S 48 AS 6813/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
48
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 48 AS 6813/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Bescheides über die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II
Bemerkung
Ein Bescheid über die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II ist hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Ersatzpflicht des Klägers aufgrund sozialwidrigen Verhaltens für den Leistungszeitraum 01.10.2011 bis 31.03.2012.

Der 1971 geborene Kläger ist derzeit inhaftiert in der Justizvollzugsanstalt W. Seine Ehefrau und drei der vier gemeinsamen Kinder wohnen in einem Eigenheim in D. und beziehen seit Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der Kläger war als Servicetechniker bei der D.AG beschäftigt. Im Rahmen dessen war er zuständig für die Betreuung der öffentlichen Fernsprecher im Raum D. und Umgebung. Hierzu gehörte unter anderem die Entnahme der Kassetten, in welchen sich die durch die Nutzer der Fernsprecher eingeworfenen Münzgelder befinden. Dies nutzte der Kläger, um in dem Zeitraum 2004 bis 2008 die entnommenen Münzgelder zu stehlen. Der Kläger machte sich dadurch wegen Diebstahls in 1.790 Fällen strafbar. Der D.AG entstand ein Schaden in Höhe von mindestens 459.856,01 EUR. Der Kläger wurde nach Entdeckung der Taten vorläufig festgenommen, sodann aber wieder freigelassen. Die D.AG kündigte ihm am 15.05.2008 fristlos. Seit dem 01.03.2009 arbeitete der Kläger wieder als Servicetechniker bei einer Firma in B. Das Landgericht Dresden verurteilte den Kläger am 21.12.2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der Haftantritt war am 04.10.2011. Sein Arbeitsverhältnis mit der Firma in B. wurde zu diesem Zeitpunkt per Aufhebungsvertrag aufgelöst.

Am 05.10.2011 beantragte die Ehefrau des Klägers für sich und die Kinder erstmalig Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 28.02.2012 wurden ihnen für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.03.2012 vorläufig Leistungen bewilligt. Die Vorläufigkeit beruhte auf dem schwankenden Einkommen der Ehefrau des Klägers aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit. Bereits mit Schreiben vom 05.01.2012 hörte der Beklagte den Kläger dazu an, dass er beabsichtige, den Kläger zum Ersatz der an seine Familie gezahlten Leistungen zu verpflichten. Der Kläger antwortete hierauf nicht.

Am 28.02.2012 erließ der Beklagte sodann einen Bescheid über die Ersatzpflicht der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 34 SGB II. Der Beklagte kam darin zu dem Ergebnis, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt habe, weil er aufgrund seiner Haftstrafe sein Arbeitsverhältnis habe auflösen müssen und deshalb zum Ersatz der aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 28.02.2012 an seine Familie gezahlten Leistungen verpflichtet sei. Die Höhe der zurückzuzahlenden Summe ist in dem Bescheid nicht genannt.

Hiergegen legte der Kläger vertreten durch seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom 28.03.2012 Widerspruch ein. Dieser wurde damit begründet, dass der Kläger seit dem Tag seiner Inhaftierung nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei. Da § 34 SGB II eine Ersatzpflicht aber nur vorsehe, wenn Leistungen an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, gezahlt werden, komme eine Ersatzpflicht nur in der Zeit vom 01.10. bis 03.10.2011 in Betracht.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 07.09.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass der Kläger trotz seiner Inhaftierung gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei. Gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 und S. 2 SGB II sei er lediglich von Leistungen ausgeschlossen. Damit lägen die Voraussetzungen von § 34 SGB II vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger vertreten durch seine Bevollmächtigte am 05.10.2012 Klage beim Sozialgericht Dresden. Er ist der Auffassung, dass § 34 SGB II einschränkend auszulegen sei und nicht jedes verwerfliche Verhalten zu einer Ersatzpflicht führe. Erfasst werde vielmehr nur ein sozialwidriges Verhalten mit einem spezifischen Bezug zur Leistungserbringung, welches auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit gerichtet sei. Er habe jedoch die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit seiner Familie im Falle einer Haftstrafe weder beabsichtigt, noch vorhergesehen. Eine Ersatzpflicht scheide daher aus.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt die ergangenen Bescheide. Allein die Behauptung des Klägers, er habe die Folgen seines Handelns nicht vorhergesehen, genüge nicht, um die Ersatzpflicht zu verneinen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig erhobene Anfechtungsklage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

I.

