Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 1126/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Bemessung eines Schülerbeförderungsbedarfs nach § 28 Abs. 4 SGB II.
Der im Juli 1997 geb. Kläger leidet u. a. an einer Asthmaerkrankung. Er lebt mit seiner 1998 geb. Schwester, seiner Mutter und deren Partner im gemeinsamen Haushalt. Die Familie bezieht Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.
Im Mai 2011 beantragte die Mutter des Klägers für beide Kinder einen Zuschuss zu den Beförderungskosten zur Schule. Die Kinder nutzen für den 2,5 km (Kläger) und 2,4 km (Schwester) langen Schulweg öffentliche Verkehrsmittel. Die Kosten werden mit einem monatlich erworbenen Schüler- und Geschwisterticket (15 EUR) bestritten.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass bei einem Schulweg von weniger als drei Kilometern kein Bedarf für eine Beförderung bestehe (Bescheid vom 3.8.2011).
Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er eine notwendige Beförderung wegen seiner Asthmaerkrankung geltend machte. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung zur Beurlaubung vom Schulsport.
Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück; die Schulsportbefreiung besage nicht, dass dem Kläger die Bewältigung des Schulwegs in normalem Gehtempo nicht möglich sei (Widerspruchsbescheid vom 28.12.2011).
Hiergegen richtet sich die am 12. Januar 2012 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, in deren Verlauf ein ärztliches Attest eingereicht wurde, das den Beklagten zu einer Anerkennung des Schulbeförderungsbedarfs in Höhe der Kosten für eine Geschwister-Monatskarte im Jahres-Abo (160 EUR: 12 = 13,33 EUR) veranlasste. In Anwendung der "Ausführungsvorschriften über die Gewährung der Leistungen für Bildung und Teilhabe" vom 6.12.2011 rechnete der Beklagte einen Betrag von 12,08 EUR, der für Verkehr im Regelbedarf enthalten sei, auf die 13,33 EUR an (Bescheid vom 9.2.2012).
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Verkürzung des Schülerbedarfs um reguläre Regel-bedarfsanteile für Verkehr jedenfalls nicht in vollem Umfang dieses Bedarfsanteils rechtens sei.
Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,
den Bescheid 9.2.2012 dahingehend abzuändern, dass die Schülerbeförderungskosten in Höhe des Monatspreises für ein Geschwisterticket (15 EUR) anerkannt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Einsatz des Regelbedarfs für Verkehr sei wegen der Verwendung des Tickets für Fahrten außerhalb der Schulbeförderung zumutbar. Mit Ansatz von 12,08 EUR statt richtig 14,08 EUR für den Verkehrsanteil im Regelbedarf sei der Kläger mit dem Bescheid vom 9.2.2012 sogar überzahlt worden.
Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech- selten Schriftsätze sowie die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im Ergebnis nicht begründet.
Im konkreten Einzelfall ist die volle Anrechnung des Regelbedarfsanteils für Verkehr auf den Schülerbeförderungsbedarf nicht zu beanstanden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RBEG beträgt der anrechenbare Anteil im hier streitigen Zeitraum Januar bis Juni 2011 12,62 EUR, so dass der Kläger mit den angerechneten 12,08 EUR nicht beschwert ist.
In Umsetzung des BVerfG-Urteils vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 hat der Gesetzgeber für Kinder und Jugendliche besondere Bedarfe nach § 28 SGB II als existenznotwendige Leistungen zusätzlich zum Regelbedarf nach §§ 20, 23 SGB II geschaffen. Zugleich hat er die Grund-konzeption, die Regelbedarfe im SGB II abweichend von § 27a Abs. 4 SGB XII als strikte Pauschalen zu gewähren, unangetastet gelassen.
Es wäre daher unzulässig, die Bedarfe nach §§ 20, 23 SGB II unter dem Gesichtspunkt ersparter Aufwendungen infolge der Anerkennung von § 28-Bedarfen zu kürzen.
