Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 1557/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 814/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2011 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen von dem Beklagten durch Bescheid dem Grunde nach geltend gemachten Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens nach § 34 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1966 geborene Klägerin ist geschieden und alleinerziehende Mutter einer 1992 geborenen Tochter. Von 1986 bis 1989 absolvierte sie nach eigenen Angaben eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie erfolgreich abschloss. in diesem Beruf war sie vom 1. August 1990 bis zum 31. Januar 2009 bei der B & D Hauskrankenpflege tätig.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 erhielt die Klägerin eine Zusage der Medizinischen Akademie, Außenstelle Berlin, zur Aufnahme einer schulischen Ausbildung zur Logopädin ab dem 12. Januar 2009 und kündigte daraufhin mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. Januar 2009. Am 22. Dezember 2008 schloss die Klägerin schließlich eine Vereinbarung als Selbstzahler mit der Medizinischen Akademie über die Lehrgangsgebühren des Lehrgangs für den Zeitraum vom 12. Januar 2009 bis zum 11. Januar 2012 in Höhe von insgesamt 25.164 Euro.
Im Januar 2009 beantragte sie bei dem Beklagten ergänzende Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Tochter und legte insbesondere Gehaltsabrechnungen für die Monate Oktober bis Dezember 2008 vor, die ein monatliches Nettoentgelt in Höhe zwischen 1.317,22 Euro und 1.455,44 Euro auswiesen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2009 mangels Hilfebedürftigkeit ab.
Am 6. August 2009 (Eingang bei dem Beklagten) beantragte die Klägerin erneut Leistungen. Der Beklagte bewilligte nunmehr der Klägerin und ihrer Tochter mit Bescheid vom 26. August 2009 für den Zeitraum vom 30. Juli 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen, und zwar für den 30. und 31. Juli 2009 in Höhe von insgesamt 24,44 Euro, für die Monate vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember 2009 monatlich 366,51 Euro und für den Monat Januar 2010 306,51 Euro; für den gesamten Bewilligungszeitraum insgesamt mithin 2163,50 Euro.
Mit Bescheid vom 21. September 2009 forderte der Beklagte die mit dem Bescheid vom 26. August 2009 bewilligten Leistungen von der Klägerin nach § 34 Absatz 1 S. 1 SGB II zurück. Sie habe durch Aufnahme einer schulischen Ausbildung eine den Bedarf bislang ganz oder teilweise sichernde berufliche Tätigkeit aufgegeben und dadurch die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig durch ihr Verhalten herbeigeführt.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19. Oktober 2009 mit der Begründung Widerspruch, sie habe ihre Arbeitsstelle gekündigt, um einen neuen Beruf als Logopäden zu erlernen. Ihren anstrengenden Beruf als Krankenschwester habe sie aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht ausüben können und sich daher rechtzeitig nach etwas Neuem umgesehen, um eine dauerhafte Hilfebedürftigkeit zu vermeiden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Auf die Anhörung zur Ersatzpflicht habe die Widerspruchsführerin sich nicht geäußert und erst im Widerspruchsverfahren erklärt, sich ihrem bisherigen Beruf nicht mehr gewachsen zu fühlen. Es werde nicht bestritten, dass der Beruf der Krankenschwester anstrengend sei. Dennoch erscheine es fraglich, ob der hier vorgenommene Weg zulasten der Allgemeinheit die einzig mögliche Alternative darstelle. Die Klägerin trage auch die finanzielle Verantwortung für ihre Tochter und habe sich durch die Aufnahme der neuen Ausbildung grob fahrlässig und sozialwidrig verhalten. Nachweise über ihre körperliche und psychische Verfassung habe die Klägerin nicht eingereicht.
Mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für den Monat Januar 2010 insgesamt 286,51 Euro.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 28.Januar 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter mit Bescheid vom 2. Februar 2010 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis zum 31. Juli 2010, und zwar für den Zeitraum vom 1. bis zum 12. Februar 2010 insgesamt 114,62 Euro, für den Zeitraum vom 13. bis zum 28. Februar 2010 insgesamt 146,09 Euro und für die Monate März 2010 bis Juli 2010 monatlich jeweils 296,90 Euro.
Gegen den Bescheid vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 hat die anwaltlich vertretene Klägerin am 15. Januar 2010 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Sie habe ihren Beruf als Krankenpflegerin aufgegeben, weil sie sich körperlich und psychisch den Anforderungen nicht mehr gewachsen gefühlt habe. Sie habe regelmäßig Überstunden machen müssen und zwar auch am Wochenende. Zudem sei sie allein erziehende Mutter einer Tochter im Teenageralter und sei durch diese Mehrfachbelastung an ihre Grenzen gelangt.
In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts Berlin am hat die Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift erklärt, die Tätigkeit als Krankenschwester sei extrem belastend gewesen, weil erhebliche Überstunden und Feiertagsarbeit zu leisten gewesen seien. Sie habe unter Herzrhythmusstörungen und Erschöpfungszuständen gelitten und es sei ihr ärztlicherseits empfohlen worden, "häufiger eine Auszeit zu nehmen". Sie habe zunächst gewartet, ob sich ihre berufliche Situation verbessere und dann die Umschulung begonnen. Das Schulgeld habe ihre Mutter finanziert und über eine Erbschaft im Sommer 2010 habe sie dann ihren Lebensunterhalt finanzieren können.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Dezember 2009 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 23. März 2011 den Bescheid des Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 aufgehoben. Eine Ersatzpflicht komme nach der einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 34 SGB II im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung des früheren § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) müsse dem Hilfeempfänger ein "quasi-deliktisches" Verhalten vorgeworfen werden können. Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. Vorliegend ließe sich ein solches Unwerturteil nicht rechtfertigen. Vielmehr seien die von der Klägerin vorgebrachten Gründe nachvollziehbar.
