Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 1376/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 584/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Anwendbarkeit der im strafgerichtlichen Verfahren entwickelten Nullhypothese im OEG
2. Zur Erforderlichkeit einer aussagepsychologischen Begutachtung von Klägern und Zeugen.
2. Zur Erforderlichkeit einer aussagepsychologischen Begutachtung von Klägern und Zeugen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zwischen 1965 und 1972 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.
Bei der am 8. Februar 1957 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin, die als Erwerbsunfähige laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bezieht, sind seit dem 22. Mai 2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G und B im Wesentlichen wegen einer seelischen Störung und posttraumatischen Belastungsstörung (Teil-GdB von 70) anerkannt (Bescheid vom 3. Juli 2007, Bl. 41 SG-Akte).
Am 10. Oktober 1976 begab sich die Klägerin erstmalig in die Psychologische Ambulanz. Der Oberarzt der Klinik Dr. K. diagnostizierte eine konversionssneurotische Symptomatik einer infantilen Persönlichkeit (vielfältiger Symptomkomplex, ausgelöst durch den ersten Geschlechtsverkehr). Eine stationäre Behandlung in der psychosomatischen Klinik wurde empfohlen (Arztbericht vom 15. Oktober 1976, Bl. 43 f. Senatsakte). Von Februar 1978 bis Dezember 1979 wurde sie wegen einer Zwangsstörung mit depressiver Komponente und suicidalen Tendenzen, Angstzuständen und Rechenstörung verhaltenstherapeutisch behandelt (vgl. Befundbericht von Dipl.-Psych. M. vom 11. Juni 2011, Bl. 42 Senatsakte). Eine erste stationäre Behandlung fand vom 15. November 1983 bis 16. Februar 1984 im Psychiatrischen Landeskrankenhaus W. - Funktionsbereich Psychotherapie - wegen einer Angstneurose mit Zwangsgedanken statt (vgl. Arztbriefe vom 29. November 1983 und 1. März 1984, Bl. 37 f. und 39 f. Senatsakte).
Ihre Ausbildung zur Friseurin führte die Klägerin vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1975 durch, war anschließend im Juli 1975 und dann wieder vom 23. März bis 9. Oktober 1976 versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen von einer fünfmonatigen Arbeitslosigkeit. Eine weitere Versicherungspflicht bestand vom 1. Mai 1977 bis 31. Januar 1979, vom 15. Juni 1980 bis 7. November 1982, im März 1983, von März 1984 bis Januar 1986 und schließlich vom 8. März bis 12. August 1986. Danach war die Klägerin arbeitslos (vgl. Versicherungsverlauf vom 20. August 2008, Bl. 35 f. Senatsakte). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt die Klägerin nicht.
Mit 24 Jahren heiratete die Klägerin das erste Mal, die Ehe wurde nach kurzer Zeit geschieden. Ihren zweiten Mann heiratete sie mit 29 Jahren, er erkrankte 1997 nach einer Reise nach Kenia an Aids (nur Bluttest, nicht ausgebrochen, Bl. 41 V-Akte), 1998 trennte sie sich von ihm (vgl. Abschlussbericht Fachklinik H. vom 19. Juni 1998, Bl. 28 V-Akte).
Am 19. September 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung unter Hinweis auf den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater von frühester Kindheit an bis zu dessen Tod in ihrem 15. Lebensjahr. Sie leide an Depressionen, Angststörung, Tinnitus, Zwängen, Alpträumen, Dissoziationsstörungen, sexueller Störung und Schwierigkeiten mit der Sexualität im Allgemeinen als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes befragte der Beklagte den behandelnden Psychotherapeuten sowie die Schwester und die Mutter der Klägerin schriftlich. Der Psychotherapeut H., bei dem die Klägerin seit 2002 in regelmäßiger ambulanter Betreuung steht, legte die Entlassungsberichte der Fachklinik H. (stationäre psychiatrische Behandlung vom 2. Februar bis 27. Mai 1998 und 21. Juni bis 2. August 2000) vor. Er berichtete, dass zunächst eine Zwangssymptomatik im Vordergrund der Behandlung gestanden habe. Erst im Verlauf der Therapie seit 1997 sei die verdrängte schwere Traumatisierung (psychogene Amnesie) mit dem Grundgefühl des hilflos Ausgeliefertseins und tiefer Selbstwertproblematik in den Vordergrund getreten. In dem beigefügten Erstantrag auf Gewährung einer Psychotherapie führte Psychotherapeutin H. aus, sie habe die Klägerin bereits von September 1992 bis zum Mai 1996 psychotherapeutisch behandelt.
