Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 623/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 247/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 2. April 2015 wird aufgehoben und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig SGB II-Leistungen für März 2015 in Höhe von 186,20 EUR und für April 2015 in Höhe von 399,00 EUR zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu ¾ zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. aus H. bewilligt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden Antragsteller) begehrt im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate März und April 2015.
Der 1953 geborene Antragsteller ist Eigentümer eines ehemaligen Ritterguts in W. Das ca.13.000 m² große Grundstück ist mit einem Wohngebäude und baufälligen Nebengebäuden bebaut. Der Antragsteller bezieht nach seinen Angaben seit 2005 SGB II-Leistungen. Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) erbrachte der Antragsgegner seit 2013 nur noch in Form von Einmalleistungen für Heizkosten. Der Antragsteller verfügt nicht über ein eigenes Konto; er wickelt seinen Zahlungsverkehr über ein Girokonto seines in D.-R. lebenden erwachsenen Sohn ab. Von den weiteren Kindern des Antragstellers leben eine volljährige Tochter in P. im B. W. und zwei 2000 und 2001 geborene Söhne in I. bei ihrer Mutter. Der Antragsteller nimmt sein Umgangsrecht (14-tägig am Wochenende, während der Schulferien und bei weiteren Gelegenheiten) regelmäßig wahr. Zu diesem Zweck finanzierte ihm der Antragsgegner in den Jahren 2012 bis 2014 eine Bahncard 100. In den letzten Jahren führte der Antragsteller die Korrespondenz mit dem Antragsgegner überwiegend per Fax und per E-Mail; persönlich sprach er nur selten vor. Bescheide lässt er an die Anschrift seines Sohnes nach D.-R. schicken. Der Antragsteller hält sich regelmäßig zu physiotherapeutischen und medizinischen Behandlungen in L. sowie an anderen Orten – überwiegend in B. – auf.
Mit Bescheid vom 29. August 2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen in Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende für den Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2014 hob er die Bewilligung ab dem 1. November 2014 auf und gab zur Begründung an, der Antragsteller halte sich nicht an seinem angegebenen Wohnsitz auf. Ein Bewohnen des maroden Anwesens sei nicht möglich. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch und einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG), das den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. November 2014 zur Leistungsgewährung bis einschließlich Februar 2015 verpflichtete. Es führte aus, es sei zwar unklar, an welchem Ort sich der Antragsteller gewöhnlich und tatsächlich aufhalte. Da die örtliche Zuständigkeit des angegangenen SGB II-Leistungsträgers keine Anspruchsvoraussetzung mit materiell-rechtlichem Charakter sei, müsse der Antragsgegner auch als ggf. örtlich unzuständiger Träger leisten.
Am 22. Februar 2015 stellte der Antragsteller per E-Fax einen Fortzahlungsantrag ab März 2015. Daraufhin ordnete der Antragsgegner am 23. Februar 2015 einen Hausbesuch zur Prüfung der Wohnverhältnisse an. Nachdem der Antragsteller am 24. Februar und 11. März 2015 unter seiner Wohnanschrift nicht angetroffen wurde, bat der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 16. März 2015, sich am 18. März 2015 in der Wohnung aufzuhalten, damit er sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen äußern könne. Daraufhin führte der Antragsteller in einer E-Mail vom 18. März 2015 aus, er könne den Termin nicht wahrnehmen, da er sich in B. aufhalte. Ohne Leistungen könne er die Kosten für eine Rückkehr nach W. nicht aufbringen. Im Übrigen sei dem Antragsgegner bekannt, dass er seinen Wohnsitz verlegen wolle, gesundheitlich beeinträchtigt sei und regelmäßiger Behandlung bedürfe. Vom 13. bis zum 22. Februar 2015 seien in B. Winterferien gewesen seien; er sei zwei Kindern zum Umgang verpflichtet sei. Anlässlich des Ferienendes habe er physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen und sich auf Wohnungssuche begeben.
Mit Bescheid vom 18. März 2015 versagte der Antragsgegner die Leistungsgewährung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten. Die Ermittlung der Angaben vor Ort sei für die Prüfung des Leistungsanspruchs unerlässlich.
Am 18. März 2015 hat der Antragsteller beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe für März 2015 keine Leistungen erhalten. Er halte sich bei seiner Tochter im B. W. auf und habe keine finanziellen Mittel, um an seinen Wohnsitz zurückzukehren. Es sei unklar, weshalb der Antragsgegner einen Hausbesuch durchführen wolle. Der schlechte Zustand des Hauses sei unstreitig und KdU-Leistungen würden ohnedies nicht erbracht. Er habe seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in W. Er sei genötigt, sich bei seiner Tochter aufzuhalten, und lebe von der Unterstützung durch Familienangehörige.
Auf Hinweis des SG hat der Antragsgegner seinen Bescheid vom 18. März 2015 zurückgenommen. Mit "eidesstattlichen Versicherungen" vom 26. März 2015 hat der Antragsteller bekräftigt, dass sein Haus in W. sein einziger Wohnsitz sein. Dort befinde sich seine gesamte Habe. Er habe kein Bargeld mehr und lebe seit dem 1. März 2015 ausschließlich von Lebensmitteln und dem Geld anderer. Er habe keine Sparbücher, Konten, Wertpapiere oder andere Vermögenswerte.
