S 27 AS 1879/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 1879/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2012 verurteilt, den Klägern ab dem 01.01.2012 bis zum 23.10.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich jeweils 337,00 ? für die Kläger zu 1) und 2), in Höhe von monatlich 67,00 ? für die Klägerin zu 3) und in Höhe von monatlich 35,00 ? für die Klägerin zu 4) sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich jeweils 118,75 ? für die Kläger zu 1) bis 4) unter Anrechnung bereits gewährter Beträge zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren von der Beklagten für die Zeit ab dem 01.01.2012 die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ? Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Sie reisten im Jahr 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 1) und der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 2) sind nicht verheiratet. Sie sind die Eltern der Klägerin zu 3) (geboren am 00.00.0000) und der Klägerin zu 4) (geboren am 00.00.0000).

Sie lebten zusammen in einer 80 qm großen Wohnung auf der D. Straße in I ... Hierfür zahlten sie eine monatliche Grundmiete in Höhe von 375,00 ? zzgl. monatlichen Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von 40,00 ? sowie für Heizkosten in Höhe von 60,00 ?. Die Warmwasseraufbereitung erfolgte über die Heizungsanlage.

Die Kläger zu 1) und 2), die im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU sind, arbeiteten vom 01.09.2009 bis zum 30.06.2010 bei der Firma T. GmbH in N ... Vom 22.11.2010 bis zum 05.01.2012 waren die Kläger zu 1) und 2) selbständig tätig.

Die Kläger zu 3) und 4) bezogen monatlich Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 ?.

Am 31.01.2012 beantragten die Kläger bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 27.02.2012 teilte die Bundesagentur für Arbeit den Klägern zu 1) und 2) mit, dass sie für die Aufnahme einer Beschäftigung keiner Arbeitsgenehmigung-EU bedürften. Ihnen sei kraft Gesetz jede Beschäftigung erlaubt, so dass die Arbeitsgenehmigung-EU nicht mehr zu erteilen sei.

Den Antrag vom 31.01.2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2012 ab. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass für den Zeitraum Juni bis Dezember 2011 keine Nachweise über das Einkommen aus der Selbständigkeit vorgelegen hätten. Für diesen Zeitraum sei aus den Kontoauszügen nur Einkommen aus Kindergeld ersichtlich. Es sei nicht nachvollziehbar dargelegt, wie der Lebensunterhalt in dieser Zeit sichergestellt worden sei. Solange dies nicht geschehen sei, könnten keine Leistungen nach dem SGB II gewährt werden.

Hiergegen legten die Kläger am 12.04.2012 mit Schreiben vom 10.04.2012 Widerspruch ein. Es seien alle Rechnungen vorgelegt worden. Diese seien auch in dem Zeitraum Juni bis Dezember 2011 in bar bezahlt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Antragsteller als unbegründet zurück. Sie seien gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Mit ihrer am 03.08.2012 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, dass sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten und nicht von den Leistungen ausgeschlossen seien.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2012 zu verurteilen, ihnen ab dem 01.01.2012 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Anrechnung bereits gewährter Beträge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. Die Kläger seien kraft Gesetz von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Daran ändere auch die VO 883/2004 nichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren subjektiven Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Kläger sind zur Überzeugung der Kammer nicht von den Leistungen des SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.

1.

Die Kläger haben zur Überzeugung der Kammer einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelbedarf bzw. Sozialgeld) nach § 20 Abs. 4 SGB II in Höhe von jeweils monatlich 337,00 ? betreffend die Kläger zu 1) und 2), in Höhe von monatlich 67,00 ? für die Klägerin zu 3) und in Höhe von monatlich 35,00 ? für die Klägerin zu 4) gemäß § 23 Nr. 1 i.V.m. § 77 Abs. 4 SGB II (vgl. zur Höhe des Regelbedarfs bzw. Sozialgelds BGBl. 2011 I, 2093).

Die Kläger zu 1) und 2) sind entgegen der Auffassung der Beklagten Leistungsberechtigte i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 lit. c), Abs. 3 a) Nr. 1 und 2 SGB II. Die Kläger zu 3) und 4) bilden als Kinder der Kläger zu 1) und 2) mit diesen gemäß § 7 Abs. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft, da sie mit ihnen in einem Haushalt leben und das 25te Lebensjahr noch nicht vollendet haben, so dass sich ihr Anspruch auf Leistungen des SGB II aus § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II ergibt.