Die Schwester der Klägerin, R. Q., gab an, ihre Schwester habe im Alter von 12 Jahren das erste Mal über Ängste und Zwänge berichtet, diese aber nicht als ausdrücklichen Missbrauch geschildert. Ihre Schwester habe gegen ihren Willen beim Vater liegen müssen. Es sei wie ein Ritual gewesen. Er habe an die Wand geklopft, sie habe aufstehen und ins Schlafzimmer gehen müssen. Manchmal sei ihr anzusehen gewesen, dass sie am liebsten nicht gegangen wäre. Dann habe die Mutter sie aufgefordert zu gehen. Sie sei lange beim Vater geblieben. Sie habe auch beobachtet, wie ihr Vater die Brüste ihrer Schwester in der Badewanne eingeseift habe. Damals müsse sie 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein. Eines Tages habe ihre Schwester erzählt, sie wolle nicht mehr, dass der Vater zu ihr ins Bad komme, um die Brüste einzuseifen. Das habe sie auch dem Vater gesagt, worauf ein großer Streit in der Familie entstanden sei. Es sei das erste Mal gewesen, dass die Klägerin sich gegen den Willen des Vaters aufgelehnt habe. Ihr selbst sei es zwar nicht verboten gewesen, das Schlafzimmer zu betreten, sie habe aber gewusst, dass das nicht gut sei. Eines Tages habe sie gesehen, dass ihr Vater und ihre Schwester ineinander verkeilt auf dem Bett gelegen hätten. Die Mutter habe vor ihrem Mann Angst um ihr eigenes Leben gehabt, sie habe sich nicht gegen ihn stellen können. Die Mutter, E. Q., teilte mit, bei ihren Eltern habe es solche Sachen nicht gegeben. Darum habe sie sich niemals vorstellen können, dass ihr Mann sich an ihrer Tochter vergangen habe. Sie habe dies nicht gewusst und sie habe sich nichts dabei gedacht, wenn er die Tochter allein mit ins Schlafzimmer genommen habe. Außerdem habe er die Tochter oft brutal geschlagen und beschimpft. Dass er ihr mit 15 Jahren den Busen eingeseift habe, habe sie mitbekommen. Ihre Tochter habe es ihr damals erzählt (Bl. 53 f.; 55 Verwaltungsakte).
Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2006 den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne nicht nachweisen, dass sie durch vorsätzliche, rechtswidrige und tätliche Handlungen geschädigt worden sei. Den Antrag habe sie mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossen Tür geschah". Somit lägen ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten vor und ihr könne der Nachweis sexueller Schädigungen nicht gelingen.
Die Klägerin legte hiergegen unter Beifügung eines Attests vom Facharzt H. Widerspruch ein. Dieser führte aus, es gebe auf Grund der Anamnese und der Lebensgeschichte der Klägerin keinen Zweifel daran, dass sie missbraucht worden sei. Es müsse eine Retraumatisierung befürchtet werden. Die Dokumente müssten dringend einem medizinischen Sachverständigen vorgelegt werden, einer Behörde fehle der medizinische Sachverstand.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei lange zurückliegenden Ereignissen sei erfahrungsgemäß die Sachverhaltsaufklärung schwierig, da oftmals nur wenige oder gar keine Beweise vorlägen. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Vater als mutmaßlichen Schädiger sei zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden, sodass es an zeitnahen polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fehle. Die Zeuginnen hätten nur bestätigen können, dass die Klägerin in das elterliche Schlafzimmer gerufen worden wäre, hätten indessen nicht gewusst, was sich dort konkret ereignet habe. Der sexuelle Missbrauch sei der Klägerin erst im Rahmen einer Therapie durch einen Traum bewusst geworden. Die Therapeutin habe eine psychogene Amnesie diagnostiziert. Nach alledem bestünden Zweifel daran, ob die Darstellungen tatsächlich auf erlittenen Missbrauchshandlungen beruhten.
Mit ihrer hiergegen am 7. März 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ausgeführt, dass die ambulanten und stationären Einrichtungen einen klaren Zusammenhang zwischen den gestellten Diagnosen und einem in der Kindheit stattgefundenen schädigenden Ereignis in Form des sexuellen Missbrauchs bestätigt hätten. Der Beklagte habe auch nicht beachtet, dass ihre Schwester den Missbrauch aus eigener Anschauung geschildert habe.