Mit Beschluss vom 2. April 2015 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat ausgeführt, der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der gewöhnliche Aufenthalt im Bereich des Antragsgegners sei nicht relevant, da die Zuständigkeitsregelung des § 36 SGB II keine Anspruchsvoraussetzung sei. Aus den Kontoauszügen seien bis auf die SGB II-Leistungen keine Geldeingänge ersichtlich. Es könne nicht nachvollzogen werden, wie die "ausgeweitete, mehrmals wöchentliche Reisetätigkeit" (B., L. und mehrere Orte in B.) finanziert werde. Die Behauptung des Antragstellers, er habe kein sonstiges Einkommen oder Vermögen, sei deshalb nicht glaubhaft. Der Antragsteller sei nicht auf SGB II-Leistungen angewiesen, solange er von dritter Seite unterstützt werde.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 16. April 2015 Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Zur Begründung hat er seine Angaben zum Wohnsitz wiederholt und in einer weiteren "eidesstattlichen Versicherung" vom 15. April 2015 erklärt, im Jahr 2015 keine Zuwendungen Dritter erhalten zu haben. Ihm hätten seine Schwester und seine geschiedene Ehefrau je 50,00 EUR und seine ältere Tochter 260,00 EUR geliehen. Hinzu kämen sachbezogene Geldleistungen. Der Freund der Tochter habe die Fahrtkosten für den Kindesumgang vorfinanziert. Diese Kleinkredite müsse er zurückzahlen. Das Ausbleiben der SGB II-Leistungen hindere ihn daran, an seinen Wohnsitz zurückzukehren. Die Kontoauszüge belegten, dass er keine weiteren Einnahmen habe. Das SG habe übersehen, dass er seine Reisen nur habe durchführen können, weil der Antragsgegner ihm zur Wahrnehmung des Umgangs mit seinen Kindern eine bis Januar 2015 gültige Bahncard 100 finanziert habe. Derzeit könne er wegen fehlender Finanzmittel auch seine Therapien nicht fortführen.
Auf Anforderung der Berichterstatterin hat der Antragsteller die Kontoauszüge des Girokontos des Sohnes für den Zeitraum von 2. Januar bis zum 13. April 2015 vorgelegt, bei denen nach seinen Angaben lediglich die den Sohn betreffenden Buchungsvorgänge geschwärzt worden seien. Das Girokonto wies am 2. Januar 2015 – offensichtlich nach Gutschrift der SGB II-Leistungen für Januar 2015 – ein Guthaben von 403,44 EUR auf. Daneben ist lediglich eine weitere Gutschrift des Antragsgegners vom 29. Januar 2015 über 379,50 EUR verzeichnet. Im Übrigen sind Lastschriften und Überweisungen des Antragstellers und des Sohnes (letztere über insgesamt ca. 190,00 EUR) verzeichnet. Es wurden insgesamt 180,00 EUR (je 15,00 EUR am 13. Januar 2015 und 13. Februar 2015 sowie 150,00 EUR am 10. Februar 2015) an die Tochter überwiesen. Es erfolgten zwei Lastschriften der S. Therme über je 69,00 EUR sowie Überweisungen an Privatpersonen. Barabhebungen sind nicht vorgenommen worden. Es sind auch keine Lastschriften für Lebensmittelmärkte oder Discounter ersichtlich. Eine dem Sohn zuzurechnende Gutschrift oder Bareinzahlung auf dem Konto ist nicht erfolgt.
Auf Aufforderung der Berichterstatterin, die Aufenthaltsorte seit Jahresbeginn mit Zeitangaben darzulegen und ergänzende Angaben zu den Kontoauszügen und der Verwendung der SGB II-Leistungen für den Lebensunterhalt zu machen, hat der Antragsteller ausgeführt, Zweifel an der Hilfebedürftigkeit dürften nicht daraus resultieren, dass sein Sohn das Konto auch für eigene Abbuchungen verwende. Der Sohn übergebe ihm häufiger Bargeld und stelle sicher, dass er die ihm zustehenden Geldmittel erhalte. Da der Antragsgegner ihm keine KdU-Leistungen gewähre, habe er keine Nebenkostenvorauszahlungen mehr erbracht. Er habe sich bis etwa 26. Februar 2015 immer wieder in W. aufgehalten. Am 2., 8., 13. und 15. Januar 2015 sei er von W. aus zur Hydrotherapie nach L. gereist. Am 10. und 11. Januar 2015 habe er sich in Ausübung seines Umgangsrechts bei den Kindern in I. aufgehalten. Die Winterferien habe er ungefähr ab 14. Februar 2015 mit seinen beiden minderjährigen Söhnen bei seiner erwachsenen Tochter in P. verbracht. Am 27. Februar 2015 sei er in W. zur physiotherapeutischen Behandlung gewesen. Er habe beabsichtigt, dann einige Tage bei seiner Tochter in P. zu bleiben. Etwa Ende Januar 2015 oder Anfang Februar 2015 habe er zuletzt persönlich beim Antragsgegner vorgesprochen.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 2. April 2015 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II für die Monate März und April zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt schriftlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die nach seiner Ansicht zutreffenden Ausführungen im Beschluss des SG. Er meint weiterhin, der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Die Angaben zu den Aufenthaltsorten im Jahr 2015 seien nicht haltbar. Nach der vorliegenden Wasserabrechnung vom 11. März 2015 für den Zeitraum von Februar 2014 bis Februar 2015 habe der Antragsteller 0 m³ Wasser verbraucht. Dies spreche gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt am angeblichen Wohnsitz. Aus den Kontoauszügen sei erkennbar, dass der Antragsteller Überweisungen an seine Tochter und dritte Personen tätige. Nicht erkennbar seien jedoch Zahlungen bzw. Überweisungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts dienten, insbesondere für Einkäufe etc. Daher sei zu vermuten, dass der Antragsteller noch eine andere Finanzierungsquelle habe. Auch sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller an einem anderen Ort in einer Bedarfsgemeinschaft lebe.
