Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 37/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. August 2000 wird zurückgewiesen. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an Multipler Sklerose (Encephalomyelitis disseminata), einer primär entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Degeneration von Nervengewebe in Gehirn und Rückenmark führt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt; vermutet werden autoagressive Immunreaktionen, bei denen möglicherweise virale Einflüsse ein Rolle spielen. Die Multiple Sklerose äußert sich in zerebralen und spinalen Symptomatiken, insbesondere spastischen Lähmungen und einer Störung der Koordination von Bewegungsabläufen (zerebellare Ataxie). Es wird zwischen einem schubförmigen und einem chronisch progredienten Krankheitsverlauf unterschieden. Beim Kläger gehen die behandelnden Ärzte von einer seit Krankheitsbeginn im Jahr 1987 kontinuierlich fortschreitenden Entwicklung (primär chronisch-progrediente Verlaufsform) aus.
Seit September 1997 wird der Kläger unter anderem durch intravenöse Gabe von Immunglobulinen behandelt. Seine Ärzte erhoffen sich von der ausdrücklich als Heilversuch bezeichneten Therapie eine Besserung der durch die Krankheit verursachten Ataxie. Das zur Behandlung eingesetzte Arzneimittel Sandoglobulin® ist durch das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, zum Verkehr zugelassen; die Zulassung bezieht sich aber auf andere Anwendungsgebiete und umfasst nicht die Therapie der Multiplen Sklerose.
Die Beklagte hat es nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 29. Mai 1998 und Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998 abgelehnt, die Behandlungskosten zu tragen. Die auf Erstattung der bereits verauslagten und auf Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Sandoglobulin könne im Fall des Klägers nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden, weil es für die Behandlung der Multiplen Sklerose keine Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) besitze. Als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) könne es ebenfalls nicht beansprucht werden, denn es fehle an der dafür erforderlichen Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Auch sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass sich die Therapie der Multiplen Sklerose mit Immunglobulinen noch im Stadium der Erprobung befinde und bisher keine größere Verbreitung gefunden habe.
Mit der Revision widerspricht der Kläger der rechtlichen Beurteilung des LSG und beruft sich auf die Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsmethode. Er rügt die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die von den Instanzgerichten zur Frage der wissenschaftlichen Akzeptanz und der Verbreitung der Therapie eingeholten Auskünfte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und des Paul-Ehrlich-Instituts seien nicht geeignet, die richterliche Überzeugungsbildung zu begründen. Ihre Würdigung sei im Ergebnis willkürlich. Dem LSG hätte es oblegen, die ihm vorgelegten Unterlagen selbst zu würdigen und zu prüfen, ob die fehlende Anerkennung durch den Bundesausschuss womöglich auf einem Mangel im Leistungssystem der Krankenversicherung beruhe, der durch eine gerichtliche Entscheidung korrigiert werden müsse. Die durchzuführende Beweisaufnahme hätte ergeben, dass der Nachweis der Wirksamkeit der Anwendung von Immunglobulinen bei MS nach dem Stand der Wissenschaft erbracht worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. August 2000 und des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1998 zu verurteilen, ihm die seit 29. September 1997 für die Behandlung mit Sandoglobulin aufgewendeten Kosten zu erstatten und die zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen.
Die Behandlung der primär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose mit dem für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Fertigarzneimittel Sandoglobulin war und ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beklagte ist deshalb weder verpflichtet, die dafür in den Jahren 1997/98 aufgewendeten Kosten in Höhe von knapp 29.000 DM nach § 13 Abs 3 SGB V zu erstatten, noch den Kläger in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten freizustellen (zu letzterem vgl Senatsurteil vom 3. April 2001 - BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36).
Der in § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und § 31 Abs 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (Urteil vom 8. Juni 1993 - BSGE 72, 252 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 - Goldnerz-Creme; Urteil vom 8. März 1995 - SozR 3-2500 § 31 Nr 3 - Edelfosin; Urteil vom 23. Juli 1998 - BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol). Das Krankenversicherungsrecht verzichtet bei der Arzneimittelversorgung, anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung (siehe dazu §§ 135 bis 139 SGB V), weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs 2 AMG). Da dies dieselben Kriterien sind, an denen die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden, kann bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung davon ausgegangen werden, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sind. Unbeschadet der unterschiedlichen Zielsetzung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht rechtfertigt dies die Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Anwendung eines Medikaments im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (zur Zulässigkeit der Verknüpfung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085).
Zutreffend geht das angefochtene Urteil in Fortführung dieser Rechtsprechung davon aus, dass ein Arzneimittel auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Eine solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog Off-Label-Use) liegt hier vor, denn die vom Paul-Ehrlich-Institut als zuständiger Bundesoberbehörde erteilte Zulassung für Sandoglobulin umfasst die Substitution bei primären und sekundären Antikörpermangelsyndromen, bei AIDS von Kindern und bei allogener Knochenmarkstransplantation, die Prophylaxe und Therapie von mit diesen Krankheiten einhergehenden Infektionen, die Modulation der Immunantwort bei der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura, dem Guillain-Barré-Syndrom und dem Kawasaki-Syndrom sowie die Sofortprophylaxe bei Masernexposition (Fachinformation des Herstellers Novartis Pharma, Stand: Oktober 2001, vgl auch "Rote Liste" 2001 Nr 75011). Die Therapie der Multiplen Sklerose ist als Anwendungsgebiet nicht genannt.