Der Gesetzgeber hat aus diesem Grund den Weg gewählt, die Bedarfe nach § 28 SGB II zu kürzen, sofern sie Überschneidungen mit Regelbedarfsanteilen aufweisen, wie z. B. bei der Mittagsverpflegung nach § 28 Abs. 6 SGB II (§ 5a Abs. 3 Alg II-VO).
Bei der Schülerbeförderung hat der Gesetzgeber für eine mögliche Kürzung des Bildungsbe-darfs den problematischen Begriff des "zumutbaren" Einsatzes von Regelbedarfsanteilen zur (teilweisen) Eigendeckung des § 28 Abs. 4-Bedarfs gewählt.
Um einer letztlich willkürlichen Bestimmung dessen, was zumutbar ist, zu entgehen (dazu etwa SG Chemnitz vom 30.3.2012 - S 22 AS 5853/11 mit spekulativen Mutmaßungen über das Mobilitätsverhalten in bestimmten Altersgruppen), muss die Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II eng und in Anlehnung an § 5a Abs. 3 Alg II-VO ausgelegt werden. Danach sind Abzüge in der Regel nur soweit zulässig, als konkret nachgewiesen werden kann, in welcher Höhe Anteile in Abt. 7 des Regelbedarfs schulbezogen sind, d. h. in welchem Umfang sich der Schüler-beförderungsbedarf und der Regelbedarfsanteil für Verkehr tatsächlich überschneiden (s. dazu Becker, SGb 2012, S. 185/186 f).
Folgt man diesem methodischen Ansatz, erweist sich die auf den ersten Blick einleuchtende Überlegung, Leistungen für Mobilität, die dem Schüler schon über den Regelbedarf nach §§ 20, 23 SGB II gegeben werden, über § 28 Abs. 4 SGB II nicht "doppelt" zu gewähren, als unlösbar. Denn die in den Regelbedarfen für Verkehr enthaltenen Ausgaben erfassen ganz allgemein Verkehrsdienstleistungen (ohne Flugreisen und Übernachtungskosten). Welche Ausgaben davon schulbezogen sind, lässt sich nicht ermitteln und auch nicht annähernd schätzen. Es kommt hinzu, dass die in den Regelbedarfen eingearbeiteten Beträge für Verkehr vollständig auf Sonderauswertungen für Haushalte ohne Ausgaben für Kraftstoffe beruhen. Die ausgewertete Datengrundlage ist sehr klein ("extrem kleine Stichproben" BT-Drs. 17/3404, S. 138) und die Art der Auswertung methodisch anfechtbar (Einzelheiten dazu haben Becker und Münder in ihren Gutachten zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Regelbedarfe darge-stellt).
Der Deutsche Verein empfiehlt daher, "einen "Abschlag" für den Freizeitanteil derzeit nicht zu berücksichtigen" (Leistungen für Bildung und Teilhabe – Erste Empfehlungen zur Auslegung der neuen Regelungen im SGB II und XII sowie im Bundeskindergeldgesetz, S. 20 f.). Ebenso der Hessische Landkreistag in Praktische Arbeitshilfe "Bildungs- und Teilhabepaket", S. 17:
"Gemäß § 28 Abs. 4 SGB II bzw. § 34 Abs. 4 SGB XII werden die Schülerbeförderungskosten berücksichtigt, soweit es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten.
Eine differenzierte Betrachtung der im Einzelfall tatsächlich regelbedarfsrelevanten Positionen und damit die Festsetzung eines konkreten Eigenanteils erscheint nahezu unmöglich. Dies liegt unter anderem daran, dass die in Abteilung 7 (Verkehr) der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Daten nur unvollständig und sehr undifferenziert vorliegen. Die Kosten für Schülerbeförderung sind nicht explizit erfasst.
Es erscheint nicht zumutbar und sachgerecht, die Gesamtbeträge der Abteilung 7 als zumutbaren Eigenanteil anzusetzen, da die Kosten der Schülerbeförderung keinesfalls sämtliche Fahrtkosten von Kindern und Jugendlichen abdecken. Neben dieser Position müssen auch individuelle Fahrten oder beispielsweise der Betrieb eines Fahrrades sowie die Beteiligung an der Finanzierung eines durch die gesamte Familie genutzten PKW ermöglicht werden. Um eine Ungleichbehandlung zu Schülerinnen und Schülern zu vermeiden, die in der Lage sind, die Schule fußläufig zu erreichen, wird empfohlen, auf die Anrechnung eines Regelsatzanteils in den Rechtskreisen SGB II und SGB XII zu verzichten."
