Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S13 KR 231/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 422/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2013 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 25.03. bis 21.10.2013 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld über den 24.03.2013 hinaus bis zur Erschöpfung der Höchstanspruchsdauer (Aussteuerung) am 21.10.2013.
Die 0000 geborene Klägerin erlernte keinen anerkannten Ausbildungsberuf. Sie war seit dem Jahre 2000 bei verschiedenen Einrichtungen in der Altenpflege und –betreuung beschäftigt, zuletzt ab 16.04.2012 als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) bei der Seniorenhaus GmbH im Seniorenhaus Serafine. Seit dem 01.07.2012 ist sie arbeitslos. Bereits ab dem 23.04.2012 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Dies bescheinigte erstmals an diesem Tag der Allgemeinmediziner Dr. H. wegen Tinnitus, akuter Belastungsreaktion und allergischer Rhinopathie, ab dem 06.06.2012 der Psychiater R. wegen einer Anpassungsstörung. Die Beklagte zahlte Krankengeld ab dem 24.04.2012.
Vom 16.10. bis 13.11.2012 nahm die Klägerin an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatik-Klinik Schomberg zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung teil und bezog Unterhaltsgeld. Sie wurde aus der Reha-Maßnahme als weiter arbeitsunfähig entlassen. Die Ärzte kamen zum Ergebnis, dass die Klägerin noch mittelschwere Arbeiten ohne geistige und psychische Belastungen sechs Stunden und mehr verrichten könne; zu vermeiden seien Tätigkeiten mit erhöhter Anforderungen an soziale Kompetenzen und Verantwortung für Personen, z.B. Pflegetätigkeiten. Angesichts der bisherigen Belastungen und der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin seien von solchen Berufstätigkeiten abzuraten. Eine Tätigkeit als Hilfe im Hauswirtschaftsbereich mit vorwiegend Reinigungstätigkeiten (Putzdienst) sei aufgrund des medizinischen Leistungsbildes nur für drei bis unter sechs Stunden möglich.
Auf dem Auszahlschein für Krankengeld bescheinigte der Facharzt für Psychiatrie R. auch über den Entlassungszeitpunkt hinaus weiter laufend Arbeitsunfähigkeit, zuletzt am 28.02. bis voraussichtlich 29.03.2013.
In einer von der Beklagten veranlassten gutachtlichen Stellungnahme kam der Sozialmedizinische Dienst (SMD) am 07.03.013 nach Auswertung des Reha-Entlassungsberichtes zum Ergebnis, dass nicht eindeutig ausgesagt werden könne, ob zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit am 23.04.2012 noch ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, auf das bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit Bezug genommen werden müsste; unter Zugrundelegung der von der Reha-Klinik abgegebenen Leistungsbeurteilung könne die Tätigkeit einer Alltagsbegleiterin von Demenzkranken von der Klägerin nicht mehr verrichten werden; für eine geeignete bis zu mittelschwere Tätigkeit könne allerdings wieder von Verweisbarkeit beim Arbeitsamt ausgegangen werden; über den weiteren Krankengeldanspruch müsse im Falle von weiterhin attestierter Arbeitsunfähigkeit verwaltungsseitig entschieden werden. Am 14.03.2013 stellte daraufhin ein Mitarbeiter der Beklagten in einem Aktenvermerk fest, dass Krankengeld weiter zu zahlen sei, da die Arbeitsunfähigkeit aus der Beschäftigung heraus begonnen habe und nach der Stellungnahme des SMD für die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Alltagsbegleiterin von Demenzerkranken weiterhin von Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei.
Gleichwohl stellte die Beklagte durch Bescheid vom 14.03.2013 gegenüber der Klägerin fest, dass "nach ärztlicher Ansicht" ab dem 25.03.2013 wieder Arbeitsfähigkeit bestehe; ab diesem Zeitpunkt bestehe kein Anspruch auf Krankengeld mehr; diese Leistung werde bis zum 24.03.2013 gezahlt.