Die Leistungspflicht der Krankenversicherung bei einem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln ist vom Bundessozialgericht (BSG) in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt worden. In der Entscheidung vom 5. Juli 1995 - 1 RK 6/95 - zur Drogensubstitution mit dem Hustenmittel Remedacen war der erkennende Senat noch ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dem Versicherten könne das Fehlen einer indikationsspezifischen Zulassung nicht entgegengehalten werden (BSGE 76, 194, 196 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 9). Demgegenüber hat der 8. Senat im Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 50 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 51 ff - SKAT) auf die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Einhaltung der im SGB V geforderten Qualitätsstandards verwiesen und gefordert, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die zugelassenen Anwendungsgebiete beschränkt bleiben müsse. Dieser - im damaligen Fall die Entscheidung letztlich nicht tragenden - rechtlichen Beurteilung stimmt der erkennende Senat nunmehr unter Aufgabe seiner früheren, abweichenden Rechtsauffassung ausdrücklich zu.
Die arzneimittelrechtliche Zulassung lässt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des geprüften Medikaments nur zu, soweit ihre rechtliche Bedeutung reicht. Diese beschränkt sich auf die gemäß § 22 Abs 1 Nr 6 AMG vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbezogenheit ist der Arzneimittelzulassung immanent, weil das Arzneimittel definitionsgemäß dazu bestimmt ist, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AMG). Kriterium für die nationale Zulassung ist deshalb nach § 25 Abs 2 Satz 1 AMG neben der Qualität insbesondere die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments (aaO Nr 4), also seine Fähigkeit, einen bestimmten Krankheitszustand in Richtung auf das erwünschte Behandlungsziel zu beeinflussen. Dem Wirksamkeitsnachweis dient die klinische Prüfung am Menschen, die eine notwendige Voraussetzung der Zulassung ist (§ 22 Abs 2 Nr 3 AMG). Aus den im Zulassungsverfahren gemäß § 24 Abs 1 AMG vom Antragsteller vorzulegenden Sachverständigengutachten muss ua hervorgehen, ob das Arzneimittel bei den angegebenen Indikationen angemessen wirksam ist (aaO Nr 3). Nur für diejenigen Krankheiten, zu deren Beseitigung, Linderung, Verhütung oder Erkennung es sich in der klinischen Prüfung als wirksam erwiesen hat, wird die Zulassung erteilt. Soll der Anwendungsbereich später auf weitere Indikationen ausgedehnt werden, muss gemäß § 29 Abs 3 Nr 3 AMG eine neue Zulassung beantragt werden. Lediglich bei einer Einschränkung der Anwendungsgebiete genügt eine bloße Anzeige (§ 29 Abs 3 Nr 3 iVm Abs 2a Nr 1 AMG). Vergleichbare Regeln gelten für den (hier nicht einschlägigen) Fall einer Arzneimittelzulassung nach Europäischem Gemeinschaftsrecht (zum Erfordernis eines neuen Zulassungsantrags bei Änderung therapeutischer Indikationen vgl Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 542/95 vom 10. März 1995 - ABl L 55 vom 11. März 1995, S 15 für das zentrale europäische Genehmigungsverfahren sowie Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 541/95 vom 10. März 1995 - ABl L 55 11. März 1995, S 7 für das dezentrale europäische Genehmigungsverfahren).
Wegen der Beschränkung auf die vom Hersteller genannten Anwendungsgebiete sagt die Zulassung nichts darüber aus, ob das betreffende Arzneimittel auch bei anderen Indikationen verträglich und angemessen wirksam ist (§ 24 Abs 1 Nr 3 AMG). Auch lässt sich, wie der 8. Senat in dem zitierten Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 53 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 54) näher ausgeführt hat, nicht ausschließen, dass das Mittel bei einem Gebrauch außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (§ 25 Abs 2 Satz 1 Nr 5 AMG). Bei einer Erweiterung der Anwendungsgebiete müssen deshalb der Nutzen und das Risikopotential des Arzneimittels von Grund auf neu bewertet werden. Entsprechend sieht das Arzneimittelrecht in der Einbeziehung neuer Indikationen eine so gravierende Änderung des Zulassungsstatus, dass es sich nicht - wie bei Veränderungen der Dosierung, der Art oder Dauer der Anwendung oder anderen geringeren Modifikationen - mit einer bloßen Anzeigepflicht und gegebenenfalls einem Zustimmungserfordernis (§ 29 Abs 1 und Abs 2a AMG) zufrieden gibt, sondern eine vollständige Neuzulassung verlangt.
Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos.
In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Dieser Befund wird durch zahlreiche Veröffentlichungen in der Tages- und Fachpresse sowie Initiativen im politischen Raum bestätigt (vgl statt vieler: Hopf, Arzneiverordnung außerhalb der offiziellen Indikation, in: Rheinisches Ärzteblatt 2000, 21; Zylka-Mehnhorn, Den schwarzen Peter hat der Arzt, in: Deutsches Ärzteblatt 2001, A-3413). Betroffen sind insbesondere die Kinderonkologie und allgemein pädiatrische Erkrankungen, bei denen Präparate verwendet werden müssen, die für die betreffende Altersgruppe nicht zugelassen sind (siehe dazu die im Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Januar 2001 - BT-Drucks 14/5083 sowie der Fraktion der CDU/CSU und mehrerer Abgeordneter vom 23. Januar 2001 - BT-Drucks 14/5136). Aber auch für einen Gebrauch außerhalb der zugelassenen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa wenn andernfalls eine ernste, lebensbedrohende Krankheit wie Krebs oder AIDS oder ein mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundenes Leiden mangels therapeutischer Alternativen nicht wirksam behandelt werden könnte.
