Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 70/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 FreizügG genannten Unionsbürger das Recht auf Freizügigkeit, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.
Kommt es nach der gemeinsamen Einreise nach Deutschland zu einer Trennung (hier nach häuslicher Gewalt), nicht aber zu einer Scheidung, hängt ein eventueller SGB II-Leistungsanspruch der bisher nicht berufstätigen Ehefrau nicht davon ab, ob diese mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft bildet.
Die Anrechnung fiktiven Einkommens im Bereich des SGB II widerspricht dem Bedarfsdeckungsgrundsatz. Ein Verweis auf noch nicht realisierte Unterhaltsansprüche ist unzulässig.
Kommt es nach der gemeinsamen Einreise nach Deutschland zu einer Trennung (hier nach häuslicher Gewalt), nicht aber zu einer Scheidung, hängt ein eventueller SGB II-Leistungsanspruch der bisher nicht berufstätigen Ehefrau nicht davon ab, ob diese mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft bildet.
Die Anrechnung fiktiven Einkommens im Bereich des SGB II widerspricht dem Bedarfsdeckungsgrundsatz. Ein Verweis auf noch nicht realisierte Unterhaltsansprüche ist unzulässig.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig ab 20.03.2014 bis spätestens 31.07.2014 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Den Antragstellerinnen wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragstellerinnen dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Die Antragstellerinnen sprachen am 13.03.2014 beim Antragsgegner vor. Zuvor hatten sie bereits am 28.02.2014 mit einer Mitarbeiterin des Frauenhauses zur Beantragung von SGB II-Leistungen vorgesprochen. Bei der persönlichen Vorsprache am 28.02.2014 habe die Antragstellerin nach einem Hinweis auf ausländerrechtliche Konsequenzen erklärt, auf Leistungen nach dem SGB II verzichten zu wollen. Es sei auf die Möglichkeit der Beantragung von Unterhaltsvorschuss und auf die Unterhaltsbeantragung der Antragstellerinnen hingewiesen worden. Bei der erneuten Vorsprache habe die Antragstellerin zu 1) mitgeteilt, dass sie nun doch einen Arbeitslosengeld II-Antrag stellen wolle. Einem Vermerk des Antragsgegners zum Sachverhalt vom 21.03.2014 kann in diesem Zusammenhang entnommen werden, dass die Antragstellerin zu 1) verheiratet sei, aber von ihrem Ehemann getrennt lebe. Der Ehemann gehe einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Nach der Trennung vom Ehemann sei der gewöhnliche Aufenthalt der Antragstellerinnen im Frauenhaus A-Stadt gewesen. Laut Einwohnermeldeamt der Stadt A-Stadt befinde sich die Antragstellerin zu 1) seit 2011 in Deutschland. Seit diesem Zeitpunkt gehe sie keiner Beschäftigung nach und habe auch kein sonstiges Einkommen. Die Antragstellerin zu 2) ist ihre Tochter. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vermerk vom 21.03.2014 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 14.03.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab. Nach Prüfung der Sachlage halte sich die Antragstellerin zu 1) allein zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf, ein Daueraufenthaltsrecht sei nicht erworben worden. Die Antragstellerinnen würden laut eigenen Angaben seit 2011 in Deutschland leben und die Antragstellerin zu 1) übe keine Tätigkeit aus. Dementsprechend bestehe nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Gegen diesen Bescheid legte die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 19.03.2014 Widerspruch ein. Die Antragstellerinnen hätten ein Aufenthaltsrecht nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche. Vielmehr hielten sich die Antragstellerinnen bereits seit dem 22.12.2011 in Deutschland auf. Die Antragstellerin zu 1) habe eine Familie gründen wollen und am 09.12.2013 ihren Lebensgefährten geheiratet. Ihr Ehemann arbeite bei der Firma in N-Stadt und sei dort festangestellt. Herr A. verdiene 1.350 EUR und genieße damit volle Freizügigkeit. Dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus habe flüchten müssen, ändere nichts an ihrem Status als freizügigkeitsberechtigte EU-Bürgerin im Sinne eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts. Aus diesem Recht habe die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf SGB II-Leistungen, da § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht eingreife. Auf die Europarechtswidrigkeit der Vorschrift komme es somit nicht an. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Antragstellerinnen einen Kindergeldantrag gestellt hätten, über den noch nicht entschieden worden sei.
