Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 305/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2015 verurteilt, den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012 nach Maßgabe der gesetzlichen Vor-schriften zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger dem Grunde nach.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob den Klägern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012 zu gewähren sind.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1) und der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 2), die Brüder sind, stehen im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 30.03.2011, 07.04.2011 und 14.04.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern auf ihren Antrag vom 29.03.2011 unter der Adresse F., O., als Bedarfsgemein-schaft zunächst Leistungen für den Zeitraum April bis September 2011. Am 12.05.2011 ging beim Beklagten schriftlich eine anonyme Anzeige ein. Darin wurde ausgeführt, die Kläger würden nicht in der F. wohnen, sondern bei ihrer Mutter, G.15, M ... Diese sei Eigentümerin und Vermieterin des Hauses in der F ... Es gebe verschiedene Mietverträge mit unterschiedlichen Mietern nur auf dem Papier. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, noch am selben Tag einen Hausbesuch durchzuführen. Der Ermittlungsdienst traf die Kläger nicht in der Wohnung F. an. Laut Bericht wurde die Wohnung aber von Herrn I. – dem Ehemann der Mutter der Kläger – bewohnt. Mit Schreiben vom 08.06.2011 hörte der Beklagte die Kläger dazu an, dass die Einstellung der Leistungen beabsichtigt sei, da mangels Aufenthalt in O. die örtliche Zuständigkeit des Beklagten nicht gegeben sei. Weiter zeigte er den Sachverhalt bei der Staatsanwaltschaft Aachen an. Daraufhin wurde ein Strafverfahren mit dem Tatvorwurf "Betrug" gegen die Kläger eingeleitet (Az. 701 Js 965/11 - A). Das Verfahren gegen den Kläger zu 2) wurde am 12.09.2011 eingestellt nach § 154 Abs. 1 Strafprozeßordnung (StPO).
Am 09.06.2011 (10 Uhr) rief der Kläger zu 1) beim Beklagten an und erkundigte sich nach seinen Leistungen. Die Sachbearbeiterin teilte ihm mit, der Ermittlungsdienst habe beide Kläger nicht in der Wohnung angetroffen. Nach Berichten der Nachbarn hielten sich beide Kläger nicht dort auf. Eine Anhörung sei unterwegs, er könne sich schriftlich äußern. Sie teilte dem Kläger mit, sie werde die Leistungen einstellen und auch für die Vergangenheit zurückfordern. Später am gleichen Tag (12 Uhr) sprach der Kläger zu 1) persönlich beim Beklagten vor. Ihm wurde die gleiche Auskunft wie im Telefonat zuvor erteilt. Der Kläger zu 2) beschwerte sich daraufhin bei einer anderen Sachbearbeiterin über die Ungerech-tigkeit. Ihm wurde mitgeteilt, das Vorgehen sei mit dem nächsten Vorgesetzten abgespro-chen und es gebe erst mal keine andere Lösung. Mit Schreiben jeweils vom 18.06.2011 führten die Kläger aus, sie hielten sich in O. auf und versuchten, dort Arbeit zu finden. Bei einem unangemeldeten Besuch müsse man damit rechnen, dass sie sich nicht in der Wohnung aufhielten, da sie natürlich nicht immer zu Hause seien. Die Eltern hätten schon mal Streit, es komme vor, dass der Vater dann zu ihnen komme. Jetzt sei er aber wieder bei seiner Frau. Vielleicht wolle ihnen (den Klägern) jemand eins auswischen. Sie baten darum, ihnen Leistungen zu gewähren. Mit Bescheid vom 20.06.2011 und 21.06.2011 nahm der Beklagte den Bescheid vom 07.04.2011 bzw. 14.04.2011 zurück und machte die Erstattung der für April und Mai 2011 gezahlten Leistungen geltend. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 25.07.2011 führten die Kläger weiter aus, der Hausbesuch sei nicht angemeldet worden. Falls der Beklagte nicht mitteilen könne, welche Nachbarn gesagt haben, er halte sich nicht in der Wohnung auf, solle der Beklagte sofort die Zahlung bzw. Nachzahlung von Leistungen veranlassen. Mit Bescheid vom 05.04.2012 hob der Beklagte die Rückforderungsbescheide vom 20.06.2011 und 21.06.2011 aus formellen Gründen auf und erließ einen neuen Bescheid über die Rücknahme der Bescheide vom 10.11.2010 (Gewährungszeitraum 06.08.2010-31.03.2011) und 07.04.2011 bzw. 14.04.2011 (Gewährungszeitraum 01.04.2011-30.09.2011). Mit Urteil des Amtsgerichts Jülich (Az. 3 Ds-504 Js 1139/11-603/11) vom 23.07.2012 (rechtskräftig seit 31.07.2012) wurde der Kläger zu 1) in der Strafsache wegen Betrugs freigesprochen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.08.2012 