S 2 EG 17/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 EG 17/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 EG 12/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Kürzung der Höhe des Elterngeldes von 67 Prozent auf 65 Prozent des durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 ist nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts mangels einer vom Gesetzgeber getroffenen Übergangs- oder Stichtagsregelung erst für Elterngeldansprüche im Zusammenhang mit Geburten von Kindern ab dem 1. Januar 2011 anwendbar.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2011 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Elterngeldes für die Zeit vom 26. Juli bis 25. September 2011.

Der Kläger beantragte am 6. August 2010 bei dem Beklagten die Gewährung von Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat seines am 26. Juli 2010 geborenen Kindes B. B. Dabei legte er eine Verdienstbescheinigung seines Arbeitgebers vom 2. August 2010 für die Zeit von Juli 2009 bis Juni 2010 und ein Schreiben seines Arbeitgebers vom 23. August 2010 vor, das ihm bestätigt, dass er für die Zeit vom 26. Juli bis 25. September 2011 Elternzeit beantragt hat. Mit Bescheid vom 9. September 2010 gewährte der Beklagte dem Kläger unter Zugrundelegung von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit für die Zeit vom 26. Juli bis 25. September 2011 Elterngeld in Höhe von 1.490,67 Euro monatlich.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2011 änderte der Beklagte unter Berufung auf die Regelung des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seinen Bescheid vom 9. September 2010 für die Zeit ab dem 26. Juli 2011 ab und setzte die Höhe des Elterngeldes auf einen Monatsbetrag von 1.446,17 Euro fest. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass sich die für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse durch Art. 14 des Haushaltbegleitgesetzes 2011 insofern geändert hätten als Elterngeld nunmehr von 67 Prozent auf 65 Prozent des durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit abgesenkt worden sei. Die übrigen Festsetzungen und Hinweise aus dem Ursprungsbescheid gälten weiter. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit einem am 28. Februar 2011 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben vom 25. Februar 2011 Widerspruch ein. Den Widerspruch begründete der Kläger damit, dass Änderungen nicht rückwirkend auf Geburten vor dem Jahr 2011 angewandt werden dürften. Nach dem Gesetzeszweck komme es für das Elterngeld auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Geburt des Kindes an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2011 wies der Beklagten diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Die Absenkung des Elterngeldes sei durch Art. 14 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 erfolgt. Von dieser Gesetzesänderung seien auch Antragsteller betroffen, denen im Jahr 2011 mindestens ein voller Monat an Leistungen zustehe. Eine Stichtagsregelung bzw. Bestandssicherung sei vom Gesetzgeber gerade nicht beschlossen worden.

Dagegen richtet sich die am 17. Juni 2011 vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhobene Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, dass bereits die formellen Voraussetzungen für eine Änderung der ursprünglichen Bewilligung von Elterngeld nach § 48 SGB X nicht vorliegen, da es sich bei dieser Bewilligung von Elterngeld nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handele. Im Übrigen ist der Kläger der Auffassung, dass es für das Elterngeld auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Geburt des Kindes ankomme und Änderungen nicht rückwirkend auf Geburten vor dem Jahr 2011 angewandt werden dürften.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält seinen Änderungsbescheid für rechtmäßig. Er verweist darauf, dass das Haushaltsbegleitgesetz 2011 am 1. Januar 2011 in Kraft getreten sei. In der Gesetzesbegründung werde der Wille des Gesetzgebers deutlich, die Änderungen ohne Übergangsregelung umzusetzen. Eine Stichtagsregelung sei im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erörtert und aus Haushaltsgründen abgelehnt worden (BT-Drs. 17/3361, S. 4), Im Übrigen werde, wie der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und der Umstand, dass Elterngeld - wie sich aus den Regelungen des § 1 Abs. 6 und § 4 Abs. 4 BEEG ergebe - lebensmonatsweise geprüft und festgestellt. Daher könne Elterngeld für die Zukunft für volle Monate aufgehoben werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage, ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2011, mit dem der Beklagte seinen Bescheid vom 9. September 2010 teilweise aufgehoben hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Eine Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 9. September 2010 existiert nicht.

Nach § 48 SGB X ist zwar ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Beim Kläger, dem durch den Bescheid vom 9. September 2010 - einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - Elterngeld für die Zeit vom 26. Juli bis 25. September 2011 gewährt wurde, ist jedoch keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten, insbesondere stellt das Inkrafttreten von Art. 14 Nr. 2 b) des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 (BGBl. 2010, S. 1885) zum 1. Januar 2011 (Art. 24 Abs. 2 Haushaltsbegleitgesetz 2011) keine Änderung in den für den Anspruch des Klägers auf Elterngeld maßgebenden rechtlichen Verhältnissen dar.