Am 20.03.2014 haben die Antragstellerinnen einen einstweiligen Rechtsschutzantrag beim Sozialgericht Kassel gestellt und den Antrag mit Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Die Antragstellerin zu 1) sei mit Herrn A. verheiratet, der ebenfalls wie die Antragstellerinnen bulgarischer Staatsangehöriger sei. Die Antragstellerinnen lebten seit dem 22.12.2011 mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) gemeinsam in Deutschland. Der Ehemann sei nicht der Vater der Antragstellerin zu 2). Deren Vater sei unbekannt. Sofern eine zusätzliche Bescheinigung zum Sorgerecht benötigt werde, werde um einen entsprechenden Hinweis gebeten. Der Ehemann sei fest angestellt und verdiene im Monat 1.350 EUR. Die Antragstellerin zu 1) habe aufgrund von häuslicher Gewalt am 18.02.2014 das Frauenhaus in A-Stadt aufsuchen müssen. Der Kindergeldantrag für die Antragstellerin zu 2) sei weiterhin in Bearbeitung. Die finanzielle Situation sei dergestalt, dass die Antragstellerinnen zu 1) und 2) bislang von Herrn A. versorgt worden seien. Die finanziellen Mittel seien durch die Flucht ins Frauenhaus weggebrochen. Die Antragstellerinnen hätten eine Unterstützung in Höhe von 40,00 Euro von der Familie in Bulgarien erhalten und würden momentan im Frauenhaus notversorgt. Es seien Schulden für die Mittagsversorgung der Antragstellerin zu 2) aufgelaufen, die derzeit eine Grundschule besuche. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners gehe man davon aus, dass das Aufenthaltsrecht der Antragstellerinnen zu 1) und 2) nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche bestehe. Vielmehr würden sich die Antragstellerinnen bereits seit Dezember 2011 in Deutschland im Hinblick auf die Gründung der gemeinsamen Familie aufhalten.
Der Antragsschrift war unter anderem ein Schreiben der Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit vom 11.02.2014 beigefügt wird, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 9 Gerichtsakte).
Des Weiteren war der Antragsschrift eine Haushaltsbescheinigung zur Vorlage bei der Familienkasse der Antragstellerin zu 1) und der Antragstellerin zu 2) der Stadt A-Stadt vom 09.01.2014 beigefügt, aus welcher entnommen werden kann, dass die Antragstellerin zu 2) am 22.12.2011 in den Haushalt des Herrn A. aufgenommen worden ist, wobei Herr A. verheiratet ist (Bl. 11 Gerichtsakte).
Einer Bescheinigung des Frauenhauses der Stadt A-Stadt vom 19.02.2014 kann entnommen werden, dass die Antragstellerinnen ins Frauenhaus A-Stadt aufgenommen wurden (Bl. 13 Gerichtsakte).
Auf eine Ummeldebescheinigung der Stadt A-Stadt vom 21.02.2014 wird Bezug genommen (Bl. 14 Gerichtsakte).
Weiterhin waren der Antragsschrift eine Geburtsurkunde hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) (Bl. 16 Gerichtsakte) sowie eine Eheurkunde, die eine Eheschließung zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn A. bestätigt (Bl. 17 Gerichtsakte), beigefügt. Auch haben die Antragstellerinnen eine Vollstreckungsankündigung wegen ausstehender Beiträge zur Betreuung und Verpflegung für die Antragstellerin zu 2) im Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 mit rückständigen Beiträgen in Höhe von 805,00 EUR überreicht (Bl. 18 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 27.03.2014 hat der Antragsgegner die Auffassung vertreten, dass es hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) an einer Prozessfähigkeit fehle. Weiterhin sei einer der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 Freizügigkeitsgesetz/EU genannten Gründe für einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht ersichtlich, ebenso wenig ein Aufenthaltsrecht aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II i. V. m. §§ 22 bis 26 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Somit komme im Fall der Antragstellerinnen ein Aufenthaltsgrund nur für die Arbeitssuche in Betracht. Die Antragstellerinnen könnten sich nicht auf einen vom Ehemann der Antragstellerin zu 1) abgeleiteten Aufenthaltsgrund berufen, denn die Antragstellerinnen zu 1) und 2) lebten mittlerweile von diesem getrennt und somit in einer eigenständigen Bedarfsgemeinschaft i. S. d. SGB II, für die die weiteren Leistungsvoraussetzungen eigenständig zu prüfen seien. Die Antragstellerinnen seien somit aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit das Hessische Landessozialgericht (Beschluss vom 30.09.2013, L 6 AS 433/13 B ER) die Auffassung vertreten habe, dass diese Regelung aufgrund des Anwendungsvorranges von Art. 70 i. V. m. Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 sowie primärrechtskonformen Auslegung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie (RL) 2004/38/EG keine Wirkung entfalte, sei dem nicht zu folgen. Man berufe sich vielmehr auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15.11.2013 (L 15 AS 365/13 B), die sich insbesondere mit der Vereinbarkeit der genannten Norm mit europäischem Recht dezidiert auseinandergesetzt habe und einen Verstoß gegen das Europarecht mit der Folge der Unabwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht habe feststellen können. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen habe maßgeblich darauf abgestellt, dass der deutsche Gesetzgeber mit der in Rede stehen Vorschrift von einer in europäischem Recht vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe. Dieses erlaube es den Mitgliedsstaaten, Unionsbürgern, die nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige seien, unter bestimmten Voraussetzungen keine Sozialhilfeleistungen zu gewähren, wobei es sich bei dem Arbeitslosengeld II um Sozialhilfe im Sinne dieser Richtlinie handele, da es dazu bestimmt sei, das verfassungsrechtlich verbürgte Existenzminimum eines Menschen sicherzustellen. Ein Verstoß gegen ein in einer europäischen Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgesehenes Diskriminierungsverbot habe das Landessozialgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Allerdings habe es für den Personenkreis der arbeitssuchenden Unionsbürger, die trotz bestehender Notlage keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter erhalten könnten, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins einen Anspruch auf eine Mindestsicherung angenommen. Dieses richte sich allerdings gegen den Sozialhilfeträger der die nach den Umständen des Einzelfalles unabweisbar gebotenen Leistungen zu erbringen habe. Dies komme bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland nur in Form einer Übernahme der Kosten für die Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthaltes in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragserwiderung vom 27.03.2014 Bezug genommen (Bl. 35 ff. Gerichtsakte).