beantragten die Kläger Leistungen nach dem SGB II. Unter dem 27.09.2012 stellten die Kläger unter Nutzung der Antragsformulare des Beklagten einen förmlichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 25.10.2012 und 06.11.2012/08.11.2012/19.11.2012 bewilligte der Beklagte den Klägern, die mittlerweile in getrennten Wohnungen leben, jeweils Leistungen für den Zeitraum Sep-tember 2012 bis Februar 2013. Seit dem beziehen die Kläger durchgehend Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 28.03.2014 hob der Beklagte die Rückforderungsbescheide vom 05.04.2011 auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.07.2014 führten die Kläger aus, bislang sei nicht be-rücksichtigt worden, dass Anträge auch für vorangehende Zeiträume vorlägen. Darauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 25.08.2014, es lägen keine Anträge für den Zeitraum 10/2011 bis 08/2012 vor. Unter dem 15.01.2015 erstellte eine Mitarbeiterin des Beklagten eine "Chronologische Zusammenfassung Fall L. , N." sowie ein Schreiben an eine weitere Mitarbeiterin mit Bitte um Hilfe, da sie "neu" in der Leistungsabteilung sei. In der chronologischen Zusammen-fassung heißt es u.a. - 05/2011 Anonyme Anzeige, dass Kunde nicht in O. wohnt - 06/2011 Strafanzeige und gleichzeitige Anhörung wird abgeschickt (statt erstmal die Anhörung abzuwarten) - 06/2011 Aktenvermerk = Telefonat mit Kunden in dem der Außendienstauftrag er-läutert wird (es liegt jedoch kein Bericht in der Akte vor?) Kunde wird abgewimmelt, die Anhörung ist unterwegs - 06/2011 Kunde spricht erneut vor. Persönlich. Wird weggeschickt, er kriegt Post über die Rückforderung - 06/2011 noch eine anonyme Anzeige - 06/2011 Rückforderungsbescheid - 06/2011 Kunde reagiert schriftlich auf Anhörung, erklärt abermals er halte sich in O. auf, ist dort auch gemeldet (hierauf wird nicht reagiert, Rückforderungsbescheid ist schon raus) ( ) - 09/2012 neuer Antrag (durch den Rechtsanwalt eingereicht). Persönlich traut sich der Kunde anscheinend nicht vorzusprechen, erst am Ende des Monats als keine Reaktion erfolgt spricht Kunde am 29.09.2012 vor
In der Zusammenfassung und dem zugehörigen Schreiben weist die Mitarbeiterin darauf hin, dass keine Fortzahlungsanträge gestellt worden seien. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Jedoch muss man bedenken, dass während diesem besagten Jahr (10/2011 – 08/2012) ein durch uns eingeleitetes Strafverfahren gegen den Kunden lief, und dieser vehement ständig am Telefon und auch bei persönlichen Vorsprachen von der Leistungs-sachbearbeitung weggeschickt wurde und ihm nur gedroht wurde, es würden weitere Rückforderungsbescheide und Anzeigen folgen, er solle gehen. ( ) Der Kunde hat in die-sem Hin- und Her womöglich tatsächlich aus den Augen verloren einen Antrag zu stellen – bzw. hatte womöglich Angst nochmals vorzusprechen, da er ja immer weggeschickt wur-de. Oder er dachte, das Strafverfahren wäre abzuwarten, da sich erst danach ergibt ob ihm Ansprüche zustehen oder nicht ?" Mit Bescheid vom 09.02.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Leistungen für den Zeit-raum Oktober 2011 bis August 2012 ab. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II würden Leistungen nicht für die Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Eine Leistungsbewilligung im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs werde abgelehnt, da jedenfalls die analog anwendbare Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die rückwirkende Bewilligung von Leistungen vor dem 01.01.2013 ausschließe. Dagegen legten die Kläger unter dem 13.03.2015 Widerspruch ein und führten aus, sie seien mehrfach vorstellig geworden, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Anträge seien vor Ort gestellt worden. Sie seien des Hauses verwiesen wor-den, da umgekehrt noch Ansprüche gegen sie bestünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück. Ergänzend führte der Beklagte aus, die Kläger hätten es versäumt, recht-zeitig erneute Anträge für die Zeit ab 01.10.2011 zu stellen. Infolge festgelegter Bewilli-gungsabschnitte sei nach Ablauf eines Bewilligungsabschnitts ein neuer Antrag erforder-lich. Der Ablauf des Bewilligungszeitraumes sei auch dem Bescheid vom 07.04.2011 zu entnehmen gewesen. Der Leistungsakte ließen sich keine Anträge bzw. Vorsprachen im streitigen Zeitraum entnehmen. Entsprechende Nachweise über eine Antragstellung seien nicht erbracht worden.