Dass in einem Stadtstaat andere Mobilitätserfordernisse bestehen als in Flächenländern, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Denn auch innerhalb Berlins gibt es verschiedene Tarifzonen, so dass ein Schülerticket nicht zwangsläufig Mobilitätsbedarfe außerhalb der Schulwege abdeckt.
Der Umstand, dass Berlin den Beförderungsbedarf mit (vergünstigten) Monatskarten deckt, muss zumindest dann außer Betracht bleiben, wenn der Beförderungsbedarf auf Besonder-heiten gründet, die nicht mit der Länge des Schulwegs zusammenhängen, wie z. B. eine Behinderung. Denn in diesen Fällen ist die Kostenübernahme in Form der Monatskarte, wenn von dieser der Regelbedarfsanteil für Verkehr abgezogen wird, eine Art "aufgedrängte" Bereicherung, die vor allem dem fiskalischen Interesse des Leistungsträgers dient. Bei fuß-läufig zu bewältigenden Schulwegen hat der Leistungsberechtigte normalerweise die Wahl, ob er öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad nutzt oder zu Fuß geht. Dies kann er je nach Tagesform oder Wetter bestimmen und so seine Verkehrsausgaben steuern.
Ein Kind, das wegen einer Krankheit oder Behinderung auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, hat diese Wahlmöglichkeit nicht. Hier sind die Aufwendungen für die Beförderung zu Schule im Regelfall zusätzliche Aufwendungen. Gewährte man diesen Kindern den Bedarf nach § 28 Abs. 4 SGB II nur in Höhe der Differenz zwischen Monatskartenpreis und Regelbedarfsanteil (hier 2,38 EUR monatlich), muss der § 28-Bedarf mit dem Kauf einer Monatskarte bestritten werden. Dem Kind fehlt damit u. U. Geld zum Kauf einer Fahrkarte in aufwändigere Tarifzonen oder für Arzt- und Verwandtenbesuche etc ... Im Ergebnis wird die Verwendungsmöglichkeit für die Mobilitätsleistungen im Regelbedarf wegen des besonderen Schulbeförderungsbedarfs beschränkt, was eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Behinderung darstellt.
Grundsätzlich sind Beförderungsbedarfe für kurze, fußläufige Schulwege daher in vollem Umfang zu übernehmen.
Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, dass die Bedarfsgemeinschaft die Mobilitätsbedürfnisse beider Kinder - unabhängig von der Krankheit des Klägers - über den Kauf von Schülertickets deckt. Darin schlägt sich die freie Entscheidung nieder, den Kindern einen raschen oder bequemeren Weg zur Schule und wieder zurück nach Hause zu ermög-lichen.
Der oben aufgezeigte mittelbare Eingriff in das Ausgabeverhalten der Leistungsberechtigten ist mithin nicht gegeben. In Anlehnung an den im Schülerbeförderungsrecht geltenden Grundsatz, dass ohnehin anfallende Ausgaben keinen Sonderbedarf auslösen (s. etwa VGH München vom 9.8.2011 - 7 B 10.1775: bei Mitnahme des Kindes im Auto des Elternteils auf dem Weg zur Arbeit gibt keinen Anspruch auf Kostenübernahme), hält die Kammer daher den Einsatz des Regelbedarfsanteils ausnahmsweise für "zumutbar" i.S.v. § 28 Abs. 4 SGB II.
Die auf volle Kostenübernahme gerichtete Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Beklagte mit der übereilten Widerspruchsbescheidung Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.
Die Berufung war wegen der noch ungeklärten Frage, ob und ggf. unter welchen Voraus-setzungen und in welcher Höhe Regelbedarfsanteile für den Schülerbeförderungsbedarf eingesetzt werden müssen, zuzulassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Bemessung eines Schülerbeförderungsbedarfs nach § 28 Abs. 4 SGB II.