Die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen hat auf das alleinige Sorgerecht der Antragstellerin zu 1) hingewiesen mit der Bitte, sich gegebenenfalls eine Auskunft beim Jugendamt einzuholen (Bl. 43 Gerichtsakte).
Mit Verfügung vom 17.04.2014 hat das Gericht den Antragsgegner um Mitteilung gebeten, ob die Antragstellerin zu 1) nicht ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht vom Ehemann genießen würde, der einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik habe. Nach Auffassung des Gerichts dürfe daraus folgen, dass die Antragstellerin zu 1) und über sie die Antragstellerin zu 2) bis zu einer möglichen Scheidung, die aufgrund des Standes der Ermittlungen des Antragsgegners derzeit noch nicht sicher feststehen dürfe, ebenfalls ein vom Ehemann abgeleitetes Aufenthaltsrecht haben dürfe. Der Umstand, dass die Antragstellerinnen derzeit eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildeten, sei nach vorläufiger Würdigung der Sachlage nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit des abgeleiteten Aufenthaltsstatus in Frage zu stellen (Bl. 84 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 29.04.2014 hat der Antragsgegner darauf erwidert, dass sich die Antragstellerinnen hinsichtlich der Durchsetzung von Unterhalt an den Ehemann der Antragstellerin zu 1) wenden müssten. Auch habe die Tochter der Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Die Antragstellerinnen seien bereits im Rahmen der persönlichen Vorsprache am 28.02.2014 auf die Geltendmachung vorrangiger Ansprüche gegen den Ehemann bzw. auf Unterhaltsvorschuss hingewiesen worden. Da derzeit nicht erkennbar sei, ob mit dem Ehegattenunterhalt und dem Unterhaltsvorschuss noch ein Bedarf i. S. d. SGB II verbleibe, sehe der Antragsgegner keine Möglichkeit, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren (Bl. 88 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 05.05.2014 hat die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen hierauf erwidert, dass derzeit tatsächlich kein Einkommen zur Verfügung stehe. Es widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der eindeutigen Rechtslage, insoweit von einem durch die Realisierung von Unterhaltsansprüchen gedeckten Bedarf auszugehen. Der Antragsgegner möge sich in die Situation der Antragstellerinnen versetzen, die derzeit im Frauenhaus lebten. Der Antragsgegner habe selbst das Recht, entsprechende Anträge für die Antragstellerinnen zu stellen (Bl. 94 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 09.05.2014 hat der Antragsgegner erwidert, dass nach seiner Auffassung Mittel, die kurzfristig zu realisieren seien, sehr wohl zu berücksichtigen seien. Dies betreffe insbesondere das Kindergeld und die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (Bl. 97 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 15.05.2014 hat die Antragstellerin zu 1) mitgeteilt, eine erste Kindergeldzahlung erhalten zu haben. Unterhalt nach dem Unterhaltsvorschussgesetz oder von ihrem Ehemann habe sie bisher nicht erhalten (Bl. 100 Gerichtsakte).
Die Antragstellerinnen beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zum Abschluss der Hauptsache, längstens für sechs Monate und längstens bis zu einer Entscheidung über die Verlustfeststellung der Freizügigkeit durch die Ausländerbehörde Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Der zulässige Antrag ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86b Abs. 2 S.2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, und einen Anordnungsgrund, also einen Sachverhalt, der eine Eilbedürftigkeit begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung derart, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden damit auf Grund ihres funktionellen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, 10. A. 2012, § 86b Rn. 27). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache hingegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Im Fall einer solchen Orientierung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache muss das Gericht in den Fällen, in denen das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung der Hauptsache übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer umfassenden Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, § 86b Rn. 29a).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich hierbei lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; SG Kassel, Beschluss v. 05.02.2009, S 1 AS 740/08 ER). Sofern im Einzelfall das Existenzminium einer Person bedroht ist, genügt für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ein geringer Grad an Wahrscheinlichkeit, nämlich die nicht auszuschließende Möglichkeit seines Bestehens (Bayerisches LSG, Beschluss v. 22.12.2010, L 16 AS 767/10 B ER, juris, Rn. 31). Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinem Kammerbeschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05) in diesem Zusammenhang hervor:
"Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237)). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern."
Sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Welche Anordnung zur Erreichung des begehrten Ziels zu treffen ist, hat das Gericht jedoch nach § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 938 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen (Keller in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg.), a.a.O., § 86b Rn. 30). Grundsätzlich darf das Gericht hierbei die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Im Einzelfall kann es jedoch im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst der Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragsteller unzumutbar wäre (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. A. 2008, Rn. 306 ff. m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Prämissen ist der Antrag zulässig und begründet, wobei das Gericht eine Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung bis 31.07.2014 anordnet. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Antragstellerinnen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Unterhalt realisieren. Im Anschluss daran wird zu prüfen sein, ob ein noch ungedeckter Bedarf besteht.
