Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 S 2531/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 728/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsantrages gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung "sämtlicher Bescheide" durch den Beklagten.
Der 19xx geborene Kläger und seine Mutter erhielten bis zum 31. Dezember 2004 laufende Leis-tungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und erhalten seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten.
Mit Schriftsatz vom 6. September 2010 meldete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Beklagten, teilte unter Bezugnahme auf eine Vollmacht der Mutter des Klägers mit, er vertrete die rechtlichen Interessen des Klägers, und beantragte wörtlich
"die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung nach dem SGB II seit dem 1. 01. 2006 auf ihre Rechtmäßigkeit. Insbesondere bitte ich u Überprüfung sämtlicher Sanktions- und Aufhebungs- und Erstattungsbescheide."
Der Beklagte forderte den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 7. September 2010 insbesondere auf, das Datum der Bescheide und den Sachgrund für das Überprüfungsbegehren zu benennen. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 9. September 2010 unter Bezugnahme auf das Schreiben des Beklagten vom 7. September 2010 lediglich mit, "dass alle Bescheide seit dem 1. Januar 2006 auf ihre Richtigkeit überprüft werden sollen"; Gründe nannte er nicht.
Mit Bescheid vom 10. September 2010 entschied daraufhin der Beklagte:
"Eine Prüfung der Bescheide in der Sache war nicht vorzunehmen. Trotz nochmaliger Aufforderung wurde nichts vorgetragen, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen würde. Ein schlüssiger Vortrag diesbezüglich stellt jedoch die Minimalanforderung an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) dar. Ein solcher Antrag ohne Darlegung etwaiger Anknüpfungspunkte ist als rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme anzusehen. Das Jobcenter muss sich insoweit auf die Bindungswirkung der Bescheide berufen. Es durfte daher von einer Prüfung abgesehen werden."
Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf die bereits vorgelegte Vollmacht mit Schriftsatz vom 16. September 2010, bei dem Beklagten am 24. September 2010 eingegangen, Widerspruch ein, ebenfalls ohne diesen zu begründen oder konkrete Bescheide zu benennen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bestandskräftige Bescheide dürften nur unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X überprüft werden. Dies setze insbesondere voraus, dass bei Erlass das Recht nicht richtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Es sei aber nicht einmal ein konkreter Bescheid benannt noch gar etwas vorgebracht worden, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen könnte. Damit seien nicht einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erfüllt. Selbst im Widerspruchsverfahren sei eine Konkretisierung nicht erfolgt. Der Beklagte habe daher eine sachliche Prüfung ablehnen und sich auf die Bindungswirkung berufen dürfen.
Hiergegen haben der Kläger und seine Mutter am 3. Dezember 2010 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben.
Das Sozialgericht hat mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Februar 2011 den Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgefordert, den Überprüfungsantrag zu begründen und konkrete Bescheide zu benennen.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2011 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierauf geantwortet, "eines irgendwie gearteten Antrages" bedürfe es für die Einleitung eines Verfahrens nach § 44 SGB X gar nicht. Ein nicht erforderlicher Antrag könne folglich auch nicht zu pauschal gestellt worden sein. Der gleichwohl gestellte Überprüfungsantrag sei daher als unverbindliche Anregung an die Beklagte zu verstehen, ihren Verpflichtungen aus § 20 SGB X nachzukommen. Eine Begründung und eine Benennung der zur Überprüfung gestellten Bescheide erfolgten nicht.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat beantragt,
den Bescheid vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Cottbus hat mit Urteil vom 15. März 2011 die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit in der mündlichen Verhandlung ein neuer Überprüfungsantrag gestellt worden sei, weil es insoweit an einem Vorverfahren nach § 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) fehle. Im Übrigen umfasse § 44 SGB X nur eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheides "im Einzelfall" und bezogen auf "den Verwaltungsakt". Der gestellte "globale Überprüfungsantrag" sei daher gar nicht von der Regelung des § 44 SGB X erfasst, weil schon nach dem Wortlaut der Norm nur Einzelfälle überprüft würden. Entsprechend müsse zumindest der konkrete Verwaltungsakt hinreichend bezeichnet werden, damit die Behörde in die Lage versetzt werde, einen den Anforderungen des § 33 SGB X entsprechenden Überprüfungsbescheid zu erlassen. Diese Minimalanforderungen seien nicht erfüllt und könnten auch nicht im Rahmen eines Klageverfahrens nachgeholt werden, weil die Behörde dann erstmalig im Klagever-fahren in die Lage versetzt würde, dem Überprüfungsbegehren des Antragstellers konkret nachzugehen, so dass dies faktisch als eigentlicher Überprüfungsantrag zu werten sei, mit der Folge, dass hinsichtlich dieses Überprüfungsbegehrens noch kein Vorverfahren durchgeführt wurde, wodurch die Klage diesbezüglich unzulässig würde. Soweit die Klage allein auf die Aufhebung der ablehnenden Überprüfungsentscheidung gerichtet sei, sei sie zulässig, jedoch unbegründet. Der Beklagte habe sich zu Recht auf die Bestandskraft der Bescheide berufen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. April 2011 zugestellte Urteil hat dieser nur im Namen des Klägers am 13. April 2011 Berufung über das Sozialgericht Cottbus eingelegt.
In diesem Schriftsatz heißt es wörtlich:
"In Sachen F, S./. ARGE - S 14 AS 2531/10 - lege ich namens und in Vollmacht des Mandanten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. 03. 2011, hier zuge-gangen am 11. 04. 2011, Berufung ein. Die Begründung erfolgt mit separatem Schrift-satz."
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bedürfe es für die Einleitung eines Überprüfungs-verfahrens nach § 44 SGB X keiner ausdrücklichen Benennung der zur Prüfung gestellten Be-scheide. Wenn der Betroffene sämtliche Bescheide zur Prüfung stellen möchte, könne er dies auch so beantragen. Es sei nicht ersichtlich, worin der Vorteil für den Beklagten liegen solle, wenn der Antragsteller jeden einzelnen Bescheid "datumsmäßig genau bezeichne". Das wäre nur dann erforderlich, wenn eine Abgrenzung zwischen verschiedenen Bescheiden erfolgen müsse. Eine solche Abgrenzung solle hier aber gerade nicht erfolgen, denn es seien "sämtliche Bescheide" zur Prüfung gestellt worden. Im Übrigen habe der Beklagte die Verwaltungsakte zur Hand und könne entsprechend nachschauen, welche Bescheide wann erlassen, wann sie aufgehoben oder abgeändert worden seien. Der Beklagte unterliege auch im Zugunstenverfah-ren einem Amtsermittlungsgrundsatz und habe insofern die jeweiligen Bescheide selbst zu er-mitteln (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rz. 12). Die Behörde dürfe einen Überprüfungsantrag nur dann ohne Sachprüfung ablehnen, wenn dieser wiederholt gestellt worden sei.
Außerdem verweist der Kläger auf die Entscheidungen des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. November 2003 (A.z. B 2 U 32/02 R) und 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R). Nach diesen Entscheidungen sei der Beklagte zum einen verpflichtet, jeden Überprüfungs-antrag inhaltlich zu bescheiden. Auch könne zum anderen nach dem Urteil vom 5. September 2006 das Klagebegehren bei einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt werden. Begehrt werde letztlich rück-wirkend eine höhere Leistung.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt ausdrücklich,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren. Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Be-klagten (sechs Bände, Az. 03506 BG 2264), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung ge-wesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Zunächst ist festzustellen, dass im Berufungsverfahren nur noch Ansprüche des Klägers im Streit sind.
