Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 203/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 238/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 219/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei dem klinischen Krankheitsbild CRPS kann der Vollbeweis in der gesetzlichen Unfallversicherung nur mit objektivierbaren Befunden begründet werden.
Der Vollbeweis der Diagnose CRPS erfordert den Ausschluss konkurrierender Erklärungsansätze.
Der Vollbeweis der Diagnose CRPS erfordert den Ausschluss konkurrierender Erklärungsansätze.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII streitig.
Die 1961 geborene Klägerin ist gelernte Zahntechnikermeisterin und war als solche zum Unfallzeitpunkt selbstständig tätig. Sie pflegte damals zusätzlich ihre an Alzheimer erkrankte Mutter. Am 21. Juli 2005 begleitete die Klägerin ihre Mutter eine Treppe hinauf, wobei die Mutter stolperte und die Klägerin bei dem Versuch, sie festzuhalten, ebenfalls stürzte und sich unter anderem eine Fraktur des 5. Mittelhandknochens in der rechten Hand zuzog. Die Fraktur wurde sodann mittels einer Gipsschiene behandelt.
In einem fachärztlichen Bericht vom 20. Oktober 2005 stellten Dr. D./Dr. E. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) Frankfurt fest, dass die Klägerin den Faustschluss rechts vollständig durchführen könne, die grobe Kraft aber reduziert sei. In einem Entlassungsbericht zu einem stationären Aufenthalt der Klägerin in der BGU vom 31. Oktober bis 18. November 2005 wurde hinsichtlich eines Computertomogramms (CT s) der rechten Hand noch ein minimaler Bruchspalt mit deutlicher Callusbildung, jedoch noch nicht vollständig durchbaut festgestellt. In einem weiteren Befundbericht der BGU vom 6. Dezember 2005 stellten Dr. F./Dr. G. fest, dass die Klägerin über eine anhaltende belastungsabhängige Schmerzsymptomatik der rechten Hand und des Unterarms klage, die gesamte Symptomatik zur Zeit aber nicht für eine Heilentgleisung spreche. Dr. D./Dr. H. kamen in einem weiteren Befundbericht der BGU vom 19. Dezember 2005 zu dem Ergebnis, dass Arbeitsfähigkeit ab dem 19. Dezember 2005 vorliege und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß nicht verbleiben werde.
Am 29. Dezember 2005 suchte die Klägerin erneut die BGU auf. In ihrem Bericht vom 5. Januar 2006 kamen Dr. F. und Dr. G. zu dem Ergebnis, dass eine Heilentgleisung weiterhin nicht wahrscheinlich sei, trotzdem zur Abklärung eine Szintigraphie beider Hände empfohlen werde. Am 25. Januar 2006 wurde daraufhin eine 3-Phasen-Skelettszintigraphie der Hände durchgeführt, wobei Frau Dr. J. eine unauffällige Perfusion, venöse Blutfülle und Osteometabolismus in beiden Händen, insbesondere im Bereich des DIG V rechts ohne Hinweis auf entzündungstypische oder frakturtypische Veränderungen feststellte. In einem 1. Rentengutachten führte sodann der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie Dr. K. am 5. Januar 2008 aus, die Fraktur sei in idealer Stellung fest verheilt und der Kalksalzgehalt sowie die Knochenbälkchenstruktur in der rechten Hand normal. Der Faustschluss sei der Klägerin möglich und die Gebrauchsspuren zeigten, dass die rechte Hand normal eingesetzt werde. Als Unfallfolgen stellte er eine subjektive Kraftminderung beim Faustschluss fest. Die Bewegungsmaße waren für die Finger der rechten wie der linken Hand praktisch identisch, der rechte Arm wies bei der rechtshändigen Klägerin ein Muskelplus von rund 1 cm auf. Die MdE schätzte Dr. K. ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 19. Dezember 2005 bis 18. Juni 2006 mit 10 v. H. und anschließend mit weniger als 10 v. H. ein. In einem neurologischen Zusatzgutachten vom 29. Januar 2008 kam Dr. L. zu dem Ergebnis, bei der Klägerin seien keine eindeutigen Nervenläsionen und auch keine eindeutigen Paresen feststellbar. Insgesamt bestehe kein unfallbedingter Nervenschaden, die Klägerin habe aber konstant sämtliche Funktionen der rechten oberen Extremität weniger als links durchgeführt. Die von der Klägerin angegebenen Schwäche sowie die angegebenen Hautareale verminderten Empfindens ließen sich anatomisch nicht zuordnen und kontrastierten mit einem normalen Reflexbefund. Eine MdE lasse sich nicht feststellen, es werde jedoch die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Störung geäußert.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 erkannte die Beklagte gegenüber der Klägerin daraufhin den Unfall vom 21. Juli 2005 als Arbeitsunfall an, lehnte die Gewährung einer Rente jedoch ab, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert sei.