Sie hat eine weitere schriftliche Aussage ihrer Schwester R. Q. vom 16. Januar 2008 vorgelegt: "Ich habe verschwiegen, was ich damals wirklich gesehen habe. In unserer Familie wurde immer geschwiegen. Der Schande wegen. Meine Mutter und ich hatten damals nicht den Mut, das zu verhindern, was geschehen ist. Immer wieder habe ich gesehen, wie meine Schwester vom Vater mit ins Badezimmer genommen wurde, gegen ihren Willen. Auch habe ich gesehen, wie ihre Brüste eingeseift wurden. Als ich einmal meine Schwester im Schlafzimmer weinen hörte, habe ich die Tür geöffnet. Da sah ich, wie der Penis meines Vaters in dem Mund meiner Schwester steckte. Ich war so gelähmt und konnte damals mit dieser Situation nicht umgehen." (Bl. 46 SG-Akte).
E. Q. hat ebenfalls mit Schreiben vom 19. Januar 2008 ergänzend zu ihrer ersten schriftlichen Aussage vorgetragen, dass sie doch gewusst habe, dass ihr Mann ihre Tochter im Schlafzimmer sexuell missbrauche. Sie habe indessen die Augen zugemacht, weil sie sich vor ihrer Familie geschämt habe. Sie habe nicht gewollt, dass diese Schande an die Öffentlichkeit gelange. Nur einmal habe sie ihren Mann zur Rede gestellt. Der habe ihr gesagt: "Die Sachen, die ich mit dir nicht machen will, die mache ich mit Elke." (Bl. 48 SG-Akte).
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der damals zuständige Richter die Klägerin angehört und ihre Schwester als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Angaben wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 5. Dezember 2008 (Bl. 63 ff. SG-Akte) verwiesen. Des Weiteren ist die Klägerin nervenärztlich begutachtet worden.
Der Sachverständige, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie Dr. Sch. hat in seinem Gutachten vom 15. Juli 2010 ausgeführt, dass die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungs-/Persönlichkeitsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leide, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Alleinverursachung auf die Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückzuführen sei. Er habe keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin bis zum Tode ihres Vaters im Frühjahr 1972 unter körperlicher Gewalt durch ihren Vater gelitten habe, auch wenn sie sich nicht, kaum oder nur eingeschränkt erinnern könne. Bei ihr liege eine sogenannte "psychogene Amnesie" vor. Die erhebliche Störung der Sexualität sei ebenfalls auf den Missbrauch zurückführen. Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) schätze er mit 80 ein, da es sich um schwere Störungen handle, die im Grenzbereich zwischen erheblichen mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen.
Gestützt hierauf hat das SG mit Urteil vom 10. Dezember 2010 den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Die Klägerin sei seit ihrem 4. Lebensjahr (1961) bis zum Tod ihres Vaters in ihrem 15. Lebensjahr (1972) fortgesetzt sexuell missbraucht worden und zwar unabhängig von einem eventuellen Einvernehmen mit dem Kind oder gegen dessen Willen. Die Schwester der Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit als "Lieblingskind" des gemeinsamen Vaters von ihm beim Baden abgeseift worden sei und zu ihm in das Schlafzimmer habe gehen müssen, wenn dieser an die Wand geklopft habe. Außerdem habe sie eindrücklich eine konkrete Begebenheit von sexuellem Missbrauch wiedergeben können. Dass die Klägerin von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei, habe auch die Mutter in ihrem Schreiben vom 19. Januar 2008 bestätigt. Sie habe berichtet, dass sie ihren Mann einmal zur Rede gestellt und dieser ihr gesagt habe, dass er die "Sachen", die er mit seiner Frau nicht machen wolle, mit der Klägerin mache. Diese Einlassungen bestätigten den Vortrag der Klägerin glaubhaft. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Schwester im Verwaltungsverfahren keine konkreten sexuellen Übergriffe geschildert habe. Nachvollziehbar habe die Zeugin angegeben, dass sie aus Scham nichts Konkretes geschrieben habe, nun aber ihr Gewissen erleichtern wolle. Dies treffe auch auf die Auskunft der Mutter zu. Die vom Beklagten gerügten "Diskrepanzen" in den Aussagen seien damit hinreichend aufgelöst. Auch die Ausführungen der Klägerin seien in sich schlüssig und glaubhaft. Es bestünden solide ausgeprägte so genannte Realkennzeichen, wie sie eine glaubhafte Aussage charakterisierten. Das zeige sich insbesondere bei der Darstellung von Details wie dem Klopfen gegen die Wand, dem Krankenhausaufenthalt der Mutter oder dem Urlaub in Thüringen, von dem die Klägerin schildere, dass sie dort jeweils keinen Übergriffen des Vaters ausgesetzt gewesen sei, was ihre Schwester bestätigt habe. Dass die Klägerin erst im Jahr 2006 einen Antrag gestellt habe, könne ihr nicht entgegen gehalten werden. Sie sei glaubhaft erst im Jahr 2006 durch die behandelnde Therapeutin auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden. Die Glaubhaftigkeit der Klägerin werde weiter durch das Gutachten von Dr. Sch. bestätigt. Dieser sei nach Auswertung verschiedener psychologischer Tests zu dem Ergebnis gelangt, dass er keinen vernünftigen Zweifel an den von der Klägerin geschilderten Fällen sexuellen Missbrauchs habe. Er habe die Klägerin zwar nicht im Einzelnen zu den realen Missbrauchsereignissen befragt. Inwieweit sich diese Vorgehensweise nicht vollständig mit denen in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an Aussagen von psychologischen Begutachtungen decke, könne jedoch dahin gestellt