Dazu hat der Antragsteller ausgeführt, der Vortrag zu den KdU sei weitgehend irrelevant, denn hier sei vorrangig der Regelbedarf streitig. Zu den KdU und den unbeschiedenen Anträgen auf Instandsetzungsleistungen gäbe es viel zu sagen. Er habe die Zeiten des Umgangs mit den Kindern nachgewiesen. Wegen des Wasserverbrauchs weise er darauf hin, dass er sich viermal pro Woche aus therapeutischen Gründen in der Therme in L. aufhalte, und er zudem den auf seinem Grundstück befindlichen früheren Dorfbrunnen nutze, um die Kosten zu minimieren. Zudem beruhe die Wasserabrechnung auf einer Schätzung. Seine Lebensmittel bezahle er bar, da er keine EC-Karte habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 2. April 2015 ist zulässig, insbesondere nach den §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG ausgeschlossen. Der maßgebliche Wert der Beschwer für eine Berufung von 750,00 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist überschritten, da der Antragsteller die Gewährung der Regelleistung für Alleinstehende iHv derzeit 399,00 EUR/Monat für zwei Monate begehrt.
Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner abgelehnt.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Auflage 2014, § 86b RN 16b).
Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, Az.: 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; BVerfG, NVwZ 2004, S. 95 f.), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren – wie vorliegend – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, dass der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt. Dies gilt insbesondere wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Zudem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22 November 2002, a.a.O., S. 1237). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Unter Anwendung dieser Grundsätze war vorliegend im Rahmen einer Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers zu entscheiden. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind entgegen der Ansicht des SG hinreichend glaubhaft gemacht. Da der Antragsteller bereits seit März 2015 die grundsätzlich zur Existenzsicherung benötigten Regelleistungen nicht mehr erhält, befindet er sich in einer dringlichen Notlage.
Auch vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist hier zu Gunsten des Antragstellers im Rahmen der Folgenabwägung auszugehen. Zudem hat er mit eidesstattlichen Versicherungen erklärt, dass er nicht über andere, bislang nicht offen gelegte Einnahmequellen verfügt, aus denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Insoweit hat er eine existenzielle Notlage im Hinblick auf einen Regelleistungsanspruch nach § 20 SGB II glaubhaft gemacht, denn er hat geltend gemacht, dass er seinen Lebensunterhalt derzeit nur mit Hilfe von Naturalleistungen und Kleindarlehen von Verwandten und Bekannten sichern kann.
Leistungen nach § 19 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und seine Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Der Senat geht davon aus, dass der 62-jährige Antragsteller weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Er ist, solange seine Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt ist, als erwerbsfähig anzusehen (§ 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II). Der Umstand, dass der Antragsteller möglicherweise bereits seit längerem seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bereich des Antragsgegners hat, hindert nicht die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig Regelleistungen zu gewähren, zumal die örtliche Zuständigkeit iSv § 36 SGB II keine Leistungsvoraussetzung im engeren Sinne ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2012, Az. B 14 AS 133/11 R, juris RN 19). Insoweit ist – insbesondere im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – der Rechtsgedanke des § 16 SGB I heranzuziehen, wonach der Einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistungen nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb des gegliederten Sozialleistungssystems scheitern darf (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 1990, Az.: 12 RK 10/89, juris RN 18).
Zudem ist zu berücksichtigen, dass beim Antragsgegner auch noch der von Antragsteller am 22. Februar 2015 gestellte Leistungsantrag anhängig ist, über den der Antragsgegner bislang in der Sache noch nicht entschieden hat. Seinen anfänglichen Versagungsbescheid hat er während des erstinstanzlichen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zwar aufgehoben, aber noch nicht neu entschieden.
Einer Leistungsgewährung an den Antragsteller steht hier auch nicht die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II entgegen. Danach besteht keine Leistungspflicht des an sich örtlich zuständigen SGB II-Leistungsträgers, wenn sich der Leistungsberechtigte ohne dessen Zustimmung nicht in dessen orts- und zeitnahen Bereich aufhält. Die Vorschrift hat die Funktion eines Leistungsausschlusses, wenn es an der Zustimmung mangelt; die Zustimmung des SGB II-Leistungsträgers zur Ortsabwesenheit ist jedoch – ebenso wie die Verfügbarkeit - keine Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, Az.: B 4 AS 166 /11 R, juris RN 24).
