S 30 SO 138/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
30
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 30 SO 138/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, die Kosten der Heimunterbringung des Klägers im Haus D., A Stadt, auch für die Zeit vom 30. Juli 2010 bis 1. September 2010 in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu übernehmen.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Einsetzen der Sozialhilfe in Form der Übernahme der (ungedeckten) Kosten der Heimunterbringung des Klägers im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII).

Bei dem 1942 geborenen Kläger besteht ausweislich der ärztlichen Stellungnahme des Klinikums Hanau vom 30. Juli 2010 ein beginnendes Korsakow-Syndrom aufgrund langjähriger Alkoholabhängigkeit. Aufgrund dessen bestellte das Amtsgericht Hanau dem Kläger unter Einschaltung der bei dem Gesundheitsamt des Beklagten eingerichteten Betreuungsstelle durch Beschluss vom 31. August 2010 einen gesetzlichen Betreuer.

Seit 30. Juli 2010 befand sich der Kläger im Haus D. der E. Suchthilfe in A-Stadt und in der dortigen sozialtherapeutischen Einrichtung zunächst bis 31. August 2010 auf einem Kurzzeitwohnplatz. Unter dem 19. August 2010 erstellten die Main-Kinzig Kliniken die fachpsychiatrische gutachtliche Stellungnahme und mit dem Ergebnis, der Kläger gehöre zu den Personen, bei denen infolge seelischer Störungen die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfange beeinträchtigt sei, so dass er Hilfe in den Bereichen Wohnen, Tagesstruktur, Arbeit/Beschäftigung benötige. Weiterhin ist für den Kläger in diesem Rahmen ein "Integrierter Behandlungs-/rehabilitationsplan (IBRP)" unter dem 28. August 2010 erstellt worden. Schließlich erklärte der Kläger unter dem 25. August 2010 sein Einverständnis mit der Weitergabe seiner personenbezogenen Daten an die an der Hilfeplanung beteiligten Behörden/Stellen durch eine zuvor benannte koordinierende Bezugsperson (Frau F.).

Unter dem 2. September 2010 wandte sich die Heimleitung des Hauses D. an das Sozialamt der Stadt Hanau und teilte diesem mit, dass sich der Kläger seit 30. Juli 2010 in der dortigen Einrichtung befinde. Seit dem 1. September 2010 sei nun ein Platz in dem vollstationären Bereich frei. Weiter heißt es in dem genannten Schreiben, in Anbetracht des Alters des Klägers falle die Zuständigkeit nicht an den Landeswohlfahrtsverband. Es werde daher im Rahmen eines formlosen Sozialhilfeantrages Übernahme der ungedeckten Heimkosten beantragt, da der letzte Wohnort des Klägers G-Stadt gewesen sei. Letzterer werde am 9. September 2010 der Hilfeplankonferenz vorgestellt und erhalte dort voraussichtlich eine Empfehlung für die stationäre Maßnahme.

Den sodann auch förmlich durch den Kläger unter dem 17. September 2010 gestellten Leistungsantrag gab das Sozialamt der Stadt Hanau zuständigkeitshalber an den Beklagten ab, der die Ermittlungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers fortführte und in diesen Rahmen u.a. beizog: Protokollnotiz der Hilfeplankonferenz vom 9. September 2010, den integrierten Behandlungs-/Rehabilitationsplan vom 25. August 2010, Einverständniserklärung des Klägers gleichen Datums, fachpsychiatrische gutachtliche Stellungnahme vom 19. August 2010 sowie Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Hessen vom 20. September 2010 über die Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers, mit dem Ergebnis, dass Pflegebedürftigkeit bei diesem nicht vorliege, jedoch ein Bedarf für Betreuung und Therapie bestehe.

Durch Bescheid vom 7. Januar 2011 teilte der Beklagte dem Betreuer des Klägers mit, dass ab 2. September 2010 die entstehenden ungedeckten Kosten der Unterbringung des Klägers im Haus D. in der Hilfebedarfs Gruppe 3 für Wohnen und Gestaltung des Tages übernommen würden. Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte weiter aus, die eventuelle Hilfebedürftigkeit des Klägers sei erstmals durch den Anruf des Hauses D. bei der Stadt Hanau am 2. September 2010 bekannt geworden. Der Beklagte sei erstmalig am 14. Oktober 2010 informiert worden. Er lasse indes das Bekanntwerden bei der Stadt Hanau auch ihm gegenüber wirken. Sozialhilfe könne daher ab dem 2. September 2010 gewährt werden. Insoweit werde dem Kläger Eingliederungshilfe innerhalb von Einrichtungen gewährt, was auch die Pflegeleistungen in der Einrichtung umfasse. Zusammen mit den Leistungen der Pflegekasse und den von dem Kläger direkt an das Heim zu zahlenden Einkommen und Vermögen (Altersrente, Betriebsrente) seien die Heimkosten vollständig gedeckt. Diese umfassten die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen sowie die Eingliederungshilfe. Der monatliche sozialhilferechtliche Gesamtbedarf betrage in Monaten mit 28 Tagen 1849,62 EUR, in Monaten mit 30 Tagen 2.068,56 EUR und in Monaten mit 31 Tagen 2178,03 EUR.

