L 7 AS 833/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 54 AS 11/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 833/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für ein Widerspruchsverfahren gegen eine Mahngebühr von 7,85 Euro ist bei einem Gebührenrahmen von 40, Euro bis 520, Euro eine Geschäftsgebühr von 80, Euro (doppelte Mindestgebühr) als Vergütung des Rechtsanwalts angemessen.
Bei der Bemessung der Geschäftsgebühr nach § 14 RVG ist für die Bedeutung der Angelegenheit auf die Mahngebühr nicht auf die dahinter stehende Hauptforderung abzustellen, wenn nur die Mahngebühr Gegenstand des Widerspruchs sein kann.
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. März 2014 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 13.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.12.2012 verurteilt, der Klägerin weitere 61,88 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat von den notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klageverfahren ein Viertel und für das Berufungs- sowie das Zulassungsverfahren vier Siebtel zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in einem isolierten Widerspruchsverfahren.

Das zuständige Jobcenter hatte gegenüber der Klägerin einen Bescheid vom 06.11.2009 über eine Darlehensgewährung sowie vier Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 26.11.2009, 01.03.2010, 19.04.2010 und 01.09.2010 erlassen. Daraus ergaben sich insgesamt 1.512,78 EUR, die die Klägerin zurückzuzahlen hatte. Widersprüche gegen diese Bescheide sind nicht ersichtlich. Laut einem Telefonvermerk beantragte die Klägerin bereits am 13.09.2010 telefonisch Ratenzahlungen auf diese Forderungen von monatlich 100,- EUR. Sie verfüge lediglich über nichtselbständiges Einkommen von monatlich 1.100,- EUR.

Mit Schreiben vom 23.10.2011 mahnte die Beklagte die Forderung in Höhe von 1.512,78 EUR an und setzte eine Mahngebühr in Höhe von 7,85 EUR fest. Auf Seite 2 der Mahnung befand sich eine Aufstellung der vorgenannten Bescheide. Die Klägerin wurde aufgefordert, den Betrag in Höhe von insgesamt 1.520,63 EUR innerhalb einer Woche zu überweisen. Laut Rechtsbehelfsbelehrung sei die Festsetzung der Mahngebühr durch Widerspruch anfechtbar.

Hiergegen legte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 27.10.2011 Widerspruch ein. Es wurde vorgetragen, dass die auf Seite 2 des Mahnschreibens aufgeführten Bescheide nicht bekannt seien. Es werde daher davon ausgegangen, dass die Erhebung von Mahngebühren mangels Fälligkeit nicht statthaft sei und es werde insoweit gegen die Mahnung Widerspruch eingelegt.

Dem Widerspruch wurde durch Aufhebung der Mahngebühren abgeholfen, sowie im Hinblick auf die anwaltliche Vertretung entschieden, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen erstattet würden (Abhilfebescheid vom 27.07.2012).

Mit Kostennote vom 09.08.2012 wurden vom Prozessbevollmächtigten Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 309,40 EUR geltend gemacht, aufgegliedert in eine Geschäftsgebühr nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. Nr. 2400 Vergütungsverzeichnis (VV RVG) in Höhe von 240,- EUR sowie die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,- EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 49,40 EUR.

Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 13.11.2012 setzte die Beklagte die zu erstattenden Aufwendungen auf 57,12 EUR fest. Der Ansatz der Geschäftsgebühr von 240,- EUR sei unbillig und daher für die Beklagte nicht verbindlich. Angemessen sei lediglich die Mindestgebühr in Höhe von 40,- EUR. Streitig sei lediglich eine Mahngebühr von 7,85 EUR gewesen, so dass die rechtliche Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit weit unterdurchschnittlich gewesen seien im Vergleich zu üblichen sozialrechtlichen Verfahren. Auch die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sei weit unterdurchschnittlich gewesen, da die Festsetzung einer Mahngebühr in o.a. Höhe nicht vergleichbar sei mit der Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II oder dem Streit um die Höhe solcher laufender Leistungen. Bei einem Ansatz einer Geschäftsgebühr in Höhe des Mindestbetrages von 40,- EUR zuzüglich der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG (8,- EUR) und der Umsatzsteuer (9,12 EUR aus 48,- EUR) ergebe sich ein zu erstattender Gesamtbetrag in Höhe von 57,12 EUR.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2012 zurück. Die Mahngebühren seien storniert worden, da im Widerspruchsverfahren vorgetragen wurde, dass die der Mahnung zugrunde liegenden Bescheide nicht bekannt seien. Den Zugang der Bescheide habe das Jobcenter nicht nachweisen können. Ein erfolgreiches Vorgehen gegen die Mahngebühr habe daher nicht die Kenntnis obergerichtlicher Rechtsprechung vorausgesetzt. Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit sei lediglich auf die geringe Mahngebühr abzustellen, da diese allein Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen sei.