Der Antragsteller ist wohl auch hilfebedürftig (§ 9 SGB II). Er hält sich nach seinen Angaben (aus finanziellen Gründen und gezwungenermaßen) bei seiner Tochter in P. auf. Dies kann ihm angesichts des Fehlens der SGB II-Leistungen seit März 2015 nicht widerlegt werden. Der Senat geht davon aus, dass die Unterstützung, die der Antragsteller von der Tochter überwiegend in Form von Naturalleistungen (freie Mahlzeiten) erhält, aufgrund verwandtschaftlicher Verbundenheit oder sittlicher Verpflichtung erfolgt, um vorübergehend – und ggf. darlehensweise – das Ausbleiben der benötigten SGB II-Leistungen zu kompensieren. Sie führt nicht zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit oder zur Reduzierung des monatlichen Bedarfs.
Auch im Übrigen gibt es keine belastbaren Hinweise auf anderweitiges Einkommen, das zum Wegfall des Hilfebedarfs führen würde. Die übrigen vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren geäußerten Zweifel an der Hilfebedürftigkeit sind nicht durch Tatsachen belegt und bewegen sich im Bereich der Spekulation (anderweitige Bedarfsgemeinschaft, Wasserabrechnung nach Schätzung). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der Sachverhalt Anlass zu Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit bietet, die sich jedoch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend klären lassen. Insoweit wird auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss ergänzend Bezug genommen. Der Senat teilt die Auffassung, dass die Vielzahl der vom Antragsteller in der Vergangenheit unternommenen Fahrten – selbst wenn man eine umfassende Deckung der damit verbundenen Fahrtkosten aufgrund der dem Antragsteller bis zum Januar 2015 zur Verfügung stehenden Bahncard 100 zu Grunde legt – wohl kaum allein aus der Regelleistung finanziert worden sein dürfte. Denn häufige Abwesenheiten sind in der Regel mit höheren Lebenshaltungskosten verbunden, als sie in der eigenen Wohnung anfallen. Auffällig ist auch, dass den vorliegenden Kontoauszügen für das Jahr 2015 keine Barabhebungen oder Abbuchungen bzw. Lastschriften zu entnehmen sind, die der Deckung der Lebenshaltungskosten (wie Einkäufe im Supermarkt) dienen. Soweit der Antragsteller einwendet, sein in D. lebender Sohn, der Kontoinhaber, versorge ihn mit Bargeld, mag dies ein Ausgleich für die vom Sohn veranlassten Abhebungen vom Konto sein. Denn dessen Habenseite wurde allein durch Gutschriften des SGB II-Leistungsträgers gespeist. Indes hat der Antragsteller eine derartige familieninterne Verrechnung nicht substantiiert dargelegt.
Da um existenzsichernde Leistungen mit unmittelbaren Grundrechtsbezug gestritten wird, ist es vorliegend angemessen, dem Antragsteller vorläufig die monatliche Regelleistung eines Alleinstehenden in voller Höhe (399,00 EUR) zu gewähren.
Anders ist die Situation zu bewerten, was Unterkunftskosten anbelangt: KdU-Leistungen hat der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens nicht (ausdrücklich) geltend gemacht. Er hat zwar sein Rechtsschutzbegehren nicht ausdrücklich auf den Regelbedarf beschränkt, jedoch keine weitergehenden detaillierten Angaben zu den unterkunftsbezogenen Aufwendungen gemacht. Insoweit ist ein konkreter Bedarf nicht glaubhaft gemacht worden. Zudem besteht insoweit kein Anordnungsanspruch, da der Antragsteller nach eigenen Angaben bereits seit Mitte Februar 2015 das Anwesen in W. nicht mehr als Unterkunft nutzt. Er hat zwar bekundet, er habe sich allein wegen des Fehlens finanzieller Mittel nicht mehr an seinem Wohnort aufgehalten, aber auch nicht ausdrücklich erklärt, dorthin zurückkehren zu wollen. Ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in W. nimmt, oder ob er diesen dauerhaft aufgegeben hat, lässt sich derzeit für den Senat nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen. Dies wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu überprüfen sein.
Letztlich sind dem Antragsteller trotz der nicht völlig geklärten finanziellen Verhältnisse im Wege der Folgeabwägung Leistungen in Höhe des Regelbedarfs von 399,00 EUR monatlich ab Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtschutzes, die am 17. März 2015 erfolgte, für den streitbefangenen Zeitraum zu bewilligen. Der Antragsgegner war zu verpflichten, für 14 Tage des Monats März 2015 insgesamt 186,20 EUR (399,00 EUR: 30 x 14) und für den Monat April 399,00 EUR zu gewähren. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind SGB II-Leistungen in der Regel ab Eingang des Antrags bei Gericht zuzusprechen (vgl. Keller, a.a.O., § 86b RN 35a). Ein besonderer Nachholbedarf für die Zeit vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist vorliegend nicht dezidiert geltend gemacht worden, sodass kein Grund für eine von der Regel abweichende Leistungsgewährung für den ganzen Monat besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren PKH unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 73a SGG iVm den §§ 114 f. ZPO zu bewilligen, da die Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren aus den dargelegten Gründen Erfolg hatte.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu ¾ zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. aus H. bewilligt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden Antragsteller) begehrt im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate März und April 2015.