Dagegen legte der Kläger am 7. Februar 2011 Widerspruch ein mit dem Begehren, auch die ungedeckten Heimkosten für die Zeit bis zum 2. September 2010 zu übernehmen. Er trug vor, Sozialhilfeleistungen müssten auch dann rückwirkend erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Leistungen noch bestehe. Insoweit werde u.a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. September 2009 hingewiesen (Az.: B 8 SO 16/08 R). Ferner müsse sich der Bedarf noch in Gestalt einer Vermögensminderung bzw. Vermögensbelastung fortsetzen. Dies sei in seinem Fall gegeben, da sich die rückständigen Heimkosten nach wie vor mindernd auf sein Vermögen auswirkten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In der Begründung führte er aus, aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass ein Mitarbeiter des Hauses D. in A-Stadt (Einrichtung) am 2. September 2010 mit einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung Hanau telefoniert habe. Letzterer sei somit durch dieses Gespräch bekannt geworden, dass eine eventuell hilfebedürftige Person sich in der Einrichtung aufhalte. Würden - der Argumentation des Klägers folgend - angefallene Heimkosten für Zeiten vor dem 2. September 2010 übernommen, so bedeutete dies, dass sich eine Person in ein Heim gegeben könne, dort einen gewissen Zeitraum die Kosten nicht trage, um dann irgendwann einen Sozialhilfeantrag zu stellen. Die Sozialhilfe setze aber erst ein, wenn dem Träger der Sozialhilfe das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bekannt werde. Der Sozialhilfeträger dürfe nicht in die Vergangenheit hinein Gelder leisten. Ein früherer Antrag bzw. eine frühere Bekanntgabe als der 2. September 2010 sei nirgends ersichtlich. Eine Schuldübernahme schließe das Sozialhilferecht gleichfalls aus. Im Falle des Klägers sei ohnehin (mit dem 2. September 2010) der frühestmögliche Zeitpunkt (des Einsetzens der Sozialhilfe) angenommen worden.

Hiergegen richtet sich die am 24. Juni 2011 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage. Der Kläger wiederholt zum einen sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, es sei darauf hinzuweisen, dass die Aufnahme im Haus D. im Rahmen eines IBRP beschlossen worden sei. Auch aus der Protokollnotiz der Hilfeplankonferenz vom 9. September 2010 gehe hervor, dass der Beklagte (Sozialhilfeträger) an der Vereinbarung der sodann gewährten Hilfe in Form der Unterbringung in der genannten Einrichtung beteiligt gewesen sei. Zudem werde der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" in einer Vielzahl von Einzelfällen durchbrochen. Nach der Vorschrift des § 18 Abs. 1 SGB XII reiche es daher aus, wenn dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen der Hilfebedarf bekannt würden. Aus dem Grundsatz der Einheit der Verwaltung folge, dass unter dem Begriff "Sozialhilfeträger" nicht nur das Sozialamt zu verstehen sei, sondern die gesamte Verwaltung, folglich etwa auch das Jugendamt, das Gesundheitsamt, der ASD oder die Betreuungsbehörde. Zudem wirke nach Abs. 2 der vorgenannten Vorschrift auch die Kenntnis eines unzuständigen Trägers auf den Beginn der Leistung zurück. Er - der Kläger - sei bereits im Juli 2010 zur Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung begutachtet worden, so dass die damit befassten Behörden unverzüglich das Sozialamt des Beklagten hätten informieren müssen. Soweit dies nicht geschehen sei, könne dies nicht zu seinen Lasten gehen. Seine Aufnahme in das Haus D. sei ausdrücklich aufgrund behördlicher Veranlassung und als Eingliederungshilfeleistung nach dem SGB XII erfolgt. Wie der Beklagte selbst öffentlich bekannt gebe, werde die von ihm eingerichtete Betreuungsstelle regelmäßig bei der Frage einer Betreuerbestellung beteiligt. In dem von dem Beklagten herausgegebenen Flyer "Gesetzliche Betreuung im Main-Kinzig-Kreis" heiße es ausdrücklich: "Ein wesentliches Qualitätsmerkmal des Betreuungsgesetzes, nämlich die regelhafte Beteiligung der Betreuungsstelle im Betreuungsverfahren, wird im Main-Kinzig-Kreis weit gehend erfüllt." Es sei daher davon auszugehen, dass die Betreuungsstelle des Beklagten auch in seinem Betreuungsverfahren angehört worden sei. Die Kenntnis der Betreuungsstelle werde aber dem Leistungsträger zugerechnet. Dies folge schon aus dem Grundsatz der Einheit der Verwaltung. Dem stünden auch datenschutzrechtliche Belange nicht entgegen. Insoweit sei es der Betreuungsstelle des Beklagten nicht versagt gewesen, das Sozialamt der Beklagten über seine Hilfebedürftigkeit zu informieren. Dies unterliege nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Zudem sei insoweit seine mutmaßliche Einwilligung anzunehmen. Die Weitergabe der relevanten Daten habe geradezu in seinem Interesse gelegen.