Dagegen erhob die Klägerin am 04.04.2013 Widerspruch. Sie trug vor, sie sei wegen unveränderter Krankheit auch über den 24.03.2013 hinaus arbeitsunfähig. Sie legte hierzu einen Bericht des Facharztes R. vom 11.04.2013 vor. Darin hieß es, dass die Klägerin dort seit dem 06.01.2003 bekannt sei und sich in regelmäßiger neurologisch-psychiatrischer Behandlung befinde; die Klägerin sei nach seiner fachärztlichen Einschätzung sowohl aktuell als auch auf längere Sicht weiterhin arbeitsunfähig sowohl in der letzten Tätigkeit als auch in Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
In einer weiteren Stellungnahme stellte der SMD am 29.04.2013 fest, es müsse verwaltungsseitig entschieden werden, inwieweit aufgrund der Tatsache, dass Arbeitsunfähigkeit seit dem 23.04.2012 bestanden habe, jedoch Arbeitslosigkeit erst seit dem 01.07.2012, ein weiterer Anspruch auf Krankengeld bestehe, da die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr zumutbar sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.2013 zurück. Zur Begründung verwies sie u.a. auf die Stellungnahme des SMD vom 29.04.2013 und behauptete, diese habe die bisher vertretene Auffassung zum Vorliegen von Arbeitsfähigkeit ab dem 25.03.2013 bestätigt.
Dagegen hat die Klägerin am 23.07.2013 Klage erhoben. Sie hält sich auch über den 24.03.2013 hinaus für laufend arbeitsunfähig und verweist hierzu u.a. auf das fachärztliche Attest ihres behandelnden Arztes R. vom 11.04.2013. Sie begrenzt den Klageanspruch auf das Datum der Aussteuerung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2013 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 25.03. bis 21.10.2013 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klägerin ab dem 25.03.2013 für arbeitsfähig. Sie ist der Auffassung, für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit seien die Kriterien für Arbeitslose anzulegen. Die Klägerin sei arbeitsfähig, weil sie noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Konkret hält die Beklagte Tätigkeiten als Bote, Pförtner, Tankstellenkassierer, Bürokraft oder hauswirtschaftliche Hilfskraft im Altenheim für zumutbare Tätigkeiten, die die Klägerin seit dem 25.03.2013 verrichten könne. Die Klägerin habe im April 2013 nur fünf Tage als Alltagsbegleiterin für Demenzkranke gearbeitet; da es sich dabei nicht um einen anerkannten Ausbildungsberuf handele, könne die Klägerin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass innerhalb des maßgeblichen Drei-Jahres-Zeitraums (Blockfrist) vom 23.04.2012 bis 22.04.2015 der Höchstanspruch für das geltend gemachte Krankengeld am 21.10.2013 erschöpft sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie hat auch über den 24.03.2013 hinaus bis zur Erschöpfung der Höchstanspruchsdauer am 21.10.2013 Anspruch auf Krankengeld, da sie auch in dieser Zeit fortlaufend arbeitsunfähig war.
Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann (BSG, Urteil vom 08.02.2011 – B 1 KR 11/99 R; Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R). Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin erfüllt, da sie im Hinblick auf die bei ihr bestehende insbesondere psychische Erkrankung die zuletzt bei der Seniorenhaus GmbH ausgeübte Tätigkeit als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) nicht mehr verrichten konnte. Dies ergibt sich nicht nur aus den Berichten und Bescheinigungen des behandelnden Facharztes R., sondern auch aus dem Reha-Entlassungsbericht der Psychosomatikklinik Schomberg und den Stellungnahmen des SMD der Beklagten vom 07.03. und 29.04.2013.
Allerdings ist für den geltend gemachten Anspruch zu berücksichtigen, dass die Beschäftigung der Klägerin bei der Seniorenhaus GmbH nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit etwas mehr als zwei Monate später zum 30.06.2012 beendet worden ist und sich die Klägerin ab dem 01.07.2012 arbeitslos gemeldet hat. Für einen solchen Fall ändert sich der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an dem letzten Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krankengeldes eng zu ziehen ist. Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen anerkannten Ausbildungsberuf, so scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufes liegende Beschäftigung aus. Auch eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufes muss, was die Art der Verrichtung, die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe der Entlohnung angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, sodass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeitern, nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten deshalb größer ist, weil die Verweisung nicht durch die engen Grenzen eines Ausbildungsberufes eingeschränkt ist. (BSG, Urteil vom 09.12.1986 – 8 RK 12/85; Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R).
Nach dieser Rechtsprechung konnte und kann die Klägerin nicht auf alle Tätigkeiten verweisen werden, auf die sie als Arbeitslose zumutbar vermittelt werden konnte und kann. Ihre Arbeitsunfähigkeit wäre vielmehr nur dann beseitigt gewesen, wenn sie ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) wieder hätte ausüben können oder wenn ihr der Gesundheitszustand eine "gleichartige Tätigkeit" erlaubt hätte. Dies war jedoch nicht der Fall.