Hiergegen richtet sich die am 10.04.2015 erhobene Klage. Die Kläger führen aus, sie hät-ten im betreffenden Zeitraum immer wieder vorgesprochen. Man habe ihnen mitgeteilt, sie würden jetzt keine Leistungen mehr erhalten, im Gegenteil, es würden nun Rückforde-rungsansprüche gegen sie geltend gemacht. Sie hätten mehrfach vorgesprochen, um zu beteuern, dass die Vorwürfe im Strafverfahren falsch seien. Man habe sie jedoch des Hauses verwiesen.
Die Kläger beantragen, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2015 zu verurteilen, ihnen Grund-sicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012 zu gewähren.
Der Beklagt beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts-akte sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, die der Kammer vorlagen und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Kläger werden durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie haben Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II auch für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012.
Die Kläger erfüllen im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für eine Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Ar-beitslosengeld II, wobei die Leistungen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfassen. Zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen wirken sich leistungsmindernd aus (§ 19 Abs. 3 SGB II). Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfä-hige Hilfebedürftige), § 7 Abs. 1 SGB II. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Ein-kommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, ins-besondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vo-raussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Beklagte konnte die Leistungen im streitigen Zeitraum auch nicht mit der Begründung ablehnen, die Kläger hätten keine Fortzahlungsanträge gestellt.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen auf Antrag erbracht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II werden die Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück. Zwar trifft es zu, dass im streitigen Zeitraum kein förmlicher Antrag mit dem Formular des Beklagten und entsprechenden Unterlagen der Kläger auf Weiterbewilligung in der Ver-waltungsakte des Beklagten zu finden ist. Die Kammer kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass es den Klägern unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auch gar nicht zumutbar war, entsprechende Anträge zu stellen. Denn der Beklagte hatte durch sein gesamtes Verhalten und seine Mitteilungen gegenüber den Klägern zum Ausdruck gebracht, dass aus seiner Sicht gar kein Anspruch der Kläger bestanden hat, und zwar weder für die Vergangenheit, noch für die Zukunft. Darüber hinaus geht die Kammer da-von aus, dass die Kläger jedenfalls formlos die Weitergewährung von Leistungen über den 30.09.2011 hinaus zum Ausdruck gebracht haben.
Die Vorschrift des § 37 Abs. 1 SGB II stellt klar, dass Leistungen nur auf Antrag erbracht werden. Ein einmal gestellter Antrag wirkt grundsätzlich nach Bewilligung von Leistungen und Ablauf des Bewilligungszeitraums hinaus (in der Regel 6 Monate, vgl. § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) nicht fort (vgl. BSG, Urteil v. 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, und Urteil v. 18.01.2011, B 4 AS 29/10 R, jeweils juris). Das durch den Antrag eingeleitete Verwal-tungsverfahren wird durch den Erlass des Bewilligungsbescheids abgeschlossen, § 8 SGB X; der Bewilligungsbescheid verliert mit Ablauf des Bewilligungszeitraums seine Wirksamkeit, § 39 Abs. 2 SGB X (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 37 Rn. 35). Bei einer Ablehnung eines Leistungsantrages ohne zeitliche Begrenzung der Ablehnung durch den jeweiligen Träger wirkt der Leistungsantrag nach der Recht-sprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ausnahmsweise über den Regelbewilligungsabschnitt im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II fort bis zur letzten mündlichen Verhandlung (vgl. etwa BSG, Urteil v. 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, und Urteil v. 