L 2 AS 407/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 4278/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 407/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.01.2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Der Klägerin werden Kosten gem. § 192 SGG in Höhe von 225,00 Euro auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 03.12.2014 wird abgelehnt.

Tatbestand:

Streitig ist die Förderung der Klägerin aus dem Vermittlungsbudget für die Anbahnung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. schulischen Ausbildung durch Versorgung der Klägerin mittels Sonderanfertigung einer Gleitsichtbrille mit zwei Prismengläsern rechts und links zur Gleitsicht und Fernsicht mit Einschleifen in eine vorhandene Fassung.

Die am 00.00.1966 geborene Klägerin ist ihren Angaben nach gelernte Diätassistentin. Seit dem 25.04.2011 arbeitslos, steht sie aufgrund der Besonderheiten ihres Einzelfalls gegenüber dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende auf Darlehensbasis. Sie arbeitet ihren Angaben nach für eine Kirchengemeinde als Reinigungskraft und Küsterin im Umfang von 9,75 Stunden wöchentlich. Aufgrund der bei ihr angeborenen Sehstörung wurde ihr von der Firma B GmbH & Co. KG in H am 28.05.2011 ein Kostenvoranschlag für die Sonderanfertigung einer Gleitsichtbrille gemacht. Dieser Voranschlag bezieht sich auf zwei Prismengläser rechts und links zur Gleitsicht und Fernsicht mit Einschleifen in eine vorhandene Fassung über insgesamt 1.115,80 EUR. Mit Bescheid vom 29.06.2011 hat die Barmer/GEK als gesetzliche Krankenversicherung für diese Hilfsmittelversorgung als Zuschuss für zwei Brillengläser mit Prisma einen Betrag von 132,24 EUR übernommen. Von der Klägerin sei ein Eigenanteil zzgl. Zuzahlung in Höhe von 983,56 EUR selbst zu tragen. Dagegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 hat die Barmer/GEK den Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen hat die Klägerin zum Sozialgericht Köln (S 34 KR 807/13) Klage erhoben. Gegen den Prozesskostenhilfe (PKH) ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 25.06.2014 hat die Klägerin zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) Beschwerde eingelegt (L 16 KR 466/14 B). Mit Beschluss vom 03.09.2014 hat das LSG die Beschwerde zurück gewiesen. Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Köln biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Unter Beachtung von Hilfsmittel-Richtlinie und Festbetragsfestsetzung habe die gesetzliche Krankenversicherung zu Recht keinen höheren Zuschussbetrag festgesetzt.

Am 22.07.2012 hat die Klägerin bei dem Beklagten eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget für die Anbahnung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. schulischen Ausbildung beantragt. Für die beabsichtigte Aufnahme einer Arbeit als Diätassistentin bzw. einer Umschulung/Rehabilitation gemäß amtsärztlicher Untersuchung benötige sie die Prismenbrillengläser gemäß Kostenvoranschlag vom 28.05.2011. Sie sei durch die Übernahme der Eigenleistung in Höhe von 983,56 EUR zu fördern. Mit Bescheid vom 20.09.2012 hat der Beklagte den Antrag abgelehnt. Die begehrte Versorgung falle in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Kosten für eine normale Brille seien nicht förderungsfähig. Die Förderung einer Arbeitsschutzbrille sei nicht beantragt worden. Dagegen hat die Klägerin mit der Begründung Widerspruch erhoben, die Versorgung mit Prismengläsern sei für sie zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben sowie aber auch zur Berufsausübung erforderlich. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2012 zurückgewiesen.

Zur Begründung der dagegen zum Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin behauptet, wegen ihrer Sehprobleme die ihr verordneten besonderen Brillengläser zu benötigen. Nur durch die Benutzung dieser Augengläser sei sie in der Lage, ihre Umgebung und auch entsprechende Schriftstücke wahrzunehmen. Auch könne sie ohne diese Sehhilfe nicht über einen längeren Zeitraum Texte zur Kenntnis nehmen. Ohne diese Brille sei sie hilflos. Nach der ursprünglichen Versorgung mit jeweils einer Brille für den Nah- und Fernbereich sie sie nunmehr mit einer Gleitsichtbrille mit Prismengläsern für den Nah- und Fernbereich versorgt, benötige aber eine Anpassung an ihre geänderte Sehschärfe.

