L 11 SB 178/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 SB 190/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 178/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40.

Zugunsten des 1980 geborenen Klägers hatte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2003 mit Wirkung vom 7. Februar 2001 einen GdB von 60 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:

- Anfallsleiden (Einzel-GdB: 40),

- Beeinträchtigung der Gehirnfunktion (Einzel-GdB: 30),

- Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes links, Teillähmung des Nervus fibularis links (Einzel-GdB: 20),

- Gebrauchseinschränkung des Armes links (Einzel-GdB: 20).

Hintergrund der Funktionsbeeinträchtigungen waren Gesundheitsstörungen, die der Kläger infolge eines Autounfalls am 7. Februar 2001 erlitten hatte. Nach stationären Behandlungen im Krankenhaus L und im Klinikum N war er am 26. Februar 2001 in das Unfallkrankenhaus verlegt worden, wo er bis zum 1. April 2001 stationär behandelt worden war. Vom 2. April bis 20. Juli 2001 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik K.

Ausweislich eines Arztbriefes des Unfallkrankenhauses vom 28. März 2001 wurde ein Polytrauma mit folgendem Verletzungsmuster diagnostiziert:

- schweres Schädelhirntrauma mit Kontusionsblutungen re.-occ., zerebellär bds., infratentoriellem Hirnödem, regredientem mäßigen aspontan-anamnestischen Psychosyndrom bei Hirnstammkontusion und symptomatischem Anfallsleiden;

- Mittelgesichtsfraktur;

- Beckenringfraktur, Beckenschaufelmehrfragmentfraktur links, ISG-Fugensprengung li., Acetabulumfraktur re., vordere Beckenringfraktur re.;

- traumatische Läsion des Plexus lumbosacralis li.;

- transkonduläre Humerusfraktur li.;

- traumatische Läsion des N. ulnaris li.;

- Bauchtrauma mit Mesenterialabriss, Zwerchfellruptur, Milzruptur;

- Hämatopneumothorax li.;

- Knietorsion mit traumatischer Öffnung der Bursa präpatellaris li.;

- OSG-Distorsion li.

Der Kläger wurde ausweislich des genannten Arztbriefes mehrfach operiert. Im Einzelnen erfolgten

- eine Laparotomie, eine Milzextirpation, eine Zwerchfell- und Mesenterialübernähung, eine Anlage eines Fixateur externa;

- eine percutane Tracheoburgierung;

- eine offene Reposition Beckenfraktur mit Plattenosteosynthese, offene Reposition des Humerus, Mehrfragmentfraktur;

- operative Versorgung des Jochbeinbogens li.;

- geschlossene Reposition der Ellenbogenluxation links, Transfixation in 110° mit einem Fixateur extern.

Bezogen auf das Anfallsleiden wurde in dem Arztbrief erklärt, am 20. März 2001 seien zwei generalisierte Krampfanfälle aufgetreten, woraufhin der Kläger mit Carbamazepin eingestellt worden sei. Kontroll-EEG´s hätten eine Besserung des direkt nach dem Krampfanfall erhobenen Befundes dokumentiert; eine CCT-Kontrolle habe keine neuen Aspekte ergeben.

Die mit dem Fall befasste Versorgungsärztin Dr. F erachtete in Bezug auf das Anfallsleiden eine Nachprüfung im März 2004 für notwendig.

Der Beklagte leitete im März 2004 ein Nachprüfungsverfahren ein. Er ging insbesondere nach Auswertung einer ärztlichen Auskunft der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. W und S vom 23. April 2004 von keiner wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes aus. Die genannten Ärzte hatten bestätigt, dass es seit Erstvorstellung bei ihnen zu keinen Anfällen mehr gekommen sei. Mit Teputal fühle sich der Kläger aber sicherer als ohne Medikation. Hiervon ausgehend kam die Versorgungsärztin Dr. F zu dem Schluss, der Einzel-GdB wegen des Anfallsleidens betrage nur noch 30, der Gesamt-GdB sei aber weiter mit 60 zu bewerten. Mit Schreiben an den Kläger vom 29. Juni 2004 teilte der Beklagte das wesentliche Ergebnis seiner Nachprüfung und seine Absicht mit, eine erneute Nachprüfung im April 2007 vorzunehmen.