Der 1953 geborene Antragsteller ist Eigentümer eines ehemaligen Ritterguts in W. Das ca.13.000 m² große Grundstück ist mit einem Wohngebäude und baufälligen Nebengebäuden bebaut. Der Antragsteller bezieht nach seinen Angaben seit 2005 SGB II-Leistungen. Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) erbrachte der Antragsgegner seit 2013 nur noch in Form von Einmalleistungen für Heizkosten. Der Antragsteller verfügt nicht über ein eigenes Konto; er wickelt seinen Zahlungsverkehr über ein Girokonto seines in D.-R. lebenden erwachsenen Sohn ab. Von den weiteren Kindern des Antragstellers leben eine volljährige Tochter in P. im B. W. und zwei 2000 und 2001 geborene Söhne in I. bei ihrer Mutter. Der Antragsteller nimmt sein Umgangsrecht (14-tägig am Wochenende, während der Schulferien und bei weiteren Gelegenheiten) regelmäßig wahr. Zu diesem Zweck finanzierte ihm der Antragsgegner in den Jahren 2012 bis 2014 eine Bahncard 100. In den letzten Jahren führte der Antragsteller die Korrespondenz mit dem Antragsgegner überwiegend per Fax und per E-Mail; persönlich sprach er nur selten vor. Bescheide lässt er an die Anschrift seines Sohnes nach D.-R. schicken. Der Antragsteller hält sich regelmäßig zu physiotherapeutischen und medizinischen Behandlungen in L. sowie an anderen Orten – überwiegend in B. – auf.
Mit Bescheid vom 29. August 2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen in Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende für den Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2014 hob er die Bewilligung ab dem 1. November 2014 auf und gab zur Begründung an, der Antragsteller halte sich nicht an seinem angegebenen Wohnsitz auf. Ein Bewohnen des maroden Anwesens sei nicht möglich. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch und einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG), das den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. November 2014 zur Leistungsgewährung bis einschließlich Februar 2015 verpflichtete. Es führte aus, es sei zwar unklar, an welchem Ort sich der Antragsteller gewöhnlich und tatsächlich aufhalte. Da die örtliche Zuständigkeit des angegangenen SGB II-Leistungsträgers keine Anspruchsvoraussetzung mit materiell-rechtlichem Charakter sei, müsse der Antragsgegner auch als ggf. örtlich unzuständiger Träger leisten.
Am 22. Februar 2015 stellte der Antragsteller per E-Fax einen Fortzahlungsantrag ab März 2015. Daraufhin ordnete der Antragsgegner am 23. Februar 2015 einen Hausbesuch zur Prüfung der Wohnverhältnisse an. Nachdem der Antragsteller am 24. Februar und 11. März 2015 unter seiner Wohnanschrift nicht angetroffen wurde, bat der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 16. März 2015, sich am 18. März 2015 in der Wohnung aufzuhalten, damit er sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen äußern könne. Daraufhin führte der Antragsteller in einer E-Mail vom 18. März 2015 aus, er könne den Termin nicht wahrnehmen, da er sich in B. aufhalte. Ohne Leistungen könne er die Kosten für eine Rückkehr nach W. nicht aufbringen. Im Übrigen sei dem Antragsgegner bekannt, dass er seinen Wohnsitz verlegen wolle, gesundheitlich beeinträchtigt sei und regelmäßiger Behandlung bedürfe. Vom 13. bis zum 22. Februar 2015 seien in B. Winterferien gewesen seien; er sei zwei Kindern zum Umgang verpflichtet sei. Anlässlich des Ferienendes habe er physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen und sich auf Wohnungssuche begeben.
Mit Bescheid vom 18. März 2015 versagte der Antragsgegner die Leistungsgewährung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten. Die Ermittlung der Angaben vor Ort sei für die Prüfung des Leistungsanspruchs unerlässlich.
Am 18. März 2015 hat der Antragsteller beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe für März 2015 keine Leistungen erhalten. Er halte sich bei seiner Tochter im B. W. auf und habe keine finanziellen Mittel, um an seinen Wohnsitz zurückzukehren. Es sei unklar, weshalb der Antragsgegner einen Hausbesuch durchführen wolle. Der schlechte Zustand des Hauses sei unstreitig und KdU-Leistungen würden ohnedies nicht erbracht. Er habe seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in W. Er sei genötigt, sich bei seiner Tochter aufzuhalten, und lebe von der Unterstützung durch Familienangehörige.
Auf Hinweis des SG hat der Antragsgegner seinen Bescheid vom 18. März 2015 zurückgenommen. Mit "eidesstattlichen Versicherungen" vom 26. März 2015 hat der Antragsteller bekräftigt, dass sein Haus in W. sein einziger Wohnsitz sein. Dort befinde sich seine gesamte Habe. Er habe kein Bargeld mehr und lebe seit dem 1. März 2015 ausschließlich von Lebensmitteln und dem Geld anderer. Er habe keine Sparbücher, Konten, Wertpapiere oder andere Vermögenswerte.