Der Kläger legt Schweigepflichtentbindungserklärung betreffend die Betreuungsstelle des Beklagten vom 10. November 2011 vor.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten seiner Heimunterbringung in Haus D. auch für die Zeit vom 30. Juli 2010 bis 1. September 2010 in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und trägt vor, sein Gesundheitsamt, zu dem auch die Betreuungsstelle zähle, dürfe ohne ausdrückliche Schweigepflichtsentbindung ungeachtet der Behördeneinheit anderen Stellen im eigenen Hause keinerlei Unterlagen aushändigen. Zwar habe ausweislich der Hausmitteilung der Betreuungsstelle vom 28. Februar 2012 diese von dem Sachverhalt bereits am 27. Juli 2010 Kenntnis gehabt. Es werde aber angezweifelt, dass sich der Sozialhilfeträger die Kenntnis der Betreuungsstelle zurechnen lassen müsse. Insbesondere gelte im Verhältnis von Betreuungsstelle zu Sozialhilfeträger die Vorschrift des § 76 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) über die ärztliche Schweigepflicht. Daher müsse sich der Sozialhilfeträger nicht die Kenntnis der Betreuungsstelle zurechnen lassen, da diese zur Offenbarung der für die Leistungsgewährung relevanten Daten überhaupt nicht befugt sei.

Der Beklagte legt Hausmitteilung der bei seinem Gesundheitsamt eingerichteten Betreuungsstelle vom 28. Februar 2012 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten. Denn zu Unrecht hat der Beklagte das Einsetzen der Sozialhilfe im Sinne des § 18 SGB X im Falle des Klägers für den 2. September 2010 angenommen und die Übernahme der ungedeckten Heimkosten für den Zeitraum vom 30. Juli 2010 bis 1. September 2010 abgelehnt. Vielmehr hat der Kläger Anspruch auf die genannte Leistung seit seiner Aufnahme in die Einrichtung am 30. Juli 2010.

Von den Voraussetzungen für die Gewährung des notwendigen Lebensunterhaltes in Einrichtungen gemäß § 19 Abs. 3 und 6 i.V.m. § 35 SGB XII bzw. seit 1. Januar 2011 § 19 Abs. 5 i.V.m. § 27b SGB XII n.F. ist zwischen den Beteiligten allein streitig, seit welchem Zeitpunkt der Beklagte die ungedeckten Kosten der Heimunterbringung des Klägers in dem Haus D. in A-Stadt zu übernehmen hat.

Zur Überzeugung der Kammer kann der Kläger die Kostenübernahme auch für den Zeitraum vom 30. Juli 2010 bis 1. September 2010 beanspruchen. Dies folgt aus § 18 Abs. 1 SGB XII. Nach der vorgenannten Vorschrift setzt die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen.

Zwar ist in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich geregelt, ob die Hilfegewährung bei Vorliegen der notwendigen Kenntnis von den Voraussetzungen der Hilfegewährung bezogen auf den Zeitpunkt des ersten herantragens des Hilfefalles an den Träger der Sozialhilfe - hier gegenüber dem Sozialamt der Stadt Hanau am 2. September 2010 - rückwirkend - hier seit 30. Juli 2010 - zu gewähren ist oder ob Leistungen nur für die Gegenwart und Zukunft zu erbringen sind.