Im April 2007 leitete der Beklagte eine Nachprüfung des GdB von Amts wegen ein. Grundlage für seine Beurteilung waren ärztliche Auskünfte der Ärztin für Innere Medizin Dr. M vom 18. Mai 2007, der Fachärztin für Augenheilkunde S vom 3. Dezember 2007 (Eingang bei dem Beklagten), der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde C vom 23. November 2007 und der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. F vom 9. Januar 2008. Daneben lagen der Beurteilung von dem Kläger eingereichte Gutachten für die H-Privatversicherungen zugrunde und zwar ein fachunfallchirurgisches Gutachten des Professors für Unfallchirurgie Prof. Dr. E vom 8. Oktober 2006 und ein neurologisches Zusatzgutachten des Direktors der Klinik für Neurologie mit Stroke Unit und Frührehabilitation des Unfallkrankenhauses PD Dr. H vom 11. Dezember 2006 nebst neuropsychologischem Befund der Diplom-Psychologin Dr. R vom 7. Dezember 2006.

Nach Einholung gutachtlicher Stellungnahmen bei Dr. F vom 25. Juni 2007 und dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K vom 31. Januar 2008 und entsprechender Anhörung des Klägers bereits mit Schreiben vom 4. Juli 2007 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2008 (abgesandt laut Absendevermerk am 6. Februar 2008) unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2003 bei dem Kläger ab dem 4. Februar 2008 nur noch einen GdB von 40 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB fest:

- Beeinträchtigung der Gehirnfunktion (20),

- Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes links; Teillähmung des N. peronaeus (20),

- Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes links; Teillähmung des N. ulnaris links – neu hinzugekommen – (20),

- Verlust der Milz – neu hinzugekommen - (10).

Das Anfallsleiden könne mit keinem Einzel-GdB mehr berücksichtigt werden.

Gegen den Bescheid des Beklagten legte der Kläger Widerspruch ein. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. W vom 21. Mai 2008 und erneuter Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 26. Mai 2008 wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 (abgesandt laut Absendevermerk am 10. Juni 2008) zurück. Zu dem Anfallsleiden führte der Beklagte aus, ein solches gelte als abgeklungen, wenn ohne Notwendigkeit der antikonvulsiven Therapie seit mindestens drei Jahren Anfallsfreiheit bestehe. Hier bestehe Anfallsfreiheit ohne Notwendigkeit der weiteren Medikation seit 2002.

Hiergegen hat der Kläger am 9. Juli 2008 Klage erhoben mit dem Begehren, unter Abänderung des Bescheides vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 zu seinen Gunsten einen GdB von 50 festzustellen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei der Internistin Dr. M vom 3. Februar 2009, dem Facharzt für Orthopädie Dr. S vom 12. Februar 2009 und dem Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums N W vom 24. Februar 2009 und vom 29. September 2009 eingeholt und medizinische Unterlagen bei dem Unfallkrankenhaus beigezogen.

Anschließend hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 24. Februar 2010 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 12. Februar 2010 erstellt hat und in dem er zu folgender Einschätzung gelangt ist: Der GdB bei dem Kläger betrage seit Februar 2008 40. Ihm zugrunde lägen

- eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion, psychische Beeinträchtigung (Einzel-GdB: 20),

- eine Bewegungseinschränkung des linken Armes und der linken Hand (Einzel-GdB: 20),

- eine Funktionsbehinderung des linken Beines (Einzel-GdB: 20) und

- eine Entfernung der Milz (Einzel-GdB: 10).

Im Einzelnen hat der Sachverständige ausgeführt, die leichte kognitive Störung und die psychischen Störungen (posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Episode) seien als leicht ausgeprägt anzusehen. Testpsychologisch hätten sich nur geringe Einschränkungen bei den kognitiven Funktionen, speziell im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses, gefunden. Auch die beklagten Ängste und Stimmungsschwankungen führten zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung des Klägers in seiner alltäglichen Lebens- und Gestaltungsfähigkeit. Die Funktionsbehinderung im linken Bein mit geringfügiger Fußheberparese als leicht ausgeprägtes Defektsyndrom der aufgetretenen Läsion des Plexus lumbosacralis sei mit 20 zu bewerten. Die Funktionsbehinderung im linken Arm mit Bewegungseinschränkung beim Anheben des Armes im Schultergelenk über 90°, dem Streckdefizit im linken Ellenbogengelenk (nur bis ca. 135° möglich) sowie eine diskrete Schwäche der vom linken N. ulnaris innervierten Handmuskulatur einschließlich Gefühlsminderung der Finger 4 und 5 sowie der Handaußenkante seien mit 20 zu bewerten. Aus einem beklagten eingeschränkten Geruchssinn, unter Stressbedingungen auftretendem Ohrenrauschen und einer korrigierbaren Sehstörung (Astigmatismus; Amblyopie) lasse sich ebenso wenig ein GdB ableiten wie aus den beklagten Wirbelsäulenbeschwerden. Im Verhältnis zu den Feststellungen des Beklagten mit Bescheid vom 28. April 2003 sei das Anfallsleiden abgeklungen und hätten sich die hirnorganischen Veränderungen verbessert.