Durch Vorschriften des AMG wird dem Arzt in den angesprochenen Fällen eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht verboten. Dem Arzneimittel fehlt zwar für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete die Verkehrsfähigkeit. Denn es darf, wie sich aus § 21 Abs 1 Satz 1 AMG und dem Zusammenhang mit den übrigen Zulassungsvorschriften ergibt, nur für die Zwecke und mit den Merkmalen in Verkehr gebracht werden, die Gegenstand des Zulassungsverfahrens gewesen sind. Für ein anderes Anwendungsgebiet darf es demgemäß nicht "zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe vorrätig gehalten, feilgehalten, feilgeboten oder an andere abgegeben" werden (§ 4 Nr 17 AMG). Der Hersteller darf in der Fachinformation für die Ärzte und in der Gebrauchsinformation (Beipackzettel) für die Patienten nur die zugelassenen Anwendungsgebiete nennen und das Arzneimittel bei Apotheken, Ärzten und - soweit zulässig - Verbrauchern nur für die von der Zulassung erfassten Indikationen bewerben. Der Apotheker seinerseits darf es nicht für andere Zwecke anbieten oder verkaufen. Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens sind strafbar (§ 96 Nr 5 AMG). Die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels beinhaltet aber nicht zugleich ein Anwendungsverbot, da die unmittelbare Anwendung am Patienten keine Abgabe im Sinne des AMG darstellt (BVerfGE 102, 26, 34 - Frischzellen; Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, Stand: 2001, § 4 AMG Anm 58, jeweils mwN). Der einzelne Arzt ist somit weder arzneimittelrechtlich noch berufsrechtlich gehindert, bei seinen Patienten auf eigene Verantwortung ein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel für eine Therapie einzusetzen, für die es nicht zugelassen ist.
Die dargestellte Situation zeigt, dass das geltende Arzneimittelrecht seiner Aufgabe, "im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen" (§ 1 AMG), teilweise nicht gerecht wird. Zwar haben die auf dem Markt befindlichen Arzneimittel regelmäßig ausreichende Kontrollen durchlaufen; es fehlen aber Vorkehrungen, die eine den Kriterien des § 1 AMG entsprechende Patientenversorgung auch dann ermöglichen, wenn das zugelassene Arzneimittel sich in weiteren Anwendungsgebieten als therapeutisch nützlich erwiesen hat. Nach dem Gesetz obliegt es ausschließlich dem pharmazeutischen Unternehmer, die Neuzulassung seines Medikaments für weitere Anwendungsgebiete zu beantragen (§ 29 Abs 3 iVm § 21 Abs 3 Satz 1 AMG). Wird ein solcher Antrag trotz positiver Forschungsergebnisse oder anderweitiger Hinweise auf einen therapeutischen Nutzen nicht gestellt, etwa weil der Hersteller den Aufwand und die Kosten eines weiteren Zulassungsverfahrens scheut oder bei seltenen Krankheiten kein wirtschaftliches Interesse an einer Vermarktung hat, bleibt es dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament - oftmals ohne ausreichendes pharmakologisches Wissen und ohne Kenntnis des genauen Zulassungsstatus - in eigener Verantwortung und mit dem Risiko der Haftung für daraus entstehende Gesundheitsschäden außerhalb der Zulassung anzuwenden. Findet der Off-Label-Use - durch unterschwellige oder verdeckte Werbung gefördert - in der Praxis Verbreitung, erübrigt sich ein Antrag des Herstellers.
Bestrebungen, einer ungeregelten und undifferenzierten Verordnung von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen unter faktischer Umgehung der einschlägigen Verkehrsverbote entgegenzuwirken und andererseits die Zulassung für neue Anwendungsgebiete zu erleichtern und gegebenenfalls für eine Übergangszeit Regularien für einen kontrollierten Off-Label-Gebrauch (engl: compassionate use) zu schaffen, gibt es bisher allenfalls in Ansätzen. Das deutsche Arzneimittelrecht enthält dazu keine Vorschriften. Auf europäischer Ebene sind durch die Verordnung (EG) Nr 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 (ABl L 18 vom 22. Januar 2000, S 1) und die Verordnung (EG) Nr 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 (ABl L 103 vom 28. April 2000, S 5) Anreize für die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln geschaffen worden, die für die Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von seltenen Krankheiten bestimmt sind (sog Orphan Drugs). Für den Bereich der Krankenversicherung hatte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1999 eine Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien beschlossen, nach der mit Zustimmung der Krankenkasse eine Verordnung außerhalb zugelassener Indikationen auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnismaterials als Heilversuch im Einzelfall zulässig sein sollte. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte in diesem Zusammenhang dem MDK aufgegeben, eine Aufstellung über die nach aktuellem medizinischen Standard sinnvollen Indikationen für einen Off-Label-Gebrauch zu erstellen, um die Krankenkassen bei der Entscheidung über die Arzneimittelversorgung zu unterstützen und vor allem in der Krebstherapie, der AIDS-Therapie und der Kinderheilkunde eine Patientenbehandlung nach dem aktuellen medizinischen Standard sicherzustellen (Pressemitteilung des BMG Nr 17 vom 12. März 1999). Die geänderten Richtlinien sind jedoch wegen kartellrechtlicher Einwände nicht in Kraft getreten.