Die Formulierung "setzt ein" lässt beide Auslegungen zu. Da nach § 18 Abs. 2 S. 2 SGB XII ein rückwirkendes Einsetzen der Hilfegewährung möglich ist, spricht indes viel dafür, dass auch nach § 18 Abs. 1 SGB XII eine rückwirkende Hilfegewährung bezogen auf den Zeitpunkt des ersten Bekanntwerdens der Notlage beansprucht werden kann (vgl. hierzu Grube/Wahrendorf SGB XII Sozialhilfe Kommentar 4. Auflage 2012 § 18 Rn. 29). Der aus § 18 Abs. 1 hergeleitete Grundsatz "Keine Hilfe für die Vergangenheit" steht dem nicht uneingeschränkt entgegen. Denn eine Betrachtung ex post ergibt in diesen Fällen gerade, dass die Kenntnis von der Notlage vorlag, auch wenn sie anfangs noch nicht verifiziert war. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Zeit, die bis zum Abschluss der Ermittlungen zur Sach- und Rechtslage verstreicht, nicht zwangsläufig zulasten des Hilfesuchenden geht. Kenntnis und weitere Sachverhaltsaufklärung sind zwei unterschiedliche Gesichtspunkte. Zudem ist ein rückwirkendes Einsetzen der Hilfe auf den Zeitpunkt, zu dem die Notwendigkeit der Hilfe dargetan oder sonst erkennbar, war grundsätzlich möglich (vgl. zum Vorstehenden Grube/Wahrendorf a.a.O.).

Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass ein rückwirkendes Einsetzen der SGB XII-Leistung auch im Rahmen des § 18 Abs. 1 des genannten Gesetzes nicht nur zulässig, sondern nach dem Zweck des Gesetzes auch gerechtfertigt ist, sofern Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Notlage vorlag - selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verifiziert war.

Im vorliegenden Fall bestand die Kenntnis des Beklagten von der Notlage des Klägers nicht erst seit 2. September 2010 (dem Bekanntwerden beim Sozialamt der Stadt Hanau), sondern bereits mit dessen Aufnahme in die Einrichtung Haus D. am 30. Juli 2010. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer aus der Tatsache, dass die Notlage des Klägers ausweislich der Hausmitteilung der beim Gesundheitsamt des Beklagten bestehenden Betreuungsstelle vom 28. Februar 2012 dort bereits zumindest seit 29. Juli 2010 umfassend bekannt war. Denn unter diesem Datum hatte die bei dem Gesundheitsamt des Beklagten eingerichtete Betreuungsstelle die bei ihr seitens des Amtsgerichts Hanau angeforderte psychosoziale Stellungnahme erstellt, die dann durch Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 30. Juli 2010 zur Bestellung eines Betreuers mit umfassendem Aufgabenkreis führte (Sorge für Gesundheit, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnangelegenheiten, Vertretung in postalischen Angelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Krankenkassen und sonstigen Institutionen). Insbesondere ist die Kenntnis der Betreuungsstelle des Beklagten diesem als Träger der Sozialhilfe i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII auch zuzuordnen. Denn reicht nach dieser Vorschrift die bloße Kenntnis des örtlich und sachlich zuständigen Sozialhilfeträgers von einem bestimmten Sozialhilfebedarf aus, so ist andererseits in Anwendung des Grundsatzes der Einheit der Verwaltung unter den Begriff der Sozialhilfeträger im Sinne der genannten Vorschrift nicht lediglich das Sozialamt einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises zu verstehen, sondern die gesamte Verwaltung des Hilfeträgers, also z.B. auch das Jugendamt, das Gesundheitsamt, der ASD oder auch die Betreuungsbehörde. Denn auch diese Dienststellen des zuständigen Sozialhilfeträgers haben gerade den gesetzlichen Auftrag, zu Gunsten hilfebedürftiger Menschen das Sozialamt einzuschalten (vgl. Armborst in LPK-SGB XII 9. Auflage 2012 § 18 Rn. 2).