Die Klägerin erhob Widerspruch und legte zwei Arztbriefe des Facharztes für Neurologie Dr. M. vom 4. November 2007 und 5. April 2008 vor. Dr. M. diagnostizierte bei der Klägerin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) der rechten Hand und wies auf die Dekompensation in einer psychischen Belastungssituation hin. Er überwies die Klägerin zur psychiatrischen Mitbehandlung an die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. Diese Ärztin stellte in ihrem der Beklagten vorgelegten Bericht vom 10. Oktober 2008 bei der Klägerin eine Anpassungsstörung bei chronifiziertem Schmerzsyndrom und depressiver, neurotischer Struktur sowie ein Burnout-Syndrom fest. Die Chronifizierung der Schmerzen habe somatische, psychische und soziale Komponenten als Ursache, wobei der Begriff sozial den Einfluss von Beziehungserfahrungen zwischen Behandlern/Gutachtern und der Klägerin meine. Die Klägerin fühle sich von den Behandlern und Gutachtern teilweise nicht ausreichend gehört und gründlich untersucht und habe das Gefühl, dass man ihr etwas unterstelle. Dagegen habe sie sich nicht angemessen wehren können und fühle sich ungerecht behandelt und begutachtet. Die Klägerin verfüge nicht über ausreichende psychische Mechanismen, um sich zu distanzieren und zu beruhigen. Sie glaube, sich verteidigen bzw. rechtfertigen zu müssen und verwickele sich mehr und mehr bis zur Verzweiflung, wodurch eine psycho-somatische/somato-psychische Spirale der Eskalation entstehe.
Auf Veranlassung der Beklagten erstellte Dr. L. am 26. Juni 2008 eine ergänzende Stellungnahme, in welcher er klarstellte, dass zum Zeitpunkt seiner Begutachtung ein CRPS bei der Klägerin nicht vorgelegen habe. Dr. M. beschreibe auch keine eindeutigen Befunde, die diese Diagnose definitiv belegten.
Die Klägerin legte daraufhin ein Attest von Dr. O. vom 9. Dezember 2008 vor, in welchem dieser der Einschätzung von Dr. L. widersprach, zudem einen Bericht der Schmerzklinik des Universitätsklinikums Gießen vom 12. Juni 2008, in dem auf widersprüchliche Untersuchungsergebnisse hingewiesen wird, und ein Privatgutachten von Dr. M. vom 4. Januar 2009. Dr. M. führte aus, aus neurologischer Sicht müsse ein CRPS anerkannt werden. Bei der Erstuntersuchung im November 2007 habe sich am gesamten rechten Arm ein Druckschmerz auslösen lassen, trophische Störungen seien nicht zu sehen gewesen. Die Klägerin habe eine Gefühlsstörung des gesamten rechten Arms angegeben, die neurologische Untersuchung habe aber keine Auffälligkeiten bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit ergeben. Die Diagnose eines CRPS stehe auch nicht im Widerspruch zu der unauffälligen Skelettszintigraphie. Bei der erneuten Untersuchung im April 2008 habe die Klägerin angegeben, dass die Schmerzen weiter zugenommen hätten. Insgesamt seien die Schmerzen neurologisch und unfallchirurgisch nicht ausreichend zu erklären. Es komme bei der Klägerin eine psychische Komorbidität in Form einer Anpassungsstörung hinzu. Diese beruhe zum Teil auch auf den chronischen Schmerzen, basiere aber auch auf unfallunabhängigen Faktoren wie etwa der schweren psychischen Belastung durch die Pflege der demenzkranken Mutter. Die Verschlechterung des Schmerzsyndroms sei nicht mehr allein durch das CRPS zu erklären, sondern hier sei die Entwicklung einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung anzunehmen. Zwischen dem CRPS und der somatoformen Schmerz-störung bestünden dabei fließende Übergänge, die MdE werde insgesamt auf 20 v. H. eingeschätzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Das Vorliegen eines CRPS sei nicht bewiesen, zumal sich die Schmerzen und die vorliegenden Beschwerden auf neuro-psychiatrischem Fachgebiet erklären ließen. Die vorliegende Skelettszintigraphie spreche gegen ein CRPS, so dass der Einschätzung von Dr. M. nicht zu folgen sei. Aus den vorliegenden Unterlagen sowie der Einschätzung von Frau Dr. N. ergäben sich eindeutige unfallunabhängige Stressoren, die die geklagten Beschwerden erklären könnten.