Die Antragstellerinnen haben zunächst einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein solcher Anordnungsanspruch ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des SGB II. Die Antragstellerinnen gehören insbesondere zum Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. d. § 7 SGB II.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II
1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund gemäß § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach dem 2. Kapitel des Abschnitt 5 des AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) haben Unionsbürger und ihre Familienangehörige das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU unter anderem:
Nr. 1 Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen und gemäß
Nr. 6 Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des FreizügG/EU.
Gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.
Familienangehörige i. S. d. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU sind
1. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21. Jahre alt sind,
2. die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 genannten Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren.
Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin zu 1) mit Herrn A. verheiratet, der als bulgarischer Staatsangehöriger in den Anwendungsbereich des § 2 FreizügG fällt und gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Unionsbürger, der sich als Arbeitnehmer in Deutschland aufhält, freizügigkeitsberechtigt ist. Die Antragstellerin zu 1) hat ihn bei der Einreise nach Deutschland begleitet und hat dementsprechend ein von Herrn A. abgeleitetes Freizügigkeitsrecht aus § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Ihr Aufenthaltsrecht leitet sich somit nicht ausschließlich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ab. Dies hat zur Folge, dass die Ausschlusstatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Falle der Antragstellerin zu 1) nicht eingreifen.
Zunächst greift nicht der § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein, da die Antragstellerin zu 1) Ehefrau des Herrn A. ist, der in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer ist. Sie hat bereits mehr als drei Monate in Deutschland ihren Aufenthalt.
Auch hat die Antragstellerin zu 1) nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich nicht alleine zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhält, sondern um ihren Ehemann zu begleiten. Damit greift auch nicht der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 S.2 Nr. 2 SGB II ein.
Dass sich die Antragstellerin zu 1) von ihrem Ehemann inzwischen getrennt hat, nachdem sie mit der Antragstellerin zu 2) wegen häuslicher Gewalt in das Frauenhaus A Stadt fliehen musste, hat zwar zur Folge, dass eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II fraglich sein könnte, da nach dieser Vorschrift zur Bedarfsgemeinschaft als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person nur die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte gehört. Im vorliegenden Fall ist es jedoch zunächst einmal nicht abzusehen, ob von einem dauernden Getrenntleben ausgegangen werden kann, wobei viel dafür sprechen dürfte, dass ein dauerndes Getrenntleben vorliegt. Allerdings spielt der Umstand, ob die Antragstellerin zu 1) mit ihrem Ehemann weiterhin eine Bedarfsgemeinschaft i. S. d. § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II bildet, für die Frage der Anspruchsberechtigung der Antragstellerin zu 1) nach dem SGB II nach Auffassung des Gerichts keine Rolle. Maßgeblich nach § 7 SGB II ist nämlich, ob die Antragstellerin zu 1) zum Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehört, was unstreitig der Fall ist und weiterhin, ob ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingreift, was im vorliegenden Fall nicht der Fall ist. Die Antragstellerin zu 1) hat somit als Ehefrau des Herrn A. einen eigenständigen SGB II-Anspruch.
Dass die Antragstellerin zu 1) möglicherweise einen Anspruch auf bedarfsdeckenden Unterhalt gegen ihren Ehemann haben könnte, steht einem Anordnungsanspruch nicht entgegen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Entscheidungen (vgl. exemplarisch BSG, Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 1/13 R) entschieden, dass die Anrechnung fiktiven Einkommens unzulässig. In der Rdnr. 35 der Entscheidung des BSG heißt es dazu:
"Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei einem bestimmten wirtschaftlichen Verhalten abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art. 1 i. V. m. Art. 20 Grundgesetz nicht vereinbar (vgl. zuletzt BSGE 112, 229 = SozR 4-4200, § 11 Nr. 57, Rdnr. 14 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris Rdnr. 28). Zu berücksichtigendes Einkommen muss tatsächlich geeignet sein, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen."
Dass die Antragstellerin zu 1) also einen entsprechenden Unterhaltsanspruch wird realisieren können, ändert an dem Umstand nichts, dass Hilfebedürftigkeit in der Zeit vorliegt, in der noch keine Unterhaltsleistung realisiert werden konnte, wobei zusätzlich noch zu berücksichtigen sein dürfte, dass das Einkommen des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) in Höhe von monatlich 1.350 EUR nicht ausreichen dürfte, um dessen eigenen Unterhalt und den Unterhalt für die Antragstellerin zu 1) und 2) einschließlich zweier Wohnungen sowie einschließlich entsprechender sonstiger Leistungen, z. B. für den Betreuungsplatz der Antragstellerin zu 2), zu decken. Vor diesem Hintergrund dürfte viel dafür sprechen, dass auch nach der Realisierung von Unterhaltsansprüchen ein ungedeckter Bedarf verbleiben wird.