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, jeweils juris). Die Kammer hält diesen Grundsatz für auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn der Beklagte hat den Klägern im Rahmen von Telefonaten und persönlichen Vorsprachen mitgeteilt, er werde die Leis-tungen einstellen und auch für die Vergangenheit zurückfordern. Eine andere Lösung ge-be es nicht. Daraufhin hat er schließlich auch Rückforderungsbescheide hinsichtlich der bis 30.09.2011 bewilligten Leistungen erlassen. Damit hat der Beklagte zum einen den Bescheid aufgehoben, der abschließend für den Zeitraum April bis September 2011 Leis-tungen bewilligt hatte – ein Ende des Bewilligungsabschnitts mit erkennbarem Erfordernis der neuen Antragstellung ab 01.10.2011 bestand also schon gar nicht mehr – und zum anderen den Klägern zu erkennen gegeben, dass für die Zukunft – ohne zeitliche Be-schränkung – keine Leistungen gewährt werden. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass der Antrag vom 29.03.2011 auch über den 30.09.2011 hinaus fortwirkte. Es konnte von den Klägern bei dieser Sachlage auch nicht erwartet werden, weiterhin un-ter Nutzung der Antragsformulare des Beklagten Fortzahlungsanträge zu stellen. So hatte der Beklagte gegen die Kläger ein Strafverfahren eingeleitet, dass erst im Juli 2012 durch Freispruch endete. Bis dahin hat der Beklagte den Klägern mehrfach bei Vorsprachen zu erkennen gegeben, dass er ihnen keine Leistungen gewähren wird. Es finden sich auch mehrere Vermerke in der Akte des Beklagten, die nahe legen, dass die Kläger mit dieser Information weggeschickt wurden und ihnen gar keine Gelegenheit gegeben wurde, weiter zum Leistungsanspruch vorzutragen. Eine eigene Mitarbeiterin des Beklagten hat in einer Zusammenfassung festgehalten, dass die Kläger zum Teil "abgewimmelt" und "wegge-schickt" wurden.
Weiter geht die Kammer davon aus, dass die Kläger jedenfalls mit Schreiben vom 18.06.2011 und 25.07.2011, mit denen sie um Bewilligung der Leistungen gebeten haben, sowie im Rahmen des Telefonats vom 09.06.2011, in dem sie sich nach ihren Leistungen erkundigt haben, einen Antrag für Leistungen ab Oktober 2011 gestellt haben, dem ohne zeitliche Eingrenzung seitens des Beklagten nicht nachgekommen worden ist. Der Leistungsantrag nach § 37 Abs. 1 SGB II ist eine einseitige empfangsbedürftige öf-fentlich-rechtliche Willenserklärung. Daher sind – soweit sich nichts Anderes aus den so-zialrechtlichen Bestimmungen ergibt – die Vorschriften und allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts (§§ 130 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) entsprechend anzuwen-den (BSG, Urteil v. 28.10.2009; B 14 AS 56/08 R, und Urteil v. 23.03.2010; B 14 AS 6/09 R, jeweils juris; Aubel a.a.O. Rn. 21). Der Antrag ist daher nach den Maß-stäben der §§ 133, 157 BGB auslegungsfähig (Aubel a.a.O. Rn. 21). Dabei ist darauf ab-zustellen, ob der Antragsteller geltend macht, wegen Bedürftigkeit auf Sozialleistungen angewiesen zu sein (vgl. Aubel a.a.O. Rn. 22). § 37 SGB II enthält keine Bestimmung zu einer bestimmte Form des Antrags. Daher kann der Antrag auch formlos, etwa mündlich oder telefonisch, gestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 28.10.2009, B 14 AS 56/08 R, juris). Erforderlich ist lediglich, dass aus den Erklärungen des Antragstellers der Wille hervor-geht, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen zu wollen (Aubel a.a.O., Rn. 29). Mit den vorgenannten Schreiben bzw. dem Telefonat haben die Kläger zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin Leistungen nach dem SGB II in An-spruch nehmen wollen. Der Kammer ist auch nicht verständlich, aus welchem Grund der Beklagte unter Berufung auf § 37 SGB II keine Leistungen für den streitigen Zeitraum gewährt hat. Das durch ihn eingeleitete Strafverfahren endete mit einem Freispruch. Für die Zeit ab September 2012 hat der Beklagte Leistungen wieder bewilligt, die Rücknahme der Bewilligungsescheide für die Zeit vor dem hier streitigen Zeitraum ist aufgehoben worden. Der Beklagte geht also selbst offensichtlich davon aus, dass die übrigen Leistungsvoraussetzungen gegeben wa-ren. Eine eigene Mitarbeiterin des Beklagten hat schriftlich festgehalten, dass die Kläger womöglich in Anbetracht des noch laufenden Strafverfahrens "in diesem Hin- und Her" aus den Augen verloren haben könnten, einen förmlichen Antrag zu stellen und mögli-cherweise dachten, es müsse erst das Strafverfahren abgewartet werden. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer kein Verständnis für das Vorgehen des Beklagten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob den Klägern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012 zu gewähren sind.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1) und der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 2), die Brüder sind, stehen im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 30.03.2011, 07.04.2011 und 14.04.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern auf ihren Antrag vom 29.03.2011 unter der Adresse F., O., als Bedarfsgemein-schaft zunächst Leistungen für den Zeitraum April bis September 2011. Am 12.05.2011 ging beim Beklagten schriftlich eine anonyme Anzeige ein. Darin wurde ausgeführt, die Kläger würden nicht in der F. wohnen, sondern bei ihrer Mutter, G.15, M ... Diese sei Eigentümerin und Vermieterin des Hauses in der F ... Es gebe verschiedene Mietverträge mit unterschiedlichen Mietern nur auf dem Papier. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, noch am selben Tag einen Hausbesuch durchzuführen. Der Ermittlungsdienst traf die Kläger nicht in der Wohnung F. an. Laut Bericht wurde die Wohnung aber von Herrn I. – dem Ehemann der Mutter der Kläger – bewohnt. Mit Schreiben vom 08.06.2011 hörte der Beklagte die Kläger dazu an, dass die Einstellung der Leistungen beabsichtigt sei, da mangels Aufenthalt in O. die örtliche Zuständigkeit des Beklagten nicht gegeben sei. Weiter zeigte er den Sachverhalt bei der Staatsanwaltschaft Aachen an. Daraufhin wurde ein Strafverfahren mit dem Tatvorwurf "Betrug" gegen die Kläger eingeleitet (Az. 701 Js 965/11 - A). Das Verfahren gegen den Kläger zu 2) wurde am 12.09.2011 eingestellt nach § 154 Abs. 1 Strafprozeßordnung (StPO).
Am 09.06.2011 (10 Uhr) rief der Kläger zu 1) beim Beklagten an und erkundigte sich nach seinen Leistungen. Die Sachbearbeiterin teilte ihm mit, der Ermittlungsdienst habe beide Kläger nicht in der Wohnung angetroffen. Nach Berichten der Nachbarn hielten sich beide Kläger nicht dort auf. Eine Anhörung sei unterwegs, er könne sich schriftlich äußern. Sie teilte dem Kläger mit, sie werde die Leistungen einstellen und auch für die Vergangenheit zurückfordern. Später am gleichen Tag (12 Uhr) sprach der Kläger zu 1) persönlich beim Beklagten vor. Ihm wurde die gleiche Auskunft wie im Telefonat zuvor erteilt. Der Kläger zu 2) beschwerte sich daraufhin bei einer anderen Sachbearbeiterin über die Ungerech-tigkeit. Ihm wurde mitgeteilt, das Vorgehen sei mit dem nächsten Vorgesetzten abgespro-chen und es gebe erst mal keine andere Lösung. Mit Schreiben jeweils vom 18.06.2011 führten die Kläger aus, sie hielten sich in O. auf und versuchten, dort Arbeit zu finden. Bei einem unangemeldeten Besuch müsse man damit rechnen, dass sie sich nicht in der Wohnung aufhielten, da sie natürlich nicht immer zu Hause seien. Die Eltern hätten schon mal Streit, es komme vor, dass der Vater dann zu ihnen komme. Jetzt sei er aber wieder bei seiner Frau. Vielleicht wolle ihnen (den Klägern) jemand eins auswischen. Sie baten darum, ihnen Leistungen zu gewähren. Mit Bescheid vom 20.06.2011 und 21.06.2011 nahm der Beklagte den Bescheid vom 07.04.2011 bzw. 14.04.2011 zurück und machte die Erstattung der für April und Mai 2011 gezahlten Leistungen geltend. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 25.07.2011 führten die Kläger weiter aus, der Hausbesuch sei nicht angemeldet worden. Falls der Beklagte nicht mitteilen könne, welche Nachbarn gesagt haben, er halte sich nicht in der Wohnung auf, solle der Beklagte sofort die Zahlung bzw. Nachzahlung von Leistungen veranlassen. Mit Bescheid vom 05.04.2012 hob der Beklagte die Rückforderungsbescheide vom 20.06.2011 und 21.06.2011 aus formellen Gründen auf und erließ einen neuen Bescheid über die Rücknahme der Bescheide vom 10.11.2010 (Gewährungszeitraum 06.08.2010-31.03.2011) und 07.04.2011 bzw. 14.04.2011 (Gewährungszeitraum 01.04.2011-30.09.2011). Mit Urteil des Amtsgerichts Jülich (Az. 3 Ds-504 Js 1139/11-603/11) vom 23.07.2012 (rechtskräftig seit 31.07.2012) wurde der Kläger zu 1) in der Strafsache wegen Betrugs freigesprochen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.08.2012 beantragten die Kläger Leistungen nach dem SGB II. Unter dem 27.09.2012 stellten die Kläger unter Nutzung der