Hiergegen richtet sich die am 21. Oktober 2009 beim Sozialgericht Frankfurt (Sozialgericht) erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, sowohl die organischen als auch die psychiatrischen Befunde seien schwerwiegender, als die Beklagte bisher anerkannt habe. Sie hat zwei Berichte des Oberarztes der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. P. vom 16. Juni 2010 und 26. August 2010 vorgelegt, in welchen dieser als behandelnder Therapeut die Diagnose CRPS stellt, darüber hinaus weitere Stellungnahmen von Dr. M. vom 25. September 2010, 31. Januar 2011, 12. Juni 2011, 11. März 2012 und 15. Juli 2012 sowie eine hausärztliche Stellungnahme von Dr. Q. vom 25. Juli 2012.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. vom 2. Dezember 2011 sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 13. Juni 2012. Dr. R. ist zu dem Ergebnis gekommen, ein CRPS liege bei der Klägerin nicht vor. Er diagnostizierte bei der Klägerin eine dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung am rechten Arm sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Beide Erkrankungen seien nicht ursächlich im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung auf den Arbeitsunfall vom 21. Juli 2005 zurückzuführen.
Mit Urteil vom 21. November 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls würden keine rentenberechtigende MdE rechtfertigen. Auf orthopädischem Gebiet und neurologischem Fachgebiet bestehe nach den Gutachten von Dr. K., Dr. L. und Dr. R. keine MdE, da Unfallfolgen infolge der Fraktur des Mittelhandknochens nicht verblieben seien. Ein CRPS sei nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. R. nicht im Vollbeweis gesichert. Dr. R. habe darauf hingewiesen, dass die Klägerin den rechten Arm und die rechte Hand während der gesamten Begutachtung in einer Schonhaltung gehalten habe und auf jede Berührung am rechten Arm mit der Äußerung von Schmerzen reagiert habe. Wesentliche Symptome, die für die Diagnose CRPS sprechen würden, habe der Sachverständige bei seiner Untersuchung nicht feststellen können. So seien weder eine auffallende Schwellung der rechten Hand oder des rechten Armes noch eine Muskelatrophie oder trophische Störungen der rechten Hand erkennbar gewesen, ebenso wenig Kontrakturen oder Hinweise auf Veränderungen der Nagelkonsistenz. Eine Glanzhaut habe nicht bestanden, auch keine auffallende Verfärbung im Vergleich zu der sonstigen Haut. Auch einen feinschlägigen Tremor oder eine Dystrophie, Ödeme und eine offensichtliche Schweißsekretionsstörung habe der Sachverständige nicht feststellen können. Eine Allodynie habe er nicht sicher verifizieren können; bei der Prüfung der Muskulatur am rechten Arm hätten sich zudem Hinweise auf eine bewusste Minderinnervation ergeben. Die Skelettszintigraphie sei zudem unauffällig. Dr. R. und ebenso der Vorgutachter im Verwaltungsverfahren Dr. K. hätten zu Recht darauf hingewiesen, dass die bei ihrer Begutachtung vorgefunden objektiven Befunde mit den Angaben der Klägerin über die tatsächliche Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und der rechten Hand nicht in Einklang stehen würden. Die von Dr. R. diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung mit einer dissoziativen Sensibilitätsstörung sei nicht überwiegend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Mit Dr. R. sei zwar davon auszugehen, dass der Unfall bzw. die Handverletzung der Kristallisationspunkt für die weitere psychische Entwicklung der Klägerin gewesen ist. Für diese Entwicklung und Aufrechterhaltung der Symptome seien aber konkurrierende Faktoren die Ursache wie die Persönlichkeitsstruktur und ein Versorgungsbegehren der Klägerin.