Gegen das dem Beklagten am 6. April 2011 zugestellte Urteil hat dieser am 2. Mai 2011 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Die Klägerin habe, ohne sich vorher finanziell abzusichern, ihr Arbeitsverhältnis gekündigt, um eine 36-monatige Ausbildung zu Logopädin wahrzunehmen. Dieses Verhalten sei sozialwidrig. Ein besserer Verdienst sei bei einer Tätigkeit als Logopädin nicht zu erwarten. Dass die Tätigkeit als Krankenschwester für sie zu anstrengend gewesen sei, sei nicht belegt. Auch Wochenendarbeit und das Vorhandensein eines jugendlichen Kindes ließen eine Unzumutbarkeit der Berufsausübung nicht erkennen. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass eine Tätigkeit als Logopädin weniger anstrengend und weniger zeitaufwändig sei. Es sei in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung im übrigen anerkannt, dass die Voraussetzungen für die Nichtgeltendmachung eines Ersatzanspruches gemäß § 34 SGB II nur dann vorlägen, wenn der Hilfebedürftige seine bisherige ungelernte Tätigkeit aufgegeben habe, um durch den Abschluss einer Berufsausbildung den Lebensunterhalt bzw. die wirtschaftliche Stellung für sich und seine Familie zu sichern oder zu verbessern und der Ausbildungsberuf Chancen für die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt biete.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung vom 2. Mai 2011 abzuweisen.
Der Senat hat einen Befundbericht des die Klägerin im Zeitraum von 2007 bis 2010 behandelnden Arztes für Innere Medizin/Kardiologie Dr. med. vom 16. Dezember 2011 eingeholt, in dem dieser eine Behandlung wegen Herzbeschwerden bestätigt und zur Arbeitsfähigkeit insbesondere ausgeführt hat: "Patientin ist wohl durch Herzrhythmusstörungen körperlich eingeschränkt". Diesem Befundbericht sind Behandlungsberichte vom 5. Februar 2007, 13. März 2007 und 4. Dezember 2010 an die behandelnde praktische Ärztin (Frau D) beigefügt worden, in der unter anderem über eine EKG- Langzeituntersuchung berichtet worden ist. Im Ergebnis hat dieser Arzt organische Ursachen für die Herzrhythmusstörungen nicht feststellen können.
Außerdem hat der Senat einen Befundbericht von Frau D vom 20. März 2012 eingeholt, in dem diese ebenfalls keinen pathologischen Befund nicht bestätigen konnte.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Senats am 5. September 2013 hat die Klägerin erklärt, kurz nach Aufnahme der Ausbildung zu Logopädin eine Versicherungspolice ausgezahlt bekommen zu haben und im Sommer 2010 ein Erbe des im April 2010 verstorbenen Vaters. Ihre Ausbildung zu Logopädin habe sie im Januar 2012 beendet; seit Mitte Juni 2012 sei sie als angestellte Logopädin tätig. Der Berichterstatter hat in diesem Termin auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. November 2012 (B 4 AS 39/12 R, zitiert nach juris) und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Juni 2012 (L 3 AS 159/12, ebenfalls zitiert nach juris) und die dort genannten Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch der § 34 SGB II hingewiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Verfahrens im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte (Behelfakte) des Beklagten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis zu dieser Verfahrensweise erteilt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ohne weitere Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG statthaft.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat auf die Klage zu Recht die Bescheide des Beklagten aufgehoben. Die Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 34 Abs. 1 SGB II in der vom 1.1.2005 bis 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954)ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr. 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr. 2) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (§ 34 Abs. 1 S. 2 SGB II).
Vorliegend kann dahinstehen, ob der angefochtene Bescheid des Beklagten schon deshalb rechtswidrig ist, weil es sich lediglich um einen Feststellungsbescheid handelt, in dem ein konkreter Ersatzanspruch nicht geltend gemacht wird. An der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens bestehen schon deshalb Bedenken, weil der Beklagte selbst in dem angegriffenen Bescheid ausschließlich auf den Bewilligungsbescheid vom 26. August 2009 Bezug genommen hat und deshalb grundsätzlich auch in der Lage gewesen wäre, den geltend gemachten Ersatzanspruch zu beziffern.
Weiter kann offen bleiben, ob auch die aufgrund des Folgebescheides vom 2. Februar 2010 erbrachten Leistungen von dem Bescheid vom 21. September 2009 erfasst sind. Hieran bestehen Bedenken, weil der Bescheid vom 21. September 2009 selbst ausdrücklich nur auf den Bewilligungsbescheid vom 26. August 2009 Bezug nimmt.
Dies kann letztlich alles dahinstehen, weil der Klägerin jedenfalls ein "sozialwidriges Verhalten" im Sinne von § 34 SGB II nicht vorzuwerfen ist.