Die Antragstellerin zu 2) hat ebenfalls einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zunächst hat die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen mitgeteilt, dass keine Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz geleistet werden; Kindergeld werde erst ab Mai 2014 gewährt, so dass eine entsprechende vollständige Anrechnung und Versagung von realisierbarem Unterhalt und Kindergeld vor Mai 2014 einer Anrechnung fiktiven Einkommens entsprechen würde, die – wie bereits ausgeführt wurde – unzulässig ist. Auch befindet sich die Antragstellerin zu 2) nicht zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, sondern hat ein von der Antragstellerin zu 1) abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Die Antragstellerin gehört somit zum Kreis der Anspruchsberechtigten des § 7 SGB II. Sie ist insbesondere hilfebedürftig und hat somit einen eigenen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerinnen haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da sie sich derzeit in einer die Existenz gefährdenden Notlage befinden.
Der Antrag war somit begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Den Antragstellerinnen wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragstellerinnen dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Die Antragstellerinnen sprachen am 13.03.2014 beim Antragsgegner vor. Zuvor hatten sie bereits am 28.02.2014 mit einer Mitarbeiterin des Frauenhauses zur Beantragung von SGB II-Leistungen vorgesprochen. Bei der persönlichen Vorsprache am 28.02.2014 habe die Antragstellerin nach einem Hinweis auf ausländerrechtliche Konsequenzen erklärt, auf Leistungen nach dem SGB II verzichten zu wollen. Es sei auf die Möglichkeit der Beantragung von Unterhaltsvorschuss und auf die Unterhaltsbeantragung der Antragstellerinnen hingewiesen worden. Bei der erneuten Vorsprache habe die Antragstellerin zu 1) mitgeteilt, dass sie nun doch einen Arbeitslosengeld II-Antrag stellen wolle. Einem Vermerk des Antragsgegners zum Sachverhalt vom 21.03.2014 kann in diesem Zusammenhang entnommen werden, dass die Antragstellerin zu 1) verheiratet sei, aber von ihrem Ehemann getrennt lebe. Der Ehemann gehe einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Nach der Trennung vom Ehemann sei der gewöhnliche Aufenthalt der Antragstellerinnen im Frauenhaus A-Stadt gewesen. Laut Einwohnermeldeamt der Stadt A-Stadt befinde sich die Antragstellerin zu 1) seit 2011 in Deutschland. Seit diesem Zeitpunkt gehe sie keiner Beschäftigung nach und habe auch kein sonstiges Einkommen. Die Antragstellerin zu 2) ist ihre Tochter. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vermerk vom 21.03.2014 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 14.03.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab. Nach Prüfung der Sachlage halte sich die Antragstellerin zu 1) allein zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf, ein Daueraufenthaltsrecht sei nicht erworben worden. Die Antragstellerinnen würden laut eigenen Angaben seit 2011 in Deutschland leben und die Antragstellerin zu 1) übe keine Tätigkeit aus. Dementsprechend bestehe nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Gegen diesen Bescheid legte die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 19.03.2014 Widerspruch ein. Die Antragstellerinnen hätten ein Aufenthaltsrecht nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche. Vielmehr hielten sich die Antragstellerinnen bereits seit dem 22.12.2011 in Deutschland auf. Die Antragstellerin zu 1) habe eine Familie gründen wollen und am 09.12.2013 ihren Lebensgefährten geheiratet. Ihr Ehemann arbeite bei der Firma in N-Stadt und sei dort festangestellt. Herr A. verdiene 1.350 EUR und genieße damit volle Freizügigkeit. Dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus habe flüchten müssen, ändere nichts an ihrem Status als freizügigkeitsberechtigte EU-Bürgerin im Sinne eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts. Aus diesem Recht habe die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf SGB II-Leistungen, da § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht eingreife. Auf die Europarechtswidrigkeit der Vorschrift komme es somit nicht an. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Antragstellerinnen einen Kindergeldantrag gestellt hätten, über den noch nicht entschieden worden sei.
Am 20.03.2014 haben die Antragstellerinnen einen einstweiligen Rechtsschutzantrag beim Sozialgericht Kassel gestellt und den Antrag mit Schriftsatz vom gleichen Tag begründet. Die Antragstellerin zu 1) sei mit Herrn A. verheiratet, der ebenfalls wie die Antragstellerinnen bulgarischer Staatsangehöriger sei. Die Antragstellerinnen lebten seit dem 22.12.2011 mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) gemeinsam in Deutschland. Der Ehemann sei nicht der Vater der Antragstellerin zu 2). Deren Vater sei unbekannt. Sofern eine zusätzliche Bescheinigung zum Sorgerecht benötigt werde, werde um einen entsprechenden Hinweis gebeten. Der Ehemann sei fest angestellt und verdiene im Monat 1.350 EUR. Die Antragstellerin zu 1) habe aufgrund von häuslicher Gewalt am 18.02.2014 das Frauenhaus in A-Stadt aufsuchen müssen. Der Kindergeldantrag für die Antragstellerin zu 2) sei weiterhin in Bearbeitung. Die finanzielle Situation sei dergestalt, dass die Antragstellerinnen zu 1) und 2) bislang von Herrn A. versorgt worden seien. Die finanziellen Mittel seien durch die Flucht ins Frauenhaus weggebrochen. Die Antragstellerinnen hätten eine Unterstützung in Höhe von 40,00 Euro von der Familie in Bulgarien erhalten und würden momentan im Frauenhaus notversorgt. Es seien Schulden für die Mittagsversorgung der Antragstellerin zu 2) aufgelaufen, die derzeit eine Grundschule besuche. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners gehe man davon aus, dass das Aufenthaltsrecht der Antragstellerinnen zu 1) und 2) nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche bestehe. Vielmehr würden sich die Antragstellerinnen bereits seit Dezember 2011 in Deutschland im Hinblick auf die Gründung der gemeinsamen Familie aufhalten.