Nur in dessen Namen hat der Prozessbevollmächtigte Berufung gegen das Urteil des Sozialge-richts Cottbus eingelegt. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Berufungs-schrift, in der der Prozessbevollmächtigte formuliert: "Namens und in Vollmacht des Mandan-ten". Damit ist zum einen eindeutig, dass nur im Namen einer Person Berufung eingelegt wor-den ist. Zum anderen ist nach der Namensnennung des Klägers und aufgrund der gewählten maskulinen Form ("des Mandanten") unzweifelhaft, dass nicht im Namen der Mutter, die eben-falls Beteiligte im Klageverfahren war, Berufung eingelegt worden ist. Nach Ablauf der Beru-fungsfrist (§ 151 SGG) wurde mithin das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 für die Mutter des Klägers rechtskräftig und somit bindend (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist insoweit unzulässig, als der Kläger nunmehr erstmalig im Berufungsverfahren direkt im Wege der so genannten Anfechtungs-/Leistungsklage die Verurteilung des Beklagten zu einer rückwirkend höheren Sozialleistung ohne Rücknahme der bestandskräftigen Beschei-de begehrt.
Zwar hat der 2. Senat des BSG in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R, veröffentlicht unter anderem in BSGE 97, 54) - in Abweichung von der bishe-rigen Rechtsprechung des 4. und des 9. Senats des BSG - insoweit ausgeführt:
" Der Kläger erstrebt bei sinnentsprechender Auslegung seines Begehrens (§ 123 SGG) die Aufhebung sowohl der jetzigen als auch der früheren, bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidungen sowie die gerichtliche Feststellung, dass der von ihm am 24. Januar 1994 erlittene Unfall ein Arbeitsunfall war. Inwieweit dem weiteren, nicht kon-kretisierten Antrag "die gesetzlichen Leistungen laufend und rückwirkend für den Zeit-raum von vier Jahren ab Stellung des Antrags nach § 44 SGB X zu erbringen" eine dar-über hinausgehende eigenständige Bedeutung, z.B. hinsichtlich einer Verletztenrente, beikommt, wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu klären haben, zu-mal ein entsprechendes Grundurteil nicht zulässig wäre (vgl. mit weiterer Begründung Urteil des Senats vom 7. September 2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 3 RdNr. 4 f). Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Einer zusätzli-chen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Ge-richtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Der ge-genteiligen Auffassung, die eine Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungs- bzw. Feststellungsklage verlangt (BSG (4. Senat) SozR 3-1300 § 44 Nr. 8 S. 19 sowie unveröffentlichtes Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 62/02 R -; BSG (7. Se-nat) BSGE 76, 156, 157 f = SozR 3-4100 § 249e Nr 7 S 52; BSG (9. Senat) BSGE 81, 150, 152 = SozR 3-3100 § 30 Nr. 18 S 43; Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum So-zialversicherungsrecht, Stand: 2006, § 44 SGB X RdNr. 16; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 RdNr. 20c) vermag der Senat nicht zu folgen. Dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden kann und dass hierüber nach § 44 Abs 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde ent-scheidet, rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden kann. Wäre es anders, käme eine mit dem Verpflichtungsantrag verbundene Leistungsklage - die auch von der Gegenmeinung für zulässig gehalten wird - aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn die Verwaltungsbehörde kann nicht zur Leistung verurteilt wer-den, ehe der entgegenstehende bestandskräftige (Ausgangs-)Bescheid beseitigt ist und solange nur die Behörde verpflichtet ist, ihn zurückzunehmen. Richtigerweise kann des-halb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Be-scheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (wie hier: Kras-ney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, Kap. IV RdNr. 76; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand: 2006, § 54 RdNr. 106). Einer Vorlage an den Großen Senat nach § 41 SGG bedarf es nicht, weil diese von anderen Senaten abwei-chende Beurteilung der richtigen Klageart vorliegend nicht entscheidungserheblich ist (vgl BSG - GrS -, Beschluss vom 18. November 1980 - GS 3/79 - BSGE 51, 23 , 25 f = SozR 1500 § 42 Nr. 7 m.w.N.; BSG - GrS -, Beschluss vom 29. Mai 1984 - GS 1/82, GS 2/82, GS 3/82 - BSGE 57, 23, 26 = SozR 2200 § 1250 Nr. 20 S. 26).
Ob dieser Rechtsauffassung des 2. Senats des BSG hinsichtlich der statthaften Klageart in ei-nem Verfahren nach § 44 SGB X zu folgen ist, kann indes offen bleiben. Denn auch nach die-ser Rechtsprechung ist die Beseitigung der bestandskräftigen Bescheide notwendig, bevor die Verurteilung zu einer rückwirkenden Leistungsgewährung erfolgen kann. Eine solche Notwen-digkeit ergibt sich unmittelbar aus § 77 SGG. Nach dieser gesetzlichen Regelung sind be-standskräftige Bescheide für die Beteiligten bindend und stehen einer anderweitigen Entschei-dung entgegen. Eine "Beseitigung" (sei es im Wege der Anfechtungsklage oder sei es im Wege der Verpflich-tungsklage) der bestandskräftigen Bescheide hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats aber nicht beantragt; der Senat kann aber über den gestellten Antrag nicht hinausgehen. Folglich stehen diese Bescheide aufgrund der ihnen wei-terhin zukommenden Bindungswirkung einer Verurteilung zu einer höheren Leistung entgegen.
Hinsichtlich des von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausdrücklich gestellten Antra-ges kann daher weiter dahinstehen, ob dieser aus weiteren Gründen unzulässig ist. Hier sind insbesondere die erstmalige Geltendmachung eines Anspruches im Berufungsverfahren und die Bestimmtheit des Antrages zu nennen. Mit seinem Antrag auf Verurteilung zu Leistungen geht der Kläger über den Antrag hinaus, über den das Sozialgericht in der angefochtenen Entschei-dung befunden hat. Der Kläger hat zudem nicht einmal den Zeitraum benannt, für den er höhe-re Leistungen begehrt, geschweige denn einen Zahlbetrag beziffert.
Soweit der Kläger mit seiner Berufung weiterhin die erstinstanzliche Entscheidung und letzt-lich den Überprüfungsbescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides angreift, ist die Berufung zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Cottbus hat zu Recht die Klage mit Urteil vom 15. März 2011 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Sep-tember 2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. November 2010 ist rechtmä-ßig.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Vorliegend ist nicht ansatzweise erkennbar, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG wohl umstritten, ob und wann überhaupt ein Verfah-ren nach § 44 SGB X einzuleiten ist.
So hat beispielsweise der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. April 2001 (Az. B 4 RA 22/00 R, veröffentlicht unter anderem in BSGE 88, 75 und NZS 2002, 155, jeweils m.w.N.) schon eine erneute Überprüfung und Bescheidung nicht in jedem Fall als notwendig angesehen und hierzu ausgeführt:
" Hinsichtlich des Begehrens der Klägerin, die BfA möge – trotz unveränder-ter Sachlage - die bisherige bestandskräftige Ablehnung eines Rechts auf anteilige Hin-terbliebenenrente zurücknehmen und ihr dieses Recht bewilligen, sind grundsätzlich drei Verfahrensebenen oder -stufen zu unterscheiden:
Auf der ersten Ebene/Stufe hat die Behörde zu entscheiden, ob sie trotz der Bestandskraft des früheren Verwaltungsaktes überhaupt in eine sachliche Prüfung der Voraussetzungen seiner Rücknahme eintreten darf oder dies sogar muss. Im SGB X fehlt hierzu eine ausdrückliche Vorschrift. Die Voraussetzungen eines strikten (Rechts-) Anspruchs auf eine Sachprüfung der Behörde darüber, ob sie einen unanfechtbaren Verwaltungsakt aufhebt oder ändert ("Wiederaufgreifen" des Verfahrens), ergeben sich aus der lückenfüllend anzuwendenden Maßstabsnorm des § 51 des Verwaltungsverfah-rensgesetzes - des Bundes - (VwVfG). Das bedeutet: Bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage, beim Vorliegen neuer günstiger Beweismittel oder bei Wiederaufnahmegründen muss die Behörde (nach § 51 Abs 1 VwVfG - in den Gren-zen von Abs. 2 und 3 a.a.O.) die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsaktes in der Sache prüfen und bescheiden. Im Übrigen steht die Entscheidung, ob in ei-ne Sachprüfung der Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsaktes eingetreten wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (hierzu und zum nachfolgen-den stellvertretend: BSG, Urteil vom 23. Februar 1988, SozR 1300 § 44 Nr. 33; Urteil vom 30. Januar 1997, SozR 3-2600 § 300 Nr. 10; Meyer, Verwaltungsakt und verwal-tungsrechtlicher Vertrag im Anwendungsbereich des SGB X, SGb 1981, 501 ff). Hierbei muss sie (als Ermessensziel) sicherstellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitge-hend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)). Lehnt die Behörde eine Sachprüfung der Rücknahmevoraussetzungen ab, wird das Verfahren durch verfahrensgestaltenden Verwaltungsakt (wiederholende Verfügung) abgeschlos-sen. Greift sie es wieder auf, indem sie die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsaktes prüft und damit dessen Bindungswirkung durchbricht, unterbleibt in der Praxis im allgemeinen die Bekanntgabe dieser Regelung; sie wird später nur indirekt durch die Mitteilung der auf der zweiten Verfahrensstufe getroffenen Regelung verlautbart. Auf der zweiten Verfahrensebene/-stufe hat die Behörde zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang sie den früheren Verwaltungsakt zurücknimmt/aufhebt. Lehnt sie die Aufhebung (Rücknahme) ab, wird das Verwaltungsverfahren mit diesem das Nichtbe-stehen eines Rücknahmeanspruchs feststellenden Verwaltungsakt abgeschlossen ..."