Der im Juli 1997 geb. Kläger leidet u. a. an einer Asthmaerkrankung. Er lebt mit seiner 1998 geb. Schwester, seiner Mutter und deren Partner im gemeinsamen Haushalt. Die Familie bezieht Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.
Im Mai 2011 beantragte die Mutter des Klägers für beide Kinder einen Zuschuss zu den Beförderungskosten zur Schule. Die Kinder nutzen für den 2,5 km (Kläger) und 2,4 km (Schwester) langen Schulweg öffentliche Verkehrsmittel. Die Kosten werden mit einem monatlich erworbenen Schüler- und Geschwisterticket (15 EUR) bestritten.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass bei einem Schulweg von weniger als drei Kilometern kein Bedarf für eine Beförderung bestehe (Bescheid vom 3.8.2011).
Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er eine notwendige Beförderung wegen seiner Asthmaerkrankung geltend machte. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung zur Beurlaubung vom Schulsport.
Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück; die Schulsportbefreiung besage nicht, dass dem Kläger die Bewältigung des Schulwegs in normalem Gehtempo nicht möglich sei (Widerspruchsbescheid vom 28.12.2011).
Hiergegen richtet sich die am 12. Januar 2012 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, in deren Verlauf ein ärztliches Attest eingereicht wurde, das den Beklagten zu einer Anerkennung des Schulbeförderungsbedarfs in Höhe der Kosten für eine Geschwister-Monatskarte im Jahres-Abo (160 EUR: 12 = 13,33 EUR) veranlasste. In Anwendung der "Ausführungsvorschriften über die Gewährung der Leistungen für Bildung und Teilhabe" vom 6.12.2011 rechnete der Beklagte einen Betrag von 12,08 EUR, der für Verkehr im Regelbedarf enthalten sei, auf die 13,33 EUR an (Bescheid vom 9.2.2012).
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Verkürzung des Schülerbedarfs um reguläre Regel-bedarfsanteile für Verkehr jedenfalls nicht in vollem Umfang dieses Bedarfsanteils rechtens sei.
Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,
den Bescheid 9.2.2012 dahingehend abzuändern, dass die Schülerbeförderungskosten in Höhe des Monatspreises für ein Geschwisterticket (15 EUR) anerkannt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Einsatz des Regelbedarfs für Verkehr sei wegen der Verwendung des Tickets für Fahrten außerhalb der Schulbeförderung zumutbar. Mit Ansatz von 12,08 EUR statt richtig 14,08 EUR für den Verkehrsanteil im Regelbedarf sei der Kläger mit dem Bescheid vom 9.2.2012 sogar überzahlt worden.
Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech- selten Schriftsätze sowie die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im Ergebnis nicht begründet.
Im konkreten Einzelfall ist die volle Anrechnung des Regelbedarfsanteils für Verkehr auf den Schülerbeförderungsbedarf nicht zu beanstanden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RBEG beträgt der anrechenbare Anteil im hier streitigen Zeitraum Januar bis Juni 2011 12,62 EUR, so dass der Kläger mit den angerechneten 12,08 EUR nicht beschwert ist.
In Umsetzung des BVerfG-Urteils vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 hat der Gesetzgeber für Kinder und Jugendliche besondere Bedarfe nach § 28 SGB II als existenznotwendige Leistungen zusätzlich zum Regelbedarf nach §§ 20, 23 SGB II geschaffen. Zugleich hat er die Grund-konzeption, die Regelbedarfe im SGB II abweichend von § 27a Abs. 4 SGB XII als strikte Pauschalen zu gewähren, unangetastet gelassen.
Es wäre daher unzulässig, die Bedarfe nach §§ 20, 23 SGB II unter dem Gesichtspunkt ersparter Aufwendungen infolge der Anerkennung von § 28-Bedarfen zu kürzen.