Gemäß § 34 Abs. 1 SGB II ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Die Behörde erlässt hierüber einen Bescheid, welcher den Anforderungen an einen Verwaltungsakt gemäß den Vorschriften über das allgemeine Verwaltungsverfahren, §§ 1 ff. SGB X, entsprechen muss.

1. Fraglich ist bereits, ob § 34 SGB II überhaupt eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines sogenannten Grundlagenbescheides, wie der Beklagte es benannt hat, enthält. § 34 SGB II dürfte eine Befugnis zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts, das heißt eines Bescheides, der zunächst die Ersatzpflicht als solche feststellt, nicht enthalten. Die Fälle, in denen ein zweistufiges Verwaltungsverfahren vorgesehen ist, dürften ausdrücklich und abschließend gesetzlich geregelt sein.

2. Es kann indes offen bleiben, ob § 34 SGB II überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für den hier erlassenen Bescheid darstellt. Denn der Bescheid vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 ist jedenfalls materiell rechtswidrig. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Die hinreichende Bestimmtheit ist dabei materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 07.07.2011, Az. B 14 AS 153/10 R, zitiert nach juris, dort Rn. 31). Das bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Der Verwaltungsakt muss zudem eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BSG a.a.O; Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kommentar, 8. Auflage 2014, § 33 Rn. 3). Die Bestimmtheit bezieht sich also auf den Entscheidungsausspruch, das heißt den Verfügungssatz. Ein Bescheid über die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II ist demnach hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann (BVerwG, Urteil vom 14.01.1982, Az. 5 C 70/80, zitiert nach juris, dort Rn. 17; Link in: Eicher, SGB II-Kommentar, 3. Auflage 2013, § 34 Rn. 56). Unverzichtbar für den Bescheid ist demnach die Angabe des konkret geschuldeten Betrages, denn der Bescheid soll nach Eintritt der Bestandskraft Grundlage der Vollstreckung sein, wenn die Forderung nicht freiwillig erfüllt wird (BVerwG a.a.O.; Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 3. Auflage 2012, § 34 Rn. 51). Die bloße Mitteilung oder Feststellung der Ersatzpflicht genügt daher nicht.

Der angegriffene Bescheid enthält keine konkrete Summe, zu deren Rückzahlung der Kläger verpflichtet sein soll. Es fehlt daher bereits an einem hinreichend bestimmten Verfügungssatz. Eine Vollstreckung aus dem Bescheid ist nicht möglich. Eine hinreichende Bestimmtheit ergibt sich auch nicht unter Heranziehung der Bescheidbegründung oder etwaiger Anlagen. Auch eine Heranziehung des bewilligenden Leistungsbescheides ist nicht möglich, da es sich um eine vorläufige Bewilligung handelte und eine endgültige Festsetzung für den Leistungszeitraum bislang nicht vorliegt. Der Beklagte selbst kann daher bislang noch nicht einmal die konkrete Summe benennen, zu deren Ersatz der Kläger verpflichtet sein soll.

Bei Verstößen gegen das Bestimmtheitsgebot wird unterschieden in Verstöße, die so schwerwiegend und offenkundig sind, dass sie die Nichtigkeit zur Folge haben und solchen, die bloß zur Rechtswidrigkeit führen und deshalb durch entsprechende nachträgliche Ergänzungen, im Widerspruchsbescheid, aber auch noch im Gerichtsverfahren geheilt werden können (vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kommentar, 8. Auflage 2014, § 33 Rn. 16 f.). Denkbar ist hier bereits eine Nichtigkeit, da es dem angegriffenen Bescheid wohl ganz offenkundig an einem Verfügungssatz fehlen dürfte. Dies kann indes offen bleiben, da der Verstoß jedenfalls auch im Widerspruchs- und Klageverfahren nicht geheilt worden ist. Eine konkrete Haftungssumme wurde beklagtenseits durch einen weiteren Verwaltungsakt nicht benannt. Es verbleibt daher bei der Rechtswidrigkeit des Bescheides.

3. Nach alledem kam es auf die materiell-rechtlichen Ausführungen der Beteiligten zum Vorliegen der Voraussetzungen der Ersatzpflicht nicht mehr an.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG i.V.m. § 91 ZPO. Sie berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.
Rechtskraft
Aus
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