Demgegenüber hat der 2. Senat des BSG in seinem (späteren) Urteil vom 11. November 2003 (Az. B 2 U 32/02 R, veröffentlicht unter anderem in NZS 2004, 660) unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (Urteil vom 3. Februar 1988, Az. 9/9a RV 18/86, veröf-fentlicht unter anderem in BSGE 63, 33, und Urteil vom 28. Januar 1981, Az. 9 RV 29/80, ver-öffentlicht unter anderem in BSGE 51,139) die Ansicht vertreten:
" Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Entscheidung über den erhobenen An-spruch nicht entgegen. Zutreffend haben die Vorinstanzen in dem Schreiben vom 2. Sep-tember 1999 einen Verwaltungsakt gesehen, mit dem die Beklagte die Rücknahme ihres früheren Bescheides über die Versagung der Halbwaisenrente gemäß § 44 Abs. 1 SGB X (erneut) abgelehnt hat. Nur diese Deutung wird bei Berücksichtigung des zuvor vom Kläger gestellten Antrags dem Inhalt des Schreibens gerecht. Anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht folgt das SGB X bei Ansprüchen auf Sozialleistungen dem Grundsatz, dass der materiellen Gerechtigkeit auch für die Vergangenheit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit gebührt. Es kennt daher keine dem § 51 des Verwaltungsverfah-rensgesetzes vergleichbare Regelung, die es der Behörde erlaubt, ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens unter Berufung auf die Bindungswirkung früherer Bescheide abzulehnen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und der Antragsteller keine neuen Beweismittel vorlegen kann. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist der Leistungsträger vielmehr verpflichtet, auch bei wiederholten Anträgen über die Rücknahme der entgegenstehenden Verwaltungsakte und die Gewährung der bean-spruchten Sozialleistung zu entscheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSGE 63, 33, 35 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Zwar hat die Beklagte diese Zusammenhän-ge verkannt und es abgelehnt, sich mit der Sache überhaupt erneut zu befassen. Sie hat damit aber inzident zugleich den weitergehenden Antrag auf eine Sachentscheidung zu-gunsten des Klägers abschlägig beschieden."
Auch nach diesem Urteil des 2. Senats des BSG vom 11. November 2003 (B 2 U 32/02 R) dürfte unstreitig sein, dass im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X (nach Einleitung des Verfahrens) mehrere Stufen zu beachten sind, denn dieser hat hierin ausdrücklich auf die insofern eindeutigen Entscheidungen des 9. Senats BSG (unter anderem vom 3. Februar 1988, 9/9a RV 18/86) verwiesen. Er ist damit hinsichtlich der zu klärenden Rechtsfrage (Umfang der Prüfungspflicht eines Antrages nach § 44 SGB X) gerade nicht erkennbar von der Rechtspre-chung des 9. Senats des BSG abgewichen und hat sie auch nicht gemäß § 41 Abs. 2 SGG dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Im Übrigen hat der 2. Senat des BSG in seinem bereits genannten späteren Urteil vom 2. September 2006 (B 2 U 24/05 R, s. o.) hierzu aus-drücklich klargestellt, dass eine Behörde nur "entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 3-2600 § 243 Nr. 8 S 27 f; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S 119 f; Steinwedel, a.a.O, § 44 RdNr. 34; Vogelgesang, a.a.O., K § 44 RdNr. 18; Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 44 RdNr. 13)" muss.
In dem vom 2. Senat BSG zitierten Urteil des 9. Senates BSG vom 3. Februar 1988 (9/9a RV 18/86. a.a.O.) hat der 9. Senat zu der Regelung des § 44 SGB X ausgeführt (zitiert nach juris):
" Nach dieser Vorschrift ist ein eine Sozialleistung ablehnender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzu-nehmen, soweit sich im Einzelfall "ergibt", dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig "erweist". Diese Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, die gemäß § 77 SGG grundsätzlich von allen Beteilig-ten zu beachten ist, also auch von dem Rechtsträger, der den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes ähnelt der Rechtskraft eines Urteils (Hauck/Haines, SGB X/1, 2, Stand Februar 1987, § 31 RdNr. 7). Allerdings kann von der Bindungswirkung eines Urteils nur unter wesentlich strengeren Anforderungen abgewi-chen werden als von der eines Verwaltungsaktes. In den Prozessordnungen (§§ 578 ff Zivilprozessordnung, § 179 Abs. 1 SGG, § 153 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung, § 134 Finanzgerichtsordnung) ist vorgesehen, dass eine erneute Sachprüfung trotz rechts-kräftiger Entscheidung erst dann möglich ist, wenn zuvor zwei Hindernisse überwunden worden sind: Zunächst müssen Gründe geltend gemacht werden, die ihrer Art nach Wie-deraufnahmegründe darstellen. Erst wenn das geprüft und bejaht worden ist, ist weiter zu fragen, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorliegt und das rechtskräftige Urteil auf einen Umstand gestützt ist, der infolge des Wiederaufnahme-grundes nunmehr zweifelhaft geworden ist. Am Ende dieses Verfahrensabschnittes ist zu entscheiden, ob das rechtskräftige Urteil aufzuheben ist. Nur wenn dies zu bejahen ist, kann als dritter Verfahrensabschnitt die erneute Sachprüfung des gesamten früheren und jetzt neu vorgetragenen Streitstoffes erfolgen.
Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt zwar nicht ausdrücklich, dass vor einer erneuten Sachprüfung formal zwei Prüfungsabschnitte durchlaufen werden. Sie setzt aber stillschweigend voraus, dass dies gedanklich in ähnlicher Weise geschieht (vgl. hierzu etwa Maurer, Jus 1976, 25 ff; Klink, BG 1977, 604 ff; Unkelbach, AuB 1984, 226 ff). Auch das Rücknahmeverfahren in der allgemeinen Verwaltung wird in Anlehnung an das Wiederaufnahmeverfahren als dreistufiges Verfahren gesehen (vgl. Kopp, Verwal-tungsverfahrensgesetz, 4. Aufl., § 48 RdNr. 22). Ebenso war nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vorzugehen, mit dem § 44 SGB 10 in den Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes übereinstimmt (BSGE 51, 139 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG vom 17. November 1981 - 9 RV 15/81 -). Ergibt sich also im Rahmen eines Antrages auf Zu-gunstenbescheid nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Wer-den zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorlie-gen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde eben-falls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Ent-scheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu ent-scheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prü-fen."
Nach diesen Grundsätzen, der sich auch der erkennende Senat nach eigener Prüfung anschließt, ergibt sich für den vorliegenden Rechtsstreit Folgendes:
Selbst wenn zu Gunsten des Klägers der Rechtsprechung des 2. Senats des BSG gefolgt würde und zudem - entgegen dem zeitweisen Vortrag des Klägers - davon ausgegangen würde, dass tatsächlich ein Überprüfungsantrag vorliegt und nicht nur eine "unverbindliche Anregung", so war über den Überprüfungsantrag vom 6. September 2010 durch den Beklagten formell zu ent-scheiden. Anders als im Verwaltungsverfahrensgesetz unter Anwendung des § 51 wäre auch ein wiederholter oder gar vollkommen unsubstantiierter Antrag auf Überprüfung eines be-standskräftigen Verwaltungsakts nach § 44 SGB X zulässig und zu bescheiden.
Dies ist vorliegend jedoch durch den Beklagten auch geschehen. Zwar ist der Beklagte aus-weislich seiner Begründung im angegriffenen Widerspruchsbescheid davon ausgegangen, dass ohne konkrete Benennung eines Bescheides oder gar Vorbringen von Gründen, die auf die Unrichtigkeit einer Entscheidung hinweisen könnten, nicht "einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens" erfüllt sind. Er hat mit dem angegriffenen Bescheid jedoch letztlich nur "eine sachliche Prüfung abgelehnt" und sich "auf die Bindungs-wirkung" der Bescheide berufen. Damit hat er aber tatsächlich ein Verfahren durchgeführt und den Antrag auf Rücknahme "sämtlicher Bescheide" in der Sache (unter Berufung auf die Bin-dungswirkung) abschlägig beschieden (so auch der 2. Senat BSG, B 2 U 32/02 R, a. a. O.).
Diese Entscheidung der Beklagten ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sich zu Recht auf die Bindungswirkung der Bescheide berufen und eine Rücknahme "sämtlicher Bescheide" abgelehnt.
Nach der bereits oben genannten Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (Urteil vom 3. Febru-ar 1988, 9/9a RV 18/86, a. a. O.), darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bin-dungswirkung berufen, wenn sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte.
Der Beklagte hat in seinen angegriffenen Entscheidungen zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger keinerlei Begründung für seinen Überprüfungsantrag vorgenommen hat. Er hat nicht einmal die Bescheide konkret benannt, die zur Überprüfung gestellt werden. Damit hat er jedoch nicht ansatzweise etwas vorgebracht, was für die Unrichtigkeit einer bestandskräftigen Entscheidung sprechen könnte. Selbst nach dem eigenen, jedoch vollkommen unsubstantiierten "ins Blaue" gemachten Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers sowie unter Be-rücksichtigung des vom Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst angeführten Urteil des 2. Senats des BSG vom 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R) ergibt sich nichts anderes, denn auch hiernach muss eine Behörde – wie bereits ausgeführt – nur "entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneuten Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden"; der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat - wie ebenfalls bereits ausgeführt - mit seinem Vorbringen somit noch nicht einmal die Mindestvoraussetzungen für eine Überprü-fung bestandskräftiger Verwaltungsakte nach § 44 SGB X erfüllt. Nach der pauschalen Bean-tragung auf Überprüfung "sämtlicher Bescheide" ist vielmehr nicht einmal erkennbar, welcher Verwaltungsakt im Einzelnen zur Überprüfung gestellt wird und "im Einzelfall" im Sinne des § 44 SGB X rechtswidrig sein könnte.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Benennung der zur Überprüfung gestellten bestands-kräftigen Bescheide nicht deshalb entbehrlich, weil der Beklagte in Kenntnis seiner eigenen Bescheide sein müsste bzw. diese aus den Verwaltungsakten ersichtlich sein müssten.
Der Kläger verkennt hierbei schon, dass eine Bestandskraft des Bescheides zunächst seine Wirksamkeit voraussetzt (vergleiche § 39 SGB X). Die Wirksamkeit des Bescheides kann eine Behörde jedoch regelmäßig anhand der Verwaltungsakte nicht nachvollziehen. Denn nach § 39 Abs. 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt demgegenüber, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die-ser Zeitpunkt ist jedoch der Behörde regelmäßig nicht bekannt, weil üblicherweise Bescheide ohne besondere Nachweise (beispielsweise Postzustellungsurkunde) durch die Post übermittelt werden. Zwar greift bei einer solchen Übermittlung grundsätzlich die Vermutung der Bekannt-gabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X. Diese Vermu-tung gilt jedoch nur unter den Einschränkungen des § 37 Abs. 2 S. 3 SGB X, so dass eine Be-kanntgabe, eine Wirksamkeit und letztlich eine Bestandskraft eines Bescheides nicht schon dann zweifelsfrei feststehen, wenn dieser von der Behörde abgesandt worden ist.
Steht danach trotz mehrfacher Hinweise durch den Beklagten und durch die Gerichte aber nicht einmal zweifelsfrei fest, welche Bescheide zur Überprüfung anstehen, so ist umso weniger de-ren Rechtswidrigkeit erkennbar. An dieser Einschätzung ändert auch - wie ebenfalls bereits ausgeführt - die pauschale, aber vollkommen unsubstantiiert "ins Blaue" gemachte Behauptung der Rechtswidrigkeit aller Bescheide durch den Kläger nichts.
Zwar ist dem Kläger insoweit zuzugeben, dass grundsätzlich sämtliche Bescheide der Beklag-ten über einen Leistungsanspruch des Klägers rechtswidrig sein können. So ist beispielsweise denkbar, dass der Kläger aufgrund von nicht angegebenen Einkünften oder Vermögen nie be-dürftig war und die Beklagte in Unkenntnis dessen gleichwohl jahrelang Leistungen bewilligte. Dies würde dazu führen, dass beispielsweise sämtliche Bewilligungsbescheide rechtswidrig (begünstigend) wären. Gleichwohl wäre eine inhaltliche Überprüfung dieser Bewilligungsbe-scheide nach § 44 SGB X nur dann angebracht, wenn sich im Einzelfall Hinweise ergeben würden, dass wegen der fehlerhaften Entscheidung Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies wiederum wäre kaum denk-bar, weil höhere Leistungen nicht in Betracht kommen, wenn wegen fehlender Bedürftigkeit schon ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach ausgeschlossen wäre.
Insgesamt bleibt danach festzuhalten, dass sich der Beklagte zu Recht ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung ihrer bestandskräftigen Bescheide berufen hat, weil von dem Kläger nichts vorgebracht worden ist, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidungen sprechen könnte.
Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 SGB X, zu dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers – unzutreffend unter Hinweis Schütze (in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn. 12) – die Auffassung vertritt, die Be-hörde habe "insofern die jeweiligen Bescheide selbst zu ermitteln". Abgesehen davon, dass in der genannten Zitatstelle kein Wort davon steht, dass die Behörde die jeweiligen zu überprü-fenden Bescheide selbst zu ermitteln habe, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass zwar auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, der Kläger insoweit zum einen aber schon verkennt, dass nach dem klaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 2 SGB X die Behörde "Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt". Sie ist - und zwar auch nach der Kommentierung von Schütze (in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 44 Rn. 39 m.w.N.) - nicht verpflichtet, Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbei-ten; aus der Formulierung "im Einzelfall" ergibt sich vielmehr, dass sich konkret in der Bear-beitung eines Falles ein Anhaltspunkt für eine Aufhebung ergeben muss (Schütze, a.a.O.). Zum anderen gelten auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X die allgemeinen Beweis-grundsätze. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen feh-lerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Können diese Voraussetzungen nicht festgestellt werden, geht dies zu Lasten des die Überprü-fung begehrenden Adressaten (Schütze, a.a.O., Rn. 12, m.w.N.).
Wird, wie vorliegend der Fall, nicht einmal die erste von mehreren Stufen eines Überprüfungs-verfahrens von dem Kläger erreicht, weil nichts vorgetragen oder ersichtlich ist, was zur Un-richtigkeit der bestandskräftigen Bescheide führen könnte, so ist regelmäßig auch kein Anlass für weitere Ermittlungen zu sehen. Für Gedanken, ob sich ohne jeden Anhaltpunkt die Rechts-widrigkeit der Bescheide erweisen und ein (höherer) Leitungsanspruch ergeben wird, ist inso-weit kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsantrages gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung "sämtlicher Bescheide" durch den Beklagten.