Gegen das ihr am 28. November 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Dezember 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie ist der Auffassung, ihre Schmerzstörung sei als ein CRPS zu bewerten und stützt sich dazu insbesondere auf die Berichte ihres behandelnden Schmerztherapeuten Prof. Dr. P. Auf Grund der Schmerzerkrankung könne sie ihren Beruf als Zahntechnikermeisterin nicht mehr ausüben. Dies sei auf den Unfall zurückzuführen und die Beklagte verpflichtet, Rente zu gewähren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2009 zu verurteilen, ein CRPS als Unfallfolge festzustellen und ihr Rente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend. Insbesondere liege bei der Klägerin auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren ein CRPS nicht vor. Dazu verweist sie auf die Stellungnahmen ihres Beratungsarztes, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 7. Dezember 2010 und 4. April 2011 im Klageverfahren und vom 9. Januar 2015 und 21. Dezember 2015 im Berufungsverfahren. Bezüglich des Inhalts dieser Stellungnahmen wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenheilkundlichen Gutachtens durch den Chefarzt der Neurologischen Klinik, Klinikum Aschaffenburg, Prof. Dr. C. vom 23. Oktober 2014 und einer ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 6. November 2015. Im Ergebnis nimmt dieser Sachverständige das Vorliegen eines CRPS bei der Klägerin an. Erhoben werden könnten bei der Klägerin zwar nur "weiche" Befunde (Sensibilitätsstörungen, Asymmetrie der Hauttemperatur, reduzierte Beweglichkeit). Die Diagnose CRPS sei aber durchaus bei dem Vorliegen nur "weicher" Befunde möglich. Konkurrierende Ursachen seien nicht nachgewiesen. Auf Grund der Schmerzerkrankung habe sich eine Depression entwickelt, die somit ebenfalls unfallbedingt sei. Hinsichtlich der Ausführungen dieses Sachverständigen im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich in dem Erörterungstermin vom 14. Juni 2016 mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende anstelle des Senats einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (Bd. I und II) sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten (Band I und II) verwiesen, die zum Verfahren beigezogen waren.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte die Entscheidung durch die Vorsitzende ergehen (§ 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil ist zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalles vom 21. Juli 2005 keinen Anspruch auf Rente gegenüber der Beklagten.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erhalten Versicherte Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Auf Grund des Arbeitsunfalls sind bei der Klägerin keine länger andauernden Gesundheitsstörungen verblieben oder in der Folge entstanden, die als Unfallfolgen ihre Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. mindern.
Gesundheitsstörungen müssen, um als Unfallfolge anerkannt zu werden, zunächst im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (§ 128 SGG; BSGE 103, 99, 104).
Die von der Klägerin geltend gemachte Erkrankung CRPS, mit deren Vorliegen sie im Berufungsverfahren im Wesentlichen einen Rentenanspruch begründet hat, ist zur Überzeugung des Senats auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht im Vollbeweis gesichert und kommt von daher schon als Unfallfolge nicht in Betracht.
Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. in dessen Gutachten vom 2. Dezember 2011 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juni 2012 sowie auf die Ausführungen des Beratungsarztes Dr. S. in dessen Stellungnahmen vom 7. Dezember 2010, 4. April 2011, 9. Januar 2015 und 21. Dezember 2015. Die Feststellungen dieser Ärzte überzeugen. Dr. S. hat sich ausdrücklich mit dem aktuellen Wissensstand zu diesem Krankheitsbild in den Leitlinien (vgl. S1-Leitlinie zur CRPS, Stand: September 2012, gültig bis 30. September 2017, AMWF-Registernummer: 030/116) und in der Literatur (Widder/Tegenthoff, Begutachtung komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS) in: MEDSACH 1/2014 S. 26 ff.) auseinandergesetzt. Auch die Ausführungen von Dr. R. stehen mit dem aktuellen Wissensstand zur CRPS in Einklang. Beide Ärzte haben sich bei ihren Feststellungen zudem an den Beweis- und Kausalitätsregeln in der gesetzlichen Unfallversicherung orientiert.
