S 26 AS 1464/14 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Neuruppin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 AS 1464/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur gerechtfertigt, wenn tatsächliche Umstände glaubhaft gemacht werden, die für das Vorliegen einer existenziellen Notlage sprechen. Davon ist jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn (lediglich) um neun Prozent des jeweils maßgeblichen Regelbedarfes gestritten wird.
2. Auch bei einer „gemischten Bedarfsgemeinschaft“ stehen jedem erwachsenen hilfebedürftigen Leistungsberechtigten nur 90 Prozent des Regelbedarfes eines Alleinstehenden gemäß § 20 Abs 1 S 1 SGB II zu (Anschluss an BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 – B 8/9b SO 2/06 R, RdNr 14ff).
Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 14. Juli 2014 werden abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um die Gewährung von höheren laufenden (passiven) Leistungen nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) bzw nach den Bestimmungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII).

Die bei dem Sozialgericht Neuruppin am 14. Juli 2014 eingegangenen Anträge, mit denen die Antragsteller (sinngemäß) beantragen,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II sowie dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach den Bestimmungen des SGB XII jeweils unter Zugrundelegung des Regelbedarfes für einen Alleinstehenden zu gewähren,

haben keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 86b Abs 2 S 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteten Anträge sind zulässig, jedoch nicht begründet.

2. Die Anträge sind zulässig, insbesondere geht die Kammer zugunsten der Antragsteller derzeit noch von deren Prozessfähigkeit im Sinne des § 71 Abs 1 SGG aus und wartet insoweit die im Hauptsacheverfahren der Antragsteller – S 26 AS 977/11 – von Amts wegen durch die Einholung von fachpsychiatrischen Sachverständigengutachten bereits eingeleiteten medizinischen Ermittlungen zu dieser Frage ab.

3. Die danach zulässigen Anträge der Antragsteller sind jedoch unbegründet. Nach der genannten Vorschrift des § 86b Abs 2 S 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile – insbesondere einer existenziellen Notlage – nötig erscheint. Anordnungsgrund, dh die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, und Anordnungsanspruch, dh die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren begehrt wird, sind geltend und die zur Begründung erforderlichen Tatsachen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

a) Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt. Die Antragsteller haben bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht, so dass offen bleiben kann, in welchem Umfang ihnen überhaupt ein Anordnungsanspruch zur Seite stünde. Die Antragsteller haben nämlich insbesondere nicht dargetan, dass bei Nichtgewährung der erstrebten (um jeweils einen Betrag von 33,00 Euro erhöhten) Leistungen bei im Übrigen durchgängiger Gewährung existenzsichernder Leistungen an sie eine schier unerträgliche existenzielle Notlage eintritt oder fortwirkt, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen vermag (sog Anordnungsgrund). Bei dem von den Antragstellern insgesamt begehrten Betrag in Höhe von monatlich 66,00 EUR - der etwa einem Anteil von neun Prozent der für die Antragsteller addierten Regelleistung von 716,00 EUR entspricht (vgl § 20 Abs 1 und Abs 4, 5 S 1 SGB II iVm § 28a SGB XII iVm § 40 S 1 Nr 1 SGB XII iVm der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2014 (RBSFV 2014) vom 15. Oktober 2013, BGBl I 2013, 3856; BR-Drs 673/13) – geht die Kammer davon aus, dass kein besonderes Eilbedürfnis angenommen werden muss. Dieser Betrag liegt nämlich noch unterhalb der Höhe des entsprechend § 5 des Regelbedarfermittlungsgesetzes (RBEG) iVm der RBSFV 2014 im Regelbedarf enthaltenen Betrages der Abteilung 3 (Bekleidung und Schuhe), der Abteilung 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und – gegenstände), der Abteilung 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen) und der Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Dementsprechend genügen jedenfalls grundsätzlich nach wie vor 80 Prozent des Regelbedarfes, um den gegenwärtigen Bedarf zu befriedigen und eine Notlage abzuwenden (für einen Abschlag von bis zu sogar 30 Prozent: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. Februar 2006, – L 14 B 1157/05 AS ER, RdNr 10; für einen Abschlag von 20 Prozent: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007, - L 7 SO 5672/06 ER-B, RdNr 6; vgl auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 – L 29 B 1844/08 AS ER, RdNr 34, jeweils zitiert nach juris).

b) Schließlich verkennen die Antragsteller noch immer, dass eine einstweilige Anordnung nicht dazu dient, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen oder ein Tätigwerden eines Leistungsträgers zu erzwingen. Sie ist vielmehr nur dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, Breithaupt 2005, S 803 ff). Dies ist – wie ausgeführt – hier jedoch nicht der Fall. Die Beantwortung der von den Antragstellern im Einzelnen aufgeworfenen Fragen zur Höhe der ihnen zu gewährenden Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II bzw ggf des SGB XII muss daher der Entscheidung im Widerspruchsverfahren und in dem sich ggf anschließenden sozialgerichtlichen Klageverfahren vorbehalten bleiben, dessen Abwarten den Antragstellern zuzumuten ist. Im Übrigen sei nur der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass auch bei der Gewährung von Leistungen bei sog gemischten Bedarfsgemeinschaften – wobei zweifelhaft ist, ob von einer solchen mangels Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers hier überhaupt ausgegangen werden kann – jeder Ehegatte auch lediglich die Berücksichtigung von jeweils nur 90 Prozent des Regelbedarfes eines Alleinstehenden gemäß § 20 Abs 1 S 1 SGB II iVm der RBSFV 2014 beanspruchen könnte (vgl hierzu nur BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 – B 8/9b SO 2/06 R, RdNr 14ff, zitiert nach juris).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG; sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache, in der die Antragsteller vollumfänglich unterlagen. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Rechtsmittelbelehrung:
( ...)

D.
Richter am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
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