bleiben. Denn allein auf Grund der Zeugenaussagen sei das erkennende Gericht vom Wahrheitsgehalt des Klägervorbringens überzeugt und der Vollbeweis des schädigenden Ereignisses somit bereits erbracht. Der Sachverständige habe auch überzeugend dargelegt, dass die gesundheitliche Schädigung auf die nachgewiesenen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffe zurückgeführt werden könnten und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei. Die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen beeinträchtigten die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft in hohem Maße. Sie bedürfe selbst zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben der Unterstützung durch Psychotherapeuten und befinde sich seit ihrem 18. Lebensjahr fast vollständig in ambulanter oder stationärer Behandlung. Deswegen handle es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung, der mit dem GdS von 80 ausreichend Rechnung getragen werde, welches sich auch mit den Feststellungen des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald im Bescheid vom 3. Juli 2007 decke. Die Klägerin erfülle auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 OEG. Das sei erforderlich, weil die Schädigung in der Zeit von 1961 bis 1972 und damit im Zeitraum vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschehen sei. Die Klägerin sei allein infolge dieser Schädigung des sexuellen Missbrauchs schwerbeschädigt mit einem GdS von mindestens 50. Zudem sei sie, da sie Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII beziehe, auch bedürftig und habe ihren Wohnsitz in Deutschland im Geltungsbereich des OEG.
Gegen das am 20. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Februar 2011 mit der Begründung Berufung eingelegt, es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG noch ein aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Klägerin eingeholt habe, wenn es denn den Zeugenaussagen Glauben schenke. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, warum die Zeugen zunächst keine konkreten Angaben gemacht hätten, obwohl sie bereits zuvor im Verwaltungsverfahren die Gelegenheit zur Schilderung konkreter Vorfälle gehabt hätten. Auch die selbst vorgetragene Erinnerungslosigkeit der Klägerin sei in keiner Weise berücksichtigt worden. Das Gutachten genüge nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Denn der Sachverständige hätte nach der sogenannten Null-Hypothese vorgehen, d. h. zunächst unterstellen müssen, dass die Aussage der Klägerin unwahr sei. Hierzu bestünde auch deswegen besonderer Anlass, weil die Klägerin selbst zeitnah den damals behandelnden Ärzten geschildert habe, dass sie an ihrem Vater sehr gehangen und auch während mehrerer stationärer Behandlungen keine Angaben über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater gemacht habe. Damals hätten die Ärzte zunächst auch erhebliche narzisstische Anteile oder eine schizoide Symptomatik beschrieben. Insoweit müsse auch geprüft werden, ob die therapeutischen Sitzungen nicht suggestive Einflüsse verfolgt hätten. Bei der Schilderung des Einseifens der Brust müsse berücksichtigt werden, dass das Waschen im Bad in der Badewanne erfolgt sei und es deswegen an einer Sexualbezogenheit der Handlung fehle. Auch habe die Schwester als Zeugin zunächst keine sexuellen Handlungen im Schlafzimmer geschildert, denn weder Vater noch Klägerin seien nackt gewesen oder hätten sexuelle Handlungen durchgeführt. Dies habe sie erst im Nachhinein angegeben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat und die Klage insoweit abzuweisen, hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin bei dem Institut für Gerichtspsychologie B. bei der Diplom Psychologin S. J. von J. einzuholen, hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zum BSG zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass das SG keineswegs ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt habe, sondern der Auftrag an den Gutachter habe gelautet, die Angaben der Klägerin als wahr zu unterstellen. Deswegen finde die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur bedingt Anwendung. Grundsätzlich sei es ureigene Aufgabe des Gerichts, die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien zu beurteilen.
Die Klägerin hat dem Senat den Versicherungsverlauf der Klägerin, erstellt durch die Deutsche Rentenversicherung, sowie weitere ärztliche Befundberichte vorgelegt.
Die Vorsitzende hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 30. August 2011 erörtert. Der daraufhin von dem Beklagten gestellte Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende wurde mit Beschluss des Senats vom 26. Oktober 2011 zurückgewiesen.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 noch einmal befragt und ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift verwiesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht und soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtskaten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual" regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil ("wie eine Schülerin") geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem "zweckgerichteten Verhalten" fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die "nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung" beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmässig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zwischen 1965 und 1972 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.