Den Antrag des Klägers, ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei dem Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeuten Dr. H einzuholen, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2010 abgelehnt.

Die auf Aufhebung des Bescheides vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 gerichtete Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 15. Juni 2010 abgewiesen. Der GdB zum hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt im Juni 2008 betrage nur noch 40, was sich insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S, aber auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. E vom 8. Oktober 2006 ergebe.

Gegen das ihm am 24. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Juli 2010 Berufung eingelegt, mit der er die Feststellung eines GdB von wenigstens 50 begehrt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeuten Dr. H vom 5. Juli 2013 nebst neuropsychologischem Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin S vom 28. März 2013 eingeholt. Die Diplom-Psychologin hat den Kläger am 22. März 2013, der Sachverständige den Kläger am 10. Juni 2013 ambulant untersucht. Der Sachverständige Dr. H ist zu der Einschätzung gelangt, der GdB sei am 13. Juni 2008 mit 70 zu bemessen gewesen. Im Einzelnen hat er Folgendes ausgeführt:

Die posttraumatische Belastungsstörung nach schwerem Verkehrsunfall und die rezidivierende depressive Störung seien als schwer "bzw." mittelgradig ausgeprägt anzusehen und führten zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Klägers in seiner alltäglichen Lebens- und Gestaltungsfähigkeit. Sie seien daher insgesamt mit einer GdB von 60 zu bemessen. Die leichte kognitive Störung sei als sehr leicht ausgeprägt anzusehen. Testpsychologisch hätten sich nur geringe Einschränkungen bei den kognitiven Funktionen, speziell im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses, gefunden, woraus sich kein GdB von wenigstens 10 ableiten lasse. Der Zustand nach nachgewiesenem Hirnschaden ohne hirnorganische Funktionsstörung und Leistungsbeeinträchtigung führe zu einem Einzel-GdB in Höhe von 20. Die Funktionsbehinderungen infolge inkompletter Läsion des Plexus lumbosacralis mit geringfügiger Fußheberparese im Sinne eines leicht ausgeprägten Defektsyndroms führten zu einem Einzel-GdB von 20. Die Funktionsbehinderung im linken Arm mit Bewegungseinschränkungen beim Anheben des Armes im Schultergelenk über 90°, ein Streckdefizit im linken Ellenbogengelenk (bis ca. 135° möglich) sowie die diskrete Schwäche der linken vom N. ulnarisinnervierten Handmuskulatur und die Gefühlsminderung der Finger 4 und 5 und der Außenkante infolge einer Läsion des N. ulnaris links im Ellenbogenverlauf führten zu einem Einzel-GdB von 20. Der Verlust der Milz sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der subjektiv eingeschränkte Geruchssinn, die unter Stressbedingungen auftretenden Ohrgeräusche und die korrigierbare Sehstörung seien mit keinem GdB von wenigstens von 10 zu bewerten. Als gravierendste Behinderung müsse "die psychiatrische Störung, posttraumatische Belastungsstörung (ICD- F.43.1 G) bzw. rezidivierende depressive Störung, in sicher mittelgradiger Ausprägung (ICD-10; F33.1 G), mit einer Einzel-GdB von 60 % zugrunde gelegt werden". Durch die leichteren psychischen und körperlichen Störungen könne es zu einer wechselseitigen Verstärkung und Potenzierung der Beschwerden kommen. Eine derartige wechselseitige Verstärkung und Potenzierung der psychischen Störung sei bei dem Kläger im Verlauf anzunehmen. Somit sei "die psychische Störung insgesamt gesehen mit einem Gesamt-GdB von 70 % zu bewerten". Er, der Sachverständige, weiche mit seinen Feststellungen von den Diagnosen und Bewertungen des Vorgutachters ab. Aus seiner Sicht seien "aufgrund der bestehenden Behinderungen, insbesondere der psychischen Störungen, posttraumatische Belastungsstörung (ICD- F.43.1 G), schwer, bzw. rezidivierende depressive Störung, in sicher mittelgradiger Ausprägung (ICD-10; F33.1 G), die sozialen Anpassungsschwierigkeiten" seines Erachtens mit sicher mittelgradig zu bewerten. Diese psychischen Veränderungen verursachten berufliche Probleme und eine weitere Tätigkeit sei grundsätzlich noch möglich. Durch die körperlichen und psychischen Veränderungen sei jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt. Daraus ergäben sich schon erhebliche persönliche und berufliche Probleme. Anamnestisch hätten sich schon nach dem Unfall erhebliche schwerwiegende Probleme, zum Beispiel Trennung von der Partnerin und im weiteren Verlauf immer wieder berufliche Probleme und dadurch zum Teil auch bedingt immer wieder Partnerkonflikte und Probleme im Freundes- und Bekanntenkreis ergeben. Hauptgrund für die Abweichung von dem Vorgutachter seien die anamnestischen Angaben und der klinische Befund des Klägers und insbesondere der Befundbericht des Klinikums N vom 24. Februar 2009. Im Anschluss hat der Sachverständige über zweieinhalb Seiten diesen Befundbericht für das Sozialgericht vom 24. Februar 2009 wiedergegeben.