Zu den Voraussetzungen eines Ersatzanspruches hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 2. November 2012 (B 4 AS 39/12 R, zitiert nach juris) folgendes ausgeführt:
"4.a) Eine Heranziehung zum Kostenersatz scheitert jedoch daran, dass ein sozialwidriges Verhalten i.S. des § 34 Abs. 1 SGB II hier nicht vorliegt. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihrem jetzigen systematischen Kontext mit weiteren Regelungen des SGB II ergibt sich, dass nicht jedes - hier in hohem Maße gegebene - verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht führt. Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. "innerem Zusammenhang", zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des als Ausnahmefall vorgesehenen Kostenersatzanspruchs gegenüber einem Leistungsberechtigten sowie dem jetzigen systematischen Kontext des § 34 SGB II mit weiteren SGB II-Regelungen. Das Verhalten des Klägers erfüllte die insofern zu stellenden Anforderungen nicht.
b) Aus der Entstehungsgeschichte des § 34 SGB II ergibt sich, dass es sich um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handelt. Während die jetzige Parallelregelung zum Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten in § 103 SGB XII die bis zum 31.12.2004 geltende Vorschrift des § 92a BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich übernommen hat (BT-Drucks. 15/1514 S. 68 zu § 98), soll sich § 34 SGB II nach dem Willen des Gesetzgebers (lediglich) an die sozialhilferechtliche Regelung "anlehnen" (BT-Drucks. 15/1516 S. 62 zu § 34). Dies findet seinen Ausdruck in der z.T. unterschiedlichen Ausgestaltung beider Vorschriften, etwa darin, dass § 34 Abs. 1 SGB II in seiner hier maßgebenden Fassung bis zum 31.3.2011 keine § 103 Abs. 1 S. 2 SGB XII entsprechende Regelung zum Wegfall einer Heranziehung zum Kostenersatz, sondern - mit dem Absehen von seiner Geltendmachung bei zu erwartenden Leistungsberechtigung nach dem SGB II oder dem SGB XII - lediglich eine "spezielle Härteregelung" (§ 34 Abs. 1 S 2 SGB II a.F.) enthielt (Simon in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2010, § 103 RdNr. 14). Auch setzt § 103 Abs. 1 S 1 SGB XII im Unterschied zu § 34 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB II nicht das Fehlen eines wichtigen Grundes voraus. Trotz dieser Unterschiede ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII und § 34 SGB II in § 92a BSHG, dass auch für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen notwendig vorauszusetzen ist.
Bereits bei Festsetzung eines Kostenersatzes bei schuldhaftem Verhalten nach § 92a BSHG (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung), wonach zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet war, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hatte, war zu berücksichtigen, dass mit der Einführung des BSHG die frühere Verpflichtung zum Kostenersatz im Grundsatz beseitigt werden sollte. Eine Regelung wie diejenige zur Rückerstattungspflicht in den § 25 Abs. 1, § 25a der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV), die vorsah, dass der Unterstützte "dem Fürsorgeverband" die Kosten zu ersetzen hatte, war bewusst nicht in das BSHG übernommen worden (vgl hierzu bereits Wehlitz in NDV 1964, 152 ff, 153 mit Bezug auf die Diskussion bei Einführung des BSHG, bei der überwiegend die Auffassung vertreten worden sei, dass "die Aufrechterhaltung der Rückerstattungspflicht des Hilfeempfängers mit dem Charakter einer modernen Sozialhilfe nicht zu vereinbaren sei und die gesetzliche Neukodifikation nicht mit einer erneuten Verankerung der Kostenerstattungspflicht des Hilfeempfängers belastet werden dürfe, die ein Relikt aus einer nunmehr überholten Entwicklungsphase des Fürsorgerechts darstelle"). Die neu aufgenommene Kostenersatzpflicht nach § 92a BSHG beschränkte sich daher auf einen "engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand" mit dem Ziel, "gewisse Unbilligkeiten" auszuschließen, die sich aus der uneingeschränkten Beseitigung der Kostenersatzpflicht des Hilfebedürftigen ergeben hätten (BVerwGE 51, 61 ff, 63). § 92a BSHG diene - so das BVerwG - der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, weshalb für diesen Nachranggrundsatz unterlaufendes Verhalten das Merkmal "sozialwidrig" zusätzlich zu dem in § 92a Abs. 1 S 1 BSHG normierten Erfordernis eines "vorsätzlichen oder grob fahrlässigen" Verhaltens zu lesen sei (BVerwG a.a.O., S 61: "etwa wegen Arbeitsscheu oder Verschwendungssucht des Unterhaltspflichtigen").
Eine einschränkende Auslegung hält der Senat auch bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 SGB II für geboten, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 92a BSHG bzw. nunmehr § 103 Abs. 1 SGB XII um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind (BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; s.a. BSG SozR 4-4200 § 23 Nr. 13, RdNr. 12 m.w.N.; vgl. auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, § 103 RdNr. 9, Stand 2/2012). Dieser Grundsatz einer "verschuldensfreien" Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten und ihrer Angehörigen konterkariert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II seiner Höhe nach nicht begrenzt war.
c) Unter systematischen Gesichtspunkten sind auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe bei der Einordnung eines Verhaltens als sozialwidrig i.S. des § 34 SGB II einzubeziehen (so ausdrücklich Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 RdNr. 12 f, Stand 2009). In diesen Normen drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 SGB V, §§ 103 f SGB VI und § 101 SGB VII (vgl. hierzu insgesamt: Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004) - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird. Insofern enthält das SGB II detaillierte Regelungen zur Refinanzierung zu Unrecht erbrachter SGB II-Leistungen bzw. zu Leistungskürzungen bei einem Verhalten, das dem für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatz (§ 2 SGB II) widerspricht. So finden sich in § 31 SGB II zahlreiche Tatbestände einer Absenkung bzw. eines Wegfalls des Alg II bei aus Sicht des SGB II nicht zu billigendem Verhalten. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem Merkmal des vom Leistungsberechtigten geforderten Einsatzes seiner Erwerbsfähigkeit (§ 31 Abs. 1 und 2 SGB II) bzw. einer gezielten Herbeiführung der Bedürftigkeit (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB II). Soweit § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II für eine Minderung bzw. einen Wegfall des SGB II-Anspruchs an die Sperrzeitregelungen des SGB III anknüpft, ist eine Sperrzeit bei einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten, nicht jedoch einer - hier wohl allein in Betracht kommenden - personenbedingten Kündigung vorgesehen (§ 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III; vgl. zur Abgrenzung BSGE 91, 18 ff = SozR 4-4300 § 144 Nr. 2).