Der Gesetzgeber hat aus diesem Grund den Weg gewählt, die Bedarfe nach § 28 SGB II zu kürzen, sofern sie Überschneidungen mit Regelbedarfsanteilen aufweisen, wie z. B. bei der Mittagsverpflegung nach § 28 Abs. 6 SGB II (§ 5a Abs. 3 Alg II-VO).
Bei der Schülerbeförderung hat der Gesetzgeber für eine mögliche Kürzung des Bildungsbe-darfs den problematischen Begriff des "zumutbaren" Einsatzes von Regelbedarfsanteilen zur (teilweisen) Eigendeckung des § 28 Abs. 4-Bedarfs gewählt.
Um einer letztlich willkürlichen Bestimmung dessen, was zumutbar ist, zu entgehen (dazu etwa SG Chemnitz vom 30.3.2012 - S 22 AS 5853/11 mit spekulativen Mutmaßungen über das Mobilitätsverhalten in bestimmten Altersgruppen), muss die Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II eng und in Anlehnung an § 5a Abs. 3 Alg II-VO ausgelegt werden. Danach sind Abzüge in der Regel nur soweit zulässig, als konkret nachgewiesen werden kann, in welcher Höhe Anteile in Abt. 7 des Regelbedarfs schulbezogen sind, d. h. in welchem Umfang sich der Schüler-beförderungsbedarf und der Regelbedarfsanteil für Verkehr tatsächlich überschneiden (s. dazu Becker, SGb 2012, S. 185/186 f).
Folgt man diesem methodischen Ansatz, erweist sich die auf den ersten Blick einleuchtende Überlegung, Leistungen für Mobilität, die dem Schüler schon über den Regelbedarf nach §§ 20, 23 SGB II gegeben werden, über § 28 Abs. 4 SGB II nicht "doppelt" zu gewähren, als unlösbar. Denn die in den Regelbedarfen für Verkehr enthaltenen Ausgaben erfassen ganz allgemein Verkehrsdienstleistungen (ohne Flugreisen und Übernachtungskosten). Welche Ausgaben davon schulbezogen sind, lässt sich nicht ermitteln und auch nicht annähernd schätzen. Es kommt hinzu, dass die in den Regelbedarfen eingearbeiteten Beträge für Verkehr vollständig auf Sonderauswertungen für Haushalte ohne Ausgaben für Kraftstoffe beruhen. Die ausgewertete Datengrundlage ist sehr klein ("extrem kleine Stichproben" BT-Drs. 17/3404, S. 138) und die Art der Auswertung methodisch anfechtbar (Einzelheiten dazu haben Becker und Münder in ihren Gutachten zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Regelbedarfe darge-stellt).
Der Deutsche Verein empfiehlt daher, "einen "Abschlag" für den Freizeitanteil derzeit nicht zu berücksichtigen" (Leistungen für Bildung und Teilhabe – Erste Empfehlungen zur Auslegung der neuen Regelungen im SGB II und XII sowie im Bundeskindergeldgesetz, S. 20 f.). Ebenso der Hessische Landkreistag in Praktische Arbeitshilfe "Bildungs- und Teilhabepaket", S. 17:
"Gemäß § 28 Abs. 4 SGB II bzw. § 34 Abs. 4 SGB XII werden die Schülerbeförderungskosten berücksichtigt, soweit es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten.
Eine differenzierte Betrachtung der im Einzelfall tatsächlich regelbedarfsrelevanten Positionen und damit die Festsetzung eines konkreten Eigenanteils erscheint nahezu unmöglich. Dies liegt unter anderem daran, dass die in Abteilung 7 (Verkehr) der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Daten nur unvollständig und sehr undifferenziert vorliegen. Die Kosten für Schülerbeförderung sind nicht explizit erfasst.
Es erscheint nicht zumutbar und sachgerecht, die Gesamtbeträge der Abteilung 7 als zumutbaren Eigenanteil anzusetzen, da die Kosten der Schülerbeförderung keinesfalls sämtliche Fahrtkosten von Kindern und Jugendlichen abdecken. Neben dieser Position müssen auch individuelle Fahrten oder beispielsweise der Betrieb eines Fahrrades sowie die Beteiligung an der Finanzierung eines durch die gesamte Familie genutzten PKW ermöglicht werden. Um eine Ungleichbehandlung zu Schülerinnen und Schülern zu vermeiden, die in der Lage sind, die Schule fußläufig zu erreichen, wird empfohlen, auf die Anrechnung eines Regelsatzanteils in den Rechtskreisen SGB II und SGB XII zu verzichten."