Der Beklagte hat eine gutachtliche Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. H vom 2. Oktober 2013 zu den Gerichtsakten gereicht. Dessen Anregung entsprechend hat der Senat von dem Kläger einen Entlassungsbericht der Lklinik vom 14. März 2013 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme des Klägers vom 13. Februar bis 6. März 2013 zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung angefordert.

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 6. November 2014 seinen Bescheid insoweit aufgehoben, als dieser den GdB bereits für die Zeit vom 4. Februar 2008 bis zum 8. Februar 2008 auf 40 abgesenkt hat. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juni 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 6. November 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die reine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative des SGG. Denn angegriffen ist der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 6. November 2014. In Bezug auf die Absenkung des GdB von 60 auf 40 erschöpft sich der Bescheid in der teilweisen Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (hier des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2003). Würde der angefochtene Bescheid insoweit aufgehoben, lebte der ursprüngliche Feststellungs(widerspruchs)bescheid vom 28. April 2003 wieder auf, soweit mit diesem ein GdB von 60 festgestellt worden ist.

Die Klage ist auch nicht unzulässig, weil die Absenkung des GdB auf 50 bestandskräftig gemäß § 77 SGG geworden sein könnte. Zwar hat der Kläger mit seiner Klageschrift – wohl in der irrigen Annahme, eine Verpflichtungsklage sei statthaft – nur die Feststellung eines GdB von 50 begehrt, woraus – übertragen auf die "richtige" Klageart der Anfechtungsklage – nur eine teilweise Anfechtung des streitgegenständlichen Bescheides folgen würde. Der Kläger hat aber im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht bei Umstellung seines Begehrens auf die reine Anfechtungsklage die vollständige Aufhebung des Bescheides vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 beantragt. Insoweit liegt lediglich eine Erweiterung des Klageantrages in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG vor, der eine teilweise Bestandskraft der angefochtenen Verwaltungsentscheidung nicht entgegengehalten werden kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 12. Dezember 1995 - 9 BVs 28/95; a. A. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. September 2014 - L 13 SB 171/13; in die gleiche Richtung wie hier auch BSG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 7 RAr 13/82: danach folge aus § 99 SGG, dass für eine zulässige Klageerweiterung eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Leistungsantrag nicht erforderlich sei; letztere Entscheidung bestätigt in BSG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 22/89; vgl. auch BSG, Urteil vom 26. September 1972 - 12 RJ 10/72: zulässige Klageerweiterung gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG bei erstmals in der Berufungsinstanz begehrter Erwerbsunfähigkeitsrente, nachdem beim Sozialgericht nur eine Berufsunfähigkeitsrente beantragt worden war; alle Entscheidungen bei juris). Neben den zitierten Entscheidungen des BSG spricht für die hier vertretene Rechtsauffassung auch ein Urteil des 9. Senats des BSG vom 6. Oktober 1977 (9 RV 66/76; auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2002 - L 18 VS 13/02 - beide bei juris). Darin hatte der Kläger bei Klageerhebung eine Rente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v. H. begehrt, erweiterte seine Klage dann aber insoweit, als er eine Rente nach einem Grad der MdE von 70 v. H. begehrte. Die Frage der Zulässigkeit der Erweiterung des Begehrens "von 50 auf 70" erörterte das BSG im Grunde überhaupt nicht, ging aber offenkundig insoweit von der Zulässigkeit der Klageerweiterung aus.