Aus diesen Regelungen ist abzuleiten, dass ein - mit einer höheren Belastung verbundener - Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II nicht nur ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraussetzt. Das konkret vorgeworfene Verhalten muss vielmehr - auch im Rahmen der weitreichenden Ersatzpflicht nach § 34 SGB II - nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61 ff, 65). Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können (vgl. BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109 ff, 111)."
Diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung an.
Für den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich daraus, dass nicht ansatzweise ein sozialwidriges Verhalten der Klägerin erkennbar ist, welches den Beklagten zur Geltendmachung eines Ersatzanspruches nach § 34 SGB II berechtigen würde.
Anders als im vom Bundessozialgericht zu entscheidenden Fall, in dem letztlich nicht einmal eine schwere Straftat (räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung) und damit ein moralisch im höchsten Maße verwerfliches Verhalten zwar zum Leistungsanspruch, aber gleichwohl nicht zum Ersatzanspruch nach § 34 SGB II führte, ist im vorliegenden Fall das Verhalten der Klägerin in keiner Weise unverständlich.
Die Klägerin hat vielmehr gleich drei Gründe vorgebracht, die ihre Entscheidung, die bisher ausgeübte Tätigkeit als Krankenpflegerin/Krankenschwester aufzugeben und eine Umschulung zur Logopädin zu beginnen, als nachvollziehbar erscheinen lassen. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass die Klägerin erst im Nachhinein diese Gründe für ihre Entscheidung nannte. Die dann von ihr vorgebrachten Gründe sind jedoch jeder für sich und erst recht alle gemeinsam geeignet, die Aufgabe ihrer Arbeitsstelle und den Beginn einer Ausbildung zu Logopädin jedenfalls nicht als sozialwidrig erscheinen zu lassen.
Hier ist zunächst die gesundheitliche Situation der Klägerin unter Berücksichtigung der beruflichen Belastung als Krankenschwester insbesondere im von der Klägerin ausgeübten Hauspflegedienst zu berücksichtigen. Selbst der Beklagte hat noch in seinem Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 ausgeführt, es werde nicht bestritten, dass der von der Klägerin ausgeübte Beruf der Krankenschwester anstrengend sei. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein solcher Beruf grundsätzlich ein volles Leistungsvermögen erfordert. Die im Berufungsverfahren eingeholten medizinischen Berichte der behandelnden Ärzte lassen aber zweifelsfrei erkennen, dass die Klägerin unter gesundheitlichen Problemen (Herzrhythmusstörungen) litt. Schon allein das Vorhandensein dieser Herzrhythmusstörungen lässt die Entscheidung der Klägerin, sich der Belastungssituation in ihrem Beruf als Krankenschwester nicht mehr gewachsen zu sehen, als nachvollziehbar erscheinen. Das für die Herzrhythmusstörungen eine organische Ursache nicht festgestellt werden konnte, legt im übrigen die Vermutung nahe, dass sie auf psychische Ursachen zurückzuführen sind und sie damit letztlich als Beleg für die von der Klägerin behauptete Belastungssituation betrachtet werden können.
Auch dass die Klägerin als alleinerziehende Mutter einer damals 17-jährigen Tochter einen größeren Zuwendungsbedarf für diese und sich deshalb nicht mehr in der Lage zur Erbringung der geforderten erheblichen Überstunden und Wochenendarbeit sah, ist nicht abwegig.
Schließlich ist weiter nachvollziehbar, dass die damals 43-jährige Klägerin nach 19 Berufsjahren als Krankschwester für sich in diesem Beruf insgesamt aus gesundheitlichen Gründen keine weitere Perspektive mehr sah und eine rechtzeitige Umorientierung in einen weniger belastenden Beruf anstrebte. Anders als der Beklagte meint, ist eine solche Ausbildung nicht nur zum erstmaligen Erlangen eines Berufsabschlusses gerechtfertigt.
Das Bundessozialgericht hat in der oben genannten Entscheidung bereits darauf hingewiesen, dass aus gesetzessystematischen Gründen nicht einmal ein nach § 31 SGB II sanktionsfähiges Verhalten einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslöst. Einen solchen Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II hat der Beklagte aber nicht einmal erlassen und auch der Senat sieht hierfür keine rechtliche Grundlage.
Der Beklagte wäre im Übrigen sogar über § 16 SGB II grundsätzlich verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen beispielsweise eine berufliche Weiterbildung im Sinne von § 77 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) oder eine Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 97 SGB III zu erbringen. Ist der Beklagte aber beispielsweise verpflichtet, behinderten Menschen aus medizinischen Gründen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, so erscheint es als widersinnig, wenn er berechtigt wäre erbrachte Leistungen nach § 34 SGB II von Empfängern zurückzufordern, weil diese aus gesundheitlichen Gründen ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben haben.