Nach der genannten S1-Leitlinie und der aktuellen Literatur ist das CRPS ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, bei dem die Schmerzen im Vergleich zum erwarteten Heilungsverlauf unangemessen stark sind, wobei ursächlich vorwiegend somatische Faktoren sind. Die Diagnose CRPS ist eine klinische Diagnose. Deshalb sind die Anamneseerhebung, die klinisch-orthopädische und neurologische Untersuchung die entscheidenden Schritte. Es gilt nach der Leitlinie, dass die dokumentierten Befunde wichtiger sind als die subjektiven Beschwerden. Maßgebliche diagnostische Grundlage für ein CRPS bilden die sog. "Budapester Konsensus-Kriterien" (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27, S. 30; S1-Leitlinie, a.a.O., Diagnostik S. 3). Danach müssen folgende Punkte 1 – 4 alle erfüllt sein, um die Diagnose stellen zu können:
1. Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr erklärt wird.
2. In der Anamnese mindestens ein Symptom aus 3 der 4 folgenden Kategorien:
Sensorik Hyperästhesie und/oder Allodynie
Vasomotorik Asymmetrie der Hauttemperatur und/oder Änderung bzw. Asymmetrie der Hautfarbe
Sudomotorik/Ödem Ödem und/oder Änderung bzw. Asymmetrie der Schweißproduktion
Motorik/Trophik reduzierte Beweglichkeit und/oder motorische Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) und/oder Veränderungen der Trophik (Haare, Nägel, Haut)
3. Zum Zeitpunkt der Untersuchung mindestens ein Symptom aus 2 der 4 folgenden Kategorien:
Sensorik Nachweis einer Hyperalgesie auf spitze Reize (z.B. Nadelstich) und/oder Allodynie auf leichte Berührung, Temperaturänderung, Fingerdruck und/oder Gelenkbewegungen
Vasomotorik Nachweis einer Asymmetrie der Hauttemperatur) 1 °C und/oder einer Änderung bzw. Asymmetrie der Hautfarbe
Sudomotorik/Ödem Nachweis eines Ödems und/oder einer Änderung bzw. Asymmetrie der Schweißproduktion
Motorik/Trophik Nachweis einer reduzierten Beweglichkeit und/oder motorischen Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) und/oder veränderter Trophik (Haare, Finger/ Zehennägel, Haut)
4. Es gibt keine andere Diagnose, die diese Schmerzen erklärt.
Vorliegend ist die Diagnose im Vollbeweis nach diesen Kriterien nicht gesichert. Die von der Klägerin vorgetragenen subjektiven Beschwerden finden in dem klinischen Befund nach Punkt 3 der Budapester Konsensus-Kriterien keine Entsprechung. Dabei ist der Senat mit Dr. S., der sich insoweit auf die Literatur stützt (vgl. Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27), der Auffassung, dass im gutachterlichen Kontext, d.h. für den Vollbeweis des Krankheitsbildes CRPS in der gesetzlichen Unfallversicherung, den objektivierbaren Befunden wesentliche Bedeutung zukommt. Entgegen der Auffassung von Prof. Dr. C. im Berufungsverfahren kann bei einem Krankheitsbild wie dem vorliegenden, welches zwischen den Polen einer organischen und einer psychischen Erkrankung liegt und bei dem Symptome durch den Betroffenen durch Immobilisation selbst beeinflusst werden können (vgl. dazu Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27, S. 28, S. 29), das Vorliegen allein "weicher Befunde", d.h. beeinflussbarer Symptome und subjektiver Angaben, die volle richterliche Überzeugung nicht begründen.