Die Art der zuletzt ausgeübten Tätigkeit bestimmt sich nicht nur nach den Ausbildungsvoraussetzungen (Ausbildungsberuf/ungelernte Tätigkeit), der wirtschaftlichen Wertigkeit (Lohnhöhe) und den physischen und psychischen Belastungen (leicht/mittelschwer/schwer), sondern auch nach den Bedingungen und Merkmalen, die das Wesen der konkreten Beschäftigung ausmachen. Im Fall der Klägerin war die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch und im Besonderen durch den engen Kontakt und Umgang mit (meist alten) demenzkranken Menschen und deren Fürsorge und Betreuung geprägt. Im Hinblick auf diese wesentlichen Merkmale, die den Charakter und die Art der zuletzt konkret ausgeübten Tätigkeit ausgemacht haben, ist eine Tätigkeit, auf die die Klägerin zumutbar "verwiesen" werden könnte, nur dann eine Gleichartige, wenn es in dieser Tätigkeit auch um den Kontakt und Umgang, die Fürsorge und Betreuung mit (alten und kranken) Menschen geht. Von einer derartigen Gleichartigkeit sind die von der Beklagten für zumutbar erachteten Tätigkeiten wie Bote, Pförtner, Tankstellenkassierer (!) und Bürokraft weit entfernt. Aber auch die Tätigkeit einer hauswirtschaftlichen Kraft in einem Altenheim ist keine zumutbare Tätigkeit. Nach dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik Schomberg war (und ist) die Klägerin aus psychiatrischer Sicht für jegliche soziale oder pflegende Tätigkeit wegen der damit verbundenen Gefahr einer psychischen Dekompensation nicht mehr einsetzbar.
Im Hinblick auf diese Beurteilung der Leistungsfähigkeit, die auch der SMD teilt, ist für die Klägerin keine ihrer zuletzt ausgeübten Beschäftigung gleichartige Tätigkeit ersichtlich, auf die sie im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zumutbar verwiesen werden könnte mit der Folge, dass deshalb Arbeitsunfähigkeit entfiele. Diese Einschätzung hat die Beklagte selbst bis zum 24.03.2013 geteilt; es ist dies auch die Auffassung des SMD und nicht zuletzt des Mitarbeiters der Beklagten, der den Vermerk vom 14.03.2013 (Bl. 97 der Verwaltungsakte = Bl. 52 der Gerichtsakte) verfasst hat.
War die Klägerin somit über den 25.03.2013 hinaus arbeitsunfähig, so hatte sie Anspruch auf Krankengeld bis zu Erschöpfung der Anspruchshöchstdauer von 78 Wochen innerhalb des maßgeblichen 3-Jahres-Zeitraums (Blockfrist: 23.04.2012 bis 22.04.2015), das heißt bis zum 21.10.2013 (vgl. § 48 Abs. 1 SGB V).
Dem steht nicht entgegen, dass der behandelnde Facharzt R. die Arbeitsunfähigkeit auf dem Auszahlschein für Krankengeld zuletzt nur bis zum 29.03.2013 bescheinigt hatte. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte – bei gleicher medizinischer Befundeinschätzung – allein aus rechtlichen Gründen (geänderter Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit) das Krankengeld zum 24.03.2013 eingestellt. Hat der Vertragsarzt – wie im Fall der Klägerin der Arzt R. durch die zahlreichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und zuletzt die ausführliche Bescheinigung vom 11.04.2013 – eine "laufende" Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, so hängt der weitere Anspruch auf Krankengeld nicht davon ab, dass die Versicherte ihrer Krankenkasse das Fortbestehen ihrer Arbeitsunfähigkeit alle 14 Tage durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeit nachweist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.01.2011 – L 4 KR 446/09). Hatte die Krankenkasse das Krankengeld zu Unrecht eingestellt, so kann sie dem nachträglich erhobenen Leistungsbegehren nicht entgegenhalten, die Versicherte habe das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nicht im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V lückenlos "gemeldet" (BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R). Dies gilt umso mehr in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich am Krankheits- und Beschwerdezustand des Versicherten nichts geändert hat und das laufend seit Längerem bewilligte Krankengeld nur deshalb von der Krankenkasse eingestellt worden ist, weil diese – intern – ihre bisherige Rechtsauffassung zum Anknüpfungspunkt für die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit geändert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld über den 24.03.2013 hinaus bis zur Erschöpfung der Höchstanspruchsdauer (Aussteuerung) am 21.10.2013.