Soweit der Beklagte schließlich der Ansicht sein sollte, eine Tätigkeit als Logopädin (Sprachtherapeutin) sei körperlich und zeitlich nicht weniger belastend, als eine Tätigkeit als Krankenschwester in der ambulanten Hauspflege mit Wochenendienst, so ist dies einer eingehenden sinnvollen Auseinandersetzung nicht zugänglich und der Senat verweist lediglich auf die entsprechenden Informationsmöglichkeiten beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit, insbesondere unter im Internet (http://berufenet.arbeitsagentur.de – Stichwort Logopäde/Logopädin).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen von dem Beklagten durch Bescheid dem Grunde nach geltend gemachten Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens nach § 34 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1966 geborene Klägerin ist geschieden und alleinerziehende Mutter einer 1992 geborenen Tochter. Von 1986 bis 1989 absolvierte sie nach eigenen Angaben eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie erfolgreich abschloss. in diesem Beruf war sie vom 1. August 1990 bis zum 31. Januar 2009 bei der B & D Hauskrankenpflege tätig.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 erhielt die Klägerin eine Zusage der Medizinischen Akademie, Außenstelle Berlin, zur Aufnahme einer schulischen Ausbildung zur Logopädin ab dem 12. Januar 2009 und kündigte daraufhin mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. Januar 2009. Am 22. Dezember 2008 schloss die Klägerin schließlich eine Vereinbarung als Selbstzahler mit der Medizinischen Akademie über die Lehrgangsgebühren des Lehrgangs für den Zeitraum vom 12. Januar 2009 bis zum 11. Januar 2012 in Höhe von insgesamt 25.164 Euro.
Im Januar 2009 beantragte sie bei dem Beklagten ergänzende Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Tochter und legte insbesondere Gehaltsabrechnungen für die Monate Oktober bis Dezember 2008 vor, die ein monatliches Nettoentgelt in Höhe zwischen 1.317,22 Euro und 1.455,44 Euro auswiesen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2009 mangels Hilfebedürftigkeit ab.
Am 6. August 2009 (Eingang bei dem Beklagten) beantragte die Klägerin erneut Leistungen. Der Beklagte bewilligte nunmehr der Klägerin und ihrer Tochter mit Bescheid vom 26. August 2009 für den Zeitraum vom 30. Juli 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen, und zwar für den 30. und 31. Juli 2009 in Höhe von insgesamt 24,44 Euro, für die Monate vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember 2009 monatlich 366,51 Euro und für den Monat Januar 2010 306,51 Euro; für den gesamten Bewilligungszeitraum insgesamt mithin 2163,50 Euro.
Mit Bescheid vom 21. September 2009 forderte der Beklagte die mit dem Bescheid vom 26. August 2009 bewilligten Leistungen von der Klägerin nach § 34 Absatz 1 S. 1 SGB II zurück. Sie habe durch Aufnahme einer schulischen Ausbildung eine den Bedarf bislang ganz oder teilweise sichernde berufliche Tätigkeit aufgegeben und dadurch die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig durch ihr Verhalten herbeigeführt.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19. Oktober 2009 mit der Begründung Widerspruch, sie habe ihre Arbeitsstelle gekündigt, um einen neuen Beruf als Logopäden zu erlernen. Ihren anstrengenden Beruf als Krankenschwester habe sie aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht ausüben können und sich daher rechtzeitig nach etwas Neuem umgesehen, um eine dauerhafte Hilfebedürftigkeit zu vermeiden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Auf die Anhörung zur Ersatzpflicht habe die Widerspruchsführerin sich nicht geäußert und erst im Widerspruchsverfahren erklärt, sich ihrem bisherigen Beruf nicht mehr gewachsen zu fühlen. Es werde nicht bestritten, dass der Beruf der Krankenschwester anstrengend sei. Dennoch erscheine es fraglich, ob der hier vorgenommene Weg zulasten der Allgemeinheit die einzig mögliche Alternative darstelle. Die Klägerin trage auch die finanzielle Verantwortung für ihre Tochter und habe sich durch die Aufnahme der neuen Ausbildung grob fahrlässig und sozialwidrig verhalten. Nachweise über ihre körperliche und psychische Verfassung habe die Klägerin nicht eingereicht.
Mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für den Monat Januar 2010 insgesamt 286,51 Euro.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 28.Januar 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter mit Bescheid vom 2. Februar 2010 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis zum 31. Juli 2010, und zwar für den Zeitraum vom 1. bis zum 12. Februar 2010 insgesamt 114,62 Euro, für den Zeitraum vom 13. bis zum 28. Februar 2010 insgesamt 146,09 Euro und für die Monate März 2010 bis Juli 2010 monatlich jeweils 296,90 Euro.
Gegen den Bescheid vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 hat die anwaltlich vertretene Klägerin am 15. Januar 2010 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Sie habe ihren Beruf als Krankenpflegerin aufgegeben, weil sie sich körperlich und psychisch den Anforderungen nicht mehr gewachsen gefühlt habe. Sie habe regelmäßig Überstunden machen müssen und zwar auch am Wochenende. Zudem sei sie allein erziehende Mutter einer Tochter im Teenageralter und sei durch diese Mehrfachbelastung an ihre Grenzen gelangt.
In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts Berlin am hat die Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift erklärt, die Tätigkeit als Krankenschwester sei extrem belastend gewesen, weil erhebliche Überstunden und Feiertagsarbeit zu leisten gewesen seien. Sie habe unter Herzrhythmusstörungen und Erschöpfungszuständen gelitten und es sei ihr ärztlicherseits empfohlen worden, "häufiger eine Auszeit zu nehmen". Sie habe zunächst gewartet, ob sich ihre berufliche Situation verbessere und dann die Umschulung begonnen. Das Schulgeld habe ihre Mutter finanziert und über eine Erbschaft im Sommer 2010 habe sie dann ihren Lebensunterhalt finanzieren können.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Dezember 2009 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 23. März 2011 den Bescheid des Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2009 aufgehoben. Eine Ersatzpflicht komme nach der einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 34 SGB II im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung des früheren § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) müsse dem Hilfeempfänger ein "quasi-deliktisches" Verhalten vorgeworfen werden können. Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. Vorliegend ließe sich ein solches Unwerturteil nicht rechtfertigen. Vielmehr seien die von der Klägerin vorgebrachten Gründe nachvollziehbar.