Im Einzelnen stellt sich der klinische Befund nach Punkt 3 der sog. Budapester Konsensus-Kriterien (4 Kategorien) und unter Berücksichtigung der Anforderungen an den hier erforderlichen Vollbeweis wie folgt dar: Fraglich ist schon, ob die von der Klägerin beklagte Berührungsempfindlichkeit des rechten Armes (Kategorie 1 Sensorik) klinisch nachgewiesen ist. Nach Dr. R. war die Untersuchung des rechten Armes deutlich erschwert. Es sei zu starken Schmerzäußerungen gekommen und es hätten sich Hinweise auf ein aggravatorisches Verhalten hinsichtlich der Beeinträchtigungen des rechten Armes ergeben. Prof. Dr. C. teilt in seinem Gutachten diesbezüglich mit, eine subtile Testung der Sensorik habe bei der Klägerin nicht durchgeführt werden können, da nach den Angaben der Klägerin der Schmerz alles überlagere.
Das Vorliegen eines Symptoms aus der Kategorie 3 (Sudomotorik/Ödem) ist nicht nachgewiesen. Allein Prof. Dr. P., auf dessen Feststellungen als behandelnder Therapeut die Klägerin maßgeblich ihr Begehren stützt, hat in seinem von der Klägerin vorgelegten Bericht vom 16. Juni 2010 ein "leichtes Ödem" attestiert. Alle übrigen im Verfahren gehörten Ärzte und Sachverständige haben indessen bei ihrer Untersuchung eine einseitige ödematöse Schwellung oder Seitenunterschiede der Schweißsekretion an den Händen der Klägerin nicht feststellen können.
Ebenso ist auch die in der Kategorie 2 (Vasomotorik) aufgeführte Asymmetrie der Hauttemperatur nicht nachgewiesen, denn eine Temperaturdifferenz zwischen den Händen der Klägerin wird im Laufe des Verfahrens und der Untersuchungen nur einmal von Dr. M. dokumentiert und von Prof. Dr. C. und Prof. Dr. P. lediglich subjektiv-eindrucksmäßig festgestellt. Prof. Dr. C. selbst verweist in seinem Gutachten darauf, dass eine Temperaturdifferenz inkonstant aufzutreten scheint, da sie nicht bei allen Untersuchungen beschrieben wird. Anders als Dr. R. hält er den Nachweis des Symptoms durch diesen Befund schon für erbracht. Dies überzeugt nicht, da jede Immobilisation einer Extremität bereits innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem Temperaturabfall sowie zu Hautveränderungen führt. Nachvollziehbar wird in der Literatur daher Temperaturunterschieden nur im Rahmen von Langzeitmessungen diagnostische Bedeutung zugesprochen (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27). Dies muss ebenso für den Nachweis des zu der Kategorie 2 (Vasomotorik) gehörenden Symptoms einer Veränderung der Hautfarbe gelten. Das Symptom ist hier nicht nachgewiesen, da es nur von Prof. Dr. P. in seinem Bericht aufgeführt und von den übrigen Gutachtern bei den Untersuchungen nicht festgestellt worden ist.
Auch ein Symptom aus der Kategorie 4 (Motorik/Trophik) liegt nicht vor. Keiner der Gutachter beschreibt trophische Veränderungen (Veränderung des Ernährungs- oder Stoffwechselzustandes) wie eine Glanzhaut oder ein verändertes Erscheinungsbild der Fingernägel der betroffenen Hand. Ebenso ist der objektive Nachweis einer reduzierten Beweglichkeit und/oder motorischen Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) der rechten Extremität nicht erbracht. Der Neurologe Dr. L. hat eindeutige Paresen nicht feststellen können und beschreibt seitengleiche Muskeleigenreflexe. Prof. Dr. C. hat zwar eine reduzierte Beweglichkeit als Symptom der Kategorie 4 bescheinigt, den Nachweis dieses Symptoms aber allein mit dem Hinweis auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin begründet, bei der es auf die Feinmotorik ankomme. Schwerwiegende motorische Funktionsstörungen und Störungen des Muskeltonus hat auch dieser Sachverständige bei der Klägerin verneint. Vielmehr beschreibt er ebenso wie Dr. R. und schon die Ärzte Dr. K. und Dr. L. im Verwaltungsverfahren, dass das Muskelrelief auf beiden Seiten gleich sei, Muskelatrophien nicht auffallen würden, die Beschwielung der Hände seitengleich und der Faustschluss rechts (schwach) möglich sei. Das völlige Fehlen von Muskelatrophien und/oder Gelenkkontrakturen der betroffenen Extremität ist indes das wesentliche Unterscheidungskriterium bei vorgetäuschten motorischen Störungen (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O. S. 29). Überzeugend ist für den Senat insoweit auch das Argument des Sachverständigen Dr. R., dass sich insbesondere so viele Jahre nach dem Unfallereignis (bei seiner Untersuchung waren es 6 Jahre) und bei der Annahme des durchgehenden Vorliegens eines CRPS trophische und motorische Störungen wie sichtliche Hautveränderungen, Muskelatrophien, Gelenkversteifungen oder Sehnenverkürzungen hätten finden lassen müssen. Die Umfangmaße und Gebrauchsspuren an den oberen Extremitäten der Klägerin lassen hingegen, wie schon Dr. K. bei seiner Untersuchung 2008 konstatiert hat, darauf schließen, dass die rechte Hand von der Klägerin (weiterhin) normal eingesetzt werden kann und wird.