Der 19xx geborene Kläger und seine Mutter erhielten bis zum 31. Dezember 2004 laufende Leis-tungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und erhalten seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten.
Mit Schriftsatz vom 6. September 2010 meldete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Beklagten, teilte unter Bezugnahme auf eine Vollmacht der Mutter des Klägers mit, er vertrete die rechtlichen Interessen des Klägers, und beantragte wörtlich
"die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung nach dem SGB II seit dem 1. 01. 2006 auf ihre Rechtmäßigkeit. Insbesondere bitte ich u Überprüfung sämtlicher Sanktions- und Aufhebungs- und Erstattungsbescheide."
Der Beklagte forderte den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 7. September 2010 insbesondere auf, das Datum der Bescheide und den Sachgrund für das Überprüfungsbegehren zu benennen. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 9. September 2010 unter Bezugnahme auf das Schreiben des Beklagten vom 7. September 2010 lediglich mit, "dass alle Bescheide seit dem 1. Januar 2006 auf ihre Richtigkeit überprüft werden sollen"; Gründe nannte er nicht.
Mit Bescheid vom 10. September 2010 entschied daraufhin der Beklagte:
"Eine Prüfung der Bescheide in der Sache war nicht vorzunehmen. Trotz nochmaliger Aufforderung wurde nichts vorgetragen, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen würde. Ein schlüssiger Vortrag diesbezüglich stellt jedoch die Minimalanforderung an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) dar. Ein solcher Antrag ohne Darlegung etwaiger Anknüpfungspunkte ist als rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme anzusehen. Das Jobcenter muss sich insoweit auf die Bindungswirkung der Bescheide berufen. Es durfte daher von einer Prüfung abgesehen werden."
Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf die bereits vorgelegte Vollmacht mit Schriftsatz vom 16. September 2010, bei dem Beklagten am 24. September 2010 eingegangen, Widerspruch ein, ebenfalls ohne diesen zu begründen oder konkrete Bescheide zu benennen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bestandskräftige Bescheide dürften nur unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X überprüft werden. Dies setze insbesondere voraus, dass bei Erlass das Recht nicht richtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Es sei aber nicht einmal ein konkreter Bescheid benannt noch gar etwas vorgebracht worden, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen könnte. Damit seien nicht einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erfüllt. Selbst im Widerspruchsverfahren sei eine Konkretisierung nicht erfolgt. Der Beklagte habe daher eine sachliche Prüfung ablehnen und sich auf die Bindungswirkung berufen dürfen.
Hiergegen haben der Kläger und seine Mutter am 3. Dezember 2010 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben.
Das Sozialgericht hat mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Februar 2011 den Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgefordert, den Überprüfungsantrag zu begründen und konkrete Bescheide zu benennen.
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2011 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierauf geantwortet, "eines irgendwie gearteten Antrages" bedürfe es für die Einleitung eines Verfahrens nach § 44 SGB X gar nicht. Ein nicht erforderlicher Antrag könne folglich auch nicht zu pauschal gestellt worden sein. Der gleichwohl gestellte Überprüfungsantrag sei daher als unverbindliche Anregung an die Beklagte zu verstehen, ihren Verpflichtungen aus § 20 SGB X nachzukommen. Eine Begründung und eine Benennung der zur Überprüfung gestellten Bescheide erfolgten nicht.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat beantragt,
den Bescheid vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Cottbus hat mit Urteil vom 15. März 2011 die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit in der mündlichen Verhandlung ein neuer Überprüfungsantrag gestellt worden sei, weil es insoweit an einem Vorverfahren nach § 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) fehle. Im Übrigen umfasse § 44 SGB X nur eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheides "im Einzelfall" und bezogen auf "den Verwaltungsakt". Der gestellte "globale Überprüfungsantrag" sei daher gar nicht von der Regelung des § 44 SGB X erfasst, weil schon nach dem Wortlaut der Norm nur Einzelfälle überprüft würden. Entsprechend müsse zumindest der konkrete Verwaltungsakt hinreichend bezeichnet werden, damit die Behörde in die Lage versetzt werde, einen den Anforderungen des § 33 SGB X entsprechenden Überprüfungsbescheid zu erlassen. Diese Minimalanforderungen seien nicht erfüllt und könnten auch nicht im Rahmen eines Klageverfahrens nachgeholt werden, weil die Behörde dann erstmalig im Klagever-fahren in die Lage versetzt würde, dem Überprüfungsbegehren des Antragstellers konkret nachzugehen, so dass dies faktisch als eigentlicher Überprüfungsantrag zu werten sei, mit der Folge, dass hinsichtlich dieses Überprüfungsbegehrens noch kein Vorverfahren durchgeführt wurde, wodurch die Klage diesbezüglich unzulässig würde. Soweit die Klage allein auf die Aufhebung der ablehnenden Überprüfungsentscheidung gerichtet sei, sei sie zulässig, jedoch unbegründet. Der Beklagte habe sich zu Recht auf die Bestandskraft der Bescheide berufen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. April 2011 zugestellte Urteil hat dieser nur im Namen des Klägers am 13. April 2011 Berufung über das Sozialgericht Cottbus eingelegt.
In diesem Schriftsatz heißt es wörtlich:
"In Sachen F, S./. ARGE - S 14 AS 2531/10 - lege ich namens und in Vollmacht des Mandanten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. 03. 2011, hier zuge-gangen am 11. 04. 2011, Berufung ein. Die Begründung erfolgt mit separatem Schrift-satz."
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bedürfe es für die Einleitung eines Überprüfungs-verfahrens nach § 44 SGB X keiner ausdrücklichen Benennung der zur Prüfung gestellten Be-scheide. Wenn der Betroffene sämtliche Bescheide zur Prüfung stellen möchte, könne er dies auch so beantragen. Es sei nicht ersichtlich, worin der Vorteil für den Beklagten liegen solle, wenn der Antragsteller jeden einzelnen Bescheid "datumsmäßig genau bezeichne". Das wäre nur dann erforderlich, wenn eine Abgrenzung zwischen verschiedenen Bescheiden erfolgen müsse. Eine solche Abgrenzung solle hier aber gerade nicht erfolgen, denn es seien "sämtliche Bescheide" zur Prüfung gestellt worden. Im Übrigen habe der Beklagte die Verwaltungsakte zur Hand und könne entsprechend nachschauen, welche Bescheide wann erlassen, wann sie aufgehoben oder abgeändert worden seien. Der Beklagte unterliege auch im Zugunstenverfah-ren einem Amtsermittlungsgrundsatz und habe insofern die jeweiligen Bescheide selbst zu er-mitteln (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rz. 12). Die Behörde dürfe einen Überprüfungsantrag nur dann ohne Sachprüfung ablehnen, wenn dieser wiederholt gestellt worden sei.
Außerdem verweist der Kläger auf die Entscheidungen des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. November 2003 (A.z. B 2 U 32/02 R) und 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R). Nach diesen Entscheidungen sei der Beklagte zum einen verpflichtet, jeden Überprüfungs-antrag inhaltlich zu bescheiden. Auch könne zum anderen nach dem Urteil vom 5. September 2006 das Klagebegehren bei einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt werden. Begehrt werde letztlich rück-wirkend eine höhere Leistung.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt ausdrücklich,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren. Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Be-klagten (sechs Bände, Az. 03506 BG 2264), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung ge-wesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Zunächst ist festzustellen, dass im Berufungsverfahren nur noch Ansprüche des Klägers im Streit sind.
Nur in dessen Namen hat der Prozessbevollmächtigte Berufung gegen das Urteil des Sozialge-richts Cottbus eingelegt. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Berufungs-schrift, in der der Prozessbevollmächtigte formuliert: "Namens und in Vollmacht des Mandan-ten". Damit ist zum einen eindeutig, dass nur im Namen einer Person Berufung eingelegt wor-den ist. Zum anderen ist nach der Namensnennung des Klägers und aufgrund der gewählten maskulinen Form ("des Mandanten") unzweifelhaft, dass nicht im Namen der Mutter, die eben-falls Beteiligte im Klageverfahren war, Berufung eingelegt worden ist. Nach Ablauf der Beru-fungsfrist (§ 151 SGG) wurde mithin das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 für die Mutter des Klägers rechtskräftig und somit bindend (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist insoweit unzulässig, als der Kläger nunmehr erstmalig im Berufungsverfahren direkt im Wege der so genannten Anfechtungs-/Leistungsklage die Verurteilung des Beklagten zu einer rückwirkend höheren Sozialleistung ohne Rücknahme der bestandskräftigen Beschei-de begehrt.