Gegen das dem Beklagten am 6. April 2011 zugestellte Urteil hat dieser am 2. Mai 2011 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Die Klägerin habe, ohne sich vorher finanziell abzusichern, ihr Arbeitsverhältnis gekündigt, um eine 36-monatige Ausbildung zu Logopädin wahrzunehmen. Dieses Verhalten sei sozialwidrig. Ein besserer Verdienst sei bei einer Tätigkeit als Logopädin nicht zu erwarten. Dass die Tätigkeit als Krankenschwester für sie zu anstrengend gewesen sei, sei nicht belegt. Auch Wochenendarbeit und das Vorhandensein eines jugendlichen Kindes ließen eine Unzumutbarkeit der Berufsausübung nicht erkennen. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass eine Tätigkeit als Logopädin weniger anstrengend und weniger zeitaufwändig sei. Es sei in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung im übrigen anerkannt, dass die Voraussetzungen für die Nichtgeltendmachung eines Ersatzanspruches gemäß § 34 SGB II nur dann vorlägen, wenn der Hilfebedürftige seine bisherige ungelernte Tätigkeit aufgegeben habe, um durch den Abschluss einer Berufsausbildung den Lebensunterhalt bzw. die wirtschaftliche Stellung für sich und seine Familie zu sichern oder zu verbessern und der Ausbildungsberuf Chancen für die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt biete.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung vom 2. Mai 2011 abzuweisen.
Der Senat hat einen Befundbericht des die Klägerin im Zeitraum von 2007 bis 2010 behandelnden Arztes für Innere Medizin/Kardiologie Dr. med. vom 16. Dezember 2011 eingeholt, in dem dieser eine Behandlung wegen Herzbeschwerden bestätigt und zur Arbeitsfähigkeit insbesondere ausgeführt hat: "Patientin ist wohl durch Herzrhythmusstörungen körperlich eingeschränkt". Diesem Befundbericht sind Behandlungsberichte vom 5. Februar 2007, 13. März 2007 und 4. Dezember 2010 an die behandelnde praktische Ärztin (Frau D) beigefügt worden, in der unter anderem über eine EKG- Langzeituntersuchung berichtet worden ist. Im Ergebnis hat dieser Arzt organische Ursachen für die Herzrhythmusstörungen nicht feststellen können.
Außerdem hat der Senat einen Befundbericht von Frau D vom 20. März 2012 eingeholt, in dem diese ebenfalls keinen pathologischen Befund nicht bestätigen konnte.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Senats am 5. September 2013 hat die Klägerin erklärt, kurz nach Aufnahme der Ausbildung zu Logopädin eine Versicherungspolice ausgezahlt bekommen zu haben und im Sommer 2010 ein Erbe des im April 2010 verstorbenen Vaters. Ihre Ausbildung zu Logopädin habe sie im Januar 2012 beendet; seit Mitte Juni 2012 sei sie als angestellte Logopädin tätig. Der Berichterstatter hat in diesem Termin auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. November 2012 (B 4 AS 39/12 R, zitiert nach juris) und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Juni 2012 (L 3 AS 159/12, ebenfalls zitiert nach juris) und die dort genannten Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch der § 34 SGB II hingewiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Verfahrens im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte (Behelfakte) des Beklagten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis zu dieser Verfahrensweise erteilt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ohne weitere Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG statthaft.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat auf die Klage zu Recht die Bescheide des Beklagten aufgehoben. Die Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 34 Abs. 1 SGB II in der vom 1.1.2005 bis 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954)ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr. 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr. 2) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (§ 34 Abs. 1 S. 2 SGB II).
Vorliegend kann dahinstehen, ob der angefochtene Bescheid des Beklagten schon deshalb rechtswidrig ist, weil es sich lediglich um einen Feststellungsbescheid handelt, in dem ein konkreter Ersatzanspruch nicht geltend gemacht wird. An der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens bestehen schon deshalb Bedenken, weil der Beklagte selbst in dem angegriffenen Bescheid ausschließlich auf den Bewilligungsbescheid vom 26. August 2009 Bezug genommen hat und deshalb grundsätzlich auch in der Lage gewesen wäre, den geltend gemachten Ersatzanspruch zu beziffern.
Weiter kann offen bleiben, ob auch die aufgrund des Folgebescheides vom 2. Februar 2010 erbrachten Leistungen von dem Bescheid vom 21. September 2009 erfasst sind. Hieran bestehen Bedenken, weil der Bescheid vom 21. September 2009 selbst ausdrücklich nur auf den Bewilligungsbescheid vom 26. August 2009 Bezug nimmt.
Dies kann letztlich alles dahinstehen, weil der Klägerin jedenfalls ein "sozialwidriges Verhalten" im Sinne von § 34 SGB II nicht vorzuwerfen ist.