Dass in einem Stadtstaat andere Mobilitätserfordernisse bestehen als in Flächenländern, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Denn auch innerhalb Berlins gibt es verschiedene Tarifzonen, so dass ein Schülerticket nicht zwangsläufig Mobilitätsbedarfe außerhalb der Schulwege abdeckt.
Der Umstand, dass Berlin den Beförderungsbedarf mit (vergünstigten) Monatskarten deckt, muss zumindest dann außer Betracht bleiben, wenn der Beförderungsbedarf auf Besonder-heiten gründet, die nicht mit der Länge des Schulwegs zusammenhängen, wie z. B. eine Behinderung. Denn in diesen Fällen ist die Kostenübernahme in Form der Monatskarte, wenn von dieser der Regelbedarfsanteil für Verkehr abgezogen wird, eine Art "aufgedrängte" Bereicherung, die vor allem dem fiskalischen Interesse des Leistungsträgers dient. Bei fuß-läufig zu bewältigenden Schulwegen hat der Leistungsberechtigte normalerweise die Wahl, ob er öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad nutzt oder zu Fuß geht. Dies kann er je nach Tagesform oder Wetter bestimmen und so seine Verkehrsausgaben steuern.
Ein Kind, das wegen einer Krankheit oder Behinderung auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, hat diese Wahlmöglichkeit nicht. Hier sind die Aufwendungen für die Beförderung zu Schule im Regelfall zusätzliche Aufwendungen. Gewährte man diesen Kindern den Bedarf nach § 28 Abs. 4 SGB II nur in Höhe der Differenz zwischen Monatskartenpreis und Regelbedarfsanteil (hier 2,38 EUR monatlich), muss der § 28-Bedarf mit dem Kauf einer Monatskarte bestritten werden. Dem Kind fehlt damit u. U. Geld zum Kauf einer Fahrkarte in aufwändigere Tarifzonen oder für Arzt- und Verwandtenbesuche etc ... Im Ergebnis wird die Verwendungsmöglichkeit für die Mobilitätsleistungen im Regelbedarf wegen des besonderen Schulbeförderungsbedarfs beschränkt, was eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Behinderung darstellt.
Grundsätzlich sind Beförderungsbedarfe für kurze, fußläufige Schulwege daher in vollem Umfang zu übernehmen.
Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, dass die Bedarfsgemeinschaft die Mobilitätsbedürfnisse beider Kinder - unabhängig von der Krankheit des Klägers - über den Kauf von Schülertickets deckt. Darin schlägt sich die freie Entscheidung nieder, den Kindern einen raschen oder bequemeren Weg zur Schule und wieder zurück nach Hause zu ermög-lichen.
Der oben aufgezeigte mittelbare Eingriff in das Ausgabeverhalten der Leistungsberechtigten ist mithin nicht gegeben. In Anlehnung an den im Schülerbeförderungsrecht geltenden Grundsatz, dass ohnehin anfallende Ausgaben keinen Sonderbedarf auslösen (s. etwa VGH München vom 9.8.2011 - 7 B 10.1775: bei Mitnahme des Kindes im Auto des Elternteils auf dem Weg zur Arbeit gibt keinen Anspruch auf Kostenübernahme), hält die Kammer daher den Einsatz des Regelbedarfsanteils ausnahmsweise für "zumutbar" i.S.v. § 28 Abs. 4 SGB II.
Die auf volle Kostenübernahme gerichtete Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Beklagte mit der übereilten Widerspruchsbescheidung Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.
Die Berufung war wegen der noch ungeklärten Frage, ob und ggf. unter welchen Voraus-setzungen und in welcher Höhe Regelbedarfsanteile für den Schülerbeförderungsbedarf eingesetzt werden müssen, zuzulassen.
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