Zwar hat der 2. Senat des BSG in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R, veröffentlicht unter anderem in BSGE 97, 54) - in Abweichung von der bishe-rigen Rechtsprechung des 4. und des 9. Senats des BSG - insoweit ausgeführt:
" Der Kläger erstrebt bei sinnentsprechender Auslegung seines Begehrens (§ 123 SGG) die Aufhebung sowohl der jetzigen als auch der früheren, bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidungen sowie die gerichtliche Feststellung, dass der von ihm am 24. Januar 1994 erlittene Unfall ein Arbeitsunfall war. Inwieweit dem weiteren, nicht kon-kretisierten Antrag "die gesetzlichen Leistungen laufend und rückwirkend für den Zeit-raum von vier Jahren ab Stellung des Antrags nach § 44 SGB X zu erbringen" eine dar-über hinausgehende eigenständige Bedeutung, z.B. hinsichtlich einer Verletztenrente, beikommt, wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu klären haben, zu-mal ein entsprechendes Grundurteil nicht zulässig wäre (vgl. mit weiterer Begründung Urteil des Senats vom 7. September 2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 3 RdNr. 4 f). Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Einer zusätzli-chen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Ge-richtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Der ge-genteiligen Auffassung, die eine Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungs- bzw. Feststellungsklage verlangt (BSG (4. Senat) SozR 3-1300 § 44 Nr. 8 S. 19 sowie unveröffentlichtes Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 62/02 R -; BSG (7. Se-nat) BSGE 76, 156, 157 f = SozR 3-4100 § 249e Nr 7 S 52; BSG (9. Senat) BSGE 81, 150, 152 = SozR 3-3100 § 30 Nr. 18 S 43; Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum So-zialversicherungsrecht, Stand: 2006, § 44 SGB X RdNr. 16; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 RdNr. 20c) vermag der Senat nicht zu folgen. Dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden kann und dass hierüber nach § 44 Abs 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde ent-scheidet, rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden kann. Wäre es anders, käme eine mit dem Verpflichtungsantrag verbundene Leistungsklage - die auch von der Gegenmeinung für zulässig gehalten wird - aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn die Verwaltungsbehörde kann nicht zur Leistung verurteilt wer-den, ehe der entgegenstehende bestandskräftige (Ausgangs-)Bescheid beseitigt ist und solange nur die Behörde verpflichtet ist, ihn zurückzunehmen. Richtigerweise kann des-halb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Be-scheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (wie hier: Kras-ney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, Kap. IV RdNr. 76; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand: 2006, § 54 RdNr. 106). Einer Vorlage an den Großen Senat nach § 41 SGG bedarf es nicht, weil diese von anderen Senaten abwei-chende Beurteilung der richtigen Klageart vorliegend nicht entscheidungserheblich ist (vgl BSG - GrS -, Beschluss vom 18. November 1980 - GS 3/79 - BSGE 51, 23 , 25 f = SozR 1500 § 42 Nr. 7 m.w.N.; BSG - GrS -, Beschluss vom 29. Mai 1984 - GS 1/82, GS 2/82, GS 3/82 - BSGE 57, 23, 26 = SozR 2200 § 1250 Nr. 20 S. 26).
Ob dieser Rechtsauffassung des 2. Senats des BSG hinsichtlich der statthaften Klageart in ei-nem Verfahren nach § 44 SGB X zu folgen ist, kann indes offen bleiben. Denn auch nach die-ser Rechtsprechung ist die Beseitigung der bestandskräftigen Bescheide notwendig, bevor die Verurteilung zu einer rückwirkenden Leistungsgewährung erfolgen kann. Eine solche Notwen-digkeit ergibt sich unmittelbar aus § 77 SGG. Nach dieser gesetzlichen Regelung sind be-standskräftige Bescheide für die Beteiligten bindend und stehen einer anderweitigen Entschei-dung entgegen. Eine "Beseitigung" (sei es im Wege der Anfechtungsklage oder sei es im Wege der Verpflich-tungsklage) der bestandskräftigen Bescheide hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats aber nicht beantragt; der Senat kann aber über den gestellten Antrag nicht hinausgehen. Folglich stehen diese Bescheide aufgrund der ihnen wei-terhin zukommenden Bindungswirkung einer Verurteilung zu einer höheren Leistung entgegen.
Hinsichtlich des von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausdrücklich gestellten Antra-ges kann daher weiter dahinstehen, ob dieser aus weiteren Gründen unzulässig ist. Hier sind insbesondere die erstmalige Geltendmachung eines Anspruches im Berufungsverfahren und die Bestimmtheit des Antrages zu nennen. Mit seinem Antrag auf Verurteilung zu Leistungen geht der Kläger über den Antrag hinaus, über den das Sozialgericht in der angefochtenen Entschei-dung befunden hat. Der Kläger hat zudem nicht einmal den Zeitraum benannt, für den er höhe-re Leistungen begehrt, geschweige denn einen Zahlbetrag beziffert.
Soweit der Kläger mit seiner Berufung weiterhin die erstinstanzliche Entscheidung und letzt-lich den Überprüfungsbescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides angreift, ist die Berufung zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Cottbus hat zu Recht die Klage mit Urteil vom 15. März 2011 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Sep-tember 2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. November 2010 ist rechtmä-ßig.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Vorliegend ist nicht ansatzweise erkennbar, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG wohl umstritten, ob und wann überhaupt ein Verfah-ren nach § 44 SGB X einzuleiten ist.
So hat beispielsweise der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. April 2001 (Az. B 4 RA 22/00 R, veröffentlicht unter anderem in BSGE 88, 75 und NZS 2002, 155, jeweils m.w.N.) schon eine erneute Überprüfung und Bescheidung nicht in jedem Fall als notwendig angesehen und hierzu ausgeführt:
" Hinsichtlich des Begehrens der Klägerin, die BfA möge – trotz unveränder-ter Sachlage - die bisherige bestandskräftige Ablehnung eines Rechts auf anteilige Hin-terbliebenenrente zurücknehmen und ihr dieses Recht bewilligen, sind grundsätzlich drei Verfahrensebenen oder -stufen zu unterscheiden:
Auf der ersten Ebene/Stufe hat die Behörde zu entscheiden, ob sie trotz der Bestandskraft des früheren Verwaltungsaktes überhaupt in eine sachliche Prüfung der Voraussetzungen seiner Rücknahme eintreten darf oder dies sogar muss. Im SGB X fehlt hierzu eine ausdrückliche Vorschrift. Die Voraussetzungen eines strikten (Rechts-) Anspruchs auf eine Sachprüfung der Behörde darüber, ob sie einen unanfechtbaren Verwaltungsakt aufhebt oder ändert ("Wiederaufgreifen" des Verfahrens), ergeben sich aus der lückenfüllend anzuwendenden Maßstabsnorm des § 51 des Verwaltungsverfah-rensgesetzes - des Bundes - (VwVfG). Das bedeutet: Bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage, beim Vorliegen neuer günstiger Beweismittel oder bei Wiederaufnahmegründen muss die Behörde (nach § 51 Abs 1 VwVfG - in den Gren-zen von Abs. 2 und 3 a.a.O.) die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsaktes in der Sache prüfen und bescheiden. Im Übrigen steht die Entscheidung, ob in ei-ne Sachprüfung der Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsaktes eingetreten wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (hierzu und zum nachfolgen-den stellvertretend: BSG, Urteil vom 23. Februar 1988, SozR 1300 § 44 Nr. 33; Urteil vom 30. Januar 1997, SozR 3-2600 § 300 Nr. 10; Meyer, Verwaltungsakt und verwal-tungsrechtlicher Vertrag im Anwendungsbereich des SGB X, SGb 1981, 501 ff). Hierbei muss sie (als Ermessensziel) sicherstellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitge-hend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)). Lehnt die Behörde eine Sachprüfung der Rücknahmevoraussetzungen ab, wird das Verfahren durch verfahrensgestaltenden Verwaltungsakt (wiederholende Verfügung) abgeschlos-sen. Greift sie es wieder auf, indem sie die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsaktes prüft und damit dessen Bindungswirkung durchbricht, unterbleibt in der Praxis im allgemeinen die Bekanntgabe dieser Regelung; sie wird später nur indirekt durch die Mitteilung der auf der zweiten Verfahrensstufe getroffenen Regelung verlautbart. Auf der zweiten Verfahrensebene/-stufe hat die Behörde zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang sie den früheren Verwaltungsakt zurücknimmt/aufhebt. Lehnt sie die Aufhebung (Rücknahme) ab, wird das Verwaltungsverfahren mit diesem das Nichtbe-stehen eines Rücknahmeanspruchs feststellenden Verwaltungsakt abgeschlossen ..."