Zu den Voraussetzungen eines Ersatzanspruches hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 2. November 2012 (B 4 AS 39/12 R, zitiert nach juris) folgendes ausgeführt:
"4.a) Eine Heranziehung zum Kostenersatz scheitert jedoch daran, dass ein sozialwidriges Verhalten i.S. des § 34 Abs. 1 SGB II hier nicht vorliegt. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihrem jetzigen systematischen Kontext mit weiteren Regelungen des SGB II ergibt sich, dass nicht jedes - hier in hohem Maße gegebene - verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht führt. Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. "innerem Zusammenhang", zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des als Ausnahmefall vorgesehenen Kostenersatzanspruchs gegenüber einem Leistungsberechtigten sowie dem jetzigen systematischen Kontext des § 34 SGB II mit weiteren SGB II-Regelungen. Das Verhalten des Klägers erfüllte die insofern zu stellenden Anforderungen nicht.
b) Aus der Entstehungsgeschichte des § 34 SGB II ergibt sich, dass es sich um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handelt. Während die jetzige Parallelregelung zum Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten in § 103 SGB XII die bis zum 31.12.2004 geltende Vorschrift des § 92a BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich übernommen hat (BT-Drucks. 15/1514 S. 68 zu § 98), soll sich § 34 SGB II nach dem Willen des Gesetzgebers (lediglich) an die sozialhilferechtliche Regelung "anlehnen" (BT-Drucks. 15/1516 S. 62 zu § 34). Dies findet seinen Ausdruck in der z.T. unterschiedlichen Ausgestaltung beider Vorschriften, etwa darin, dass § 34 Abs. 1 SGB II in seiner hier maßgebenden Fassung bis zum 31.3.2011 keine § 103 Abs. 1 S. 2 SGB XII entsprechende Regelung zum Wegfall einer Heranziehung zum Kostenersatz, sondern - mit dem Absehen von seiner Geltendmachung bei zu erwartenden Leistungsberechtigung nach dem SGB II oder dem SGB XII - lediglich eine "spezielle Härteregelung" (§ 34 Abs. 1 S 2 SGB II a.F.) enthielt (Simon in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2010, § 103 RdNr. 14). Auch setzt § 103 Abs. 1 S 1 SGB XII im Unterschied zu § 34 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB II nicht das Fehlen eines wichtigen Grundes voraus. Trotz dieser Unterschiede ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII und § 34 SGB II in § 92a BSHG, dass auch für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen notwendig vorauszusetzen ist.
Bereits bei Festsetzung eines Kostenersatzes bei schuldhaftem Verhalten nach § 92a BSHG (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung), wonach zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet war, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hatte, war zu berücksichtigen, dass mit der Einführung des BSHG die frühere Verpflichtung zum Kostenersatz im Grundsatz beseitigt werden sollte. Eine Regelung wie diejenige zur Rückerstattungspflicht in den § 25 Abs. 1, § 25a der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV), die vorsah, dass der Unterstützte "dem Fürsorgeverband" die Kosten zu ersetzen hatte, war bewusst nicht in das BSHG übernommen worden (vgl hierzu bereits Wehlitz in NDV 1964, 152 ff, 153 mit Bezug auf die Diskussion bei Einführung des BSHG, bei der überwiegend die Auffassung vertreten worden sei, dass "die Aufrechterhaltung der Rückerstattungspflicht des Hilfeempfängers mit dem Charakter einer modernen Sozialhilfe nicht zu vereinbaren sei und die gesetzliche Neukodifikation nicht mit einer erneuten Verankerung der Kostenerstattungspflicht des Hilfeempfängers belastet werden dürfe, die ein Relikt aus einer nunmehr überholten Entwicklungsphase des Fürsorgerechts darstelle"). Die neu aufgenommene Kostenersatzpflicht nach § 92a BSHG beschränkte sich daher auf einen "engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand" mit dem Ziel, "gewisse Unbilligkeiten" auszuschließen, die sich aus der uneingeschränkten Beseitigung der Kostenersatzpflicht des Hilfebedürftigen ergeben hätten (BVerwGE 51, 61 ff, 63). § 92a BSHG diene - so das BVerwG - der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, weshalb für diesen Nachranggrundsatz unterlaufendes Verhalten das Merkmal "sozialwidrig" zusätzlich zu dem in § 92a Abs. 1 S 1 BSHG normierten Erfordernis eines "vorsätzlichen oder grob fahrlässigen" Verhaltens zu lesen sei (BVerwG a.a.O., S 61: "etwa wegen Arbeitsscheu oder Verschwendungssucht des Unterhaltspflichtigen").
Eine einschränkende Auslegung hält der Senat auch bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 SGB II für geboten, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 92a BSHG bzw. nunmehr § 103 Abs. 1 SGB XII um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind (BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; s.a. BSG SozR 4-4200 § 23 Nr. 13, RdNr. 12 m.w.N.; vgl. auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, § 103 RdNr. 9, Stand 2/2012). Dieser Grundsatz einer "verschuldensfreien" Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten und ihrer Angehörigen konterkariert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II seiner Höhe nach nicht begrenzt war.
c) Unter systematischen Gesichtspunkten sind auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe bei der Einordnung eines Verhaltens als sozialwidrig i.S. des § 34 SGB II einzubeziehen (so ausdrücklich Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 RdNr. 12 f, Stand 2009). In diesen Normen drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 SGB V, §§ 103 f SGB VI und § 101 SGB VII (vgl. hierzu insgesamt: Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004) - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird. Insofern enthält das SGB II detaillierte Regelungen zur Refinanzierung zu Unrecht erbrachter SGB II-Leistungen bzw. zu Leistungskürzungen bei einem Verhalten, das dem für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatz (§ 2 SGB II) widerspricht. So finden sich in § 31 SGB II zahlreiche Tatbestände einer Absenkung bzw. eines Wegfalls des Alg II bei aus Sicht des SGB II nicht zu billigendem Verhalten. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem Merkmal des vom Leistungsberechtigten geforderten Einsatzes seiner Erwerbsfähigkeit (§ 31 Abs. 1 und 2 SGB II) bzw. einer gezielten Herbeiführung der Bedürftigkeit (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB II). Soweit § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II für eine Minderung bzw. einen Wegfall des SGB II-Anspruchs an die Sperrzeitregelungen des SGB III anknüpft, ist eine Sperrzeit bei einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten, nicht jedoch einer - hier wohl allein in Betracht kommenden - personenbedingten Kündigung vorgesehen (§ 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III; vgl. zur Abgrenzung BSGE 91, 18 ff = SozR 4-4300 § 144 Nr. 2).