Mit Beschluss vom 2. April 2015 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat ausgeführt, der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der gewöhnliche Aufenthalt im Bereich des Antragsgegners sei nicht relevant, da die Zuständigkeitsregelung des § 36 SGB II keine Anspruchsvoraussetzung sei. Aus den Kontoauszügen seien bis auf die SGB II-Leistungen keine Geldeingänge ersichtlich. Es könne nicht nachvollzogen werden, wie die "ausgeweitete, mehrmals wöchentliche Reisetätigkeit" (B., L. und mehrere Orte in B.) finanziert werde. Die Behauptung des Antragstellers, er habe kein sonstiges Einkommen oder Vermögen, sei deshalb nicht glaubhaft. Der Antragsteller sei nicht auf SGB II-Leistungen angewiesen, solange er von dritter Seite unterstützt werde.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 16. April 2015 Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Zur Begründung hat er seine Angaben zum Wohnsitz wiederholt und in einer weiteren "eidesstattlichen Versicherung" vom 15. April 2015 erklärt, im Jahr 2015 keine Zuwendungen Dritter erhalten zu haben. Ihm hätten seine Schwester und seine geschiedene Ehefrau je 50,00 EUR und seine ältere Tochter 260,00 EUR geliehen. Hinzu kämen sachbezogene Geldleistungen. Der Freund der Tochter habe die Fahrtkosten für den Kindesumgang vorfinanziert. Diese Kleinkredite müsse er zurückzahlen. Das Ausbleiben der SGB II-Leistungen hindere ihn daran, an seinen Wohnsitz zurückzukehren. Die Kontoauszüge belegten, dass er keine weiteren Einnahmen habe. Das SG habe übersehen, dass er seine Reisen nur habe durchführen können, weil der Antragsgegner ihm zur Wahrnehmung des Umgangs mit seinen Kindern eine bis Januar 2015 gültige Bahncard 100 finanziert habe. Derzeit könne er wegen fehlender Finanzmittel auch seine Therapien nicht fortführen.
Auf Anforderung der Berichterstatterin hat der Antragsteller die Kontoauszüge des Girokontos des Sohnes für den Zeitraum von 2. Januar bis zum 13. April 2015 vorgelegt, bei denen nach seinen Angaben lediglich die den Sohn betreffenden Buchungsvorgänge geschwärzt worden seien. Das Girokonto wies am 2. Januar 2015 – offensichtlich nach Gutschrift der SGB II-Leistungen für Januar 2015 – ein Guthaben von 403,44 EUR auf. Daneben ist lediglich eine weitere Gutschrift des Antragsgegners vom 29. Januar 2015 über 379,50 EUR verzeichnet. Im Übrigen sind Lastschriften und Überweisungen des Antragstellers und des Sohnes (letztere über insgesamt ca. 190,00 EUR) verzeichnet. Es wurden insgesamt 180,00 EUR (je 15,00 EUR am 13. Januar 2015 und 13. Februar 2015 sowie 150,00 EUR am 10. Februar 2015) an die Tochter überwiesen. Es erfolgten zwei Lastschriften der S. Therme über je 69,00 EUR sowie Überweisungen an Privatpersonen. Barabhebungen sind nicht vorgenommen worden. Es sind auch keine Lastschriften für Lebensmittelmärkte oder Discounter ersichtlich. Eine dem Sohn zuzurechnende Gutschrift oder Bareinzahlung auf dem Konto ist nicht erfolgt.
Auf Aufforderung der Berichterstatterin, die Aufenthaltsorte seit Jahresbeginn mit Zeitangaben darzulegen und ergänzende Angaben zu den Kontoauszügen und der Verwendung der SGB II-Leistungen für den Lebensunterhalt zu machen, hat der Antragsteller ausgeführt, Zweifel an der Hilfebedürftigkeit dürften nicht daraus resultieren, dass sein Sohn das Konto auch für eigene Abbuchungen verwende. Der Sohn übergebe ihm häufiger Bargeld und stelle sicher, dass er die ihm zustehenden Geldmittel erhalte. Da der Antragsgegner ihm keine KdU-Leistungen gewähre, habe er keine Nebenkostenvorauszahlungen mehr erbracht. Er habe sich bis etwa 26. Februar 2015 immer wieder in W. aufgehalten. Am 2., 8., 13. und 15. Januar 2015 sei er von W. aus zur Hydrotherapie nach L. gereist. Am 10. und 11. Januar 2015 habe er sich in Ausübung seines Umgangsrechts bei den Kindern in I. aufgehalten. Die Winterferien habe er ungefähr ab 14. Februar 2015 mit seinen beiden minderjährigen Söhnen bei seiner erwachsenen Tochter in P. verbracht. Am 27. Februar 2015 sei er in W. zur physiotherapeutischen Behandlung gewesen. Er habe beabsichtigt, dann einige Tage bei seiner Tochter in P. zu bleiben. Etwa Ende Januar 2015 oder Anfang Februar 2015 habe er zuletzt persönlich beim Antragsgegner vorgesprochen.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 2. April 2015 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II für die Monate März und April zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt schriftlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die nach seiner Ansicht zutreffenden Ausführungen im Beschluss des SG. Er meint weiterhin, der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Die Angaben zu den Aufenthaltsorten im Jahr 2015 seien nicht haltbar. Nach der vorliegenden Wasserabrechnung vom 11. März 2015 für den Zeitraum von Februar 2014 bis Februar 2015 habe der Antragsteller 0 m³ Wasser verbraucht. Dies spreche gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt am angeblichen Wohnsitz. Aus den Kontoauszügen sei erkennbar, dass der Antragsteller Überweisungen an seine Tochter und dritte Personen tätige. Nicht erkennbar seien jedoch Zahlungen bzw. Überweisungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts dienten, insbesondere für Einkäufe etc. Daher sei zu vermuten, dass der Antragsteller noch eine andere Finanzierungsquelle habe. Auch sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller an einem anderen Ort in einer Bedarfsgemeinschaft lebe.