Die auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage und damit auch die Berufung sind indes unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Denn der Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 6. November 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist dabei der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 erlassen hat (vgl. nur Urteil des Senats vom 23. Juni 2011 - L 11 SB 374/09 – juris). Allerdings ist nicht auf das Bescheiddatum – hier des Widerspruchsbescheides – abzustellen. Denn "erlassen" worden im obigen Sinne ist der Widerspruchsbescheid erst mit seiner Wirksamkeit, die gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erst mit der Bekanntgabe eintritt. Bekannt gegeben worden ist der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 nach der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorliegend am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post. Zur Post aufgegeben worden ist der Widerspruchsbescheid am 10. Juni 2008, so dass die Bekanntgabe hier am 13. Juni 2008 eingetreten ist. Dass der Widerspruchsbescheid dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 11. Juni 2008 zugegangen ist, ist unmaßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 12/09 R – juris). Ist demnach hier grundsätzlich der 13. Juni 2008 maßgeblicher Prüfungszeitpunkt, ist die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides aber nicht auf diesen Zeitpunkt beschränkt. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass maßgeblicher Prüfungszeitpunkt der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ist, jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art mit der Maßgabe, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Behördenentscheidung auch bereits ab dem Zeitpunkt zu prüfen ist, ab dem sie sich zeitlich Wirksamkeit beimisst. Denn der dargestellte Grundsatz über den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt ist im Wesentlichen für behördliche Belastungen aufgestellt worden, deren genauer Wirksamkeitsbeginn unmaßgeblich ist. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn der Beklagte hat die Absenkung des GdB nach seinem Teilanerkenntnis mit Wirkung ab 9. Februar 2008 verfügt. Soll die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts also umfassend sein, ist bereits der Zeitraum ab dem 9. Februar 2008 in den Blick zu nehmen. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung erstreckt sich demnach hier auf den Zeitraum vom 9. Februar 2008 bis zum 13. Juni 2008.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hat sich sein Gesundheitszustand soweit verbessert, dass ein GdB von mehr als 40 im oben genannten Zeitraum nicht mehr festzustellen war.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des zum 30. Juni 2001 außer Kraft getretenen Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) und nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wobei nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046) und seit der Änderung durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) zum 1. Mai 2004 nach § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Prüfung, welcher GdB festzustellen war, waren zum Zeitpunkt der Erstfeststellung zum 7. Februar 2001 seinerzeit noch die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 1996 (AHP 1996) heranzuziehen. Für den oben skizzierten Überprüfungszeitraum ist hingegen auf die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) (hier AHP 2008) zurückzugreifen. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R -, bestätigt in BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R – beide bei juris), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die jeweils einschlägigen AHP stützt.

Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 4 Abs. 3 Satz 1 SchwbG und nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 19 AHP 1996 und 2008 die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4 AHP 2008, Seite 24 ff.; Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4 AHP 1996, Seite 33 ff.).

Der GdB bei dem Kläger war nach Maßgabe der AHP 1996 durch Widerspruchsbescheid vom 28. April 2003 zutreffend mit 60 bewertet und nach Maßgabe der AHP 2008 zutreffend auf 40 abgesenkt worden. Im Vordergrund stehen dabei hier das Anfallsleiden einerseits und die Beeinträchtigung der Gehirnfunktion andererseits.

Das Anfallsleiden war ursprünglich mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Einschlägig ist hier Teil A Nr. 26.3 AHP 1996, S. 55 f. Danach sind epileptische Anfälle, die sehr selten (generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von mehr als einem Jahr; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten) auftreten, mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Hier hatte der Kläger am 20. März 2001 zwei generalisierte Krampfanfälle erlitten, die sich indes nicht wiederholt haben und somit ohne weiteres als "sehr selten" im Sinne der einschlägigen Ziffer der AHP 1996 anzusehen ist. Nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung ist der GdB nach Teil A Nr. 26.3 AHP 1996, S. 56, und Teil A Nr. 26.3 AHP 2008, S. 43, mit 30 zu bewerten. Ein Anfallsleiden gilt danach als abgeklungen, wenn ohne Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht. Ohne nachgewiesenen Hirnschaden ist dann kein GdB mehr anzunehmen. Hier hatte der Kläger – wie dargelegt – nach dem 20. März 2001 keinen Anfall mehr erlitten. Die medikamentöse Therapie wurde nach Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter PD Dr. H ca. zwei Jahre nach Entlassung aus der stationären Behandlung – also jedenfalls im Laufe des Jahres 2003 – ausgeschlichen, so dass der Drei-Jahreszeitraum jedenfalls mit Ende des Jahres 2006 abgelaufen war und das Anfallsleiden im streitigen Prüfungszeitraum mit keinem Einzel-GdB mehr bewertet werden konnte.