Demgegenüber hat der 2. Senat des BSG in seinem (späteren) Urteil vom 11. November 2003 (Az. B 2 U 32/02 R, veröffentlicht unter anderem in NZS 2004, 660) unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (Urteil vom 3. Februar 1988, Az. 9/9a RV 18/86, veröf-fentlicht unter anderem in BSGE 63, 33, und Urteil vom 28. Januar 1981, Az. 9 RV 29/80, ver-öffentlicht unter anderem in BSGE 51,139) die Ansicht vertreten:
" Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Entscheidung über den erhobenen An-spruch nicht entgegen. Zutreffend haben die Vorinstanzen in dem Schreiben vom 2. Sep-tember 1999 einen Verwaltungsakt gesehen, mit dem die Beklagte die Rücknahme ihres früheren Bescheides über die Versagung der Halbwaisenrente gemäß § 44 Abs. 1 SGB X (erneut) abgelehnt hat. Nur diese Deutung wird bei Berücksichtigung des zuvor vom Kläger gestellten Antrags dem Inhalt des Schreibens gerecht. Anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht folgt das SGB X bei Ansprüchen auf Sozialleistungen dem Grundsatz, dass der materiellen Gerechtigkeit auch für die Vergangenheit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit gebührt. Es kennt daher keine dem § 51 des Verwaltungsverfah-rensgesetzes vergleichbare Regelung, die es der Behörde erlaubt, ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens unter Berufung auf die Bindungswirkung früherer Bescheide abzulehnen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und der Antragsteller keine neuen Beweismittel vorlegen kann. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist der Leistungsträger vielmehr verpflichtet, auch bei wiederholten Anträgen über die Rücknahme der entgegenstehenden Verwaltungsakte und die Gewährung der bean-spruchten Sozialleistung zu entscheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSGE 63, 33, 35 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Zwar hat die Beklagte diese Zusammenhän-ge verkannt und es abgelehnt, sich mit der Sache überhaupt erneut zu befassen. Sie hat damit aber inzident zugleich den weitergehenden Antrag auf eine Sachentscheidung zu-gunsten des Klägers abschlägig beschieden."
Auch nach diesem Urteil des 2. Senats des BSG vom 11. November 2003 (B 2 U 32/02 R) dürfte unstreitig sein, dass im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X (nach Einleitung des Verfahrens) mehrere Stufen zu beachten sind, denn dieser hat hierin ausdrücklich auf die insofern eindeutigen Entscheidungen des 9. Senats BSG (unter anderem vom 3. Februar 1988, 9/9a RV 18/86) verwiesen. Er ist damit hinsichtlich der zu klärenden Rechtsfrage (Umfang der Prüfungspflicht eines Antrages nach § 44 SGB X) gerade nicht erkennbar von der Rechtspre-chung des 9. Senats des BSG abgewichen und hat sie auch nicht gemäß § 41 Abs. 2 SGG dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Im Übrigen hat der 2. Senat des BSG in seinem bereits genannten späteren Urteil vom 2. September 2006 (B 2 U 24/05 R, s. o.) hierzu aus-drücklich klargestellt, dass eine Behörde nur "entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 3-2600 § 243 Nr. 8 S 27 f; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S 119 f; Steinwedel, a.a.O, § 44 RdNr. 34; Vogelgesang, a.a.O., K § 44 RdNr. 18; Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 44 RdNr. 13)" muss.
In dem vom 2. Senat BSG zitierten Urteil des 9. Senates BSG vom 3. Februar 1988 (9/9a RV 18/86. a.a.O.) hat der 9. Senat zu der Regelung des § 44 SGB X ausgeführt (zitiert nach juris):
" Nach dieser Vorschrift ist ein eine Sozialleistung ablehnender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzu-nehmen, soweit sich im Einzelfall "ergibt", dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig "erweist". Diese Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, die gemäß § 77 SGG grundsätzlich von allen Beteilig-ten zu beachten ist, also auch von dem Rechtsträger, der den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes ähnelt der Rechtskraft eines Urteils (Hauck/Haines, SGB X/1, 2, Stand Februar 1987, § 31 RdNr. 7). Allerdings kann von der Bindungswirkung eines Urteils nur unter wesentlich strengeren Anforderungen abgewi-chen werden als von der eines Verwaltungsaktes. In den Prozessordnungen (§§ 578 ff Zivilprozessordnung, § 179 Abs. 1 SGG, § 153 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung, § 134 Finanzgerichtsordnung) ist vorgesehen, dass eine erneute Sachprüfung trotz rechts-kräftiger Entscheidung erst dann möglich ist, wenn zuvor zwei Hindernisse überwunden worden sind: Zunächst müssen Gründe geltend gemacht werden, die ihrer Art nach Wie-deraufnahmegründe darstellen. Erst wenn das geprüft und bejaht worden ist, ist weiter zu fragen, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund tatsächlich vorliegt und das rechtskräftige Urteil auf einen Umstand gestützt ist, der infolge des Wiederaufnahme-grundes nunmehr zweifelhaft geworden ist. Am Ende dieses Verfahrensabschnittes ist zu entscheiden, ob das rechtskräftige Urteil aufzuheben ist. Nur wenn dies zu bejahen ist, kann als dritter Verfahrensabschnitt die erneute Sachprüfung des gesamten früheren und jetzt neu vorgetragenen Streitstoffes erfolgen.
Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt zwar nicht ausdrücklich, dass vor einer erneuten Sachprüfung formal zwei Prüfungsabschnitte durchlaufen werden. Sie setzt aber stillschweigend voraus, dass dies gedanklich in ähnlicher Weise geschieht (vgl. hierzu etwa Maurer, Jus 1976, 25 ff; Klink, BG 1977, 604 ff; Unkelbach, AuB 1984, 226 ff). Auch das Rücknahmeverfahren in der allgemeinen Verwaltung wird in Anlehnung an das Wiederaufnahmeverfahren als dreistufiges Verfahren gesehen (vgl. Kopp, Verwal-tungsverfahrensgesetz, 4. Aufl., § 48 RdNr. 22). Ebenso war nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vorzugehen, mit dem § 44 SGB 10 in den Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes übereinstimmt (BSGE 51, 139 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG vom 17. November 1981 - 9 RV 15/81 -). Ergibt sich also im Rahmen eines Antrages auf Zu-gunstenbescheid nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Wer-den zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorlie-gen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde eben-falls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Ent-scheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu ent-scheiden. Auch wenn die neue Entscheidung ebenso lautet wie die bindend gewordene Entscheidung, ist in einem solchen Fall der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prü-fen."