Antragsformulare des Beklagten einen förmlichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 25.10.2012 und 06.11.2012/08.11.2012/19.11.2012 bewilligte der Beklagte den Klägern, die mittlerweile in getrennten Wohnungen leben, jeweils Leistungen für den Zeitraum Sep-tember 2012 bis Februar 2013. Seit dem beziehen die Kläger durchgehend Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 28.03.2014 hob der Beklagte die Rückforderungsbescheide vom 05.04.2011 auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.07.2014 führten die Kläger aus, bislang sei nicht be-rücksichtigt worden, dass Anträge auch für vorangehende Zeiträume vorlägen. Darauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 25.08.2014, es lägen keine Anträge für den Zeitraum 10/2011 bis 08/2012 vor. Unter dem 15.01.2015 erstellte eine Mitarbeiterin des Beklagten eine "Chronologische Zusammenfassung Fall L. , N." sowie ein Schreiben an eine weitere Mitarbeiterin mit Bitte um Hilfe, da sie "neu" in der Leistungsabteilung sei. In der chronologischen Zusammen-fassung heißt es u.a. - 05/2011 Anonyme Anzeige, dass Kunde nicht in O. wohnt - 06/2011 Strafanzeige und gleichzeitige Anhörung wird abgeschickt (statt erstmal die Anhörung abzuwarten) - 06/2011 Aktenvermerk = Telefonat mit Kunden in dem der Außendienstauftrag er-läutert wird (es liegt jedoch kein Bericht in der Akte vor?) Kunde wird abgewimmelt, die Anhörung ist unterwegs - 06/2011 Kunde spricht erneut vor. Persönlich. Wird weggeschickt, er kriegt Post über die Rückforderung - 06/2011 noch eine anonyme Anzeige - 06/2011 Rückforderungsbescheid - 06/2011 Kunde reagiert schriftlich auf Anhörung, erklärt abermals er halte sich in O. auf, ist dort auch gemeldet (hierauf wird nicht reagiert, Rückforderungsbescheid ist schon raus) ( ) - 09/2012 neuer Antrag (durch den Rechtsanwalt eingereicht). Persönlich traut sich der Kunde anscheinend nicht vorzusprechen, erst am Ende des Monats als keine Reaktion erfolgt spricht Kunde am 29.09.2012 vor
In der Zusammenfassung und dem zugehörigen Schreiben weist die Mitarbeiterin darauf hin, dass keine Fortzahlungsanträge gestellt worden seien. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Jedoch muss man bedenken, dass während diesem besagten Jahr (10/2011 – 08/2012) ein durch uns eingeleitetes Strafverfahren gegen den Kunden lief, und dieser vehement ständig am Telefon und auch bei persönlichen Vorsprachen von der Leistungs-sachbearbeitung weggeschickt wurde und ihm nur gedroht wurde, es würden weitere Rückforderungsbescheide und Anzeigen folgen, er solle gehen. ( ) Der Kunde hat in die-sem Hin- und Her womöglich tatsächlich aus den Augen verloren einen Antrag zu stellen – bzw. hatte womöglich Angst nochmals vorzusprechen, da er ja immer weggeschickt wur-de. Oder er dachte, das Strafverfahren wäre abzuwarten, da sich erst danach ergibt ob ihm Ansprüche zustehen oder nicht ?" Mit Bescheid vom 09.02.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Leistungen für den Zeit-raum Oktober 2011 bis August 2012 ab. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II würden Leistungen nicht für die Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Eine Leistungsbewilligung im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs werde abgelehnt, da jedenfalls die analog anwendbare Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die rückwirkende Bewilligung von Leistungen vor dem 01.01.2013 ausschließe. Dagegen legten die Kläger unter dem 13.03.2015 Widerspruch ein und führten aus, sie seien mehrfach vorstellig geworden, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Anträge seien vor Ort gestellt worden. Sie seien des Hauses verwiesen wor-den, da umgekehrt noch Ansprüche gegen sie bestünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück. Ergänzend führte der Beklagte aus, die Kläger hätten es versäumt, recht-zeitig erneute Anträge für die Zeit ab 01.10.2011 zu stellen. Infolge festgelegter Bewilli-gungsabschnitte sei nach Ablauf eines Bewilligungsabschnitts ein neuer Antrag erforder-lich. Der Ablauf des Bewilligungszeitraumes sei auch dem Bescheid vom 07.04.2011 zu entnehmen gewesen. Der Leistungsakte ließen sich keine Anträge bzw. Vorsprachen im streitigen Zeitraum entnehmen. Entsprechende Nachweise über eine Antragstellung seien nicht erbracht worden.