Allein der Wegfall des Anfallsleidens und der damit verbundene Wegfall des Einzel-GdB von 40 rechtfertigen hier die Absenkung des GdB von 60 auf 40. Dabei vermag der Senat zwar in Bezug auf die übrigen Leiden keine wesentlichen Veränderungen festzustellen. Sie sind aber im streitigen Zeitraum durchgehend mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bewerten. Zugrunde zu legen sind dabei die von dem Beklagten im Bescheid vom 4. Februar 2008 genannten Funktionsbeeinträchtigungen, die bei dem Kläger in ihrer Gesamtschau im streitigen Prüfungszeitraum nicht mehr die Beibehaltung des Schwerbehindertenstatus rechtfertigen.

Dabei ist die Beeinträchtigung der Gehirnfunktion durchgehend mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Nach Teil A Nr. 26.3 AHP 1996, S. 51 ff., und Teil A Nr. 26.3 AHP 2008, S. 40 ff., gilt für Hirnschäden (auszugsweise) Folgendes:

Hirnbeschädigte sind behinderte Menschen [AHP 1996: Behinderte], bei denen das Gehirn in seiner Entwicklung gestört wurde oder durch äußere Gewalteinwirkung, Krankheit, toxische Einflüsse oder Störungen der Blutversorgung organische Veränderungen erlitten und nachweisbar behalten hat.

Als nachgewiesen ist ein solcher Hirnschaden anzusehen, wenn Symptome einer organischen Veränderung des Gehirns - nach Verletzung oder Krankheit nach dem Abklingen der akuten Phase - festgestellt worden sind; dies gilt auch, wenn bei späteren Untersuchungen keine hirnorganischen Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen mehr zu erkennen sind (GdB dann - auch unter Einschluss geringer z.B. vegetativer Beschwerden - 20; nach offenen Hirnverletzungen nicht unter 30).

Bestimmend für die Beurteilung des GdB ist das Ausmaß der bleibenden Ausfallserscheinungen. Dabei sind der neurologische Befund, die Ausfallserscheinungen im psychischen Bereich unter Würdigung der prämorbiden Persönlichkeit und ggf. das Auftreten von zerebralen Anfällen zu beachten. Bei der Mannigfaltigkeit der Folgezustände von Hirnschädigungen kommen für die GdB-Beurteilung Sätze zwischen 20 und 100 in Betracht.

Bei der folgenden GdB-Tabelle der Hirnschäden soll die unter A. genannte Gesamtbewertung im Vordergrund stehen. Die unter B. angeführten isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndrome stellen eine ergänzende Hilfe zur Beurteilung dar.

Nach A. gelten folgende Grundsätze der Gesamtbewertung von Hirnschäden:

- Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung 30-40,

- Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung 50-60,

- Hirnschäden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung 70-100.

Unter B. ist die Bewertung von Hirnschäden mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen geregelt. Unter "Organisch-psychische Störungen" heißt es:

Hierbei wird zwischen hirnorganischen Allgemeinsymptomen, intellektuellem Abbau (Demenz) und hirnorganischen Persönlichkeitsveränderungen unterschieden, die jedoch oft kombiniert sind und fließende Übergänge zeigen können.

Zu den hirnorganischen Allgemeinsymptomen ("Hirnleistungsschwäche") werden vor allem Beeinträchtigungen der Merkfähigkeit und der Konzentration, Reizbarkeit, Erregbarkeit, vorzeitige Ermüdbarkeit, Einbuße an Überschau- und Umstellungsvermögen und psychovegetative Labilität (z.B. Kopfschmerzen, vasomotorische Störungen, Schlafstörungen, affektive Labilität) gerechnet.

Die hirnorganische Persönlichkeitsveränderung ("hirnorganische Wesensänderung") wird von einer Verarmung und Vergröberung der Persönlichkeit mit Störungen des Antriebs, der Stimmungslage und der Emotionalität, mit Einschränkung des Kritikvermögens und des Umweltkontaktes sowie mit Akzentuierungen besonderer Persönlichkeitseigenarten bestimmt.

Auf der Basis der organisch-psychischen Veränderungen entwickeln sich nicht selten zusätzliche psychoreaktive Störungen.

Hirnschäden mit psychischen Störungen sind wie folgt zu bewerten:

- leicht (im Alltag sich gering auswirkend) 30-40, - mittelgradig (im Alltag sich deutlich auswirkend) 50-60, - schwer 70-100.

Hirnschäden mit kognitiven Leistungsstörungen (z.B. Aphasie, Apraxie, Agnosie) sind wie folgt zu bewerten:

- leicht (z.B. Restaphasie) 30 – 40, - mittelgradig (z.B. Aphasie mit deutlicher bis sehr ausgeprägter Kommunikationsstörung) 50 – 80, - schwer (z.B. globale Aphasie) 90 – 100.