Die 0000 geborene Klägerin erlernte keinen anerkannten Ausbildungsberuf. Sie war seit dem Jahre 2000 bei verschiedenen Einrichtungen in der Altenpflege und –betreuung beschäftigt, zuletzt ab 16.04.2012 als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) bei der Seniorenhaus GmbH im Seniorenhaus Serafine. Seit dem 01.07.2012 ist sie arbeitslos. Bereits ab dem 23.04.2012 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Dies bescheinigte erstmals an diesem Tag der Allgemeinmediziner Dr. H. wegen Tinnitus, akuter Belastungsreaktion und allergischer Rhinopathie, ab dem 06.06.2012 der Psychiater R. wegen einer Anpassungsstörung. Die Beklagte zahlte Krankengeld ab dem 24.04.2012.
Vom 16.10. bis 13.11.2012 nahm die Klägerin an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatik-Klinik Schomberg zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung teil und bezog Unterhaltsgeld. Sie wurde aus der Reha-Maßnahme als weiter arbeitsunfähig entlassen. Die Ärzte kamen zum Ergebnis, dass die Klägerin noch mittelschwere Arbeiten ohne geistige und psychische Belastungen sechs Stunden und mehr verrichten könne; zu vermeiden seien Tätigkeiten mit erhöhter Anforderungen an soziale Kompetenzen und Verantwortung für Personen, z.B. Pflegetätigkeiten. Angesichts der bisherigen Belastungen und der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin seien von solchen Berufstätigkeiten abzuraten. Eine Tätigkeit als Hilfe im Hauswirtschaftsbereich mit vorwiegend Reinigungstätigkeiten (Putzdienst) sei aufgrund des medizinischen Leistungsbildes nur für drei bis unter sechs Stunden möglich.
Auf dem Auszahlschein für Krankengeld bescheinigte der Facharzt für Psychiatrie R. auch über den Entlassungszeitpunkt hinaus weiter laufend Arbeitsunfähigkeit, zuletzt am 28.02. bis voraussichtlich 29.03.2013.
In einer von der Beklagten veranlassten gutachtlichen Stellungnahme kam der Sozialmedizinische Dienst (SMD) am 07.03.013 nach Auswertung des Reha-Entlassungsberichtes zum Ergebnis, dass nicht eindeutig ausgesagt werden könne, ob zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit am 23.04.2012 noch ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, auf das bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit Bezug genommen werden müsste; unter Zugrundelegung der von der Reha-Klinik abgegebenen Leistungsbeurteilung könne die Tätigkeit einer Alltagsbegleiterin von Demenzkranken von der Klägerin nicht mehr verrichten werden; für eine geeignete bis zu mittelschwere Tätigkeit könne allerdings wieder von Verweisbarkeit beim Arbeitsamt ausgegangen werden; über den weiteren Krankengeldanspruch müsse im Falle von weiterhin attestierter Arbeitsunfähigkeit verwaltungsseitig entschieden werden. Am 14.03.2013 stellte daraufhin ein Mitarbeiter der Beklagten in einem Aktenvermerk fest, dass Krankengeld weiter zu zahlen sei, da die Arbeitsunfähigkeit aus der Beschäftigung heraus begonnen habe und nach der Stellungnahme des SMD für die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Alltagsbegleiterin von Demenzerkranken weiterhin von Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei.
Gleichwohl stellte die Beklagte durch Bescheid vom 14.03.2013 gegenüber der Klägerin fest, dass "nach ärztlicher Ansicht" ab dem 25.03.2013 wieder Arbeitsfähigkeit bestehe; ab diesem Zeitpunkt bestehe kein Anspruch auf Krankengeld mehr; diese Leistung werde bis zum 24.03.2013 gezahlt.