Der Antragsschrift war unter anderem ein Schreiben der Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit vom 11.02.2014 beigefügt wird, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 9 Gerichtsakte).
Des Weiteren war der Antragsschrift eine Haushaltsbescheinigung zur Vorlage bei der Familienkasse der Antragstellerin zu 1) und der Antragstellerin zu 2) der Stadt A-Stadt vom 09.01.2014 beigefügt, aus welcher entnommen werden kann, dass die Antragstellerin zu 2) am 22.12.2011 in den Haushalt des Herrn A. aufgenommen worden ist, wobei Herr A. verheiratet ist (Bl. 11 Gerichtsakte).
Einer Bescheinigung des Frauenhauses der Stadt A-Stadt vom 19.02.2014 kann entnommen werden, dass die Antragstellerinnen ins Frauenhaus A-Stadt aufgenommen wurden (Bl. 13 Gerichtsakte).
Auf eine Ummeldebescheinigung der Stadt A-Stadt vom 21.02.2014 wird Bezug genommen (Bl. 14 Gerichtsakte).
Weiterhin waren der Antragsschrift eine Geburtsurkunde hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) (Bl. 16 Gerichtsakte) sowie eine Eheurkunde, die eine Eheschließung zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn A. bestätigt (Bl. 17 Gerichtsakte), beigefügt. Auch haben die Antragstellerinnen eine Vollstreckungsankündigung wegen ausstehender Beiträge zur Betreuung und Verpflegung für die Antragstellerin zu 2) im Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 mit rückständigen Beiträgen in Höhe von 805,00 EUR überreicht (Bl. 18 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 27.03.2014 hat der Antragsgegner die Auffassung vertreten, dass es hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) an einer Prozessfähigkeit fehle. Weiterhin sei einer der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 Freizügigkeitsgesetz/EU genannten Gründe für einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht ersichtlich, ebenso wenig ein Aufenthaltsrecht aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II i. V. m. §§ 22 bis 26 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Somit komme im Fall der Antragstellerinnen ein Aufenthaltsgrund nur für die Arbeitssuche in Betracht. Die Antragstellerinnen könnten sich nicht auf einen vom Ehemann der Antragstellerin zu 1) abgeleiteten Aufenthaltsgrund berufen, denn die Antragstellerinnen zu 1) und 2) lebten mittlerweile von diesem getrennt und somit in einer eigenständigen Bedarfsgemeinschaft i. S. d. SGB II, für die die weiteren Leistungsvoraussetzungen eigenständig zu prüfen seien. Die Antragstellerinnen seien somit aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit das Hessische Landessozialgericht (Beschluss vom 30.09.2013, L 6 AS 433/13 B ER) die Auffassung vertreten habe, dass diese Regelung aufgrund des Anwendungsvorranges von Art. 70 i. V. m. Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 sowie primärrechtskonformen Auslegung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie (RL) 2004/38/EG keine Wirkung entfalte, sei dem nicht zu folgen. Man berufe sich vielmehr auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15.11.2013 (L 15 AS 365/13 B), die sich insbesondere mit der Vereinbarkeit der genannten Norm mit europäischem Recht dezidiert auseinandergesetzt habe und einen Verstoß gegen das Europarecht mit der Folge der Unabwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht habe feststellen können. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen habe maßgeblich darauf abgestellt, dass der deutsche Gesetzgeber mit der in Rede stehen Vorschrift von einer in europäischem Recht vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe. Dieses erlaube es den Mitgliedsstaaten, Unionsbürgern, die nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige seien, unter bestimmten Voraussetzungen keine Sozialhilfeleistungen zu gewähren, wobei es sich bei dem Arbeitslosengeld II um Sozialhilfe im Sinne dieser Richtlinie handele, da es dazu bestimmt sei, das verfassungsrechtlich verbürgte Existenzminimum eines Menschen sicherzustellen. Ein Verstoß gegen ein in einer europäischen Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgesehenes Diskriminierungsverbot habe das Landessozialgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Allerdings habe es für den Personenkreis der arbeitssuchenden Unionsbürger, die trotz bestehender Notlage keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter erhalten könnten, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins einen Anspruch auf eine Mindestsicherung angenommen. Dieses richte sich allerdings gegen den Sozialhilfeträger der die nach den Umständen des Einzelfalles unabweisbar gebotenen Leistungen zu erbringen habe. Dies komme bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland nur in Form einer Übernahme der Kosten für die Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthaltes in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragserwiderung vom 27.03.2014 Bezug genommen (Bl. 35 ff. Gerichtsakte).
Die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen hat auf das alleinige Sorgerecht der Antragstellerin zu 1) hingewiesen mit der Bitte, sich gegebenenfalls eine Auskunft beim Jugendamt einzuholen (Bl. 43 Gerichtsakte).