Hier lagen bei dem Kläger Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung vor, die nach den Grundsätzen für die Gesamtbewertung von Hirnschäden mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten waren. Kognitive und psychische Störungen führen hier zu keiner anderen Bewertung. Denn jeweils liegen sie in nur leichter Ausprägung vor, so dass eine höhere Bewertung als mit einem Einzel-GdB von 30 nicht in Betracht kommt.

Die Bewertung der Hirnschäden mit einem Einzel-GdB von 30 mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2003 war zutreffend. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der medizinischen Unterlagen und vor allem aus dem psychiatrischen Rentengutachten von Dr. K vom 25. September 2002, das in zeitlicher Nähe zur Erstfeststellung des GdB erstellt worden ist und das daher von besonderer Aussagekraft ist. Dr. K diagnostizierte neben dem Zustand nach Schädelhirntrauma mit Polytrauma eine leichte kognitive Störung nach Schädelhirntrauma. Diese Einschätzung überzeugt, weil die Gutachterin im Mini Mental Status Test nur für den Bereich der Erinnerungsfähigkeit eine diskrete Beeinträchtigung hat feststellen können (2 von 3 Punkten). Zudem befindet sie sich in Übereinstimmung mit der Beurteilung in dem Reha-Entlassungsbericht vom 2. August 2001 über die stationäre Reha-Maßnahme in der Rehaklinik K. Darin wurden bei normgerechtem intellektuellen Leistungsvermögen leichte Einschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeitsfunktionen festgestellt. Nennenswerte psychische Beeinträchtigungen ergaben sich zum Erstfeststellungszeitpunkt nicht. Die im Reha-Entlassungsbericht vom 2. August 2001 insoweit mitgeteilten Befunde – leicht geminderter Antrieb, leichte Depressivität – rechtfertigen jedenfalls nicht die Annahme eines höheren Einzel-GdB als 30.

Der Hirnschaden war auch im streitigen Prüfungszeitraum mit keinem höheren Einzel-GdB als 30 zu bewerten. Auch dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der aktenkundigen Befunde, wobei hier von besonderer Bedeutung ein neuropsychologischer Befund vom 7. Dezember 2006 ist, der im Rahmen einer Begutachtung für die H-Privatversicherungen erstellt worden ist. Die den Befund erhebende Diplom-Psychologin Dr. R teilte hier lediglich eine leicht verminderte Kurzzeitgedächtnisspanne mit, wobei sich Störungen der Aufmerksamkeit und des Denkens zurückgebildet hätten. Der Sachverständige Dr. S hat in seiner Untersuchung des Klägers am 12. Februar 2010 ebenfalls nur sehr geringe kognitive Beeinträchtigungen feststellen können. Namentlich hat der Kläger im DemTect 17 von 18 Punkten erreicht, was letztlich einer altersgemäßen kognitiven Leistungsfähigkeit entspricht. Die psychischen Beeinträchtigungen rechtfertigen im Rahmen des Hirnschadens im hier maßgeblichen Prüfungszeitraum ebenfalls keinen höheren Einzel-GdB als 30, weil insoweit nur Hirnschäden mit psychischen Störungen, leicht (im Alltag sich gering auswirkend), vorliegen.