Der Beklagte hat die angefochtenen Entscheidungen verteidigt. Den eigenen Angaben der Klägerin nach diene die begehrte Förderung zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse. Die Klägerin benötige die Brille im alltäglichen Leben. Es handele sich um ein medizinisches Hilfsmittel, das in die Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung falle.

Mit Urteil vom 07.01.2014 (der Klägerin am 05.02.2014 zugestellt) hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne zur Versorgung mit den streitgegenständlichen Brillengläsern nicht aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden. Die begehrte Versorgung sei für die berufliche Eingliederung nicht notwendig. Sie diene auch nicht zur Förderung der Teilnahme am Arbeitsleben für behinderte Menschen. Das dem Beklagten eingeräumte Entscheidungsermessen sei nicht auf Null reduziert. Die an einer angeborenen Sehstörung leidende Klägerin würde die Brillengläser mit Prisma nicht nur zur Berufsausübung, sondern wesentlich zur Teilhabe am soziokulturellen Leben überhaupt einsetzen wollen. Für die begehrte Versorgung sei die gesetzliche Krankenversicherung zuständig. Diese fördere bereits die Versorgung mit einem Zuschuss in Höhe von 132,24 EUR. Zur Frage der Höhe des Zuschusses sei ein Rechtsstreit gegen die Krankenversicherung vor dem SG anhängig. Da die begehrte Gleitsichtbrille für die Benutzung im Nah- und Fernbereich lediglich dazu diene, den Wechsel zwischen einer Brille für den Nah- und einer Brille für den Fernbereich zu ersetzen, diene die Gleitsichtbrille zum Basisausgleich einer Behinderung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und werde nicht speziell, anders als eine Arbeitsschutzbrille, für die Berufsausübung benötigt. Anspruch auf zuschussweise Übernahme der Kosten durch den Beklagten bestehe nicht. Die Anschaffung einer Gleitsichtbrille sei kein unabweisbarer Bedarf. Zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz genüge die Anschaffung von zwei Brillen, jeweils für den Nah- und Fernbereich. Die Gewährung von Mehrbedarf komme nicht in Betracht. Bei der Anschaffung einer Brille handele es sich um einen einmaligen Bedarf.

Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung (Eingang 05.03.2014) wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen. Um überhaupt am Leben teilnehmen zu können, benötige sie eine Gleitsichtbrille mit Prisengläsern nach optometrischer Untersuchung. Auch sei die Förderung der begehrten Versorgung günstiger. Nach zwischenzeitlich eingeholter weiterer Kostenvoranschläge würde die begehrte Gleitsichtbrille 741,60 EUR, eine Einstärkenbrille für den Nahbereich 380,20 EUR sowie eine Einstärkenbrille für den Fernbereich 444,20 EUR kosten. Zurzeit trage sie weiterhin ihre alte Gleitsichtbrille, die nicht mehr ausreichend korrigiere.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.12.2014 ist für die Klägerin niemand erschienen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.01.2014 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2012 zu verurteilen, über Ihren Förderantrag vom 22.07.2012 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Eine Gleitsichtbrille sei, anders als eine Arbeitsschutzbrille, keine Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern ein medizinisches Hilfsmittel, das in die Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung falle.

Mit Schreiben vom 03.07.2014 ist die Klägerin nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Missbräuchlichkeit der weiteren Rechtsverfolgung und die Auferlegung der dadurch verursachten gerichtlichen Kosten belehrt worden.