Mit der am 02.01.2013 erhobenen Klage machte der Kläger eine Verfahrensgebühr in Höhe von 240,- EUR geltend. Es bestehe eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der Angelegenheit, da zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs die Rechtsfrage, ob die Festsetzung von Mahngebühren einen Verwaltungsakt darstelle, noch nicht geklärt gewesen sei. Dies habe das BSG erst am 02.11.2012 entschieden. Aus Sicht der Mandantschaft sei von einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit auszugehen, da die Mahnung bei der Klägerin Panikattacken und Schlafstörungen ausgelöst habe.

Die Beklagte erwiderte, dass sich auf der Mahnung die Rechtsbehelfsbelehrung befunden habe, dass gegen die Festsetzung der Mahngebühren der Widerspruch zulässig sei. Die Kenntnis der obergerichtlich geklärten Frage, ob die Festsetzung der Mahngebühr Verwaltungsaktqualität besitze, sei daher für die Einlegung des Widerspruchs nicht erforderlich gewesen.

Mit Urteil vom 17.03.2014 verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, der Klägerin weitere 109,48 EUR zu gewähren und wies die Klage im Übrigen ab. Der Beklagten wurden zwei Fünftel der außergerichtlichen Kosten auferlegt. Angemessen sei eine Geschäftsgebühr in Höhe der Hälfte der Schwellengebühr von 240,- EUR, mithin 120,- EUR. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien jeweils unterdurchschnittlich gewesen. Allerdings sei die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin überdurchschnittlich gewesen. Es komme dabei auf eine unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung an. Die Klägerin sei aufgefordert worden, innerhalb einer Woche 1512,78 EUR zu überweisen, ansonsten werde die zwangsweise Einziehung der Forderung veranlasst werden. Zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,- EUR und der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG hieraus (26,60 EUR) ergebe sich ein zu erstattender Gesamtbetrag in Höhe von 166,60 EUR. Davon habe die Beklagte bereits 57,12 EUR anerkannt, so dass die Differenz in Höhe von 109,48 EUR noch an die Klägerin zu erstatten sei.

Auf die am 16.04.2014 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Berufungsgericht die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Bedeutung der Angelegenheit bei einer einstelligen Mahngebühr weit unterdurchschnittlich sei. Nur diese Mahngebühr sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.03.2014 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 13.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.12.2012 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin macht geltend, dass eine individuelle Gebührenbestimmung vorzunehmen sei. Der psychische Effekt unberechtigter Mahnungen werde übersehen. Die Wochenfrist und die angekündigte Zwangsvollstreckung begründe die überdurchschnittliche Bedeutung. Auch das Haftungsrisiko für den Rechtsanwalt sei beträchtlich, wenn er nichts gegen eine unberechtigte Mahnung unternehme. Außerdem sei auf einen durchschnittlichen Rechtsanwalt abzustellen, nicht auf einen spezialisierten Anwalt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung von höheren Aufwendungen nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als die Beklagte bewilligte, aber nicht auf den vom Sozialgericht zugesprochenen Betrag. Bei der Bemessung der Geschäftsgebühr nach § 14 RVG ist für die Bedeutung der Angelegenheit auf die Mahngebühr - nicht auf die dahinter stehende Hauptforderung - abzustellen, wenn nur die Mahngebühr Gegenstand des Widerspruchs sein kann. Auszugehen ist hier von einer Geschäftsgebühr in Höhe von 80,- EUR, dem Doppelten der Mindestgebühr.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Berufungsgrenzwert nach § 144 Abs. 1 SGG ist nicht überschritten, jedoch wurde die Berufung vom Berufungsgericht zugelassen.

2. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 13.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.12.2012 und damit die Entscheidung darüber, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens festzusetzen sind. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG.

3. a) Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat bei einem erfolgreichen Vorverfahren der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Ausgaben zu erstatten. Daher ist die Beklagte für die strittige Kostenfestsetzung zuständig. Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war. Die Beklagte hat in der Abhilfeentscheidung vom 27.07.2012 die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig anerkannt.

b) Der Erstattungsanspruch beurteilt sich nach den gesetzlichen Bestimmungen über die Vergütung der Rechtsanwälte (RVG), wobei sich die Höhe der Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG bestimmt.

c) Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG in der von 01.07.2006 bis 31.07.2013 gültigen Fassung (a.F.) fällt in sozialrechtlichen Angelegenheiten an, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist. Dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (§ 3 Abs. 2 RVG). Die Klägerin wandte sich in ihrer Eigenschaft als SGB II- Leistungsempfängerin gegen die Festsetzung einer Mahngebühr und ist damit Leistungsempfängerin im Sinne des § 183 Satz 1 SGG.

Die Geschäftsgebühr entsteht insbesondere für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Gemäß Nr. 2400 VV RVG a.F. umfasst die Geschäftsgebühr einen Betragsrahmen von 40,- EUR bis 520,- EUR.

Eine Gebühr von mehr als 240,- EUR kann dabei nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sogenannte Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit für den Aufraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber hinaus ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG bei Verfahren, auf die Betragsrahmengebühren anzuwenden sind, ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Das besondere Haftungsrisiko ist lediglich ein weiteres Kriterium für die Bemessung der Betragsrahmengebühren, begründet aber keinen eigenen Gebührentatbestand (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, Rn. 19, 20).

d) Angemessen ist eine Geschäftsgebühr in Höhe von 80,-EUR.

Die Kostennote vom 09.08.2012 war bezüglich der anwaltlichen Gebührenbestimmung für die Geschäftsgebühr in Höhe von 240,- EUR unbillig und daher gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich. Auch die Toleranzgrenze von 20 % für die eigenverantwortliche Festsetzung durch den Rechtsanwalt (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 19) ist weit überschritten.

Die Geschäftsgebühr von 80,- Euro (doppelte Mindestgebühr) ergibt sich aus den Kriterien nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG, wobei deren Aufzählung nicht abschließend ist.

aa) Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war unterdurchschnittlich. Dabei ist der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste (BSG, a.a.O., Rn. 28). Hier ist von einem unterdurchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Das Widerspruchsschreiben ist sehr kurz. Danach erfolgte nur noch die Kostennote. Hinweise auf ein Aktenstudium oder das Anfordern von Unterlagen bei der Klägerin liegen nicht vor. Es wurde nur mitgeteilt, dass die den Forderungen zugrunde liegenden Bescheide "unsererseits nicht bekannt" seien.

bb) Auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist vorliegend als unterdurchschnittlich zu bewerten. Gemeint ist damit die Intensität der Arbeit (BSG, a.a.O., Rn. 32). Die Kenntnis der Rechtsprechung zur Verwaltungsaktqualität der Festsetzung der Mahngebühr des BSG (z.B. Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 54/10 R) war für die Einlegung des Widerspruchs aufgrund der Rechtsbehelfsbelehrung ("Gegen die Festsetzung der Mahngebühren ist der Widerspruch zulässig") nicht notwendig. Es handelte sich zumindest um einen formellen Verwaltungsakt. Im Übrigen wurde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens lediglich geltend gemacht, dass die Bescheide, die der Mahnung zugrunde lagen, nicht bekannt seien.

cc) Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die nur über ein Erwerbseinkommen an der Grenze zur Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II verfügte, sind gemessen an den Durchschnittsverhältnissen der Gesamtbevölkerung als unterdurchschnittlich anzusehen.

dd) Ein besonderes Haftungsrisiko, ist trotz der Ausführungen des Bevollmächtigten bzgl. der Mahngebühr nicht erkennbar. Soweit die Hauptsacheforderungen ein Haftungsrisiko begründen können, wäre dieses bei Unkenntnis der zugrunde liegenden Bescheide einem Überprüfungsverfahren ohne die Kostenfolge des § 63 SGB X zuzuordnen.

ee) Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist auch Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin unterdurchschnittlich. Hier kommt es auf eine unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit an (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, Rn. 37). Es geht um das Begehren, das mit dem Widerspruch verfolgt wird, hier also die Abwehr von Mahngebühren von unter 10,- EUR.