Die Kläger zu 1) und 2) haben das 15te Lebensjahr vollendet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II) und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II). Sie sind auch erwerbsfähig gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II. Die Bundesagentur hat mit Schreiben vom 27.02.2012 mitgeteilt, dass die Kläger zu 1) und 2) jede Arbeit aufnehmen dürften und einer Arbeitsgenehmigung-EU nicht bedürfen, vgl. auch § 8 Abs. 2 SGB II. Sie sind unstreitig auch hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II. Sie verfügen in dem streitgegenständlichen Zeitraum über keinerlei Einkünfte außer dem Kindergeld in Höhe von insgesamt 368,00 ? monatlich, so dass sie ihren Lebensunterhalt nicht vollständig sichern können.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist zur Überzeugung der Kammer gemäß den Art. 2, 3, 4 und 70 sowie Anhang X VO 883/2004 für die Kläger, die bulgarische Staatsbürger und damit Bürger der Europäischen Union sind, auf Grund des sogenannten Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar.

Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Die VO 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wurde bereits im Jahr 2004 erlassen. Deren Inkrafttreten war jedoch bis zur Verabschiedung einer Durchführungsverordnung hinausgeschoben. Mit Wirkung zum 01.05.2010 trat die Durchführungs-VO 987/2009 zur Verordnung über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und damit die VO 883/2004 in Kraft.

Die Kläger können sich zur Überzeugung des Gerichts auf das Prinzip der Gleichbehandlung gemäß Art. 4 VO 883/2004 berufen. Danach haben ausländische EU-Bürger, die unter den Geltungsbereich der Verordnung fallen, die gleichen Rechte und Pflichten im Rahmen des Sozialschutzsystems eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates selbst, sofern in der VO 883/2004 nichts anderes bestimmt ist.

Die Kläger unterfallen dem Geltungsbereich dieser VO 883/2004. Gemäß Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 gilt diese Verordnung ganz allgemein für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedsstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrere Mitgliedstaaten gelten oder galten. Die Kläger als bulgarische Staatsangehörige und damit als Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterfallen somit dem persönlichen Geltungsbereich der VO 883/2004.

Die Leistungen nach dem SGB II unterfallen dem sachlichen Anwendungsbereich der VO 883/2004. Dies ergibt sich eindeutig aus Art. 70 Abs. 2 lit. c) VO 883/2004 mit Verweis auf die Anlage X. Diese sogenannte Sonderkoordinierung für die Bundesrepublik Deutschland umfasst danach die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ? Sozialhilfe (SGB XII) und die Leistungen nach dem SGB II, soweit für diese Leistungen nicht dem Grund nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II a.F.) erfüllt sind. Die übrigen Leistungen des SGB XII bleiben weiterhin nach Art. 3 Abs. 5 VO 883/2004 als Leistungen der sozialen Fürsorge ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Leistungen des SGB II sind nicht in einen Teil der Existenzsicherung und einen Teil der Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, aufzuspalten, um die Geldleistungen nach dem SGB II als Leistungen der sozialen Fürsorge zu werten. Die ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und auch des Bundessozialgerichts (BSG) zur Überzeugung des Gerichts nicht zulässig.

Eine solche Zulässigkeit einer Aufspaltung ergibt sich nicht aus Urteil des EuGH vom 04.06.2009 in den verbundenen Rechtssa¬chen Vatsouras und Koupatantze (vgl. Urteil des EuGH vom 04.06.2009 ? C-22/08 und C-23/08). Der EuGH hat in diesem Urteil zur Überzeugung des Gerichts gerade nicht festgestellt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II gemeinschaftskonform ist. Diese Frage war dem EuGH gar nicht vorgelegt worden. Auch hat er nicht die uneingeschränkte Vereinbarkeit von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht festgestellt. Der EuGH hat dort vielmehr ausgeführt, dass sich die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die auf Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedstaat sind und eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, auf Art. 39 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) berufen könnten, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Dabei sei es Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistung zu prüfen, insbesondere den Zweck und die Voraussetzungen der Gewährung. Auf jeden Fall sei die Ausnahme nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 im Ein¬klang mit Art. 39 Abs. 2 EG auszulegen, und der Zweck der Leistung sei nach Maßgabe der Ergebnisse und nicht anhand der formalen Struktur zu untersuchen. Danach könnten finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 angesehen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 04.06.2009 ? a.a.O., Rdz. 40-45). Nur aus diesem Grund, weil gerade solche Leistungen nicht als Sozialhilfeleistungen angesehen werden können, bestehen aus Sicht des EuGH keine Bedenken gegen die Gültigkeit von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 (vgl. EuGH, Urteil vom 04.06.2009 ? a.a.O., Rdz. 46).

