L 6 AS 1980/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 2303/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1980/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.09.2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde vom 12.10.2012 gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Sozialgerichts vom 13.09.2012, zugestellt am 19.09.2012. Streitig ist in dem Verfahren, ob der Beklagte der Klägerin, der - als Erbin eingesetzt - nach dem Erbfall das Erbe noch nicht zugeflossen war, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den anstehenden Bewilligungszeitraum vom 01.07.2012 bis 31.12.2012 vorläufig bewilligen durfte.

Die Klägerin stand im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie teilte am 05.04.2012 dem Beklagten mit, sie sei mit dem Tod ihrer Mutter im März 2012 Erbin geworden. Wann sie das Erbe erhalte und um welche Werte es sich handele, könne sie noch nicht sagen. Es sei damit zu rechnen, dass ihre drei Geschwister - wie bereits beim Tod des Vaters - wieder vor Gericht zögen. Sie werde Bescheid geben, sobald sie die Höhe und den Zeitpunkt der Auszahlung kenne. Ein Bruder der Klägerin teilte dem Beklagten am 03.05.2012 per email mit, seine Schwester habe aus der Erbschaft der Mutter etwa 85.000,00 Euro und Schmuck im Wert von etwa 4000,00 Euro zu erwarten, sein Pflichtteilsanspruch, der von seiner Schwester zu erfüllen sei, belaufe sich auf 12,5 Prozent. Da er von ihr bisher nicht über den Tod der Mutter informiert worden sei, gehe er davon aus, dass sie die Erbschaft verheimlichen wolle. Mit Schreiben vom 04.05.2012 belehrte der Beklagte die Klägerin darüber, dass sie unverzüglich mitzuteilen habe, falls ihr Vermögen oder Einkommen in Geld oder Geldeswert zufließe. Es sei ein Betrag von 85.000 Euro aus der Erbschaft zu erwarten.

Am 18.05.2012 beantragte die Klägerin beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II über den Juni 2012 hinaus und gab an, sie erhalte seit dem 01.05.2012 Getrennt-Lebendenden-Unterhalt in Höhe von monatlich 300 Euro. Sie legte ein Schreiben ihres in der Nachlasssache beauftragten Rechtsanwalts vom 10.05.2012 vor, wonach bei dem Amtsgericht O ein Nachlassverfahren geführt werde, das sich voraussichtlich noch über den Sommer hinziehen werde.

Mit Bescheid vom 25.05.2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.07.2012 bis 31.12.2012 in Höhe von monatlich 402,00 Euro. Dabei ging er von einem Gesamtbedarf von 672,00 Euro aus (374,00 Euro Regelleistung, 298,00 Euro Kosten der Unterkunft), von dem er den Unterhalt abzüglich der Versicherungspauschale von 30,00 Euro in Abzug brachte. Die lediglich vorläufige Bewilligung stützte er auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit der Begründung, dass der Ausgang des Nachlassverfahrens abzuwarten sei. Den (nur) hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 02.07.2012 als unbegründet zurück.

Für ihre dagegen am 09.07.2012 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobene Klage hat die Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F beantragt. Sie meint, die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1. Satz 1 Nr. 3 SGB III seien nicht erfüllt, denn nach dem Wortlaut des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III komme eine vorläufige Bewilligung nur bei unklaren Zahlungsansprüchen eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in Betracht.