Die aufgezeigten Defizite des Arzneimittelrechts dürfen nicht dazu führen, dass den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten bleiben, obwohl die betreffenden Medikamente außerhalb der Krankenversicherung in der nicht zugelassenen Indikation verordnet werden und verordnet werden dürfen. Solange diese Defizite bestehen, kann deshalb die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine die Zulassungsgrenzen überschreitende Anwendung eines Arzneimittels nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Diesem Ergebnis stehen die grundsätzlichen Erwägungen des Senats zur Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht entgegen. Zwischen der vorliegenden und den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fallgestaltungen besteht ein rechtlich bedeutsamer Unterschied insofern, als beim gänzlichen Fehlen der Zulassung das Arzneimittel vom Hersteller unter Verstoß gegen das Verbot des § 21 Abs 1 AMG in Verkehr gebracht wurde, während im anderen Fall ein bereits im Handel befindliches Medikament außerhalb des Zulassungsrahmens verwendet wird. Die Anwendung eines gar nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der Krankenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Senats schon deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparats auf einem strafbaren Verhalten aufbaut und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen kann (BSGE 82, 233, 236 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 17 f). Außerdem wäre die Behandlung wegen des Fehlens jedweder Qualitätskontrolle mit einem unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden behaftet, dessen Auswirkungen nicht der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden können. Das ist bei einem Off-Label-Use anders, denn dort ist das Mittel zulässig in den Verkehr gebracht worden, nachdem die pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften des Wirkstoffs zunächst im Tierversuch und sodann im Rahmen einer klinischen Prüfung am Menschen geprüft und dokumentiert wurden. Zwar hat sich die klinische Prüfung nur auf die im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete bezogen, so dass unerwünschte Wirkungen bei anderen Indikationen nicht ausgeschlossen sind und eine Prüfung der Wirksamkeit insoweit nicht stattgefunden hat; doch ist damit zumindest die Basis für eine ausreichende Arzneimittelsicherheit geschaffen und damit einem Grundanliegen des AMG und auch des Krankenversicherungsrechts Rechnung getragen. Allein mit der fehlenden Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels für zulassungsüberschreitende Anwendungen lässt sich bei dieser Sachlage ein absolutes Verbot solcher Anwendungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen.
Der Mangel der fehlenden Zulassung des Arzneimittels für das im Streit befindliche Anwendungsgebiet kann allerdings mit dem Instrumentarium des Krankenversicherungsrechts nur in eng begrenzten Ausnahmefällen behoben werden. Das folgt daraus, dass es sich nicht um einen Mangel im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, sondern eine Versorgungslücke dadurch entsteht, dass das Arzneimittelrecht die ihm zugedachte Funktion nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegen zwar im Prinzip auch Pharmakotherapien der für vertragsärztliche Leistungen in § 135 Abs 1 SGB V vorgesehenen Qualitätsprüfung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Behandlung in der Gabe des Arzneimittels erschöpft oder ob weitere ärztliche Maßnahmen hinzukommen. Die Unterscheidung zwischen ärztlicher Behandlung und Versorgung mit Arzneimitteln in § 27 Abs 1 SGB V spielt entgegen der Auffassung des LSG in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für Arzneitherapien gilt der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V jedoch nur, soweit es sich um die Anwendung von Rezepturarzneien oder anderen Arzneimitteln handelt, die im Einzelfall auf besondere Anforderung hergestellt werden. Da solche Präparate keine Zulassung nach dem AMG benötigen, bliebe die Qualitätskontrolle in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung lückenhaft, wenn ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weder nach Arzneimittelrecht noch nach Krankenversicherungsrecht geprüft würden (BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 - ASI). Soweit das Arzneimittelrecht eine Zulassung vorschreibt, ist der Nachweis der Unbedenklichkeit und der Wirksamkeit des Medikaments in dem neuen Anwendungsgebiet dagegen nach der Gesetzessystematik in dem Zulassungsverfahren und nicht im Wege der Zertifizierung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu führen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer nochmaligen, gesonderten Begutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung durch eine für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Empfehlung zu ergänzen oder zu ersetzen.
Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen erfordert nach deutschem wie nach europäischem Arzneimittelrecht eine neue, erweiterte Zulassung. Die Zulassungsvorschriften verlören zu einem erheblichen Teil ihre Bedeutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwendungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 135 Abs 1 SGB V erreicht werden könnte. Der Hersteller könnte sich den Aufwand und die Kosten eines neuen Zulassungsverfahrens ersparen und stattdessen abwarten, bis sich der zulassungsüberschreitende Einsatz in der Praxis etabliert und von dritter Seite eine Anerkennung durch den Bundesausschuss beantragt wird. Zugleich wäre er von der Haftung für etwaige gesundheitliche Schäden nach § 84 AMG frei. Diese würde entweder den verordnenden Arzt oder - wenn eine Empfehlung durch den Bundesausschuss erfolgt - die Krankenversicherung bzw den Staat treffen. Die Anwendungsbezogenheit der arzneimittelrechtlichen Zulassung stünde nur noch auf dem Papier.
Wegen des dargestellten Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder
die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Im Fall des Klägers sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zwar gehört die Multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei denen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Es fehlen aber hinreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Sandoglobulin. Das gilt jedenfalls für die nach den Feststellungen des LSG beim Kläger bestehende primär chronisch-progrediente Verlaufsform dieser Erkrankung. Klinische Studien, die insoweit einen therapeutischen Nutzen belegen könnten, sind nach Auswertung der verfügbaren Publikationen bis heute nicht bekannt. Die zuletzt vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnisse eines internationalen Symposiums vom November 2001 (Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts vom 29. November 2001) machen deutlich, dass auch für die sekundär-progressive Multiple Sklerose, für die solche Studien vorliegen, der Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen kontrovers diskutiert wird, ein wissenschaftlicher Konsens hierzu also bisher nicht besteht. Hinzu kommt, dass bei dieser Verlaufsform mindestens seit 1999 eine Behandlungsalternative mit dem für die Therapie zugelassenen Betaferon zur Verfügung steht.