Dies ist auch deshalb gesetzeskonform, weil § 18 Abs. 1 SGB XII erkennbar an § 3 SGB XII (und auch an §§ 97 ff. SGB XII) anknüpft. Träger der Sozialhilfe ist daher insoweit die jeweilige Körperschaft, nicht hingegen lediglich das Sozialamt der Körperschaft (so Grube/Wahrendorf a.a.O. § 18 Rn. 15). Nichts anderes ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Erfüllung der Aufgaben des SGB XII durch die kreisfreien Städte und Landkreise namentlich deswegen auf der untersten Verwaltungsebene organisatorisch angesiedelt worden ist, weil auf diese Weise eine bürgernahe Erfüllung der Verwaltungsaufgaben sichergestellt werden soll (vgl. Grube/Wahrendorf a.a.O. § 3 Rn. 13). Mit dem Begriff "Sozialhilfeträger" gemeint ist damit auch aus dieser Perspektive die Gesamtkörperschaft und nicht (nur) die innerorganisatorische Einheit, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben des SGB XII betraut ist. Zwar erfüllen in der Regel die Sozialämter der Gebietskörperschaften die Aufgaben der Sozialhilfeverwaltung, Teilaufgaben können aber auch von anderen Ämtern - z.B. dem Gesundheitsamt - wahrgenommen werden. Denn in seiner Organisationshoheit beschränkt § 3 Abs. 2 S. 1 SGB XII den Träger der Sozialhilfe insoweit gerade nicht.

Kenntnis im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB XII hat nach alledem der Sozialhilfeträger, wenn eine Stelle der Gebietskörperschaft von den Hilfefall erfahren hat (so auch Grube/Wahrendorf a.a.O. § 3 Rn. 13).

Nach den vorstehenden Grundsätzen gehört im vorliegenden Fall unzweifelhaft auch die beim Gesundheitsamt des Beklagten angesiedelte Betreuungsstelle zur Gebietskörperschaft des Beklagten als Sozialhilfeträger. Diese hat ebenso unzweifelhaft zumindest am 29. Juli 2010 im Sinne der vorstehenden Grundsätze "von den Hilfefall erfahren". Denn sie hat im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers für den Kläger zu den diesbezüglichen, die Notlage des Klägers prägenden Voraussetzungen, Stellung genommen. Der Betreuungsstelle war damit zur Überzeugung der Kammer zumindest bekannt geworden, dass es sich bei dem Kläger um einen Hilfefall i.S.d. SGB XII handeln könnte.

Die Kenntnis der Betreuungsstelle von der Notlage des Klägers auch dem Beklagten als Sozialhilfeträger zuzuordnen, steht zur Überzeugung der Kammer auch nicht etwa datenschutzrechtlichen Grundsätzen entgegen. Denn dies liefe bereits dem Zweck der Übertragung einzelner Teilaufgaben der Sozialhilfeverwaltung auf besondere Stellen zuwider. Vielmehr ist sämtlichen von dem Sozialhilfeträger geschaffenen Dienststellen der gesetzliche Auftrag gemein, zu Gunsten hilfebedürftiger Menschen das Sozialamt einzuschalten. Als geradezu absurd ist es daher nach Auffassung der Kammer einzustufen, wenn es etwa im vorliegenden Fall der Betreuungsstelle des Beklagten aus datenschutzrechtlichen Gründen verwehrt wäre, von der Notlage einer Person, für die die Bestellung eines amtlichen Betreuers bevorsteht, nicht im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB XII als Teil der Körperschaft des zuständigen Sozialhilfeträgers Kenntnis nehmen zu dürfen. Dies widerspräche zudem gerade dem gesetzlichen Auftrag, den unter Betreuung gestellten Personen die aktuell notwendige Hilfeleistung zu erbringen. Daher folgt die Kammer der Auffassung von Armborst (in LPK-SGB XII § 18 Rn. 2 vgl. oben), wonach auch jene Dienststellen wie etwa die Betreuungsbehörde letztlich den gesetzlichen Auftrag haben, zu Gunsten hilfebedürftiger Menschen das Sozialamt einzuschalten und deshalb die Grundsätze des Datenschutzes der Erfüllung ihres Auftrages auf der Grundlage des § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X nicht entgegenstehen (dürfen).

Die bei der Betreuungsstelle gewonnene Kenntnis von der Notlage einer demnächst unter Betreuung gestellten Person als Kenntnis des Sozialhilfeträgers anzusehen, unterliegt auch nicht etwa dem Sozialdatenschutz nach § 76 SGB X. Denn die bloße Kenntnisnahme von der Notlage einer Person tangiert nicht die ärztliche Schweigepflicht, abgesehen davon, dass insoweit tatsächlich gar keine Daten übermittelt werden müssen, sondern im Sinne des § 18 SGB XII lediglich die Kenntnis der Betreuungsstelle als Kenntnis des Sozialhilfeträgers anzusehen ist.

Nach alledem hat der Beklagte im Falle des Klägers von der Hilfebedürftigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 SGB XII jedenfalls am 30. Juli 2010 Kenntnis gehabt, so dass er die ungedeckten Heimkosten auch für den Zeitraum vom 30. Juli 2010 bis 1. September 2010 zu übernehmen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved