S 1 SO 4334/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 4334/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Bei einem geplanten Einrichtungswechsel eines behinderten Menschen entstehende Mehrkosten von rund 29% bzw. mehr als 800,-- € monatlich sind „unverhältnismäßig“ i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII und deshalb vom Sozialhilfeträger auch unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts des Hilfesuchenden nicht zu übernehmen.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Kosten für den Wechsel des Klägers von einem Wohnheim und einer Werkstatt für behinderte Menschen in Karlsruhe in eine vollstationäre Einrichtung in D./Bayern aus Mitteln der Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des Sechsten Kapitels des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) umstritten.

Der 19xx geborene Kläger leidet seit Geburt an einem Down-Syndrom und einem Herzklappenfehler mit Aneurysma. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt; außerdem sind ihm die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H" zuerkannt.

Der Kläger ist seit dem 13.04.2007 vollstationär in einer Außenwohngruppe der H. in S-F untergebracht und bewohnt dort ein Einzelzimmer. Seit dem 10.12.2009 ist er im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (Schreinerei) der H. tätig. Der Beklagte erbringt seit dem 13.04.2007 an den Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des SGB XII (zuletzt Bescheide vom 02.12.2009 und vom 02.05.2011).

Im Rahmen eines Hilfeplangesprächs am 10.12.2013 äußerte der Kläger zunächst den Wunsch, in eine eng ambulant begleitete Wohngruppe nach K.-D. oder in die Innenstadt von K. umzuziehen. Am 15.04.2014 beantragte er, vertreten durch seine Mutter und zugleich rechtliche Betreuerin, beim Beklagten die Übernahme von Kosten für einen geplanten Wechsel der Wohneinrichtung sowie die Übernahme der Kosten für stationäres Wohnen und Arbeiten in der C. Gemeinschaft "Ha." e.V., D./Bayern, zum 01.05.2014. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, der Wechsel verursache, je nach Hilfebedarfsgruppe (HBG), jährliche Mehrkosten zwischen etwa 10.000,00 EUR und 17.200,00 EUR. Die H. habe sich in den vergangenen Jahren als geeignete Einrichtung für den Kläger erwiesen. Objektive Gründe, die die Übernahme der nunmehr unverhältnismäßigen Mehrkosten rechtfertigten, lägen nicht vor (Bescheid vom 28.04.2014).

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Entscheidung des Beklagten sei unter Berücksichtigung des ihm - dem Kläger - zustehenden Wunsch- und Wahlrechts nicht akzeptabel. Die Mehrkosten in der von ihm gewünschten Einrichtung beliefen sich auf rund 29 % im Vergleich zu den Aufwendungen des Beklagten für seine Unterbringung in den H ... Diese Mehrkosten seien nicht unverhältnismäßig (Hinweis auf Urteile des SG Hildesheim vom 19.05.2010 - S 34 SO 212/07 - und des SG Duisburg vom 16.04.2012 - S 2 SO 55/11 -). Auch entfielen bei der gewünschten Heimunterbringung Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte. Aus gesundheitlichen Gründen benötige er weiterhin eine enge Beaufsichtigung. Zur Stützung seines Widerspruchsvorbringens legte der Kläger Atteste der Allgemeinmedizinerin St. und des Kinderkardiologen Dr. B. vor.

Zur Frage, ob der Kläger außerhalb einer vollstationären Einrichtung adäquat leben könne, holte der Beklagte eine Stellungnahme des Medizinisch-Pädagogischen Dienstes des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, Stuttgart, (KVJS) ein. Danach besitze der Kläger zwar viele lebenspraktische Fähigkeiten, die er teilweise im Verlauf der bisherigen vollstationären Wohnmaßnahme habe erwerben können. Gleichwohl sei weiterhin ein hoher Bedarf an Hilfestellungen zur Bewältigung der alltäglichen Anforderungen aufgrund der Schwere der geistigen Behinderung, verbunden mit einer deutlichen Sprachbehinderung und verminderten körperlichen Belastbarkeit durch den Herzfehler, deutlich. Selbstständiges Wohnen sei auch für die Zukunft nicht realistisch. Ein ambulant betreutes Wohnen entsprechend den Plänen des bisherigen Leistungsträgers sei vom Betreuungsumfang her der bisherigen stationären Wohnform nahezu gleichzusetzen. Auch Ziele hinsichtlich eines Zuwachses an Selbstständigkeit in Teilbereichen seien hier im veränderten Bewohnersetting gegebenenfalls zu erreichen. Ein ambulant betreutes Wohnen im klassischen Sinne werde dem Bedarf des Klägers indes nicht gerecht und sei aus fachlicher Sicht nicht ausreichend. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück: Objektive Gründe für einen Wechsel in die C. Gemeinschaft "Ha." lägen nicht vor. Die mit diesem Wechsel verbundenen Mehrkosten beliefen sich, je nach Einstufung des Klägers in die HBG 1 oder 2 im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen, auf monatlich 805,82 EUR bzw. 1.427,30 EUR und damit in Höhe von mindestens 29 % der bisherigen Aufwendungen. Die Mehrkosten seien deshalb unverhältnismäßig. Außerdem fielen voraussichtlich zusätzliche Kosten für Familienheimfahrten in bisher nicht bekannter Höhe an. Demgegenüber bestünden für Fahrten zwischen Wohnheim und Werkstatt bei Beibehaltung der bisherigen Unterbringung keine Aufwendungen, weil der Kläger Anspruch auf Freifahrt im öffentlichen Personennahverkehr habe. Gewichtige Gründe, im Fall des Klägers unverhältnismäßige Mehrkosten zu übernehmen, lägen nicht vor (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2014, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.11.2014 zugestellt).

Deswegen hat der Kläger am 19.12.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Hintergrund der Ablehnung der Beklagten seien - entgegen den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden - nicht finanzielle Gründe, sondern die Auffassung, er sei nicht mehr auf eine stationäre Unterbringung angewiesen, vielmehr sei auch eine ambulante Betreuung ausreichend. Dies ergäbe sich aus telefonischen Unterredungen seines Prozessbevollmächtigten mit einem Mitarbeiter des Beklagten. Ein ambulant betreutes Wohnen im klassischen Sinne werde jedoch seinem Bedarf nicht gerecht und sei auch nach der Stellungnahme des KVJS nicht ausreichend. Auch seine derzeitige Unterbringung werde seinen individuellen Bedürfnissen nicht mehr gerecht. Der beabsichtigte Wechsel sei damit auch objektiv dringend angezeigt. Wegen seiner Sprachbehinderung, seines Herzfehlers und der dadurch bedingten Notwendigkeit, eine strikte Diät einzuhalten, sowie mit Blick auf den noch nicht verarbeiteten Tod seiner Großmutter im Jahr 2009 benötige er weiterhin eine engmaschige Betreuung. Diese sei im Rahmen seiner bisherigen Unterbringung nicht gewährleistet. Ergänzend legt der Kläger Aktenvermerke seines Prozessbevollmächtigten sowie den Arztbrief des Dr. B. vom Januar 2015 vor.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

den Bescheid vom 28. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für seinen Wechsel vom Wohnheim und der Werkstatt für behinderte Menschen der H. in die C. Gemeinschaft "Ha." e.V., D., aus Mitteln der Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des SGB XII zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Auch nach der Stellungnahme des KVJS sei der Kläger entsprechend seiner Beeinträchtigung in den H. gut untergebracht und werde die dortige Unterbringung seinen individuellen Bedürfnissen gerecht. Ergänzend teilt der Beklagte die ab dem 01.01.2015 gültigen Vergütungen für die Wohnheimunterbringung und Angebote der Werkstatt für behinderte Menschen der H. und der C. Gemeinschaft "Ha." mit.

Mit Schreiben vom 27.03.2015 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat es der Beklagte abgelehnt, die bei einem Wechsel des Klägers vom Wohnheim und der Werkstatt für behinderte Menschen der H. in die C. Gemeinschaft "Ha.", D., entstehenden Aufwendungen im Rahmen der Eingliederungshilfe aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen.

1. Der Anspruch scheitert jedoch nicht schon daran, dass bisher - soweit ersichtlich - keine Aufwendungen für eine entsprechende vollstationäre Unterbringung und Beschäftigung des Klägers entstanden sind. Denn der Kläger hat nach Aktenlage konkret die Möglichkeit des Abschlusses eines Wohnheimvertrages mit dem Träger der von ihm gewünschten Eingliederungshilfeeinrichtung und Aufnahme in den dortigen Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen für den Fall, dass es zu einer entsprechenden Bewilligung der Eingliederungshilfe kommt. Damit ist sein Bedarf hinreichend greifbar und bestimmt. Aus Sicht des erkennenden Gerichts würde es zu einer Verweigerung effektiven Rechtsschutzes führen und damit gegen Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, wollte man von dem Kläger den vorherigen Abschluss entsprechender Verträge und damit die Übernahme eines Kostenrisikos verlangen, ohne dass zuvor die Frage der Einstandspflicht des Beklagten geklärt ist.

2. Der Kläger gehört - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und unzweifelhaft - zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII. Dementsprechend erbringt der Beklagte auch seit dem 13.04.2007 Eingliederungshilfeleistungen gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB XII.

Auf Sozialhilfe, und damit auch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§ 8 Nr. 4 SGB XII), besteht ein Rechtsanspruch (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), denn die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sind als Pflichtleitungen (" erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, ...") ausgestaltet. Da die einschlägigen Vorschriften über die Eingliederungshilfe hinsichtlich des "wie" das Ermessen nicht ausschließen, ist gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII über Art und Maß der Leistungserbringung - hierzu gehört auch die Frage, in welcher voll- oder teilstationären Einrichtung Eingliederungshilfe gewährt wird (vgl. Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, § 17, Rand-Nr. 7) -, und damit insbesondere über die hier zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, in welcher Höhe die Kosten bei einem Wechsel in ein anderes Wohnheim und den Arbeitsbereich einer anderen Werkstatt für behinderte Menschen zu übernehmen sind, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass Sozialhilfe ihrer Art nach nicht schematisch gewährt werden kann, sondern sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushaltes bei der Hilfe zum Lebensunterhalt zu richten hat (Individualisierungsprinzip, vgl. § 9 Abs. 1 SGB XII). Denn nach § 1 Satz 1 SGB XII ist es Aufgabe der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.

Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Aus dieser Regelung folgt ein gebundenes Ermessen ("soll"). Berechtigten Wünschen des Hilfesuchenden bzw. des Leistungsberechtigten ist mit Blick auf das Grundrecht auf Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 9, Rn. 32). Soweit mithin mehrere Handlungsalternativen existieren, handelt es sich bei dem Wunsch- und Wahlrecht um einen Ermessensgesichtspunkt, der vom Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Ermessenserwägungen zu berücksichtigen ist (vgl. Sächs. LSG vom 28.08.2008 - L 3 B 613/07 SO ER - (juris) und Roscher, LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 9, Rn. 20). Das Wunsch- und Wahlrecht ist für die Rechtsstellung des Hilfesuchenden, der Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, von zentraler Bedeutung. Denn der Bürger soll bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht entmündigt und nicht zum bloßen Objekt behördlichen Handelns werden (vgl. Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 9, Rn. 14 und Luthe in Hauck/Noftz, a.a.O., § 9, Rn. 5), sondern in seiner Eigenständigkeit weitgehend geschützt und im Sinne der Zielsetzung des § 1 SGB XII unterstützt werden. Das Wunsch- und Wahlrecht kann sich auch auf den Eintritt in eine bestimmte Einrichtung der Eingliederungshilfe richten.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII soll Wünschen der Leistungsberechtigten, u.a. den Bedarf stationär zu decken, nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderlich ist, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden kann, und wenn mit der Einrichtung Vereinbarungen nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels SGB XII bestehen. Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wären (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII).