Die Revision konnte danach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I
Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an Multipler Sklerose (Encephalomyelitis disseminata), einer primär entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Degeneration von Nervengewebe in Gehirn und Rückenmark führt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt; vermutet werden autoagressive Immunreaktionen, bei denen möglicherweise virale Einflüsse ein Rolle spielen. Die Multiple Sklerose äußert sich in zerebralen und spinalen Symptomatiken, insbesondere spastischen Lähmungen und einer Störung der Koordination von Bewegungsabläufen (zerebellare Ataxie). Es wird zwischen einem schubförmigen und einem chronisch progredienten Krankheitsverlauf unterschieden. Beim Kläger gehen die behandelnden Ärzte von einer seit Krankheitsbeginn im Jahr 1987 kontinuierlich fortschreitenden Entwicklung (primär chronisch-progrediente Verlaufsform) aus.
Seit September 1997 wird der Kläger unter anderem durch intravenöse Gabe von Immunglobulinen behandelt. Seine Ärzte erhoffen sich von der ausdrücklich als Heilversuch bezeichneten Therapie eine Besserung der durch die Krankheit verursachten Ataxie. Das zur Behandlung eingesetzte Arzneimittel Sandoglobulin® ist durch das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, zum Verkehr zugelassen; die Zulassung bezieht sich aber auf andere Anwendungsgebiete und umfasst nicht die Therapie der Multiplen Sklerose.
Die Beklagte hat es nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 29. Mai 1998 und Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998 abgelehnt, die Behandlungskosten zu tragen. Die auf Erstattung der bereits verauslagten und auf Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Sandoglobulin könne im Fall des Klägers nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden, weil es für die Behandlung der Multiplen Sklerose keine Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) besitze. Als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) könne es ebenfalls nicht beansprucht werden, denn es fehle an der dafür erforderlichen Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Auch sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass sich die Therapie der Multiplen Sklerose mit Immunglobulinen noch im Stadium der Erprobung befinde und bisher keine größere Verbreitung gefunden habe.
Mit der Revision widerspricht der Kläger der rechtlichen Beurteilung des LSG und beruft sich auf die Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsmethode. Er rügt die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die von den Instanzgerichten zur Frage der wissenschaftlichen Akzeptanz und der Verbreitung der Therapie eingeholten Auskünfte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und des Paul-Ehrlich-Instituts seien nicht geeignet, die richterliche Überzeugungsbildung zu begründen. Ihre Würdigung sei im Ergebnis willkürlich. Dem LSG hätte es oblegen, die ihm vorgelegten Unterlagen selbst zu würdigen und zu prüfen, ob die fehlende Anerkennung durch den Bundesausschuss womöglich auf einem Mangel im Leistungssystem der Krankenversicherung beruhe, der durch eine gerichtliche Entscheidung korrigiert werden müsse. Die durchzuführende Beweisaufnahme hätte ergeben, dass der Nachweis der Wirksamkeit der Anwendung von Immunglobulinen bei MS nach dem Stand der Wissenschaft erbracht worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. August 2000 und des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1998 zu verurteilen, ihm die seit 29. September 1997 für die Behandlung mit Sandoglobulin aufgewendeten Kosten zu erstatten und die zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen.
Die Behandlung der primär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose mit dem für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Fertigarzneimittel Sandoglobulin war und ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beklagte ist deshalb weder verpflichtet, die dafür in den Jahren 1997/98 aufgewendeten Kosten in Höhe von knapp 29.000 DM nach § 13 Abs 3 SGB V zu erstatten, noch den Kläger in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten freizustellen (zu letzterem vgl Senatsurteil vom 3. April 2001 - BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36).
Der in § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und § 31 Abs 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (Urteil vom 8. Juni 1993 - BSGE 72, 252 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 - Goldnerz-Creme; Urteil vom 8. März 1995 - SozR 3-2500 § 31 Nr 3 - Edelfosin; Urteil vom 23. Juli 1998 - BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol). Das Krankenversicherungsrecht verzichtet bei der Arzneimittelversorgung, anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung (siehe dazu §§ 135 bis 139 SGB V), weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs 2 AMG). Da dies dieselben Kriterien sind, an denen die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden, kann bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung davon ausgegangen werden, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sind. Unbeschadet der unterschiedlichen Zielsetzung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht rechtfertigt dies die Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Anwendung eines Medikaments im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (zur Zulässigkeit der Verknüpfung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085).
Zutreffend geht das angefochtene Urteil in Fortführung dieser Rechtsprechung davon aus, dass ein Arzneimittel auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Eine solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog Off-Label-Use) liegt hier vor, denn die vom Paul-Ehrlich-Institut als zuständiger Bundesoberbehörde erteilte Zulassung für Sandoglobulin umfasst die Substitution bei primären und sekundären Antikörpermangelsyndromen, bei AIDS von Kindern und bei allogener Knochenmarkstransplantation, die Prophylaxe und Therapie von mit diesen Krankheiten einhergehenden Infektionen, die Modulation der Immunantwort bei der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura, dem Guillain-Barré-Syndrom und dem Kawasaki-Syndrom sowie die Sofortprophylaxe bei Masernexposition (Fachinformation des Herstellers Novartis Pharma, Stand: Oktober 2001, vgl auch "Rote Liste" 2001 Nr 75011). Die Therapie der Multiplen Sklerose ist als Anwendungsgebiet nicht genannt.