Die Klägerin hat sich durch Erklärung vom 08.08.2012 zum 01.09.2012 aus dem Leistungsbezug abgemeldet. Sie könne nach Auszahlung des Pflichtteils an ihre drei Geschwister im August 2012 von den verbliebenen 7.021 Euro aus dem Erbe voraussichtlich 15 Monate lang ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Das Sozialgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, die Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte habe der Klägerin die Leistungen zutreffend vorläufig und nicht endgültig erbracht. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht ausschließlich auf Arbeitnehmer anwendbar. Diese Vorschrift sei über § 40 SGB II im System des SGB II nur entsprechend anwendbar. Sie verlöre ihren Anwendungsbereich, würde man diese Vorschrift allein auf Arbeitnehmer anwenden. Die Vorschrift solle zugunsten der Leistungsberechtigten es (auch) dem Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ermöglichen, Leistungen schon dann zu bewilligen, wenn zwar die Voraussetzungen des Anspruchs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorlägen, für die genaue Feststellung jedoch noch längere Zeit benötigt werde. Da das Nachlassverfahren sich seit der Mitteilung der Klägerin am 05.04.2012 von der Erbschaft nach Tod ihrer Mutter noch hinziehen könne und die genaue Höhe der Erbschaft sowie deren Zufluss noch nicht eindeutig feststehe, habe der Beklagte hier u.a. wegen der Frage der Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II in Ausfüllung des Ermessensspielraums entsprechend § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vorläufige Leistungen pflichtgemäß bewilligt. Zur Höhe des Anspruchs der Klägerin hat sich das Sozialgericht auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Beklagten bezogen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde hält die Klägerin daran fest, eine vorläufige Bewilligung sei nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II nur bei Arbeitnehmern vorgesehen. Des weiteren sei der Erbschein erst im November 2012 erteilt worden, sie müsse die Pflichtteile auszahlen und habe im Nachlass auch nur Schmuck mit einem Zeitwert von 50 bis 100 Euro aufgefunden.

Der Beklagte hält die von ihm getroffene Entscheidung für rechtmäßig. Eine vorläufige Leistungsbewilligung sei auch bei Leistungsberechtigten nach dem SGB II möglich, die begrifflich keine Arbeitnehmer seien. Bezüglich schwankender Einkommenszuflüsse hat er auf das Urteil des BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 127 ZPO. Die Ausschlusstatbestände des § 172 Abs. 3 SGG greifen nicht ein. Das Sozialgericht hat nicht die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse für die Prozesskostenhilfe verneint (§ 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG), sondern Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgelehnt. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 750,00 EUR (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 2 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), da hier - selbst wenn das Ausscheiden der Klägerin aus dem Leistungsbezug zu berücksichtigen wäre - jedenfalls noch die endgültige Zuerkennung von endgültigen Grundsicherungsleistungen für zwei Monate iHv. mehr als 800 Euro im Streite steht.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat gemäß § 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Der Anspruch scheitert abweichend von der Begründung des Sozialgerichts aber nicht an den fehlenden Erfolgsaussichten der Klage, sondern zur Überzeugung des Senats daran, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig erscheint.

Die lediglich vorläufige Bewilligung durch den angefochtenen Bescheid vom 25.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zwar geht die von der Klägerin vertretene Rechtsansicht zu dem auf "Arbeitnehmer" beschränkten Anwendungsbereich der Vorschrift fehl, denn § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II iVm § 328 Abs. 1 S. 1 Nr.3 SGB III gilt nicht nur für die Arbeitnehmer unter den Leistungsberechtigten nach dem SGB II. Die über § 40 SGB II vermittelte entsprechende Anwendung erfordert es mit Blick auch auf die insoweit identischen Interessenlagen nach dem SGB II und nach dem SGB III zwischen Leistungsempfängern einerseits und Leistungsträgern andererseits, grundsätzlich alle Leistungsberechtigten der Grundsicherung für Arbeitsuchende einzubeziehen (im Ergebnis ebenso, z.T. ohne Begründung Eicher in Eicher/Spellbrink SGB II 2. Aufl. 2008 § 40 Rn. 68 f; Leopold info also 2008, 104 ff. (105), mwN; Wolff-Dellen in Löns/Herold-Tews 3. Aufl. § 40 Rn 5; Aubel in jurisPK-SGB II 3.Aufl. 2012 § 40 Rn 36, 37; 56). Im Übrigen ist im Anschluss an die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts zusätzlich zu berücksichtigen, dass über das Merkmal "Arbeitnehmer" in § 328 SGB III lediglich die vorläufige Leistungsbewilligung bezogen auf Ansprüche des Arbeitgebers nach dem SGB III ausgeschlossen sein sollte. Die weitere Voraussetzung des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III ist allerdings nicht erfüllt, wonach zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs voraussichtlich eine längere Zeit erforderlich ist. Die Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs war hier abgeschlossen. Grund und Höhe der Leistungen wurden bereits abschließend beurteilt. Bei dem Bewilligungsbescheid handelte es sich eindeutig nicht um einen rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt, dessen Rücknahme nur innerhalb der Grenzen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich wäre (vgl BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R). Bezogen auf den Bewilligungszeitraum bestand lediglich noch die Möglichkeit, dass der Klägerin zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt oder aber auch überhaupt nicht Einkommen zufließen würde. Erzielt die Klägerin aber vor diesem Hintergrund dann tatsächlich zu berücksichtigendes Einkommen in einem Zeitraum, für den Leistungen bereits zuerkannt worden sind, ist dies der typische Fall einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, denen nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X Rechnung zu tragen ist.