3. Orientiert an diesen rechtlichen Bestimmungen und Maßstäben sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und steht dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für den Wechsel aus dem Wohnheim und der Werkstatt für behinderte Menschen der H. in die C. Gemeinschaft "Ha.", D., nicht zu. Denn sein Wunsch nach Aufnahme gerade in diese Einrichtung verursacht zur Überzeugung der Kammer unverhältnismäßige Mehrkosten.

a) Die Kammer hegt mit Blick auf die aktenkundige Stellungnahme des Medizinisch-Pädagogischen Dienstes des KVJS vom 28.10.2014 wie auch die Entwicklungsberichte "Arbeitsbereich" vom 19.04.2013 und "Wohnheim" vom 02.08.2013 der H. sowie das Protokoll über das Hilfeplangespräch vom 10.12.2013 keine Zweifel, dass die bisherige Unterbringung und Beschäftigungssituation des Klägers in den H. seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen entsprechend angemessen war und seinen individuellen Bedürfnissen auch weiterhin gerecht wird bzw. werden kann. Denn der Kläger geht weiterhin gerne in die Werkstatt und zeigt bei der Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben eine gute Ausdauer. Er arbeitet zwar recht langsam, jedoch stetig und mit sehr guter Qualität. Eine gesundheitliche Überlastung/Überforderung besteht trotz des Herzfehlers nach Auskunft der H. nicht. Trotz seiner Behinderung kann der Kläger ein selbstständiges Einstellen an einer Maschine erlernen, wobei insgesamt ein regelmäßiges Feedback bezüglich Verhalten und Unterstützung bei der Arbeit durch den Gruppenleiter wichtig ist. In den H. verfügt der Kläger weiterhin über eine feste Tagesstruktur und soziale Kontakte jedenfalls zu einem Teil der Mitbewohner. Außerdem geht er Hobbys wie Tanzen, Radfahren und dem Besuch von Fußballspielen nach. Wichtig ist überdies der Kontakt zu seiner Familie, die er jedes zweite Wochenende besucht. Der Bericht des KVJS bestätigt ebenfalls die positive Entwicklung des Klägers innerhalb der Wohngruppe der H ... Allerdings ist er in dem bisherigen Gruppengefüge an die Grenzen gekommen, was seine persönliche Weiterentwicklung betrifft. Denn die Bewohnerstruktur entspricht hinsichtlich des Lebensalters, des kognitiven Niveaus und der jeweiligen Lebensposition nicht mehr den Bedürfnissen des Klägers. Konfliktbehaftete Vorfälle mit Mitbewohnern, wie sie in den H. offenbar vorgekommen sind, lassen sich allerdings nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch bei einem Wechsel in eine andere Wohngruppe schon mit Blick auf die Auswirkungen der geistigen Behinderung des Klägers und vor allem seine deutliche Sprachbehinderung, die offenbar Mit-Auslöser dieser Konflikte war, nicht ausschließen oder gar vermeiden. Die Kammer schließt sich dem Bericht des Medizinisch-Pädagogischen Dienstes des KVJS auch insoweit an, als der Kläger danach Hilfestellung und Begleitung hinsichtlich medikamentöser, ärztlicher und allgemeingesundheitlicher Erfordernisse sowie Unterstützung in allen Lebensbereichen benötigt, um die Anforderungen des Alltags zu bewältigen. Allerdings ist danach auch ein intensiv, d.h. täglich betreutes ambulantes Wohnen, wie es seitens der H. und des Beklagten geplant war, vom Betreuungsumfang her der bisherigen stationären Wohnform nahezu gleichzusetzen. Lediglich ein ambulant betreutes Wohnen im klassischen Sinne würde dem Bedarf des Klägers nicht gerecht werden und ist deshalb aus medizinisch-pädagogischer Sicht als nicht ausreichend anzusehen. Dass der Beklagte und/oder die H. jedoch nicht in der Lage wären, den Kläger in eine seinen individuellen Bedürfnissen entsprechende Wohngruppe in Form eines ambulant betreuten Wohnens mit täglichen Kontakten, Wochenendbetreuung und Nacht-Ruf-Bereitschaft zu vermitteln, ist weder vorgetragen noch aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens sonst ersichtlich, auch wenn aktuell eine entsprechende Wohngruppe noch nicht gefunden werden konnte.