Die Leistungspflicht der Krankenversicherung bei einem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln ist vom Bundessozialgericht (BSG) in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt worden. In der Entscheidung vom 5. Juli 1995 - 1 RK 6/95 - zur Drogensubstitution mit dem Hustenmittel Remedacen war der erkennende Senat noch ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dem Versicherten könne das Fehlen einer indikationsspezifischen Zulassung nicht entgegengehalten werden (BSGE 76, 194, 196 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 9). Demgegenüber hat der 8. Senat im Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 50 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 51 ff - SKAT) auf die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Einhaltung der im SGB V geforderten Qualitätsstandards verwiesen und gefordert, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die zugelassenen Anwendungsgebiete beschränkt bleiben müsse. Dieser - im damaligen Fall die Entscheidung letztlich nicht tragenden - rechtlichen Beurteilung stimmt der erkennende Senat nunmehr unter Aufgabe seiner früheren, abweichenden Rechtsauffassung ausdrücklich zu.
Die arzneimittelrechtliche Zulassung lässt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des geprüften Medikaments nur zu, soweit ihre rechtliche Bedeutung reicht. Diese beschränkt sich auf die gemäß § 22 Abs 1 Nr 6 AMG vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbezogenheit ist der Arzneimittelzulassung immanent, weil das Arzneimittel definitionsgemäß dazu bestimmt ist, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AMG). Kriterium für die nationale Zulassung ist deshalb nach § 25 Abs 2 Satz 1 AMG neben der Qualität insbesondere die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments (aaO Nr 4), also seine Fähigkeit, einen bestimmten Krankheitszustand in Richtung auf das erwünschte Behandlungsziel zu beeinflussen. Dem Wirksamkeitsnachweis dient die klinische Prüfung am Menschen, die eine notwendige Voraussetzung der Zulassung ist (§ 22 Abs 2 Nr 3 AMG). Aus den im Zulassungsverfahren gemäß § 24 Abs 1 AMG vom Antragsteller vorzulegenden Sachverständigengutachten muss ua hervorgehen, ob das Arzneimittel bei den angegebenen Indikationen angemessen wirksam ist (aaO Nr 3). Nur für diejenigen Krankheiten, zu deren Beseitigung, Linderung, Verhütung oder Erkennung es sich in der klinischen Prüfung als wirksam erwiesen hat, wird die Zulassung erteilt. Soll der Anwendungsbereich später auf weitere Indikationen ausgedehnt werden, muss gemäß § 29 Abs 3 Nr 3 AMG eine neue Zulassung beantragt werden. Lediglich bei einer Einschränkung der Anwendungsgebiete genügt eine bloße Anzeige (§ 29 Abs 3 Nr 3 iVm Abs 2a Nr 1 AMG). Vergleichbare Regeln gelten für den (hier nicht einschlägigen) Fall einer Arzneimittelzulassung nach Europäischem Gemeinschaftsrecht (zum Erfordernis eines neuen Zulassungsantrags bei Änderung therapeutischer Indikationen vgl Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 542/95 vom 10. März 1995 - ABl L 55 vom 11. März 1995, S 15 für das zentrale europäische Genehmigungsverfahren sowie Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 541/95 vom 10. März 1995 - ABl L 55 11. März 1995, S 7 für das dezentrale europäische Genehmigungsverfahren).
Wegen der Beschränkung auf die vom Hersteller genannten Anwendungsgebiete sagt die Zulassung nichts darüber aus, ob das betreffende Arzneimittel auch bei anderen Indikationen verträglich und angemessen wirksam ist (§ 24 Abs 1 Nr 3 AMG). Auch lässt sich, wie der 8. Senat in dem zitierten Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 53 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 54) näher ausgeführt hat, nicht ausschließen, dass das Mittel bei einem Gebrauch außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (§ 25 Abs 2 Satz 1 Nr 5 AMG). Bei einer Erweiterung der Anwendungsgebiete müssen deshalb der Nutzen und das Risikopotential des Arzneimittels von Grund auf neu bewertet werden. Entsprechend sieht das Arzneimittelrecht in der Einbeziehung neuer Indikationen eine so gravierende Änderung des Zulassungsstatus, dass es sich nicht - wie bei Veränderungen der Dosierung, der Art oder Dauer der Anwendung oder anderen geringeren Modifikationen - mit einer bloßen Anzeigepflicht und gegebenenfalls einem Zustimmungserfordernis (§ 29 Abs 1 und Abs 2a AMG) zufrieden gibt, sondern eine vollständige Neuzulassung verlangt.
Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos.
In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Dieser Befund wird durch zahlreiche Veröffentlichungen in der Tages- und Fachpresse sowie Initiativen im politischen Raum bestätigt (vgl statt vieler: Hopf, Arzneiverordnung außerhalb der offiziellen Indikation, in: Rheinisches Ärzteblatt 2000, 21; Zylka-Mehnhorn, Den schwarzen Peter hat der Arzt, in: Deutsches Ärzteblatt 2001, A-3413). Betroffen sind insbesondere die Kinderonkologie und allgemein pädiatrische Erkrankungen, bei denen Präparate verwendet werden müssen, die für die betreffende Altersgruppe nicht zugelassen sind (siehe dazu die im Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Januar 2001 - BT-Drucks 14/5083 sowie der Fraktion der CDU/CSU und mehrerer Abgeordneter vom 23. Januar 2001 - BT-Drucks 14/5136). Aber auch für einen Gebrauch außerhalb der zugelassenen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa wenn andernfalls eine ernste, lebensbedrohende Krankheit wie Krebs oder AIDS oder ein mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundenes Leiden mangels therapeutischer Alternativen nicht wirksam behandelt werden könnte.