So weist auch der Generalanwalt Damaso Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen (auf die der EuGH im Übrigen sogar verweist) aus Sicht des Gerichts auch zutreffend darauf hin, dass der Zweck der Beihilfe nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand der formalen Struktur der Leistung zu untersuchen ist. Andernfalls ließe sich das Urteil Collins, auf das noch im nachfolgenden eingegangen werden wird, leicht umgehen. Es würde ausreichen, aus der Regelung für die Leistung jeden Bezug auf das Ziel der Leistung, die Hilfe zur Wiedereingliederung, zu entfernen, um somit den Gemeinschaftsbürgern die Leistungen zu versagen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts in den Rechtssachen C-22/08, C-23/08 vom 12.03.2009, Rdz. 57).

Aus Sicht des Gerichts sind daher sowohl die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und für Kosten für Unterkunft und Heizung als auch die weiteren Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht aufzuspalten, um auf diese Art und Weise die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und für die Kosten für Unterkunft und Heizung als Sozialhilfeleistung zu werten. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 SGB II dient die Grundsicherung für Arbeitssuchende insgesamt der Stärkung für die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben und soll insgesamt dazu beitragen, dass sie den Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und mit eigenen Kräften bestreiten können. Durch eine Aufspaltung in verschiedene Leistungsbereiche würde aber genau das erreicht, was nach Auffassung des EuGH und des Generalanwalts eben nicht erfolgen soll, nämlich eine künstliche Aufspaltung ohne Beachtung des übergeordneten Zwecks, nämlich der Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für erwerbsfähige Hilfebedürftige.

Dieses Ergebnis wird aus Sicht des Gerichts auch durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Collins (vgl. EuGH, Urteil vom 23.03.2004 ? C 138/02) gestützt. In diesem Verfahren ging es um die sog. jobseeker´s allowance. Dabei handelte es sich um eine Leistung der sozialen Sicherheit nach dem Gesetz betreffend Arbeitssuchende (Jobseekers Act 1995), welches am 07.10.1996 in Kraft getreten war und das Arbeitslosengeld (unemployment benefit) und die Sozialhilfe (income support) in Großbritannien ersetzte (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Damaso Ruiz-Jarabo Colomer zur Rechtssache C ? 138/02 Rdz. 2). In seiner Entscheidung hat der EuGH ausgeführt, dass Unionsbürger, die sich rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, sich in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auf Art. 6 EG a.F. berufen könnten. Es ist nach Auffassung des EuGH nicht mit Art. 6 und 8 EG a.F. vereinbar, die Gewährung von Leistungen an Voraussetzungen zu knüpfen, die eine Diskriminierung der Staatsangehörigkeit darstellt. Es sei daher nicht mehr möglich, vom Anwendungsbereich des Art. 48 Abs. 2 EG a.F., der eine Ausprägung des in Art. 6 EG a.F. garantierten tragenden Grundsatzes der Gleichbehandlung sei, eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates erleichtern soll. Es sei aber als legitim anzusehen, dass ein Mitgliedsstaat eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitssuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedsstaates festgestellt wurde. Eine solche Verbindung kann sich z.B. aus einer Mindestaufenthaltsdauer ergeben (vgl EuGH, Urteil vom 23.04.2004 ? a.a.O., Rdz. 64-72).

Auch aus Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 10.10.2010 ? B 14 AS 23/10 R) ergibt sich nichts anderes. Dort hat der 14. Senat unter Randziffer 29 sogar festgestellt, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beitragsunabhängige Geldleistungen (sog. Mischleistungen) darstellen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Aufnahme der Leistungen nach dem SGB II in den Anhang X der VO 883/2004 zutreffend erfolgt.