Dagegen erhob die Klägerin am 04.04.2013 Widerspruch. Sie trug vor, sie sei wegen unveränderter Krankheit auch über den 24.03.2013 hinaus arbeitsunfähig. Sie legte hierzu einen Bericht des Facharztes R. vom 11.04.2013 vor. Darin hieß es, dass die Klägerin dort seit dem 06.01.2003 bekannt sei und sich in regelmäßiger neurologisch-psychiatrischer Behandlung befinde; die Klägerin sei nach seiner fachärztlichen Einschätzung sowohl aktuell als auch auf längere Sicht weiterhin arbeitsunfähig sowohl in der letzten Tätigkeit als auch in Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
In einer weiteren Stellungnahme stellte der SMD am 29.04.2013 fest, es müsse verwaltungsseitig entschieden werden, inwieweit aufgrund der Tatsache, dass Arbeitsunfähigkeit seit dem 23.04.2012 bestanden habe, jedoch Arbeitslosigkeit erst seit dem 01.07.2012, ein weiterer Anspruch auf Krankengeld bestehe, da die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr zumutbar sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.2013 zurück. Zur Begründung verwies sie u.a. auf die Stellungnahme des SMD vom 29.04.2013 und behauptete, diese habe die bisher vertretene Auffassung zum Vorliegen von Arbeitsfähigkeit ab dem 25.03.2013 bestätigt.
Dagegen hat die Klägerin am 23.07.2013 Klage erhoben. Sie hält sich auch über den 24.03.2013 hinaus für laufend arbeitsunfähig und verweist hierzu u.a. auf das fachärztliche Attest ihres behandelnden Arztes R. vom 11.04.2013. Sie begrenzt den Klageanspruch auf das Datum der Aussteuerung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2013 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 25.03. bis 21.10.2013 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klägerin ab dem 25.03.2013 für arbeitsfähig. Sie ist der Auffassung, für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit seien die Kriterien für Arbeitslose anzulegen. Die Klägerin sei arbeitsfähig, weil sie noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Konkret hält die Beklagte Tätigkeiten als Bote, Pförtner, Tankstellenkassierer, Bürokraft oder hauswirtschaftliche Hilfskraft im Altenheim für zumutbare Tätigkeiten, die die Klägerin seit dem 25.03.2013 verrichten könne. Die Klägerin habe im April 2013 nur fünf Tage als Alltagsbegleiterin für Demenzkranke gearbeitet; da es sich dabei nicht um einen anerkannten Ausbildungsberuf handele, könne die Klägerin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass innerhalb des maßgeblichen Drei-Jahres-Zeitraums (Blockfrist) vom 23.04.2012 bis 22.04.2015 der Höchstanspruch für das geltend gemachte Krankengeld am 21.10.2013 erschöpft sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie hat auch über den 24.03.2013 hinaus bis zur Erschöpfung der Höchstanspruchsdauer am 21.10.2013 Anspruch auf Krankengeld, da sie auch in dieser Zeit fortlaufend arbeitsunfähig war.
Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann (BSG, Urteil vom 08.02.2011 – B 1 KR 11/99 R; Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R). Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin erfüllt, da sie im Hinblick auf die bei ihr bestehende insbesondere psychische Erkrankung die zuletzt bei der Seniorenhaus GmbH ausgeübte Tätigkeit als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) nicht mehr verrichten konnte. Dies ergibt sich nicht nur aus den Berichten und Bescheinigungen des behandelnden Facharztes R., sondern auch aus dem Reha-Entlassungsbericht der Psychosomatikklinik Schomberg und den Stellungnahmen des SMD der Beklagten vom 07.03. und 29.04.2013.
Allerdings ist für den geltend gemachten Anspruch zu berücksichtigen, dass die Beschäftigung der Klägerin bei der Seniorenhaus GmbH nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit etwas mehr als zwei Monate später zum 30.06.2012 beendet worden ist und sich die Klägerin ab dem 01.07.2012 arbeitslos gemeldet hat. Für einen solchen Fall ändert sich der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an dem letzten Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krankengeldes eng zu ziehen ist. Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen anerkannten Ausbildungsberuf, so scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufes liegende Beschäftigung aus. Auch eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufes muss, was die Art der Verrichtung, die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe der Entlohnung angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, sodass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeitern, nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten deshalb größer ist, weil die Verweisung nicht durch die engen Grenzen eines Ausbildungsberufes eingeschränkt ist. (BSG, Urteil vom 09.12.1986 – 8 RK 12/85; Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R).
Nach dieser Rechtsprechung konnte und kann die Klägerin nicht auf alle Tätigkeiten verweisen werden, auf die sie als Arbeitslose zumutbar vermittelt werden konnte und kann. Ihre Arbeitsunfähigkeit wäre vielmehr nur dann beseitigt gewesen, wenn sie ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Altenbegleiterin für Demenzkranke (Demenzbetreuerin) wieder hätte ausüben können oder wenn ihr der Gesundheitszustand eine "gleichartige Tätigkeit" erlaubt hätte. Dies war jedoch nicht der Fall.