Durch Vorschriften des AMG wird dem Arzt in den angesprochenen Fällen eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht verboten. Dem Arzneimittel fehlt zwar für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete die Verkehrsfähigkeit. Denn es darf, wie sich aus § 21 Abs 1 Satz 1 AMG und dem Zusammenhang mit den übrigen Zulassungsvorschriften ergibt, nur für die Zwecke und mit den Merkmalen in Verkehr gebracht werden, die Gegenstand des Zulassungsverfahrens gewesen sind. Für ein anderes Anwendungsgebiet darf es demgemäß nicht "zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe vorrätig gehalten, feilgehalten, feilgeboten oder an andere abgegeben" werden (§ 4 Nr 17 AMG). Der Hersteller darf in der Fachinformation für die Ärzte und in der Gebrauchsinformation (Beipackzettel) für die Patienten nur die zugelassenen Anwendungsgebiete nennen und das Arzneimittel bei Apotheken, Ärzten und - soweit zulässig - Verbrauchern nur für die von der Zulassung erfassten Indikationen bewerben. Der Apotheker seinerseits darf es nicht für andere Zwecke anbieten oder verkaufen. Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens sind strafbar (§ 96 Nr 5 AMG). Die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels beinhaltet aber nicht zugleich ein Anwendungsverbot, da die unmittelbare Anwendung am Patienten keine Abgabe im Sinne des AMG darstellt (BVerfGE 102, 26, 34 - Frischzellen; Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, Stand: 2001, § 4 AMG Anm 58, jeweils mwN). Der einzelne Arzt ist somit weder arzneimittelrechtlich noch berufsrechtlich gehindert, bei seinen Patienten auf eigene Verantwortung ein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel für eine Therapie einzusetzen, für die es nicht zugelassen ist.
Die dargestellte Situation zeigt, dass das geltende Arzneimittelrecht seiner Aufgabe, "im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen" (§ 1 AMG), teilweise nicht gerecht wird. Zwar haben die auf dem Markt befindlichen Arzneimittel regelmäßig ausreichende Kontrollen durchlaufen; es fehlen aber Vorkehrungen, die eine den Kriterien des § 1 AMG entsprechende Patientenversorgung auch dann ermöglichen, wenn das zugelassene Arzneimittel sich in weiteren Anwendungsgebieten als therapeutisch nützlich erwiesen hat. Nach dem Gesetz obliegt es ausschließlich dem pharmazeutischen Unternehmer, die Neuzulassung seines Medikaments für weitere Anwendungsgebiete zu beantragen (§ 29 Abs 3 iVm § 21 Abs 3 Satz 1 AMG). Wird ein solcher Antrag trotz positiver Forschungsergebnisse oder anderweitiger Hinweise auf einen therapeutischen Nutzen nicht gestellt, etwa weil der Hersteller den Aufwand und die Kosten eines weiteren Zulassungsverfahrens scheut oder bei seltenen Krankheiten kein wirtschaftliches Interesse an einer Vermarktung hat, bleibt es dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament - oftmals ohne ausreichendes pharmakologisches Wissen und ohne Kenntnis des genauen Zulassungsstatus - in eigener Verantwortung und mit dem Risiko der Haftung für daraus entstehende Gesundheitsschäden außerhalb der Zulassung anzuwenden. Findet der Off-Label-Use - durch unterschwellige oder verdeckte Werbung gefördert - in der Praxis Verbreitung, erübrigt sich ein Antrag des Herstellers.
Bestrebungen, einer ungeregelten und undifferenzierten Verordnung von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen unter faktischer Umgehung der einschlägigen Verkehrsverbote entgegenzuwirken und andererseits die Zulassung für neue Anwendungsgebiete zu erleichtern und gegebenenfalls für eine Übergangszeit Regularien für einen kontrollierten Off-Label-Gebrauch (engl: compassionate use) zu schaffen, gibt es bisher allenfalls in Ansätzen. Das deutsche Arzneimittelrecht enthält dazu keine Vorschriften. Auf europäischer Ebene sind durch die Verordnung (EG) Nr 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 (ABl L 18 vom 22. Januar 2000, S 1) und die Verordnung (EG) Nr 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 (ABl L 103 vom 28. April 2000, S 5) Anreize für die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln geschaffen worden, die für die Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von seltenen Krankheiten bestimmt sind (sog Orphan Drugs). Für den Bereich der Krankenversicherung hatte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1999 eine Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien beschlossen, nach der mit Zustimmung der Krankenkasse eine Verordnung außerhalb zugelassener Indikationen auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnismaterials als Heilversuch im Einzelfall zulässig sein sollte. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte in diesem Zusammenhang dem MDK aufgegeben, eine Aufstellung über die nach aktuellem medizinischen Standard sinnvollen Indikationen für einen Off-Label-Gebrauch zu erstellen, um die Krankenkassen bei der Entscheidung über die Arzneimittelversorgung zu unterstützen und vor allem in der Krebstherapie, der AIDS-Therapie und der Kinderheilkunde eine Patientenbehandlung nach dem aktuellen medizinischen Standard sicherzustellen (Pressemitteilung des BMG Nr 17 vom 12. März 1999). Die geänderten Richtlinien sind jedoch wegen kartellrechtlicher Einwände nicht in Kraft getreten.