b) Der Wunsch des Klägers auf Übertritt in die C. Gemeinschaft "Ha.", D., ist ungeachtet dessen angemessen im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, um dadurch eine den gesetzlichen Zielen der Eingliederungshilfe entsprechende Bedarfsdeckung zu erreichen. Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die C. Gemeinschaft "Ha." ist eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit erwachsenen behinderten Menschen und - wie die H. - eine nach § 142 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. insoweit das im Internet als pdf-Datei abrufbare Verzeichnis der anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, herausgegeben von der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Stand 01.04.2014). Sie ist damit geeignet und grundsätzlich in der Lage, den geistig und körperlich behinderten Kläger aufzunehmen und die im Einzelfall erforderlichen Eingliederungshilfemaßnahmen fachgerecht durchzuführen. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Bezirk M. - Sozialreferat - A. als überörtlicher Träger der Sozialhilfe mit dieser Einrichtung eine entsprechende Leistungs- und Vergütungsvereinbarung für das Wohnen für geistig behinderte Erwachsene ohne Tagesstruktur sowie für teilstationäre Angebote zur Tagesbetreuung für körperlich, geistig und seelisch behinderte Erwachsene in Werkstätten geschlossen hat. Gegenteiliges behauptet auch der Beklagte nicht.

c) Der Kläger hat gegenüber dem KVJS auch nachvollziehbar dargelegt, dass und aus welchen Gründen er eine Unterbringung in der C. Gemeinschaft "Ha." gegenüber der Fortsetzung einer Unterbringung in den H. vorzieht. Denn er möchte sich in einem familiären Umfeld versorgt wissen, vor allem im Hinblick auf einen mit Blick auf seine Behinderung mit zunehmendem Alter wieder größer werdenden Betreuungsbedarf und eine von ihm angenommene höherer psychosoziale Zuwendung sowie eine engere Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten. Auch kann der Kläger eigenen Angaben zufolge in der Einrichtung "Ha." verstärkt im Sitzen arbeiten. Diese Gründe sind zu achten und rechtlich erheblich, ohne dass sich allerdings bereits daraus die Unzumutbarkeit der Unterbringung des Klägers in einer alternativen Einrichtung der Eingliederungshilfe ergibt. Denn das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers darf nicht zu einer grundrechtsgleichen Norm überhöht werden, die das GG unmittelbar umsetzte. Es schafft insbesondere keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Verwirklichung der Wünsche (vgl. Müller-Grune in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 9, Rn. 12 und 25).