Dazu hat der Antragsteller ausgeführt, der Vortrag zu den KdU sei weitgehend irrelevant, denn hier sei vorrangig der Regelbedarf streitig. Zu den KdU und den unbeschiedenen Anträgen auf Instandsetzungsleistungen gäbe es viel zu sagen. Er habe die Zeiten des Umgangs mit den Kindern nachgewiesen. Wegen des Wasserverbrauchs weise er darauf hin, dass er sich viermal pro Woche aus therapeutischen Gründen in der Therme in L. aufhalte, und er zudem den auf seinem Grundstück befindlichen früheren Dorfbrunnen nutze, um die Kosten zu minimieren. Zudem beruhe die Wasserabrechnung auf einer Schätzung. Seine Lebensmittel bezahle er bar, da er keine EC-Karte habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 2. April 2015 ist zulässig, insbesondere nach den §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG ausgeschlossen. Der maßgebliche Wert der Beschwer für eine Berufung von 750,00 EUR nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist überschritten, da der Antragsteller die Gewährung der Regelleistung für Alleinstehende iHv derzeit 399,00 EUR/Monat für zwei Monate begehrt.
Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner abgelehnt.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Auflage 2014, § 86b RN 16b).
Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, Az.: 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; BVerfG, NVwZ 2004, S. 95 f.), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren – wie vorliegend – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, dass der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt. Dies gilt insbesondere wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Zudem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22 November 2002, a.a.O., S. 1237). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Unter Anwendung dieser Grundsätze war vorliegend im Rahmen einer Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers zu entscheiden. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind entgegen der Ansicht des SG hinreichend glaubhaft gemacht. Da der Antragsteller bereits seit März 2015 die grundsätzlich zur Existenzsicherung benötigten Regelleistungen nicht mehr erhält, befindet er sich in einer dringlichen Notlage.
Auch vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist hier zu Gunsten des Antragstellers im Rahmen der Folgenabwägung auszugehen. Zudem hat er mit eidesstattlichen Versicherungen erklärt, dass er nicht über andere, bislang nicht offen gelegte Einnahmequellen verfügt, aus denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Insoweit hat er eine existenzielle Notlage im Hinblick auf einen Regelleistungsanspruch nach § 20 SGB II glaubhaft gemacht, denn er hat geltend gemacht, dass er seinen Lebensunterhalt derzeit nur mit Hilfe von Naturalleistungen und Kleindarlehen von Verwandten und Bekannten sichern kann.
Leistungen nach § 19 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und seine Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Der Senat geht davon aus, dass der 62-jährige Antragsteller weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Er ist, solange seine Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt ist, als erwerbsfähig anzusehen (§ 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II). Der Umstand, dass der Antragsteller möglicherweise bereits seit längerem seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bereich des Antragsgegners hat, hindert nicht die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig Regelleistungen zu gewähren, zumal die örtliche Zuständigkeit iSv § 36 SGB II keine Leistungsvoraussetzung im engeren Sinne ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2012, Az. B 14 AS 133/11 R, juris RN 19). Insoweit ist – insbesondere im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – der Rechtsgedanke des § 16 SGB I heranzuziehen, wonach der Einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistungen nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb des gegliederten Sozialleistungssystems scheitern darf (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 1990, Az.: 12 RK 10/89, juris RN 18).
Zudem ist zu berücksichtigen, dass beim Antragsgegner auch noch der von Antragsteller am 22. Februar 2015 gestellte Leistungsantrag anhängig ist, über den der Antragsgegner bislang in der Sache noch nicht entschieden hat. Seinen anfänglichen Versagungsbescheid hat er während des erstinstanzlichen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zwar aufgehoben, aber noch nicht neu entschieden.
Einer Leistungsgewährung an den Antragsteller steht hier auch nicht die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II entgegen. Danach besteht keine Leistungspflicht des an sich örtlich zuständigen SGB II-Leistungsträgers, wenn sich der Leistungsberechtigte ohne dessen Zustimmung nicht in dessen orts- und zeitnahen Bereich aufhält. Die Vorschrift hat die Funktion eines Leistungsausschlusses, wenn es an der Zustimmung mangelt; die Zustimmung des SGB II-Leistungsträgers zur Ortsabwesenheit ist jedoch – ebenso wie die Verfügbarkeit - keine Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, Az.: B 4 AS 166 /11 R, juris RN 24).