Die Art der zuletzt ausgeübten Tätigkeit bestimmt sich nicht nur nach den Ausbildungsvoraussetzungen (Ausbildungsberuf/ungelernte Tätigkeit), der wirtschaftlichen Wertigkeit (Lohnhöhe) und den physischen und psychischen Belastungen (leicht/mittelschwer/schwer), sondern auch nach den Bedingungen und Merkmalen, die das Wesen der konkreten Beschäftigung ausmachen. Im Fall der Klägerin war die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch und im Besonderen durch den engen Kontakt und Umgang mit (meist alten) demenzkranken Menschen und deren Fürsorge und Betreuung geprägt. Im Hinblick auf diese wesentlichen Merkmale, die den Charakter und die Art der zuletzt konkret ausgeübten Tätigkeit ausgemacht haben, ist eine Tätigkeit, auf die die Klägerin zumutbar "verwiesen" werden könnte, nur dann eine Gleichartige, wenn es in dieser Tätigkeit auch um den Kontakt und Umgang, die Fürsorge und Betreuung mit (alten und kranken) Menschen geht. Von einer derartigen Gleichartigkeit sind die von der Beklagten für zumutbar erachteten Tätigkeiten wie Bote, Pförtner, Tankstellenkassierer (!) und Bürokraft weit entfernt. Aber auch die Tätigkeit einer hauswirtschaftlichen Kraft in einem Altenheim ist keine zumutbare Tätigkeit. Nach dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik Schomberg war (und ist) die Klägerin aus psychiatrischer Sicht für jegliche soziale oder pflegende Tätigkeit wegen der damit verbundenen Gefahr einer psychischen Dekompensation nicht mehr einsetzbar.
Im Hinblick auf diese Beurteilung der Leistungsfähigkeit, die auch der SMD teilt, ist für die Klägerin keine ihrer zuletzt ausgeübten Beschäftigung gleichartige Tätigkeit ersichtlich, auf die sie im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zumutbar verwiesen werden könnte mit der Folge, dass deshalb Arbeitsunfähigkeit entfiele. Diese Einschätzung hat die Beklagte selbst bis zum 24.03.2013 geteilt; es ist dies auch die Auffassung des SMD und nicht zuletzt des Mitarbeiters der Beklagten, der den Vermerk vom 14.03.2013 (Bl. 97 der Verwaltungsakte = Bl. 52 der Gerichtsakte) verfasst hat.
War die Klägerin somit über den 25.03.2013 hinaus arbeitsunfähig, so hatte sie Anspruch auf Krankengeld bis zu Erschöpfung der Anspruchshöchstdauer von 78 Wochen innerhalb des maßgeblichen 3-Jahres-Zeitraums (Blockfrist: 23.04.2012 bis 22.04.2015), das heißt bis zum 21.10.2013 (vgl. § 48 Abs. 1 SGB V).
Dem steht nicht entgegen, dass der behandelnde Facharzt R. die Arbeitsunfähigkeit auf dem Auszahlschein für Krankengeld zuletzt nur bis zum 29.03.2013 bescheinigt hatte. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte – bei gleicher medizinischer Befundeinschätzung – allein aus rechtlichen Gründen (geänderter Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit) das Krankengeld zum 24.03.2013 eingestellt. Hat der Vertragsarzt – wie im Fall der Klägerin der Arzt R. durch die zahlreichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und zuletzt die ausführliche Bescheinigung vom 11.04.2013 – eine "laufende" Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, so hängt der weitere Anspruch auf Krankengeld nicht davon ab, dass die Versicherte ihrer Krankenkasse das Fortbestehen ihrer Arbeitsunfähigkeit alle 14 Tage durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeit nachweist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.01.2011 – L 4 KR 446/09). Hatte die Krankenkasse das Krankengeld zu Unrecht eingestellt, so kann sie dem nachträglich erhobenen Leistungsbegehren nicht entgegenhalten, die Versicherte habe das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nicht im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V lückenlos "gemeldet" (BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R). Dies gilt umso mehr in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich am Krankheits- und Beschwerdezustand des Versicherten nichts geändert hat und das laufend seit Längerem bewilligte Krankengeld nur deshalb von der Krankenkasse eingestellt worden ist, weil diese – intern – ihre bisherige Rechtsauffassung zum Anknüpfungspunkt für die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit geändert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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