verbunden wäre (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn 31), würde dieser Umstand wegen der Dringlichkeit der Entscheidung eine einstweilige Anordnung nicht ausschließen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Umstritten ist, ob das Sozialgericht (SG) die Antragsgegnerin zu Recht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen.
Die am 1993 geborene Antragstellerin, bei der Antragsgegnerin krankenversichert, leidet ua an einer Anorexia nervosa vom restriktiven Typ mit massivem Untergewicht, weshalb sie stationär im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des D -Krankenhauses A -H behandelt wurde. Die behandelnden Ärzte rieten in ihrem Schreiben vom 17.5.2011 davon ab, die Antragstellerin in ihre frühere Umgebung, dh zu ihren Eltern, zu entlassen, da sie in dieser Familienstruktur stark gefährdet sei, in alte dysfunktionale Verhaltensmuster zu fallen und erneut ihr Gewicht so zu reduzieren, dass eine vitale Gefährdung nicht auszuschließen sei. In ihrer Stellungnahme vom 3.6.2011 empfahlen sie die Aufnahme in eine Wohngruppe für Patienten mit Essstörungen nach Ende der stationären Behandlung; eine langfristige Stabilisierung sei nur im Rahmen eines längerfristigen Aufenthalts dort von mehr als sechs Monaten gewährleistet.
Die Antragstellerin hatte bereits zuvor mit am 6.5.2011 bei dem beigeladenen Landkreis eingegangenem Schreiben ihre Unterbringung in der Wohngemeinschaft für Essgestörte des S G -W in A beantragt. Der Beigeladene hatte diesen Antrag mit Schreiben vom 11.5.2011 an die Antragsgegnerin weitergeleitet, da möglicherweise eine medizinische Rehabilitation notwendig sei. Die Antragsgegnerin hatte den Antrag mit Schreiben vom 18.5.2011 wegen eines "offensichtlichen Bearbeitungsfehlers beim erstangegangenen Träger" an den Beigeladenen zurückgeleitet.
Am 11.7.2001 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Koblenz beantragt, die Antragsgegnerin oder den Beigeladenen im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten ihrer Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen. Das SG hat das Verfahren unter den Aktenzeichen S 14 KR 389/11 ER und S 11 SO 80/11 ER erfasst. Die Antragstellerin hat vorgetragen, in der Einrichtung des S G -W in A sei bis circa Ende Juli 2011 ein Platz für sie reserviert; bis zu diesem Zeitpunkt müsse eine Entscheidung über die Kostenübernahme getroffen werden. Die Antragsgegnerin hat eingewandt, nicht sie, sondern der Beigeladene sei vorliegend der zuständige Rehabilitationsträger. Das Sozialwerk S G in A sei keine Rehabilitationseinrichtung im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), da in der Wohngemeinschaft keine medizinische Rehabilitation durchgeführt werde. Die Weiterleitung des Antrags durch den Beigeladenen an sie, die Antragsgegnerin, sei rechtsmissbräuchlich gewesen.
Das SG Koblenz hat mit Beschluss vom 20.7.2011 die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen zu übernehmen. Zur Begründung hat es dargelegt: Die Antragsgegnerin sei im Sinne des § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständig, weil der Beigeladene den Antrag der Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen an sie weitergeleitet habe. Die Antragsgegnerin habe es versäumt, den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen, wie es § 14 Abs 2 Sätze 1 bis 3 SGB IX verlange. Ausgehend von den Ausführungen des D -K A -H sei das Ermessen der Antragsgegnerin dahin auf Null reduziert, dass nur die Unterbringung der Antragstellerin in einer Einrichtung für Essgestörte in Betracht komme. Auch der erforderliche Anordnungsgrund liege vor. Um die nahtlose Fortsetzung der begonnenen Genesung der Antragstellerin nicht zu gefährden, bedürfe es des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 26.7.2011 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin ist aufgrund der einstweiligen Anordnung des SG seit Anfang August 2011 in der Einrichtung des S G -W in A untergebracht. Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) S vom August 2008 vorgelegt, worin es heißt, nach Abschluss einer stationären Akutpsychiatrie, wie sie vorliegend durchgeführt worden sei, sei eine längerfristige klare Strukturgebung erforderlich, am Besten in Form einer Unterbringung in einer Wohngruppe für essgestörte Mädchen.
Die Antragsgegnerin trägt vor: Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sei wegen "doppelter" Rechtshängigkeit unzulässig. Die "reflexhafte" Übersendung des Antrags durch den Beigeladenen an sie ohne eingehende Prüfung könne nicht zur Folge haben, dass nunmehr sie für die beantragte Leistung zuständig sei. Da der Beigeladene sie lediglich um Prüfung der Zuständigkeit gebeten und nur die Möglichkeit einer medizinischen Rehabilitation gesehen habe, liege keine Weiterleitung iSd § 14 SGB IX vor. Eine solche habe aufgrund der von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) herausgegebenen Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens nicht erfolgen dürfen. Unabhängig davon sei sie, die Antragsgegnerin, zur Zurückleitung des Antrags an den Beigeladenen befugt gewesen (Hinweis auf Bayerisches LSG 29.5.2002 - L 4 B 106/02 KR ER; SG Hannover 24.10.2002 - S 4 KR 728/02 ER). Die von der Antragstellerin beantragte Leistung falle nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sei kein Sozialversicherungsträger leistungspflichtig, könne es keinen nach § 14 SGB IX zuständigen Leistungsträger geben. In der Einrichtung des S G -W in A werde die vom MDK für erforderlich angesehene geschlechterspezifische Trennung nicht vorgenommen. Mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werde unzulässigerweise die Hauptsache vorweggenommen.