Der Antragsteller ist wohl auch hilfebedürftig (§ 9 SGB II). Er hält sich nach seinen Angaben (aus finanziellen Gründen und gezwungenermaßen) bei seiner Tochter in P. auf. Dies kann ihm angesichts des Fehlens der SGB II-Leistungen seit März 2015 nicht widerlegt werden. Der Senat geht davon aus, dass die Unterstützung, die der Antragsteller von der Tochter überwiegend in Form von Naturalleistungen (freie Mahlzeiten) erhält, aufgrund verwandtschaftlicher Verbundenheit oder sittlicher Verpflichtung erfolgt, um vorübergehend – und ggf. darlehensweise – das Ausbleiben der benötigten SGB II-Leistungen zu kompensieren. Sie führt nicht zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit oder zur Reduzierung des monatlichen Bedarfs.
Auch im Übrigen gibt es keine belastbaren Hinweise auf anderweitiges Einkommen, das zum Wegfall des Hilfebedarfs führen würde. Die übrigen vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren geäußerten Zweifel an der Hilfebedürftigkeit sind nicht durch Tatsachen belegt und bewegen sich im Bereich der Spekulation (anderweitige Bedarfsgemeinschaft, Wasserabrechnung nach Schätzung). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der Sachverhalt Anlass zu Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit bietet, die sich jedoch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend klären lassen. Insoweit wird auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss ergänzend Bezug genommen. Der Senat teilt die Auffassung, dass die Vielzahl der vom Antragsteller in der Vergangenheit unternommenen Fahrten – selbst wenn man eine umfassende Deckung der damit verbundenen Fahrtkosten aufgrund der dem Antragsteller bis zum Januar 2015 zur Verfügung stehenden Bahncard 100 zu Grunde legt – wohl kaum allein aus der Regelleistung finanziert worden sein dürfte. Denn häufige Abwesenheiten sind in der Regel mit höheren Lebenshaltungskosten verbunden, als sie in der eigenen Wohnung anfallen. Auffällig ist auch, dass den vorliegenden Kontoauszügen für das Jahr 2015 keine Barabhebungen oder Abbuchungen bzw. Lastschriften zu entnehmen sind, die der Deckung der Lebenshaltungskosten (wie Einkäufe im Supermarkt) dienen. Soweit der Antragsteller einwendet, sein in D. lebender Sohn, der Kontoinhaber, versorge ihn mit Bargeld, mag dies ein Ausgleich für die vom Sohn veranlassten Abhebungen vom Konto sein. Denn dessen Habenseite wurde allein durch Gutschriften des SGB II-Leistungsträgers gespeist. Indes hat der Antragsteller eine derartige familieninterne Verrechnung nicht substantiiert dargelegt.
Da um existenzsichernde Leistungen mit unmittelbaren Grundrechtsbezug gestritten wird, ist es vorliegend angemessen, dem Antragsteller vorläufig die monatliche Regelleistung eines Alleinstehenden in voller Höhe (399,00 EUR) zu gewähren.
Anders ist die Situation zu bewerten, was Unterkunftskosten anbelangt: KdU-Leistungen hat der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens nicht (ausdrücklich) geltend gemacht. Er hat zwar sein Rechtsschutzbegehren nicht ausdrücklich auf den Regelbedarf beschränkt, jedoch keine weitergehenden detaillierten Angaben zu den unterkunftsbezogenen Aufwendungen gemacht. Insoweit ist ein konkreter Bedarf nicht glaubhaft gemacht worden. Zudem besteht insoweit kein Anordnungsanspruch, da der Antragsteller nach eigenen Angaben bereits seit Mitte Februar 2015 das Anwesen in W. nicht mehr als Unterkunft nutzt. Er hat zwar bekundet, er habe sich allein wegen des Fehlens finanzieller Mittel nicht mehr an seinem Wohnort aufgehalten, aber auch nicht ausdrücklich erklärt, dorthin zurückkehren zu wollen. Ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in W. nimmt, oder ob er diesen dauerhaft aufgegeben hat, lässt sich derzeit für den Senat nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen. Dies wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu überprüfen sein.
Letztlich sind dem Antragsteller trotz der nicht völlig geklärten finanziellen Verhältnisse im Wege der Folgeabwägung Leistungen in Höhe des Regelbedarfs von 399,00 EUR monatlich ab Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtschutzes, die am 17. März 2015 erfolgte, für den streitbefangenen Zeitraum zu bewilligen. Der Antragsgegner war zu verpflichten, für 14 Tage des Monats März 2015 insgesamt 186,20 EUR (399,00 EUR: 30 x 14) und für den Monat April 399,00 EUR zu gewähren. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind SGB II-Leistungen in der Regel ab Eingang des Antrags bei Gericht zuzusprechen (vgl. Keller, a.a.O., § 86b RN 35a). Ein besonderer Nachholbedarf für die Zeit vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist vorliegend nicht dezidiert geltend gemacht worden, sodass kein Grund für eine von der Regel abweichende Leistungsgewährung für den ganzen Monat besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren PKH unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 73a SGG iVm den §§ 114 f. ZPO zu bewilligen, da die Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren aus den dargelegten Gründen Erfolg hatte.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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