Aus diesen Regelungen ist abzuleiten, dass ein - mit einer höheren Belastung verbundener - Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II nicht nur ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraussetzt. Das konkret vorgeworfene Verhalten muss vielmehr - auch im Rahmen der weitreichenden Ersatzpflicht nach § 34 SGB II - nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61 ff, 65). Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können (vgl. BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109 ff, 111)."
Diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung an.
Für den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich daraus, dass nicht ansatzweise ein sozialwidriges Verhalten der Klägerin erkennbar ist, welches den Beklagten zur Geltendmachung eines Ersatzanspruches nach § 34 SGB II berechtigen würde.
Anders als im vom Bundessozialgericht zu entscheidenden Fall, in dem letztlich nicht einmal eine schwere Straftat (räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung) und damit ein moralisch im höchsten Maße verwerfliches Verhalten zwar zum Leistungsanspruch, aber gleichwohl nicht zum Ersatzanspruch nach § 34 SGB II führte, ist im vorliegenden Fall das Verhalten der Klägerin in keiner Weise unverständlich.
Die Klägerin hat vielmehr gleich drei Gründe vorgebracht, die ihre Entscheidung, die bisher ausgeübte Tätigkeit als Krankenpflegerin/Krankenschwester aufzugeben und eine Umschulung zur Logopädin zu beginnen, als nachvollziehbar erscheinen lassen. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass die Klägerin erst im Nachhinein diese Gründe für ihre Entscheidung nannte. Die dann von ihr vorgebrachten Gründe sind jedoch jeder für sich und erst recht alle gemeinsam geeignet, die Aufgabe ihrer Arbeitsstelle und den Beginn einer Ausbildung zu Logopädin jedenfalls nicht als sozialwidrig erscheinen zu lassen.
Hier ist zunächst die gesundheitliche Situation der Klägerin unter Berücksichtigung der beruflichen Belastung als Krankenschwester insbesondere im von der Klägerin ausgeübten Hauspflegedienst zu berücksichtigen. Selbst der Beklagte hat noch in seinem Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2009 ausgeführt, es werde nicht bestritten, dass der von der Klägerin ausgeübte Beruf der Krankenschwester anstrengend sei. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein solcher Beruf grundsätzlich ein volles Leistungsvermögen erfordert. Die im Berufungsverfahren eingeholten medizinischen Berichte der behandelnden Ärzte lassen aber zweifelsfrei erkennen, dass die Klägerin unter gesundheitlichen Problemen (Herzrhythmusstörungen) litt. Schon allein das Vorhandensein dieser Herzrhythmusstörungen lässt die Entscheidung der Klägerin, sich der Belastungssituation in ihrem Beruf als Krankenschwester nicht mehr gewachsen zu sehen, als nachvollziehbar erscheinen. Das für die Herzrhythmusstörungen eine organische Ursache nicht festgestellt werden konnte, legt im übrigen die Vermutung nahe, dass sie auf psychische Ursachen zurückzuführen sind und sie damit letztlich als Beleg für die von der Klägerin behauptete Belastungssituation betrachtet werden können.
Auch dass die Klägerin als alleinerziehende Mutter einer damals 17-jährigen Tochter einen größeren Zuwendungsbedarf für diese und sich deshalb nicht mehr in der Lage zur Erbringung der geforderten erheblichen Überstunden und Wochenendarbeit sah, ist nicht abwegig.
Schließlich ist weiter nachvollziehbar, dass die damals 43-jährige Klägerin nach 19 Berufsjahren als Krankschwester für sich in diesem Beruf insgesamt aus gesundheitlichen Gründen keine weitere Perspektive mehr sah und eine rechtzeitige Umorientierung in einen weniger belastenden Beruf anstrebte. Anders als der Beklagte meint, ist eine solche Ausbildung nicht nur zum erstmaligen Erlangen eines Berufsabschlusses gerechtfertigt.
Das Bundessozialgericht hat in der oben genannten Entscheidung bereits darauf hingewiesen, dass aus gesetzessystematischen Gründen nicht einmal ein nach § 31 SGB II sanktionsfähiges Verhalten einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslöst. Einen solchen Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II hat der Beklagte aber nicht einmal erlassen und auch der Senat sieht hierfür keine rechtliche Grundlage.
Der Beklagte wäre im Übrigen sogar über § 16 SGB II grundsätzlich verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen beispielsweise eine berufliche Weiterbildung im Sinne von § 77 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) oder eine Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 97 SGB III zu erbringen. Ist der Beklagte aber beispielsweise verpflichtet, behinderten Menschen aus medizinischen Gründen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, so erscheint es als widersinnig, wenn er berechtigt wäre erbrachte Leistungen nach § 34 SGB II von Empfängern zurückzufordern, weil diese aus gesundheitlichen Gründen ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben haben.
Soweit der Beklagte schließlich der Ansicht sein sollte, eine Tätigkeit als Logopädin (Sprachtherapeutin) sei körperlich und zeitlich nicht weniger belastend, als eine Tätigkeit als Krankenschwester in der ambulanten Hauspflege mit Wochenendienst, so ist dies einer eingehenden sinnvollen Auseinandersetzung nicht zugänglich und der Senat verweist lediglich auf die entsprechenden Informationsmöglichkeiten beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit, insbesondere unter im Internet (http://berufenet.arbeitsagentur.de – Stichwort Logopäde/Logopädin).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
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