II.
Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die beantragte einstweilige Anordnung (§ 86b SGG) erlassen. Sowohl die Voraussetzungen des erforderlichen Anordnungsanspruchs als auch des notwendigen Anordnungsgrundes sind erfüllt.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 94 Rn 7) unzulässig. Denn die Antragstellerin hat nur einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, auch wenn dieser vom SG unter zwei Aktenzeichen erfasst wurde.
Die Antragsgegnerin ist vorliegend die im Sinne des § 14 SGB IX vorläufig zuständige Rehabilitationsträgerin, weil der Beigeladene, der als Träger der Jugendhilfe ebenfalls Rehabilitationsträger ist (§ 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX), den Antrag der Antragstellerin rechtzeitig an sie weitergeleitet hat (§ 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX). Die Auffassung der Antragsgegnerin, es liege keine Weiterleitung des Antrags vor, trifft nicht zu, wie sich aus dem Wortlaut des Schreibens des Beigeladenen vom 11.5.2001 ("leiten wir den Antrag ... an Sie weiter.") ergibt. Mit der Regelung in § 14 Abs 2 Satz 5 SGB IX hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Antrag nicht ein zweites Mal weitergeleitet oder an den erstangegangenen Rehabilitationsträger zurückgeleitet werden darf (BSG 26.6.2007 - B 1 KR 34/06 R, juris Rn 13; vgl Bundestagsdrucksache 15/1783 Seite 13). Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Weiterleitung durch den erstangegangenen Träger nicht erfüllt waren. Wegen der Schutzbedürftigkeit des behinderten Menschen gibt es hiervon keine Ausnahme unter dem Gesichtspunkt eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Verhältnis zweier Rehabilitationsträger untereinander. Dass die von der Antragstellerin beantragte Leistung nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fällt und der Beigeladene kein Sozialversicherungsträger ist, ist für die Anwendung des § 14 SGB IX ohne Bedeutung.
Die Prüfungspflicht des nach § 14 SGB IX zuständigen Rehabilitationsträgers umfasst alle Rechtsgrundlagen, die in der gegebenen Bedarfssituation, auch für andere Rehabilitationsträger, vorgesehen sind. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Übernahme von Kosten der Unterbringung in der Wohngemeinschaft für Essgestörte des S G -W nach den rehabilitationsrechtlichen Vorschriften des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII). Nach § 35a Abs 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Beide Voraussetzungen stehen infolge der Stellungnahme des D -K A -H vom Juni 2011 fest. Als Leistung nach § 35a SGB VIII kommt ua die Übernahme der Kosten für die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen in Betracht (vgl Verwaltungsgericht - VG - München 25.1.2006 - M 18 K 04.3799, juris; VG Würzburg 18.3.2010 - W 3 K 08.700; juris). Die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen ist als soziale Integrationsmaßnahme und nicht als medizinische Rehabilitationsmaßnahme anzusehen (ebenso VG München aaO). Bei der Antragstellerin geht es nämlich darum, unter Herausnahme aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld gemeinsam mit Gleichaltrigen in der gleichen Lebenssituation zu verhindern, dass erneut Konfliktsituationen mit ihrem bisherigen sozialen Umfeld entstehen.
Wie das SG zu Recht entschieden hat, ist das Auswahlermessen der Antragsgegnerin über die im Rahmen des § 35a SGB VIII zu gewährende Leistung insoweit auf Null reduziert, als nur die Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für Essgestörte in Betracht kommt. Alternativen zu dieser Unterbringung sind nicht ersichtlich. Der Senat stellt klar, dass das Auswahlermessen der Antragsgegnerin auch hinsichtlich der Unterbringung gerade in der Einrichtung des S G -W in A auf Null reduziert ist. Wie aus der Stellungnahme des D -K A -H zu entnehmen ist, war und ist die Unterbringung unmittelbar nach dem Ende der stationären Behandlung erforderlich. Dies steht im Einklang mit den Darlegungen des Arztes im MDK S. Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, erforderlich sei die Unterbringung in einer nur aus Mädchen bestehenden Wohngruppe. Aus der Stellungnahme des Arztes S geht jedoch nicht hervor, dass dies zwingend notwendig ist. Zudem haben die behandelnden Ärzte der Antragstellerin, die diese besser als der Arzt S kennen, eine solche Vorgabe nicht gemacht. Unabhängig davon wohnt die Antragstellerin in der Einrichtung des S G -W in A in einer Wohngemeinschaft nur mit weiblichen Bewohnern. Im Rahmen der Ermessensreduzierung auf Null ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bereits in der Wohngruppe des S G -W untergebracht ist, ohne dass bisher Probleme bekannt wurden (vgl Schreiben der Einrichtung vom 15.8.2011), und dass die Antragsgegnerin nichts unternommen hat, um eine anderweitige Unterbringung der Antragstellerin sicherzustellen.
Der erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich aus der Eilbedürftigkeit der Unterbringung. Selbst wenn die Entscheidung des SG bzw des Senats mit einer faktischen Vorwegnahme der Hauptsache verbunden wäre (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn 31), würde dieser Umstand wegen der Dringlichkeit der Entscheidung eine einstweilige Anordnung nicht ausschließen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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