Bietet die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg, steht der Klägerin Prozesskostenhilfe aber deshalb nicht zu, weil die Rechtsverfolgung mutwillig erscheint.

Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist verfassungsrechtlich geboten, um unbemittelten Personen einen weitgehend gleichen Zugang (vgl BVerfG Beschluss vom 18. 11.2009 - 1 BvR 2455/08 mwN, juris) zu den Gerichten zu eröffnen, wie denjenigen, die sich diesen Zugang aus eigenen Mitteln verschaffen können (vgl zusammenfassend und mwN etwa Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl. 2012 § 73 a Rn. 8). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das Merkmal der Mutwilligkeit nur in den Fällen die ihm zugewiesene eigenständige Bedeutung erlangt, in denen die Rechtsverfolgung/-verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, es einer Rechtsordnung aber nicht zugemutet werden kann, dies mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen (vgl auch BSG Beschluss vom 05.09.2005 - B 1 KR 9/05 BH - juris Rn. 6, 7 ). Für die Beurteilung eines Rechtsschutzbegehrens als mutwillig und damit nicht über die Prozesskostenhilfe zu finanzieren, gewinnt deshalb die Sicht eines objektiven Dritten unter der Fragestellung entscheidungserhebliche Bedeutung, ob dieser als verständiger Beteiligter die gerichtliche Inanspruchnahme zur Schonung eigener Mittel unterlassen würde (s auch BSG Beschluss vom 23.04.2007- B 10 KG 6/06 B juris Rn. 5; ebenso BSG Urteil vom 10.3.1976 - 7 BAr 36/75 = SozR 1750 § 114 Nr 1 und vom 25.6.1980 - 7 BH 4/80 = SozR 1750 § 114 Nr 5).

Nach diesen Maßstäben ist die Rechtsverfolgung hier deshalb mutwillig, weil ein bemittelter verständiger Rechtsuchender diesen Prozess nicht führen würde. Auch im Falle eines günstigen Urteils hätte die Klägerin keine erkennbaren Vorteile. Die Höhe der Leistungen ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, sie ist unter Berücksichtigung der von der Klägerin erfolgten Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen zutreffend erfolgt. Die im Vergleich zur endgültigen Festsetzung schwächere Rechtsposition der Klägerin betrifft im Wesentlichen die Möglichkeiten des Beklagten bei der Rückforderung zu viel gezahlter Leistungen. Vor diesem Hintergrund ist aber überhaupt nur dann ein wirtschaftlicher Nachteil zu gewärtigen, wenn die Klägerin zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit falsche Angaben gemacht haben sollte. Bis dahin ist davon auszugehen, dass sie Anspruch auf die Leistungen hat, die sie tatsächlich erhalten hat. Die für die Berechnung der Leistung erforderlichen Feststellungen waren getroffen und dabei so übersichtlich, dass die Ermittlungen abgeschlossen waren und mit weiteren Erkenntnissen, die die Höhe der Leistung hätten beeinflussen können, nicht zu rechnen ist, wenn die Angaben der Klägerin zutreffen. Für die Klägerin war aus der von dem Beklagten erfolgten Begründung von vorneherein ersichtlich, dass dieser bei dem Zufluss von Einkommen eine Neufestsetzung vornehmen werde und dann aus seiner Sicht der Grund für die vorläufige Bewilligung entfallen sein würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG)
Rechtskraft
Aus
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