Die aufgezeigten Defizite des Arzneimittelrechts dürfen nicht dazu führen, dass den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten bleiben, obwohl die betreffenden Medikamente außerhalb der Krankenversicherung in der nicht zugelassenen Indikation verordnet werden und verordnet werden dürfen. Solange diese Defizite bestehen, kann deshalb die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine die Zulassungsgrenzen überschreitende Anwendung eines Arzneimittels nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Diesem Ergebnis stehen die grundsätzlichen Erwägungen des Senats zur Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht entgegen. Zwischen der vorliegenden und den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fallgestaltungen besteht ein rechtlich bedeutsamer Unterschied insofern, als beim gänzlichen Fehlen der Zulassung das Arzneimittel vom Hersteller unter Verstoß gegen das Verbot des § 21 Abs 1 AMG in Verkehr gebracht wurde, während im anderen Fall ein bereits im Handel befindliches Medikament außerhalb des Zulassungsrahmens verwendet wird. Die Anwendung eines gar nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der Krankenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Senats schon deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparats auf einem strafbaren Verhalten aufbaut und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen kann (BSGE 82, 233, 236 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 17 f). Außerdem wäre die Behandlung wegen des Fehlens jedweder Qualitätskontrolle mit einem unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden behaftet, dessen Auswirkungen nicht der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden können. Das ist bei einem Off-Label-Use anders, denn dort ist das Mittel zulässig in den Verkehr gebracht worden, nachdem die pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften des Wirkstoffs zunächst im Tierversuch und sodann im Rahmen einer klinischen Prüfung am Menschen geprüft und dokumentiert wurden. Zwar hat sich die klinische Prüfung nur auf die im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete bezogen, so dass unerwünschte Wirkungen bei anderen Indikationen nicht ausgeschlossen sind und eine Prüfung der Wirksamkeit insoweit nicht stattgefunden hat; doch ist damit zumindest die Basis für eine ausreichende Arzneimittelsicherheit geschaffen und damit einem Grundanliegen des AMG und auch des Krankenversicherungsrechts Rechnung getragen. Allein mit der fehlenden Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels für zulassungsüberschreitende Anwendungen lässt sich bei dieser Sachlage ein absolutes Verbot solcher Anwendungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen.
Der Mangel der fehlenden Zulassung des Arzneimittels für das im Streit befindliche Anwendungsgebiet kann allerdings mit dem Instrumentarium des Krankenversicherungsrechts nur in eng begrenzten Ausnahmefällen behoben werden. Das folgt daraus, dass es sich nicht um einen Mangel im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, sondern eine Versorgungslücke dadurch entsteht, dass das Arzneimittelrecht die ihm zugedachte Funktion nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegen zwar im Prinzip auch Pharmakotherapien der für vertragsärztliche Leistungen in § 135 Abs 1 SGB V vorgesehenen Qualitätsprüfung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Behandlung in der Gabe des Arzneimittels erschöpft oder ob weitere ärztliche Maßnahmen hinzukommen. Die Unterscheidung zwischen ärztlicher Behandlung und Versorgung mit Arzneimitteln in § 27 Abs 1 SGB V spielt entgegen der Auffassung des LSG in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für Arzneitherapien gilt der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V jedoch nur, soweit es sich um die Anwendung von Rezepturarzneien oder anderen Arzneimitteln handelt, die im Einzelfall auf besondere Anforderung hergestellt werden. Da solche Präparate keine Zulassung nach dem AMG benötigen, bliebe die Qualitätskontrolle in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung lückenhaft, wenn ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weder nach Arzneimittelrecht noch nach Krankenversicherungsrecht geprüft würden (BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 - ASI). Soweit das Arzneimittelrecht eine Zulassung vorschreibt, ist der Nachweis der Unbedenklichkeit und der Wirksamkeit des Medikaments in dem neuen Anwendungsgebiet dagegen nach der Gesetzessystematik in dem Zulassungsverfahren und nicht im Wege der Zertifizierung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu führen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer nochmaligen, gesonderten Begutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung durch eine für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Empfehlung zu ergänzen oder zu ersetzen.
Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen erfordert nach deutschem wie nach europäischem Arzneimittelrecht eine neue, erweiterte Zulassung. Die Zulassungsvorschriften verlören zu einem erheblichen Teil ihre Bedeutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwendungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 135 Abs 1 SGB V erreicht werden könnte. Der Hersteller könnte sich den Aufwand und die Kosten eines neuen Zulassungsverfahrens ersparen und stattdessen abwarten, bis sich der zulassungsüberschreitende Einsatz in der Praxis etabliert und von dritter Seite eine Anerkennung durch den Bundesausschuss beantragt wird. Zugleich wäre er von der Haftung für etwaige gesundheitliche Schäden nach § 84 AMG frei. Diese würde entweder den verordnenden Arzt oder - wenn eine Empfehlung durch den Bundesausschuss erfolgt - die Krankenversicherung bzw den Staat treffen. Die Anwendungsbezogenheit der arzneimittelrechtlichen Zulassung stünde nur noch auf dem Papier.
Wegen des dargestellten Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder
die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Im Fall des Klägers sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zwar gehört die Multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei denen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Es fehlen aber hinreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Sandoglobulin. Das gilt jedenfalls für die nach den Feststellungen des LSG beim Kläger bestehende primär chronisch-progrediente Verlaufsform dieser Erkrankung. Klinische Studien, die insoweit einen therapeutischen Nutzen belegen könnten, sind nach Auswertung der verfügbaren Publikationen bis heute nicht bekannt. Die zuletzt vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnisse eines internationalen Symposiums vom November 2001 (Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts vom 29. November 2001) machen deutlich, dass auch für die sekundär-progressive Multiple Sklerose, für die solche Studien vorliegen, der Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen kontrovers diskutiert wird, ein wissenschaftlicher Konsens hierzu also bisher nicht besteht. Hinzu kommt, dass bei dieser Verlaufsform mindestens seit 1999 eine Behandlungsalternative mit dem für die Therapie zugelassenen Betaferon zur Verfügung steht.
Die Revision konnte danach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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