Mit Beschluss des erkennenden Senats vom 25.07.2014 wurde der Prozesskostenhilfe - Antrag der Klägerin vom 05.03.2014 abgelehnt. Es fehle bereits nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin an der im hiesigen Verfahren erforderlichen Bezogenheit der streitgegenständlichen Gleitsichtbrille mit Prismengläsern für die Ausübung einer beruflichen Erwerbstätigkeit. Im Vordergrund stehe die generelle Verbesserung der Funktion Sehen zum Basisausgleich der mit der Sehbehinderung einhergehenden Einschränkung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Bei der seit Geburt bestehenden Schielstellung der Augen sowie Fehlsichtigkeit im Nah- und Fernbereich der Klägerin bestehe für diese allenfalls ein Anspruch auf therapeutische Sehhilfen im Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Für die Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Beklagten für die Klägerin Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann entscheiden, obwohl für die Klägerin im Termin niemand erschienen ist. Die Klägerin ist mit ordnungsgemäß erfolgter Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte über ihren Förderantrag vom 22.07.2012 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheidet. Die Versorgung der Klägerin mit der erforderlichen Sehhilfe steht nicht in der Zuständigkeit des Beklagten, sondern in der Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Fall der notwendigen Beiladung des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung liegt nicht vor (§ 75 Abs. II SGG). Dies insbesondere deswegen nicht, da aufgrund des hiesigen Streitgegenstandes der Förderung aus dem Vermittlungsbudget für die Anbahnung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. schulischen Ausbildung die Verurteilung des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung zu Gewährung eines höheren Zuschusses aus der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich wäre.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie der Gründe des Beschlusses des erkennenden Senats vom 25.07.2014 Bezug, denen er sich anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Das gefundene Ergebnis steht auch im Einklang mit dem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (BVerfGE 125,175-260) und dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12 und 1BvR 1691/13) vertiefend dargelegten verfassungsrechtlich garantierten Leistungsanspruch der Klägerin auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Danach hat der Gesetzgeber der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) die zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz erforderlichen Leistungen gesichert. Das insoweit normierte System von Leistungsansprüchen enthält keine substantiellen Defizite. Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dient der Definition in § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II nach dazu, die physische Seite des Existenzminimums zu sichern und dessen soziale Seite abzudecken. Er umfasst die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens einschließlich der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Fürsorgepflicht bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit der Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende trägt deren Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- sowie sozialen Pflegeversicherung Rechnung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a und § 10 SGB Fünftes Buch [SGB V] sowie § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a und § 25 SGB Elftes Buch [SGB XI]). Die Entscheidung des Gesetzgebers über regelbedarfsrelevante Ausgaben im Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölfte Buches Sozialgesetzbuch (BGBl I 2011, 453) steht als wertende Entscheidung im Rahmen des ihm zustehenden Ausgestaltungsspielraums. Auch ist die Regelung nach § 20 Abs. 1 S. 4 SGB II, wonach Bedürftige Mittel zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen müssen, aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts in den benannten Entscheidungen aus verfassungsrechtlicher Sicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es wird nicht erkennbar, dass existenzgefährdende Unterdeckungen eintreten würden. Eine solche Unterdeckung wird erst dann angenommen, wenn nach der angewendeten Berechnungsweise des Regelbedarfs sich die Gefahr einer sehr hohen Differenz zwischen statistischem Durchschnittswert und Anschaffungspreis bei akut existenznotwendigen, aber langlebigen Konsumgütern ergibt, die in zeitlichen Abständen von mehreren Jahren angeschafft werden (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23.07.2014, a.a.O., RdNr. 116 bei juris). So kann eine solche Unterdeckung auch bei Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen dann eintreten, wenn diese weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind. In Bezug auf die streitgegenständliche Versorgung ergibt sich daraus, dass die entsprechende Bedarfsdeckung für die Klägerin durch die Fürsorgepflicht bei Krankheit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege der Versicherungspflicht als Empfängerin der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende dem Grunde nach anderweitig gesichert ist. So hat die Klägerin nach § 31 Abs. 2 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen, den die Barmer GEK grundsätzlich anerkannt hat und über dessen Umfang sie lediglich anderweitig vor den Sozialgerichten streitet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Soweit der Klägerin Kosten wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung auferlegt werden, beruht dies auf § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Die Klägerin hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihr im richterlichen Schreiben vom 03.07.2014 an ihre Prozessbevollmächtigte die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt und sie auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung hingewiesen worden ist (§ 155 Abs. 4 in Verbindung mit § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 73 Abs. 6 S. 6 SGG). Wer ein Verfahren, dessen Aussichtslosigkeit ihm im Einzelnen dargelegt worden ist, ohne nachvollziehbare Gründe fortführt, nimmt das Gericht missbräuchlich in Anspruch. Die zu erstattenden Kosten gelten als verursacht (§ 192 Abs. 1 S. 3 und § 184 Abs. 2 SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Maßgeblich für die Entscheidung sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls.

Der wiederholte Prozesskostenhilfeantrag vom 03.12.2014 ist abzulehnen. Bei unverändertem Sach- und Streitstand wird auf die Gründe des Beschlusses des erkennenden Senats vom 25.07.2014 verwiesen.
Rechtskraft
Aus
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