Ob eine Änderung in den maßgebenden rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist, hängt davon ab, ob der Anspruch des Klägers auf Elterngeld im Zusammenhang mit der Geburt seines Kindes B. B. am 26. Juli 2010 nach dem Recht vor oder nach dem Inkrafttreten von Art. 14 Nr. 2 b) des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 zu beurteilen ist. Da der Gesetzgeber im Haushaltsbegleitgesetz 2011 und auch in anderen Regelungen keine Festlegung getroffen hat, auf welche Ansprüche auf Elterngeld die zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Neuregelung Anwendung findet, ist zur Klärung der Frage, welches Recht anzuwenden ist, auf die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts zurückzugreifen. Dass sich aus der Gesetzesbegründung möglicherweise der Wille des Gesetzgebers ableiten lässt, dass er die Absenkung der Höhe des Elterngeldes von 67 Prozent auf 65 Prozente des durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit auch auf Ansprüche auf Elterngeld, die an Geburten vor dem 1. Januar 2011 anknüpfen, angewendet wissen will (vgl. BT-Drs. 17/3361, S. 3 und 4), ändert daran nichts, weil dieser Wille allenfalls in der Gesetzesbegründung, aber nicht im Gesetz selbst zum Ausdruck kommt. Aus der bloßen Regelung, dass die Änderungen des Art. 14 Nr. 2 b) Haushaltsbegleitgesetzes am 1. Januar 2011 in Kraft tritt (Art. 24 Abs. 2 Haushaltsbegleitgesetz 2011), lässt sich nämlich die Frage, ob die Neuregelung auch für Elterngeldansprüche, die an Geburten vor dem 1. Januar 2011 anknüpfen, gelten soll, gerade nicht beantworten, da das Gesetz dazu keine Aussage trifft. Dementsprechend sind mangels einer Regelung im Gesetz für die Frage, ob der Anspruch des Klägers auf Elterngeld im Zusammenhang mit der Geburt seines Kindes B. B. am 26. Juli 2010 nach dem Recht vor oder nach dem Inkrafttreten von Art. 14 Nr. 2 b) des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 zu beurteilen ist, die Grundsätze des intertemporalen Rechts anzuwenden. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (BSG, Urteil vom 27. August 2010, B 11 AL 11/07 R, Juris, Rdnr. 13 m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 11. Juli 1985, 5b/1 RJ 92/84, BSGE 58, 243, 244; BSG, Urteile vom 26. November 1991, 1/3 RK 25/90, BSGE 70, 31, 34 und 1 RK 1/91, SozR 3 2500 § 48 Nr. 2 jeweils m.w.N.; BSG, Urteil vom 12. Mai 1999, B 7 AL 70/98 R, SozR 3-4100 § 242t Nr. 1; vgl. auch BFH, Urteil vom 8. November 2006, X R 45/02, BFHE 216, 47, 53 m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. März 1997, 6 A 10700/96, Juris, Rdnr. 30; OVG Thüringen, Urteil vom 4. März 2004, 3 KO 1149/03, Juris, Rdnr. 59-62 m.w.N.; Kopp, SGb 1993, 593, 595 f.).

Das für die Begründung des Anspruchs auf Elterngeld maßgebliche Ereignis und der dafür maßgeblich Umstand besteht hier in der Geburt des Kindes, das vom Inhaber des Anspruchs auf Elterngeld betreut und erzogen wird und für dessen ersten Lebensmonate, in denen der Inhaber des Anspruchs auf Elterngeld keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt, Elterngeld gewährt wird (siehe die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Elterngeld in § 1 BEEG). Diese Umstände begründen nach Auffassung des Gerichts den Anspruch auf Elterngeld. Zur Begründung des Anspruchs auf Elterngeld gehört nach Auffassung des Gerichts nicht, dass der Lebensmonat des den Anspruch auf Elterngeld begründende Kindes, für den das Elterngeld gewährt wird (§ 4 BEEG: Bezugszeitraum), bereits eingetreten ist. Die gesetzlichen Regelungen sind vielmehr so ausgestaltet, dass der Anspruch auf Elterngeld bereits vor diesem Zeitpunkt entsteht, da das Elterngeld bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt beantragt und auch vor dem Eintritt des Lebensmonats des Kindes, für den es gewährt wird, zu bewilligen ist (vgl. § 7 BEEG). Elterngeld wird damit zwar für (einzelne) Lebensmonate gewährt. Der Anspruch auf Elterngeld entsteht aber bereits mit der Erfüllung seiner Anspruchsvoraussetzungen, zu denen der Beginn des (einzelnen) Lebensmonats, für den das Elterngeld gewährt wird, gerade nicht gehört. Lediglich die Auszahlung des Anspruchs ist an den Beginn dieses Lebensmonats gekoppelt (vgl. § 6 BEEG). Im Übrigen müssen Inhaber des Anspruchs auf Elterngeld, die - wie der Kläger - bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, hinsichtlich der vollständigen oder teilweisen Reduzierung ihrer Arbeitszeit unwiderrufliche Dispositionen treffen, so dass es unbillig wäre, ihren Anspruch auf Elterngeld nachträglich für Zeiträume zu kürzen, für die sie bereits entsprechende Dispositionen getroffen haben. Maßgeblich für den Anspruch des Klägers auf Elterngeld im Zusammenhang mit der am 26. Juli 2010 erfolgten Geburt seines Kindes B. B. ist daher das Recht des Jahres 2010. Zu diesem Zeitpunkt hat der Anspruch auf Elterngeld aber noch 67 Prozente des durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit betragen. Der durch Art. 14 Nr. 2 b) Haushaltsbegleitgesetz 2011 auf 65 Prozent des durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit gekürzte Anspruch auf Elterngeld wirkt sich daher erst für Ansprüche auf Elterngeld im Zusammenhang mit Geburten nach dem 1. Januar 2011 aus. Soweit Verwaltungsvorschriften des Beklagten anderes bestimmen, sind diese rechtswidrig und für das Gericht nicht verbindlich. Eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse ist damit beim Kläger nicht eingetreten. Daher durfte die Beklagte ihren Bescheid von 9. September 2010 nicht nach § 48 SGB X ändern. Eine andere Rechtsgrundlage für die Änderung dieses Bescheides ist auch nicht ersichtlich, insbesondere ist nicht erkennbar, dass die ursprüngliche Bewilligung von Elterngeld durch den Bescheid vom 9. September 2010 fehlerhaft gewesen sein könnte und deshalb eine andere Rechtsgrundlage zur teilweisen Aufhebung dieser Bewilligung bestehen würde. Diese teilweise Aufhebung geschah damit ohne Rechtsgrundlage.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt, dass der Kläger mit seiner Klage vollständig obsiegt hat.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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