Bei der am 8. Februar 1957 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin, die als Erwerbsunfähige laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bezieht, sind seit dem 22. Mai 2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G und B im Wesentlichen wegen einer seelischen Störung und posttraumatischen Belastungsstörung (Teil-GdB von 70) anerkannt (Bescheid vom 3. Juli 2007, Bl. 41 SG-Akte).
Am 10. Oktober 1976 begab sich die Klägerin erstmalig in die Psychologische Ambulanz. Der Oberarzt der Klinik Dr. K. diagnostizierte eine konversionssneurotische Symptomatik einer infantilen Persönlichkeit (vielfältiger Symptomkomplex, ausgelöst durch den ersten Geschlechtsverkehr). Eine stationäre Behandlung in der psychosomatischen Klinik wurde empfohlen (Arztbericht vom 15. Oktober 1976, Bl. 43 f. Senatsakte). Von Februar 1978 bis Dezember 1979 wurde sie wegen einer Zwangsstörung mit depressiver Komponente und suicidalen Tendenzen, Angstzuständen und Rechenstörung verhaltenstherapeutisch behandelt (vgl. Befundbericht von Dipl.-Psych. M. vom 11. Juni 2011, Bl. 42 Senatsakte). Eine erste stationäre Behandlung fand vom 15. November 1983 bis 16. Februar 1984 im Psychiatrischen Landeskrankenhaus W. - Funktionsbereich Psychotherapie - wegen einer Angstneurose mit Zwangsgedanken statt (vgl. Arztbriefe vom 29. November 1983 und 1. März 1984, Bl. 37 f. und 39 f. Senatsakte).
Ihre Ausbildung zur Friseurin führte die Klägerin vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1975 durch, war anschließend im Juli 1975 und dann wieder vom 23. März bis 9. Oktober 1976 versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen von einer fünfmonatigen Arbeitslosigkeit. Eine weitere Versicherungspflicht bestand vom 1. Mai 1977 bis 31. Januar 1979, vom 15. Juni 1980 bis 7. November 1982, im März 1983, von März 1984 bis Januar 1986 und schließlich vom 8. März bis 12. August 1986. Danach war die Klägerin arbeitslos (vgl. Versicherungsverlauf vom 20. August 2008, Bl. 35 f. Senatsakte). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt die Klägerin nicht.
Mit 24 Jahren heiratete die Klägerin das erste Mal, die Ehe wurde nach kurzer Zeit geschieden. Ihren zweiten Mann heiratete sie mit 29 Jahren, er erkrankte 1997 nach einer Reise nach Kenia an Aids (nur Bluttest, nicht ausgebrochen, Bl. 41 V-Akte), 1998 trennte sie sich von ihm (vgl. Abschlussbericht Fachklinik H. vom 19. Juni 1998, Bl. 28 V-Akte).
Am 19. September 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung unter Hinweis auf den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater von frühester Kindheit an bis zu dessen Tod in ihrem 15. Lebensjahr. Sie leide an Depressionen, Angststörung, Tinnitus, Zwängen, Alpträumen, Dissoziationsstörungen, sexueller Störung und Schwierigkeiten mit der Sexualität im Allgemeinen als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes befragte der Beklagte den behandelnden Psychotherapeuten sowie die Schwester und die Mutter der Klägerin schriftlich. Der Psychotherapeut H., bei dem die Klägerin seit 2002 in regelmäßiger ambulanter Betreuung steht, legte die Entlassungsberichte der Fachklinik H. (stationäre psychiatrische Behandlung vom 2. Februar bis 27. Mai 1998 und 21. Juni bis 2. August 2000) vor. Er berichtete, dass zunächst eine Zwangssymptomatik im Vordergrund der Behandlung gestanden habe. Erst im Verlauf der Therapie seit 1997 sei die verdrängte schwere Traumatisierung (psychogene Amnesie) mit dem Grundgefühl des hilflos Ausgeliefertseins und tiefer Selbstwertproblematik in den Vordergrund getreten. In dem beigefügten Erstantrag auf Gewährung einer Psychotherapie führte Psychotherapeutin H. aus, sie habe die Klägerin bereits von September 1992 bis zum Mai 1996 psychotherapeutisch behandelt.
Die Schwester der Klägerin, R. Q., gab an, ihre Schwester habe im Alter von 12 Jahren das erste Mal über Ängste und Zwänge berichtet, diese aber nicht als ausdrücklichen Missbrauch geschildert. Ihre Schwester habe gegen ihren Willen beim Vater liegen müssen. Es sei wie ein Ritual gewesen. Er habe an die Wand geklopft, sie habe aufstehen und ins Schlafzimmer gehen müssen. Manchmal sei ihr anzusehen gewesen, dass sie am liebsten nicht gegangen wäre. Dann habe die Mutter sie aufgefordert zu gehen. Sie sei lange beim Vater geblieben. Sie habe auch beobachtet, wie ihr Vater die Brüste ihrer Schwester in der Badewanne eingeseift habe. Damals müsse sie 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein. Eines Tages habe ihre Schwester erzählt, sie wolle nicht mehr, dass der Vater zu ihr ins Bad komme, um die Brüste einzuseifen. Das habe sie auch dem Vater gesagt, worauf ein großer Streit in der Familie entstanden sei. Es sei das erste Mal gewesen, dass die Klägerin sich gegen den Willen des Vaters aufgelehnt habe. Ihr selbst sei es zwar nicht verboten gewesen, das Schlafzimmer zu betreten, sie habe aber gewusst, dass das nicht gut sei. Eines Tages habe sie gesehen, dass ihr Vater und ihre Schwester ineinander verkeilt auf dem Bett gelegen hätten. Die Mutter habe vor ihrem Mann Angst um ihr eigenes Leben gehabt, sie habe sich nicht gegen ihn stellen können. Die Mutter, E. Q., teilte mit, bei ihren Eltern habe es solche Sachen nicht gegeben. Darum habe sie sich niemals vorstellen können, dass ihr Mann sich an ihrer Tochter vergangen habe. Sie habe dies nicht gewusst und sie habe sich nichts dabei gedacht, wenn er die Tochter allein mit ins Schlafzimmer genommen habe. Außerdem habe er die Tochter oft brutal geschlagen und beschimpft. Dass er ihr mit 15 Jahren den Busen eingeseift habe, habe sie mitbekommen. Ihre Tochter habe es ihr damals erzählt (Bl. 53 f.; 55 Verwaltungsakte).
Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2006 den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne nicht nachweisen, dass sie durch vorsätzliche, rechtswidrige und tätliche Handlungen geschädigt worden sei. Den Antrag habe sie mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossen Tür geschah". Somit lägen ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten vor und ihr könne der Nachweis sexueller Schädigungen nicht gelingen.
Die Klägerin legte hiergegen unter Beifügung eines Attests vom Facharzt H. Widerspruch ein. Dieser führte aus, es gebe auf Grund der Anamnese und der Lebensgeschichte der Klägerin keinen Zweifel daran, dass sie missbraucht worden sei. Es müsse eine Retraumatisierung befürchtet werden. Die Dokumente müssten dringend einem medizinischen Sachverständigen vorgelegt werden, einer Behörde fehle der medizinische Sachverstand.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei lange zurückliegenden Ereignissen sei erfahrungsgemäß die Sachverhaltsaufklärung schwierig, da oftmals nur wenige oder gar keine Beweise vorlägen. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Vater als mutmaßlichen Schädiger sei zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden, sodass es an zeitnahen polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fehle. Die Zeuginnen hätten nur bestätigen können, dass die Klägerin in das elterliche Schlafzimmer gerufen worden wäre, hätten indessen nicht gewusst, was sich dort konkret ereignet habe. Der sexuelle Missbrauch sei der Klägerin erst im Rahmen einer Therapie durch einen Traum bewusst geworden. Die Therapeutin habe eine psychogene Amnesie diagnostiziert. Nach alledem bestünden Zweifel daran, ob die Darstellungen tatsächlich auf erlittenen Missbrauchshandlungen beruhten.
Mit ihrer hiergegen am 7. März 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ausgeführt, dass die ambulanten und stationären Einrichtungen einen klaren Zusammenhang zwischen den gestellten Diagnosen und einem in der Kindheit stattgefundenen schädigenden Ereignis in Form des sexuellen Missbrauchs bestätigt hätten. Der Beklagte habe auch nicht beachtet, dass ihre Schwester den Missbrauch aus eigener Anschauung geschildert habe.
Sie hat eine weitere schriftliche Aussage ihrer Schwester R. Q. vom 16. Januar 2008 vorgelegt: "Ich habe verschwiegen, was ich damals wirklich gesehen habe. In unserer Familie wurde immer geschwiegen. Der Schande wegen. Meine Mutter und ich hatten damals nicht den Mut, das zu verhindern, was geschehen ist. Immer wieder habe ich gesehen, wie meine Schwester vom Vater mit ins Badezimmer genommen wurde, gegen ihren Willen. Auch habe ich gesehen, wie ihre Brüste eingeseift wurden. Als ich einmal meine Schwester im Schlafzimmer weinen hörte, habe ich die Tür geöffnet. Da sah ich, wie der Penis meines Vaters in dem Mund meiner Schwester steckte. Ich war so gelähmt und konnte damals mit dieser Situation nicht umgehen." (Bl. 46 SG-Akte).