Mit Verfügung vom 17.04.2014 hat das Gericht den Antragsgegner um Mitteilung gebeten, ob die Antragstellerin zu 1) nicht ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht vom Ehemann genießen würde, der einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik habe. Nach Auffassung des Gerichts dürfe daraus folgen, dass die Antragstellerin zu 1) und über sie die Antragstellerin zu 2) bis zu einer möglichen Scheidung, die aufgrund des Standes der Ermittlungen des Antragsgegners derzeit noch nicht sicher feststehen dürfe, ebenfalls ein vom Ehemann abgeleitetes Aufenthaltsrecht haben dürfe. Der Umstand, dass die Antragstellerinnen derzeit eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildeten, sei nach vorläufiger Würdigung der Sachlage nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit des abgeleiteten Aufenthaltsstatus in Frage zu stellen (Bl. 84 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 29.04.2014 hat der Antragsgegner darauf erwidert, dass sich die Antragstellerinnen hinsichtlich der Durchsetzung von Unterhalt an den Ehemann der Antragstellerin zu 1) wenden müssten. Auch habe die Tochter der Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Die Antragstellerinnen seien bereits im Rahmen der persönlichen Vorsprache am 28.02.2014 auf die Geltendmachung vorrangiger Ansprüche gegen den Ehemann bzw. auf Unterhaltsvorschuss hingewiesen worden. Da derzeit nicht erkennbar sei, ob mit dem Ehegattenunterhalt und dem Unterhaltsvorschuss noch ein Bedarf i. S. d. SGB II verbleibe, sehe der Antragsgegner keine Möglichkeit, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren (Bl. 88 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 05.05.2014 hat die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen hierauf erwidert, dass derzeit tatsächlich kein Einkommen zur Verfügung stehe. Es widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der eindeutigen Rechtslage, insoweit von einem durch die Realisierung von Unterhaltsansprüchen gedeckten Bedarf auszugehen. Der Antragsgegner möge sich in die Situation der Antragstellerinnen versetzen, die derzeit im Frauenhaus lebten. Der Antragsgegner habe selbst das Recht, entsprechende Anträge für die Antragstellerinnen zu stellen (Bl. 94 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 09.05.2014 hat der Antragsgegner erwidert, dass nach seiner Auffassung Mittel, die kurzfristig zu realisieren seien, sehr wohl zu berücksichtigen seien. Dies betreffe insbesondere das Kindergeld und die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (Bl. 97 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 15.05.2014 hat die Antragstellerin zu 1) mitgeteilt, eine erste Kindergeldzahlung erhalten zu haben. Unterhalt nach dem Unterhaltsvorschussgesetz oder von ihrem Ehemann habe sie bisher nicht erhalten (Bl. 100 Gerichtsakte).
Die Antragstellerinnen beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zum Abschluss der Hauptsache, längstens für sechs Monate und längstens bis zu einer Entscheidung über die Verlustfeststellung der Freizügigkeit durch die Ausländerbehörde Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Der zulässige Antrag ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86b Abs. 2 S.2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, und einen Anordnungsgrund, also einen Sachverhalt, der eine Eilbedürftigkeit begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung derart, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden damit auf Grund ihres funktionellen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, 10. A. 2012, § 86b Rn. 27). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache hingegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Im Fall einer solchen Orientierung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache muss das Gericht in den Fällen, in denen das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung der Hauptsache übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer umfassenden Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer (Hrsg.), SGG, § 86b Rn. 29a).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich hierbei lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Hessisches LSG, Beschluss v. 30.01.2006, L 7 AS 1/06 ER, L 7 AS 13/06 ER; SG Kassel, Beschluss v. 05.02.2009, S 1 AS 740/08 ER). Sofern im Einzelfall das Existenzminium einer Person bedroht ist, genügt für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ein geringer Grad an Wahrscheinlichkeit, nämlich die nicht auszuschließende Möglichkeit seines Bestehens (Bayerisches LSG, Beschluss v. 22.12.2010, L 16 AS 767/10 B ER, juris, Rn. 31). Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinem Kammerbeschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05) in diesem Zusammenhang hervor:
"Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237)). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern."
Sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Welche Anordnung zur Erreichung des begehrten Ziels zu treffen ist, hat das Gericht jedoch nach § 86b Abs. 2 S.4 SGG in Verbindung mit § 938 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen (Keller in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg.), a.a.O., § 86b Rn. 30). Grundsätzlich darf das Gericht hierbei die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Im Einzelfall kann es jedoch im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst der Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragsteller unzumutbar wäre (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. A. 2008, Rn. 306 ff. m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Prämissen ist der Antrag zulässig und begründet, wobei das Gericht eine Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung bis 31.07.2014 anordnet. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Antragstellerinnen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Unterhalt realisieren. Im Anschluss daran wird zu prüfen sein, ob ein noch ungedeckter Bedarf besteht.
Die Antragstellerinnen haben zunächst einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein solcher Anordnungsanspruch ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des SGB II. Die Antragstellerinnen gehören insbesondere zum Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. d. § 7 SGB II.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II
1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund gemäß § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach dem 2. Kapitel des Abschnitt 5 des AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) haben Unionsbürger und ihre Familienangehörige das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU unter anderem:
Nr. 1 Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen und gemäß
Nr. 6 Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des FreizügG/EU.
Gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.