Hiergegen richtet sich die am 10.04.2015 erhobene Klage. Die Kläger führen aus, sie hät-ten im betreffenden Zeitraum immer wieder vorgesprochen. Man habe ihnen mitgeteilt, sie würden jetzt keine Leistungen mehr erhalten, im Gegenteil, es würden nun Rückforde-rungsansprüche gegen sie geltend gemacht. Sie hätten mehrfach vorgesprochen, um zu beteuern, dass die Vorwürfe im Strafverfahren falsch seien. Man habe sie jedoch des Hauses verwiesen.
Die Kläger beantragen, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2015 zu verurteilen, ihnen Grund-sicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012 zu gewähren.
Der Beklagt beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts-akte sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, die der Kammer vorlagen und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Kläger werden durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie haben Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II auch für den Zeitraum 01.10.2011 bis 31.08.2012.
Die Kläger erfüllen im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für eine Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Ar-beitslosengeld II, wobei die Leistungen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfassen. Zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen wirken sich leistungsmindernd aus (§ 19 Abs. 3 SGB II). Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfä-hige Hilfebedürftige), § 7 Abs. 1 SGB II. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Ein-kommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, ins-besondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vo-raussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Beklagte konnte die Leistungen im streitigen Zeitraum auch nicht mit der Begründung ablehnen, die Kläger hätten keine Fortzahlungsanträge gestellt.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen auf Antrag erbracht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II werden die Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück. Zwar trifft es zu, dass im streitigen Zeitraum kein förmlicher Antrag mit dem Formular des Beklagten und entsprechenden Unterlagen der Kläger auf Weiterbewilligung in der Ver-waltungsakte des Beklagten zu finden ist. Die Kammer kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass es den Klägern unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auch gar nicht zumutbar war, entsprechende Anträge zu stellen. Denn der Beklagte hatte durch sein gesamtes Verhalten und seine Mitteilungen gegenüber den Klägern zum Ausdruck gebracht, dass aus seiner Sicht gar kein Anspruch der Kläger bestanden hat, und zwar weder für die Vergangenheit, noch für die Zukunft. Darüber hinaus geht die Kammer da-von aus, dass die Kläger jedenfalls formlos die Weitergewährung von Leistungen über den 30.09.2011 hinaus zum Ausdruck gebracht haben.
Die Vorschrift des § 37 Abs. 1 SGB II stellt klar, dass Leistungen nur auf Antrag erbracht werden. Ein einmal gestellter Antrag wirkt grundsätzlich nach Bewilligung von Leistungen und Ablauf des Bewilligungszeitraums hinaus (in der Regel 6 Monate, vgl. § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) nicht fort (vgl. BSG, Urteil v. 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, und Urteil v. 18.01.2011, B 4 AS 29/10 R, jeweils juris). Das durch den Antrag eingeleitete Verwal-tungsverfahren wird durch den Erlass des Bewilligungsbescheids abgeschlossen, § 8 SGB X; der Bewilligungsbescheid verliert mit Ablauf des Bewilligungszeitraums seine Wirksamkeit, § 39 Abs. 2 SGB X (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 37 Rn. 35). Bei einer Ablehnung eines Leistungsantrages ohne zeitliche Begrenzung der Ablehnung durch den jeweiligen Träger wirkt der Leistungsantrag nach der Recht-sprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ausnahmsweise über den Regelbewilligungsabschnitt im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II fort bis zur letzten mündlichen Verhandlung (vgl. etwa BSG, Urteil v. 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, und Urteil v. 