Bewertet man die psychischen Störungen ohne die Hirnschäden isoliert, so sind diese nach Teil A Nr. 26.3 AHP 2008, S. 48, als leichtere psychische und psychovegetative Störungen mit keinem höheren Einzel-GdB als 20 zu bewerten. Auch insoweit wäre zusammen mit den Hirnschäden nur ein "kleiner" Gesamt-GdB von 30 zu bilden. Der Beklagte hatte im Rahmen des Absenkungsverfahrens keinen Anlass, psychische Störungen des Klägers in den Blick zu nehmen. Denn über psychische Leiden und seine Behandlung in der Klinik für Psychiatrie des Klinikums N hatte der Kläger den Beklagten nicht in Kenntnis gesetzt, sondern in einem Schriftsatz an den Beklagten vom 8. November 2007 lediglich seine behandelnden Augen- und HNO-Ärzte sowie den neurologischen Gutachter PD Dr. H mitgeteilt. Auch in seinem Widerspruchsschreiben vom 22. Februar 2008 hatte er den Beklagten über eine psychiatrische Behandlung nicht in Kenntnis gesetzt, was dafür sprechen könnte, dass der Kläger selbst seine psychischen Leiden nicht als erheblich ansah. Der Befundbericht der Klinik für Psychiatrie des Klinikums N für das Sozialgericht vom 24. Februar 2009 enthält zwar Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im Dezember 2006 eine Verschlimmerung seines psychischen Zustandes erlitten haben dürfte. Nach einer Verbesserung des Zustandes im Jahr 2007 wird insoweit eine Befindensverschlechterung im Jahr 2008 mitgeteilt bei Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nach schwerem Verkehrsunfall mit lebensbedrohlichen Verletzungen. Psychische Störungen, die im Sinne des Teils A Nr. 17 der AHP 2008 länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abgewichen sind und die mit einem GdB von mehr als 20 zu bewerten gewesen sein könnten, ergeben sich aus dem genannten Befundbericht in der Gesamtschau mit weiteren medizinischen Unterlagen aber für den maßgeblichen Prüfungszeitraum nicht. Denn soweit sich der psychische Zustand rezidivierend verschlechtert hat, war er einer psychotherapeutischen Behandlung zugänglich, die offenbar auch erfolgreich gewesen ist. Dies wird in dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S bestätigt. Ausweislich der darin niedergelegten medizinischen Anamnese hat der Kläger lediglich Stimmungsschwankungen mit Grübelneigung und Ängsten mitgeteilt, weswegen er vor drei Jahren eine Psychotherapie absolviert habe. Er habe häufig gegrübelt und unter Schlafstörungen gelitten. Durch die Psychotherapie sei es zu einer Beschwerdebesserung gekommen. Durch Aufnahme einer Umschulung (im Jahr 2007 zum Elektrotechniker für luftfahrtechnische Systeme) sei er abgelenkt worden und hätten die Beschwerden dadurch nachgelassen. Ängste und Stimmungsschwankungen seien im Vorfeld anstehender Prüfungen und nach Abschluss der Ausbildung infolge bis heute ungeklärter Arbeitsplatzsituation wieder aufgetreten. Er habe dann auch weniger Appetit und leide mitunter unter funktionellem Magenbeschwerden. Aus dieser Beschwerdeschilderung ergeben sich zur Überzeugung des Senats nur leichtere psychische und psychovegetative Störungen und keine stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Diese Einschätzung wird bestätigt durch den in dem Gutachten von Dr. S mitgeteilten psychischen Untersuchungsbefund, nach dem sich bei nachvollziehbaren Zukunftsängsten keine Hinweise auf sozialen Rückzug oder Isolierung ergeben hätten. Die pessimistischen Äußerungen des Klägers und dessen Grübelneigung rechtfertigen nicht die Annahme stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Dass der psychische Untersuchungsbefund dabei außerhalb des hier maßgeblichen Prüfungszeitraumes erhoben worden ist, verkennt der Senat zwar nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die hier allein maßgeblichen Funktionsbeeinträchtigungen in dem Prüfungszeitraum im Sinne eines dauerhaften Leidens schwerwiegender gewesen sind, ergeben sich aber auch nicht aus dem Befundbericht der Klinik für Psychiatrie des Klinikums N für das Sozialgericht vom 24. Februar 2009. Demgemäß folgt der Senat auch nicht der Einschätzung des Sachverständigen Dr. H in dessen Gutachten für den Senat. Die Annahme einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist mindestens für den hier maßgeblichen Prüfungszeitraum bei den aktenkundigen Funktionsbeeinträchtigungen fernliegend. Soweit der Sachverständige in der Begründung für seine abweichende Beurteilung letztlich "ungefiltert" den Befundbericht der Klinik für Psychiatrie des Klinikums N für das Sozialgericht vom 24. Februar 2009 wiedergibt, vermag dies ersichtlich eine eigenständige Begründung nicht zu ersetzen, zumal sich der Sachverständige wenigstens mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. S sowie mit der Frage hätte auseinandersetzen müssen, inwieweit bei dem Kläger tatsächlich ein Dauerleiden und nicht lediglich ein vorübergehendes und einer Behandlung zugängliches Leiden vorgelegen hat.

Der Gesamt-GdB ist demnach im streitigen Prüfungszeitraum bei der mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertenden Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, gegebenenfalls einem Einzel-GdB für leichtere psychische und psychovegetative Störungen von allenfalls 20 und den weiteren in ihrer Bewertung unstreitigen Leiden, nämlich einer Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes links; Teillähmung des N. peronaeus (Einzel-GdB: 20), einer Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes links; Teillähmung des N. ulnaris links (Einzel-GdB: 20) und dem Verlust der Milz (Einzel-GdB: 10), mit 40 angemessen bewertet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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