Familienangehörige i. S. d. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU sind
1. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21. Jahre alt sind,
2. die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 genannten Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren.
Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin zu 1) mit Herrn A. verheiratet, der als bulgarischer Staatsangehöriger in den Anwendungsbereich des § 2 FreizügG fällt und gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Unionsbürger, der sich als Arbeitnehmer in Deutschland aufhält, freizügigkeitsberechtigt ist. Die Antragstellerin zu 1) hat ihn bei der Einreise nach Deutschland begleitet und hat dementsprechend ein von Herrn A. abgeleitetes Freizügigkeitsrecht aus § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Ihr Aufenthaltsrecht leitet sich somit nicht ausschließlich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ab. Dies hat zur Folge, dass die Ausschlusstatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Falle der Antragstellerin zu 1) nicht eingreifen.
Zunächst greift nicht der § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein, da die Antragstellerin zu 1) Ehefrau des Herrn A. ist, der in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer ist. Sie hat bereits mehr als drei Monate in Deutschland ihren Aufenthalt.
Auch hat die Antragstellerin zu 1) nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich nicht alleine zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhält, sondern um ihren Ehemann zu begleiten. Damit greift auch nicht der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 S.2 Nr. 2 SGB II ein.
Dass sich die Antragstellerin zu 1) von ihrem Ehemann inzwischen getrennt hat, nachdem sie mit der Antragstellerin zu 2) wegen häuslicher Gewalt in das Frauenhaus A Stadt fliehen musste, hat zwar zur Folge, dass eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II fraglich sein könnte, da nach dieser Vorschrift zur Bedarfsgemeinschaft als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person nur die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte gehört. Im vorliegenden Fall ist es jedoch zunächst einmal nicht abzusehen, ob von einem dauernden Getrenntleben ausgegangen werden kann, wobei viel dafür sprechen dürfte, dass ein dauerndes Getrenntleben vorliegt. Allerdings spielt der Umstand, ob die Antragstellerin zu 1) mit ihrem Ehemann weiterhin eine Bedarfsgemeinschaft i. S. d. § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II bildet, für die Frage der Anspruchsberechtigung der Antragstellerin zu 1) nach dem SGB II nach Auffassung des Gerichts keine Rolle. Maßgeblich nach § 7 SGB II ist nämlich, ob die Antragstellerin zu 1) zum Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehört, was unstreitig der Fall ist und weiterhin, ob ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingreift, was im vorliegenden Fall nicht der Fall ist. Die Antragstellerin zu 1) hat somit als Ehefrau des Herrn A. einen eigenständigen SGB II-Anspruch.
Dass die Antragstellerin zu 1) möglicherweise einen Anspruch auf bedarfsdeckenden Unterhalt gegen ihren Ehemann haben könnte, steht einem Anordnungsanspruch nicht entgegen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Entscheidungen (vgl. exemplarisch BSG, Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 1/13 R) entschieden, dass die Anrechnung fiktiven Einkommens unzulässig. In der Rdnr. 35 der Entscheidung des BSG heißt es dazu:
"Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei einem bestimmten wirtschaftlichen Verhalten abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art. 1 i. V. m. Art. 20 Grundgesetz nicht vereinbar (vgl. zuletzt BSGE 112, 229 = SozR 4-4200, § 11 Nr. 57, Rdnr. 14 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris Rdnr. 28). Zu berücksichtigendes Einkommen muss tatsächlich geeignet sein, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen."
Dass die Antragstellerin zu 1) also einen entsprechenden Unterhaltsanspruch wird realisieren können, ändert an dem Umstand nichts, dass Hilfebedürftigkeit in der Zeit vorliegt, in der noch keine Unterhaltsleistung realisiert werden konnte, wobei zusätzlich noch zu berücksichtigen sein dürfte, dass das Einkommen des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) in Höhe von monatlich 1.350 EUR nicht ausreichen dürfte, um dessen eigenen Unterhalt und den Unterhalt für die Antragstellerin zu 1) und 2) einschließlich zweier Wohnungen sowie einschließlich entsprechender sonstiger Leistungen, z. B. für den Betreuungsplatz der Antragstellerin zu 2), zu decken. Vor diesem Hintergrund dürfte viel dafür sprechen, dass auch nach der Realisierung von Unterhaltsansprüchen ein ungedeckter Bedarf verbleiben wird.
Die Antragstellerin zu 2) hat ebenfalls einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zunächst hat die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen mitgeteilt, dass keine Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz geleistet werden; Kindergeld werde erst ab Mai 2014 gewährt, so dass eine entsprechende vollständige Anrechnung und Versagung von realisierbarem Unterhalt und Kindergeld vor Mai 2014 einer Anrechnung fiktiven Einkommens entsprechen würde, die – wie bereits ausgeführt wurde – unzulässig ist. Auch befindet sich die Antragstellerin zu 2) nicht zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, sondern hat ein von der Antragstellerin zu 1) abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Die Antragstellerin gehört somit zum Kreis der Anspruchsberechtigten des § 7 SGB II. Sie ist insbesondere hilfebedürftig und hat somit einen eigenen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerinnen haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da sie sich derzeit in einer die Existenz gefährdenden Notlage befinden.
Der Antrag war somit begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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