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, jeweils juris). Die Kammer hält diesen Grundsatz für auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn der Beklagte hat den Klägern im Rahmen von Telefonaten und persönlichen Vorsprachen mitgeteilt, er werde die Leis-tungen einstellen und auch für die Vergangenheit zurückfordern. Eine andere Lösung ge-be es nicht. Daraufhin hat er schließlich auch Rückforderungsbescheide hinsichtlich der bis 30.09.2011 bewilligten Leistungen erlassen. Damit hat der Beklagte zum einen den Bescheid aufgehoben, der abschließend für den Zeitraum April bis September 2011 Leis-tungen bewilligt hatte – ein Ende des Bewilligungsabschnitts mit erkennbarem Erfordernis der neuen Antragstellung ab 01.10.2011 bestand also schon gar nicht mehr – und zum anderen den Klägern zu erkennen gegeben, dass für die Zukunft – ohne zeitliche Be-schränkung – keine Leistungen gewährt werden. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass der Antrag vom 29.03.2011 auch über den 30.09.2011 hinaus fortwirkte. Es konnte von den Klägern bei dieser Sachlage auch nicht erwartet werden, weiterhin un-ter Nutzung der Antragsformulare des Beklagten Fortzahlungsanträge zu stellen. So hatte der Beklagte gegen die Kläger ein Strafverfahren eingeleitet, dass erst im Juli 2012 durch Freispruch endete. Bis dahin hat der Beklagte den Klägern mehrfach bei Vorsprachen zu erkennen gegeben, dass er ihnen keine Leistungen gewähren wird. Es finden sich auch mehrere Vermerke in der Akte des Beklagten, die nahe legen, dass die Kläger mit dieser Information weggeschickt wurden und ihnen gar keine Gelegenheit gegeben wurde, weiter zum Leistungsanspruch vorzutragen. Eine eigene Mitarbeiterin des Beklagten hat in einer Zusammenfassung festgehalten, dass die Kläger zum Teil "abgewimmelt" und "wegge-schickt" wurden.
Weiter geht die Kammer davon aus, dass die Kläger jedenfalls mit Schreiben vom 18.06.2011 und 25.07.2011, mit denen sie um Bewilligung der Leistungen gebeten haben, sowie im Rahmen des Telefonats vom 09.06.2011, in dem sie sich nach ihren Leistungen erkundigt haben, einen Antrag für Leistungen ab Oktober 2011 gestellt haben, dem ohne zeitliche Eingrenzung seitens des Beklagten nicht nachgekommen worden ist. Der Leistungsantrag nach § 37 Abs. 1 SGB II ist eine einseitige empfangsbedürftige öf-fentlich-rechtliche Willenserklärung. Daher sind – soweit sich nichts Anderes aus den so-zialrechtlichen Bestimmungen ergibt – die Vorschriften und allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts (§§ 130 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) entsprechend anzuwen-den (BSG, Urteil v. 28.10.2009; B 14 AS 56/08 R, und Urteil v. 23.03.2010; B 14 AS 6/09 R, jeweils juris; Aubel a.a.O. Rn. 21). Der Antrag ist daher nach den Maß-stäben der §§ 133, 157 BGB auslegungsfähig (Aubel a.a.O. Rn. 21). Dabei ist darauf ab-zustellen, ob der Antragsteller geltend macht, wegen Bedürftigkeit auf Sozialleistungen angewiesen zu sein (vgl. Aubel a.a.O. Rn. 22). § 37 SGB II enthält keine Bestimmung zu einer bestimmte Form des Antrags. Daher kann der Antrag auch formlos, etwa mündlich oder telefonisch, gestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 28.10.2009, B 14 AS 56/08 R, juris). Erforderlich ist lediglich, dass aus den Erklärungen des Antragstellers der Wille hervor-geht, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen zu wollen (Aubel a.a.O., Rn. 29). Mit den vorgenannten Schreiben bzw. dem Telefonat haben die Kläger zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin Leistungen nach dem SGB II in An-spruch nehmen wollen. Der Kammer ist auch nicht verständlich, aus welchem Grund der Beklagte unter Berufung auf § 37 SGB II keine Leistungen für den streitigen Zeitraum gewährt hat. Das durch ihn eingeleitete Strafverfahren endete mit einem Freispruch. Für die Zeit ab September 2012 hat der Beklagte Leistungen wieder bewilligt, die Rücknahme der Bewilligungsescheide für die Zeit vor dem hier streitigen Zeitraum ist aufgehoben worden. Der Beklagte geht also selbst offensichtlich davon aus, dass die übrigen Leistungsvoraussetzungen gegeben wa-ren. Eine eigene Mitarbeiterin des Beklagten hat schriftlich festgehalten, dass die Kläger womöglich in Anbetracht des noch laufenden Strafverfahrens "in diesem Hin- und Her" aus den Augen verloren haben könnten, einen förmlichen Antrag zu stellen und mögli-cherweise dachten, es müsse erst das Strafverfahren abgewartet werden. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer kein Verständnis für das Vorgehen des Beklagten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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