Es bedarf zur Überzeugung des Gerichts im Hinblick auf Art. 4 VO 883/2004 auch keiner wie auch immer gearteten tatsächlichen Verbindung der Kläger zum deutschen Arbeitsmarkt, was bei Anwendung des Art. 39 Abs. 2 EG notwendig gewesen ist (vgl. dazu die obigen Ausführungen zum Urteil des EuGH vom 04.06.2009 ? C-22/08 und C-23/08). Wie oben bereits dargestellt, haben ausländische EU-Bürger, die unter den Geltungsbereich der Verordnung fallen, die gleichen Rechte und Pflichten im Rahmen des Sozialschutzsystems eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates selbst, sofern in der VO 883/2004 nichts anderes bestimmt ist. Eine solche tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt wird von deutschen Staatsangehörigen nicht gefordert, wenn sie Leistungen nach dem SGB II beantragen. Daher ist sie im Hinblick auf Art. 4 VO 883/2004 auch nicht von den Klägern als bulgarische Staatsangehörige und damit als Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union zu fordern. Insofern kann offen bleiben, ob die Kläger zu 1) und 2) in der Vergangenheit selbständig tätig oder mehr als ein Jahr unselbständig beschäftigt gewesen sind.

Da gemäß Art. 249 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) die Verordnung allgemeine Geltung hat und in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gilt, und § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegen die VO 883/2004 verstößt, da er ja auch unter diese Verordnung fallende EU-Bürger von den Leistungen nach dem SGB II ausschließt, ist dieser Leistungsausschluss des SGB II auf die Kläger gemäß dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden (vgl. zum Prinzip des Anwendungsvorrangs beispielhaft Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 22.02.2010 ? 1 B 21/09; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.11.2007 ? 1 BvR 2628/04).

Die Kläger zu 1) und 2) leben länger als ein Jahr und mit zwei gemeinsamen Kindern (den Klägern zu 3) und 4)) zusammen, so dass sie gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c), Abs. 3 a SGB II eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Da sie das 18te Lebensjahr vollendet haben, haben sie einen Anspruch auf jeweils monatlich 337,00 ? gemäß § 20 Abs. 4 SGB II (vgl. zur Höhe des Regelbedarfs auch BGBl. I S. 2093). Die Klägerin zu 3) ist am 00.00.0000 geboren und damit aktuell 12 Jahre alt. Sie hat daher einen Anspruch auf Sozialgeld in Höhe von monatlich 67,00 ? (251,00 ? gemäß § 23 Nr. 1 zweite Alt. i.V.m. § 77 Abs. 4 Nr. 3 SGB II abzgl. 184,00 ? Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II). Die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 4) ist 5 Jahre alt, so dass sie einen Anspruch auf Sozialgeld in Höhe von 35,00 ? monatlich hat (219,00 ? gemäß § 23 Nr. 1 erste Alt. SGB II abzgl. 184,00 ? Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II).

2.

Die Kläger haben für die Zeit ab dem 01.01.2012 auch einen Anspruch auf die Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die von den vier Klägern bewohnte Wohnung fallen monatlich insgesamt 475,00 ? (Grundmiete in Höhe von 375,00 ? zzgl. monatlichen Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von 40,00 ? sowie für Heizkosten in Höhe von 60,00 ?). Dass diese Kosten nicht angemessen sind, wird von der Beklagten nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Diese Kosten sind entsprechend nach Kopfteilen aufzuteilen (vgl. beispielhaft BSG, Urteil vom 23.11.2006 ? B 11b AS 1/06 R; Urteil vom 24.02.2011 ? B 14 AS 61/10 R), also vorliegend gleichmäßig auf die vier Kläger. Die Kläger haben damit einen Anspruch auf die Gewährung von monatlich jeweils 118,75 ? als Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II.

3.

Die oben im Einzelnen dargestellten Leistungen nach dem SGB II waren den Klägern für die Zeit ab dem 01.01.2012 bis zum 23.10.2012 zuzusprechen. Leistungen waren von der Beklagten mit dem angegriffenen Bescheid vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2012 ab dem 01.01.2012 abgelehnt worden. Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 23.10.2012 durch Urteil entschieden, so dass nur bis zum 23.10.2012 entsprechend Leistungen nach dem SGB II durch das Urteil zugesprochen werden können.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

5.

Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Problematik des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Hinblick auf EU-Ausländer ist ? insbesondere seit dem von der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) erklärten Vorbehalt gemäß Art. 16 lit. b) EFA ? Gegenstand einer Fülle von Verfahren und bedarf einer obergerichtlichen Klärung.
Rechtskraft
Aus
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