Eine Mahnung ist eine Erinnerung an eine bereits bestehende Zahlungspflicht. Sie hat keine Verwaltungsaktqualität (BSG, Urteil vom 02.11.2012, B 4 AS 97/11 R, Rn. 17 unter Hinweis auf Entscheidungen des BSG von 1997 und 1999) und kann daher nicht Gegenstand eines Widerspruchverfahrens sein. Verwaltungsakt ist hier allein die Festsetzung der Mahngebühr (vorgenanntes Urteil des BSG vom 02.11.2012 und BSG, Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 54/10 R). Nur diese kann Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sein.

Es ist deshalb auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung der Festsetzung der Mahngebühr von 7,85 EUR für die Klägerin abzustellen (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10.04.2014, L 7 AL 94/13 B, Rn. 14; LSG NRW, 15.05.2014, L 19 AS 1995/13 B; SG Augsburg, Urteil vom 16.06.2014, S 11 AS 346/14). Soweit laut der Literatur (Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage 2014, § 14 RVG Rn. 5) auch mittelbare Auswirkungen mitbeachtlich sein sollen, sind derartige mittelbare Auswirkungen der Mahngebühr nicht ersichtlich. Eventuelle psychologische Auswirkungen der Hauptforderungen auf die Klägerin sind nicht Gegenstand des Widerspruchverfahrens. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass wohl nicht anzunehmen ist, dass die Klägerin erstmalig mit den Hauptforderungen konfrontiert wurde. Die Unkenntnis von fünf Bescheiden liegt fern, wenn kein Bescheid als unzustellbar an die absendende Behörde zurückkommt, und der telefonische Ratenzahlungsantrag der Klägerin bestätigt das.

ff) Im Rahmen der Gesamtabwägung hält das Berufungsgericht eine Geschäftsgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr für angemessen.

Der enge Zeitrahmen von einer Woche für die Zahlung auf die Hauptforderungen führt zu einem kurzfristigen Beratungsbedarf und verkürzt faktisch auch die Monatsfrist für die Erstellung des Widerspruchs auf wenige Tage. Dieser Zeitdruck und eine mit 7,85 EUR nicht ganz unerhebliche Mahngebühr (beim vorgenannten Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen ging es um Mahngebühren von nur 0,80 EUR), rechtfertigen eine Verdoppelung der Mindestgebühr. Sonstige gebührenerhebliche Umstände sind nicht ersichtlich.

Zur Mindestgebühr kommt die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,- EUR und die Umsatzsteuer von 19 % nach Nr. 7008 VV RVG hieraus (19,- EUR). Das ergibt insgesamt 119,- EUR. Davon hat die Beklagte bereits 57,12 EUR anerkannt, so dass die Differenz in Höhe von 61,88 EUR noch an die Klägerin zu erstatten ist.

4. Im Klageverfahren wurden 309,40 EUR begehrt statt der bewilligten 57,12 EUR, mithin ein Mehrbetrag von 252,28 EUR. Davon hat die Klägerin im Endergebnis 61,88 EUR erhalten. Dies ergibt eine Quote von einem Viertel für das Klageverfahren.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin keinen Antrag auf höhere Kostenerstattung gestellt. Lediglich die Beklagte wollte die Verpflichtung zur Zahlung von weiteren 109,48 EUR aufgehoben wissen. Die Klägerin war in der Berufung zu 56,5 % erfolgreich. Dies ergibt für das Berufungsverfahren eine Quote von vier Siebtel.

5. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die strittige Konstellation stellt sich in der Verwaltungspraxis häufiger.
Rechtskraft
Aus
Saved