Nach diesen Grundsätzen, der sich auch der erkennende Senat nach eigener Prüfung anschließt, ergibt sich für den vorliegenden Rechtsstreit Folgendes:
Selbst wenn zu Gunsten des Klägers der Rechtsprechung des 2. Senats des BSG gefolgt würde und zudem - entgegen dem zeitweisen Vortrag des Klägers - davon ausgegangen würde, dass tatsächlich ein Überprüfungsantrag vorliegt und nicht nur eine "unverbindliche Anregung", so war über den Überprüfungsantrag vom 6. September 2010 durch den Beklagten formell zu ent-scheiden. Anders als im Verwaltungsverfahrensgesetz unter Anwendung des § 51 wäre auch ein wiederholter oder gar vollkommen unsubstantiierter Antrag auf Überprüfung eines be-standskräftigen Verwaltungsakts nach § 44 SGB X zulässig und zu bescheiden.
Dies ist vorliegend jedoch durch den Beklagten auch geschehen. Zwar ist der Beklagte aus-weislich seiner Begründung im angegriffenen Widerspruchsbescheid davon ausgegangen, dass ohne konkrete Benennung eines Bescheides oder gar Vorbringen von Gründen, die auf die Unrichtigkeit einer Entscheidung hinweisen könnten, nicht "einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens" erfüllt sind. Er hat mit dem angegriffenen Bescheid jedoch letztlich nur "eine sachliche Prüfung abgelehnt" und sich "auf die Bindungs-wirkung" der Bescheide berufen. Damit hat er aber tatsächlich ein Verfahren durchgeführt und den Antrag auf Rücknahme "sämtlicher Bescheide" in der Sache (unter Berufung auf die Bin-dungswirkung) abschlägig beschieden (so auch der 2. Senat BSG, B 2 U 32/02 R, a. a. O.).
Diese Entscheidung der Beklagten ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sich zu Recht auf die Bindungswirkung der Bescheide berufen und eine Rücknahme "sämtlicher Bescheide" abgelehnt.
Nach der bereits oben genannten Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (Urteil vom 3. Febru-ar 1988, 9/9a RV 18/86, a. a. O.), darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bin-dungswirkung berufen, wenn sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte.
Der Beklagte hat in seinen angegriffenen Entscheidungen zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger keinerlei Begründung für seinen Überprüfungsantrag vorgenommen hat. Er hat nicht einmal die Bescheide konkret benannt, die zur Überprüfung gestellt werden. Damit hat er jedoch nicht ansatzweise etwas vorgebracht, was für die Unrichtigkeit einer bestandskräftigen Entscheidung sprechen könnte. Selbst nach dem eigenen, jedoch vollkommen unsubstantiierten "ins Blaue" gemachten Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers sowie unter Be-rücksichtigung des vom Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst angeführten Urteil des 2. Senats des BSG vom 5. September 2006 (Az. B 2 U 24/05 R) ergibt sich nichts anderes, denn auch hiernach muss eine Behörde – wie bereits ausgeführt – nur "entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneuten Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden"; der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat - wie ebenfalls bereits ausgeführt - mit seinem Vorbringen somit noch nicht einmal die Mindestvoraussetzungen für eine Überprü-fung bestandskräftiger Verwaltungsakte nach § 44 SGB X erfüllt. Nach der pauschalen Bean-tragung auf Überprüfung "sämtlicher Bescheide" ist vielmehr nicht einmal erkennbar, welcher Verwaltungsakt im Einzelnen zur Überprüfung gestellt wird und "im Einzelfall" im Sinne des § 44 SGB X rechtswidrig sein könnte.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Benennung der zur Überprüfung gestellten bestands-kräftigen Bescheide nicht deshalb entbehrlich, weil der Beklagte in Kenntnis seiner eigenen Bescheide sein müsste bzw. diese aus den Verwaltungsakten ersichtlich sein müssten.
Der Kläger verkennt hierbei schon, dass eine Bestandskraft des Bescheides zunächst seine Wirksamkeit voraussetzt (vergleiche § 39 SGB X). Die Wirksamkeit des Bescheides kann eine Behörde jedoch regelmäßig anhand der Verwaltungsakte nicht nachvollziehen. Denn nach § 39 Abs. 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt demgegenüber, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die-ser Zeitpunkt ist jedoch der Behörde regelmäßig nicht bekannt, weil üblicherweise Bescheide ohne besondere Nachweise (beispielsweise Postzustellungsurkunde) durch die Post übermittelt werden. Zwar greift bei einer solchen Übermittlung grundsätzlich die Vermutung der Bekannt-gabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X. Diese Vermu-tung gilt jedoch nur unter den Einschränkungen des § 37 Abs. 2 S. 3 SGB X, so dass eine Be-kanntgabe, eine Wirksamkeit und letztlich eine Bestandskraft eines Bescheides nicht schon dann zweifelsfrei feststehen, wenn dieser von der Behörde abgesandt worden ist.
Steht danach trotz mehrfacher Hinweise durch den Beklagten und durch die Gerichte aber nicht einmal zweifelsfrei fest, welche Bescheide zur Überprüfung anstehen, so ist umso weniger de-ren Rechtswidrigkeit erkennbar. An dieser Einschätzung ändert auch - wie ebenfalls bereits ausgeführt - die pauschale, aber vollkommen unsubstantiiert "ins Blaue" gemachte Behauptung der Rechtswidrigkeit aller Bescheide durch den Kläger nichts.
Zwar ist dem Kläger insoweit zuzugeben, dass grundsätzlich sämtliche Bescheide der Beklag-ten über einen Leistungsanspruch des Klägers rechtswidrig sein können. So ist beispielsweise denkbar, dass der Kläger aufgrund von nicht angegebenen Einkünften oder Vermögen nie be-dürftig war und die Beklagte in Unkenntnis dessen gleichwohl jahrelang Leistungen bewilligte. Dies würde dazu führen, dass beispielsweise sämtliche Bewilligungsbescheide rechtswidrig (begünstigend) wären. Gleichwohl wäre eine inhaltliche Überprüfung dieser Bewilligungsbe-scheide nach § 44 SGB X nur dann angebracht, wenn sich im Einzelfall Hinweise ergeben würden, dass wegen der fehlerhaften Entscheidung Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies wiederum wäre kaum denk-bar, weil höhere Leistungen nicht in Betracht kommen, wenn wegen fehlender Bedürftigkeit schon ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach ausgeschlossen wäre.
Insgesamt bleibt danach festzuhalten, dass sich der Beklagte zu Recht ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung ihrer bestandskräftigen Bescheide berufen hat, weil von dem Kläger nichts vorgebracht worden ist, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidungen sprechen könnte.
Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 SGB X, zu dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers – unzutreffend unter Hinweis Schütze (in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn. 12) – die Auffassung vertritt, die Be-hörde habe "insofern die jeweiligen Bescheide selbst zu ermitteln". Abgesehen davon, dass in der genannten Zitatstelle kein Wort davon steht, dass die Behörde die jeweiligen zu überprü-fenden Bescheide selbst zu ermitteln habe, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass zwar auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, der Kläger insoweit zum einen aber schon verkennt, dass nach dem klaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 2 SGB X die Behörde "Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt". Sie ist - und zwar auch nach der Kommentierung von Schütze (in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 44 Rn. 39 m.w.N.) - nicht verpflichtet, Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbei-ten; aus der Formulierung "im Einzelfall" ergibt sich vielmehr, dass sich konkret in der Bear-beitung eines Falles ein Anhaltspunkt für eine Aufhebung ergeben muss (Schütze, a.a.O.). Zum anderen gelten auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X die allgemeinen Beweis-grundsätze. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen feh-lerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Können diese Voraussetzungen nicht festgestellt werden, geht dies zu Lasten des die Überprü-fung begehrenden Adressaten (Schütze, a.a.O., Rn. 12, m.w.N.).
Wird, wie vorliegend der Fall, nicht einmal die erste von mehreren Stufen eines Überprüfungs-verfahrens von dem Kläger erreicht, weil nichts vorgetragen oder ersichtlich ist, was zur Un-richtigkeit der bestandskräftigen Bescheide führen könnte, so ist regelmäßig auch kein Anlass für weitere Ermittlungen zu sehen. Für Gedanken, ob sich ohne jeden Anhaltpunkt die Rechts-widrigkeit der Bescheide erweisen und ein (höherer) Leitungsanspruch ergeben wird, ist inso-weit kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
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