d) Maßgebend ist danach die Verhältnismäßigkeit der durch die Unterbringung des Klägers in der C. Gemeinschaft "Ha." entstehenden Mehrkosten. Denn der Sozialhilfeträger braucht Wünschen eines Hilfeempfängers bzw. Hilfesuchenden nicht zu entsprechen, wenn deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Nach dieser Vorschrift hat der Sozialhilfeträger einen Kostenvergleich zwischen der gewünschten Leistung und anderen geeigneten und zumutbaren Hilfeangeboten vorzunehmen (vgl. BVerwGE 94, 127, 130; 94, 202, 209; 97, 53, 57, 60 und 97, 103 ff.; ferner LSG Baden-Württemberg vom 22.11.2007 - L 7 SO 3132/06 - (unveröffentlicht) und vom 02.09.2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B - (juris)), d.h. ein Kostenvergleich, in dem die Kosten der gewünschten Hilfe den Kosten gegenüber gestellt werden, die durch die vom Sozialhilfeträger konkret angebotene Hilfe verursacht werden (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 22.11.2007 - L 7 SO 3132/06 - m.w.N. (unveröffentlicht)). Sind die Kosten der gewünschten Unterbringung danach unverhältnismäßig höher als solche in einer gleich geeigneten und zumutbaren Einrichtung, braucht der Sozialhilfeträger dem Wunsch des Hilfesuchenden mithin nicht zu entsprechen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.02.2014 - L 20 SO 436/13 B ER - (Juris)). Denn bei den Leistungen der Sozialhilfe handelt es sich um steuerfinanzierte Leistungen, die in ihrer Endlichkeit nicht beliebig verteilt werden können (vgl. Wahrendorf, a.a.O., Rn. 39 sowie LSG Berlin-Brandenburg vom 13.04.2011 - L 23 SO 20/11 B ER - (juris)). Ob der Wunsch des Hilfesuchenden "unangemessene" Mehrkosten erfordert, unterliegt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Fichtner in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Auflage 2009, § 9, Rand-Nr. 9 sowie Müller-Grune, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.). Dabei kann und darf der Begriff "unangemessene Mehrkosten" nicht eng ausgelegt werden (vgl. Schellhorn/Hohm/Schneider, a.a.O., Rn. 22). Es reicht, wenn die Mehrkosten noch verhältnismäßig sind. Ausgangspunkt für die Prüfung sind die dem Sozialhilfeträger entstehenden durchschnittlichen Kosten (vgl. Roscher, a.a.O., Rn. 36). Bei einem - wie hier - geplanten Einrichtungswechsel ist auf einen Vergleich der Tagessätze der Einrichtungen abzustellen (vgl. Schellhorn/Hohm/Schneider, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Dabei ist von vornherein eine in bestimmtem Rahmen liegende Überschreitung dieser durchschnittlichen Kosten in jedem Fall noch verhältnismäßig.

Diese Prüfung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die bei einer Unterbringung in der vom Kläger gewünschten Eingliederungshilfeeinrichtung entstehenden Mehrkosten unverhältnis¬mäßig im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII sind.

Für seine Unterbringung bei den H. fielen und fallen zu Lasten des Beklagten nach Aktenlage folgende Aufwendungen an:

A) Ab dem 01.04.2014:

1. Wohnheimkosten, HBG 2: 60,20 EUR täglich 2. Werkstattkosten: 31,07 EUR täglich insgesamt 91,27 EUR täglich, bzw. monatlich durchschnittlich (= x 30,42 Tage) 2.776,43 EUR

B) Ab dem 01.01.2015:

1. Wohnheimkosten, HBG 2: 62,12 EUR täglich 2. Werkstattkosten: 31,99 EUR täglich insgesamt 94,11 EUR täglich bzw. monatlich 2.862,83 EUR

Die entsprechenden Aufwendungen bei einer Unterbringung des Klägers in der C. Gemeinschaft "Ha." beliefen sich ausweislich der Vergütungsvereinbarungen mit dem Bezirk M. - Sozialreferat -, A., demgegenüber auf

C) Ab dem 01.04.2014:

1. Wohnheimkosten, HBG 2: 77,76 EUR täglich 2. Werkstattkosten mindestens nach HBG 1: 40,00 EUR täglich insgesamt 117,76 EUR täglich bzw. monatlich 3.582,26 EUR

D) Ab dem 01.01.2015:

1. Wohnheimkosten, HBG 2: 79,69 EUR täglich 2. Werkstattkosten mindestens nach HBG 1: 41,01 EUR täglich insgesamt 120,70 EUR täglich bzw. monatlich 3.671,69 EUR

Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte fallen bei einer weiteren Unterbringung des Klägers bei den H. bzw. in K. und Umgebung nicht an, denn der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt und kann mit Blick auf die ihm zuerkannten Nachteilsausgleiche "G" und "H" Wegstrecken im öffentlichen Personennahverkehr kostenfrei (§ 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 10 Nr. 1 SGB IX) zurücklegen. Gleiches gilt für seine Familienheimfahrten bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Stadt- und Landkreis K ... Demgegenüber wären bei seiner Unterbringung in der C. Gemeinschaft "Ha." zusätzliche Aufwendungen für Familienheimfahrten von D. nach E-L in nicht bekannter Höhe zusätzlich zu berücksichtigen. Hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen.

Die neben den o.a. Beträgen ebenfalls anfallenden Aufwendungen des Beklagten für Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitsförderungsgeld sowie für Barbetrag und Bekleidung lässt die Kammer - wie bereits der Beklagte - vorliegend unberücksichtigt. Denn diese Aufwendungen fallen unabhängig davon an, in welcher Hilfeeinrichtung der Kläger untergebracht wird.

Damit übersteigen die monatlichen Aufwendungen der Eingliederungshilfe bei einer Unterbringung des Klägers in der C. Gemeinschaft "Ha." diejenigen der bisherigen Unterbringung um monatlich mindestens 805,83 EUR (ab dem 01.04.2014) und um 808,86 EUR (ab dem 01.01.2015) bzw. um 29,02 % (ab dem 01.04.2014) und um 28,25 % (ab dem 01.01.2015). Mehrkosten in dieser Höhe und in diesem Umfang monatlich sind aber nicht nur erheblich und wesentlich, sondern "unverhältnismäßig" im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII (vgl. OVG Lüneburg vom 16.02.2004 - 4 ME 400/03 - (Juris)). Zwar gibt es keine feste mathematische Grenze, bis zu der Mehrkosten angemessen sind. Vielmehr ist eine Abwägung der Mehrkosten im konkreten Einzelfall mit dem Gewicht des vom Leistungsberechtigten geltend gemachten Wunsches und seiner individuellen Situation vorzunehmen. Dabei ist der Wunsch des Leistungsberechtigten umso bedeutsamer, je mehr er seiner objektiven Bedarfssituation entspricht (vgl. BVerwG vom 18.08.2003 - 5 B 14/03 - (Juris)). Auch wird eine Unangemessenheit von Mehrkosten in Rechtsprechung und Literatur, soweit aktuell ersichtlich, verneint, wenn diese die Grenze von 20 % nicht erreichen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 02.09.2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B -; SG Freiburg vom 01.03.2011 - S 9 SO 2640/10 -; SG Mainz vom 30.06.2009 - S 5 SO 32/07 m.w.N. -; SG Hildesheim vom 19.05.2010 - S 34 SO 212/07 -; SG Duisburg vom 16.04.2012 - S 2 SO 55/11 - und Urteil des erkennenden Gerichts vom 28.11.2014 - S 1 SO 750/14 - (jeweils Juris)). Allen Entscheidungen lässt sich indes kein Rechtssatz der Gestalt entnehmen, dass eine Unangemessenheit von Mehrkosten erst bei einer Kostenüberschreitung ab 30 % vorliegt. Jedenfalls bei - wie hier - Mehrkosten in Höhe von monatlich rund 29 % ist die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch mit Blick auf die absolute Höhe der monatlichen Mehraufwendungen von mehr als 800,00 EUR indes deutlich überschritten. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom 17.02.2012 (S 1 SO 3144/11 - (Juris)). Denn entgegen dem Vorbringen des Klägers hat die Kammer dort Mehrkosten nicht "erst" ab einer Überschreitung von 35,1 % bzw. 37,5 % für unverhältnismäßig erachtet (vgl. die Ausführungen dort unter Rn. 28).

4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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