E. Q. hat ebenfalls mit Schreiben vom 19. Januar 2008 ergänzend zu ihrer ersten schriftlichen Aussage vorgetragen, dass sie doch gewusst habe, dass ihr Mann ihre Tochter im Schlafzimmer sexuell missbrauche. Sie habe indessen die Augen zugemacht, weil sie sich vor ihrer Familie geschämt habe. Sie habe nicht gewollt, dass diese Schande an die Öffentlichkeit gelange. Nur einmal habe sie ihren Mann zur Rede gestellt. Der habe ihr gesagt: "Die Sachen, die ich mit dir nicht machen will, die mache ich mit Elke." (Bl. 48 SG-Akte).
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der damals zuständige Richter die Klägerin angehört und ihre Schwester als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Angaben wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 5. Dezember 2008 (Bl. 63 ff. SG-Akte) verwiesen. Des Weiteren ist die Klägerin nervenärztlich begutachtet worden.
Der Sachverständige, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie Dr. Sch. hat in seinem Gutachten vom 15. Juli 2010 ausgeführt, dass die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungs-/Persönlichkeitsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leide, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Alleinverursachung auf die Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückzuführen sei. Er habe keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin bis zum Tode ihres Vaters im Frühjahr 1972 unter körperlicher Gewalt durch ihren Vater gelitten habe, auch wenn sie sich nicht, kaum oder nur eingeschränkt erinnern könne. Bei ihr liege eine sogenannte "psychogene Amnesie" vor. Die erhebliche Störung der Sexualität sei ebenfalls auf den Missbrauch zurückführen. Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) schätze er mit 80 ein, da es sich um schwere Störungen handle, die im Grenzbereich zwischen erheblichen mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen.
Gestützt hierauf hat das SG mit Urteil vom 10. Dezember 2010 den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Die Klägerin sei seit ihrem 4. Lebensjahr (1961) bis zum Tod ihres Vaters in ihrem 15. Lebensjahr (1972) fortgesetzt sexuell missbraucht worden und zwar unabhängig von einem eventuellen Einvernehmen mit dem Kind oder gegen dessen Willen. Die Schwester der Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit als "Lieblingskind" des gemeinsamen Vaters von ihm beim Baden abgeseift worden sei und zu ihm in das Schlafzimmer habe gehen müssen, wenn dieser an die Wand geklopft habe. Außerdem habe sie eindrücklich eine konkrete Begebenheit von sexuellem Missbrauch wiedergeben können. Dass die Klägerin von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei, habe auch die Mutter in ihrem Schreiben vom 19. Januar 2008 bestätigt. Sie habe berichtet, dass sie ihren Mann einmal zur Rede gestellt und dieser ihr gesagt habe, dass er die "Sachen", die er mit seiner Frau nicht machen wolle, mit der Klägerin mache. Diese Einlassungen bestätigten den Vortrag der Klägerin glaubhaft. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Schwester im Verwaltungsverfahren keine konkreten sexuellen Übergriffe geschildert habe. Nachvollziehbar habe die Zeugin angegeben, dass sie aus Scham nichts Konkretes geschrieben habe, nun aber ihr Gewissen erleichtern wolle. Dies treffe auch auf die Auskunft der Mutter zu. Die vom Beklagten gerügten "Diskrepanzen" in den Aussagen seien damit hinreichend aufgelöst. Auch die Ausführungen der Klägerin seien in sich schlüssig und glaubhaft. Es bestünden solide ausgeprägte so genannte Realkennzeichen, wie sie eine glaubhafte Aussage charakterisierten. Das zeige sich insbesondere bei der Darstellung von Details wie dem Klopfen gegen die Wand, dem Krankenhausaufenthalt der Mutter oder dem Urlaub in Thüringen, von dem die Klägerin schildere, dass sie dort jeweils keinen Übergriffen des Vaters ausgesetzt gewesen sei, was ihre Schwester bestätigt habe. Dass die Klägerin erst im Jahr 2006 einen Antrag gestellt habe, könne ihr nicht entgegen gehalten werden. Sie sei glaubhaft erst im Jahr 2006 durch die behandelnde Therapeutin auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden. Die Glaubhaftigkeit der Klägerin werde weiter durch das Gutachten von Dr. Sch. bestätigt. Dieser sei nach Auswertung verschiedener psychologischer Tests zu dem Ergebnis gelangt, dass er keinen vernünftigen Zweifel an den von der Klägerin geschilderten Fällen sexuellen Missbrauchs habe. Er habe die Klägerin zwar nicht im Einzelnen zu den realen Missbrauchsereignissen befragt. Inwieweit sich diese Vorgehensweise nicht vollständig mit denen in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an Aussagen von psychologischen Begutachtungen decke, könne jedoch dahin gestellt bleiben. Denn allein auf Grund der Zeugenaussagen sei das erkennende Gericht vom Wahrheitsgehalt des Klägervorbringens überzeugt und der Vollbeweis des schädigenden Ereignisses somit bereits erbracht. Der Sachverständige habe auch überzeugend dargelegt, dass die gesundheitliche Schädigung auf die nachgewiesenen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffe zurückgeführt werden könnten und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei. Die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen beeinträchtigten die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft in hohem Maße. Sie bedürfe selbst zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben der Unterstützung durch Psychotherapeuten und befinde sich seit ihrem 18. Lebensjahr fast vollständig in ambulanter oder stationärer Behandlung. Deswegen handle es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung, der mit dem GdS von 80 ausreichend Rechnung getragen werde, welches sich auch mit den Feststellungen des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald im Bescheid vom 3. Juli 2007 decke. Die Klägerin erfülle auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 OEG. Das sei erforderlich, weil die Schädigung in der Zeit von 1961 bis 1972 und damit im Zeitraum vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschehen sei. Die Klägerin sei allein infolge dieser Schädigung des sexuellen Missbrauchs schwerbeschädigt mit einem GdS von mindestens 50. Zudem sei sie, da sie Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII beziehe, auch bedürftig und habe ihren Wohnsitz in Deutschland im Geltungsbereich des OEG.
Gegen das am 20. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Februar 2011 mit der Begründung Berufung eingelegt, es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG noch ein aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Klägerin eingeholt habe, wenn es denn den Zeugenaussagen Glauben schenke. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, warum die Zeugen zunächst keine konkreten Angaben gemacht hätten, obwohl sie bereits zuvor im Verwaltungsverfahren die Gelegenheit zur Schilderung konkreter Vorfälle gehabt hätten. Auch die selbst vorgetragene Erinnerungslosigkeit der Klägerin sei in keiner Weise berücksichtigt worden. Das Gutachten genüge nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Denn der Sachverständige hätte nach der sogenannten Null-Hypothese vorgehen, d. h. zunächst unterstellen müssen, dass die Aussage der Klägerin unwahr sei. Hierzu bestünde auch deswegen besonderer Anlass, weil die Klägerin selbst zeitnah den damals behandelnden Ärzten geschildert habe, dass sie an ihrem Vater sehr gehangen und auch während mehrerer stationärer Behandlungen keine Angaben über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater gemacht habe. Damals hätten die Ärzte zunächst auch erhebliche narzisstische Anteile oder eine schizoide Symptomatik beschrieben. Insoweit müsse auch geprüft werden, ob die therapeutischen Sitzungen nicht suggestive Einflüsse verfolgt hätten. Bei der Schilderung des Einseifens der Brust müsse berücksichtigt werden, dass das Waschen im Bad in der Badewanne erfolgt sei und es deswegen an einer Sexualbezogenheit der Handlung fehle. Auch habe die Schwester als Zeugin zunächst keine sexuellen Handlungen im Schlafzimmer geschildert, denn weder Vater noch Klägerin seien nackt gewesen oder hätten sexuelle Handlungen durchgeführt. Dies habe sie erst im Nachhinein angegeben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat und die Klage insoweit abzuweisen, hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin bei dem Institut für Gerichtspsychologie B. bei der Diplom Psychologin S. J. von J. einzuholen, hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zum BSG zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass das SG keineswegs ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt habe, sondern der Auftrag an den Gutachter habe gelautet, die Angaben der Klägerin als wahr zu unterstellen. Deswegen finde die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur bedingt Anwendung. Grundsätzlich sei es ureigene Aufgabe des Gerichts, die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien zu beurteilen.
Die Klägerin hat dem Senat den Versicherungsverlauf der Klägerin, erstellt durch die Deutsche Rentenversicherung, sowie weitere ärztliche Befundberichte vorgelegt.
Die Vorsitzende hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 30. August 2011 erörtert. Der daraufhin von dem Beklagten gestellte Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende wurde mit Beschluss des Senats vom 26. Oktober 2011 zurückgewiesen.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 noch einmal befragt und ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift verwiesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht und soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtskaten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual" regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil ("wie eine Schülerin") geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem "zweckgerichteten Verhalten" fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die "nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung" beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmässig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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