Auch wenn bildgebenden Untersuchungen im Hinblick auf die Diagnose CRPS nur eine begrenzte Aussagekraft zukommen soll (S1-Leitlinie, a.a.O., S. 4), bestätigt die hier ein halbes Jahr nach dem Unfall durchgeführte Knochenszintigraphie auf Grund des unauffälligen Ergebnisses jedenfalls nicht das Vorliegen der Diagnose. Dabei kommt diesem Verfahren vor allem in den ersten sechs bis neun Monaten nach der Symptomatik von Bedeutung zu, da die Sensitivität im Verlauf der Erkrankung abnimmt (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 28).
Schließlich ist der Vollbeweis der Diagnose CRPS vorliegend auch deshalb nicht erbracht, weil Punkt 4 der Budapester Konsensus-Kriterien nicht erfüllt ist, wonach gefordert wird, dass keine andere Diagnose die Schmerzen erklärt. Nach der S1-Leitlinie müssen, um Punkt 4 beantworten zu können, Erkrankungen ausgeschlossen sein, die ein CRPS vortäuschen. Mit Dr. S. und entgegen Prof. Dr. C. ist insofern festzustellen, dass die S1-Leitlinie nicht den Nachweis möglicher konkurrierender Erklärungsansätze fordert, sondern die Abgrenzung des CRPS gegenüber anderen Erkrankungen. Zur Überzeugung des Senats sind vorliegend aber psychogene Störungen, die der Diagnose CRPS entgegenstehen, gerade nicht ausgeschlossen. Nicht nur Dr. R., sondern auch Dr. M. und die behandelnde Psychiaterin Dr. N. beschreiben konkurrierende Faktoren zu dem Unfall, insbesondere psychiatrische Diagnosen, die die Schmerzen erklären können und die schon vor dem Unfall bestanden haben. Entgegen Prof. Dr. P. und Prof. Dr. C. geht der Senat daher nicht davon aus, dass eine psychische bzw. psychosomatische Komponente bzw. nach Prof. Dr. C. eine rezidivierende Depression erst Folge eines CRPS ist. Als unfallunabhängiger Stressor für die Entstehung und Chronifizierung der Schmerzsymptomatik ist schon die durch Dr. M. beschriebene, vor dem Unfall bestehende schwere psychische Belastung der Klägerin durch die Pflege der demenzkranken Mutter zu werten. Dr. N. hat der Klägerin zudem vor dem lebensgeschichtlichen Hintergrund und der Persönlichkeitsstruktur eine erhöhte psychische Vulnerabilität attestiert. Dr. R. hat das Schmerzsyndrom der Klägerin von Seiten seines, des psychiatrischen Fachgebietes für den Senat nachvollziehbar mit der Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erklärt, d.h. mit der Umwandlung von psychischen Konflikten in die körperlich wirkenden (somatoformen) Symptome (vgl. dazu auch Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernr. 051/029, S. 113). Anhaltspunkte für diese Diagnose haben auch die Neurologen Dr. L. und Dr. M. sowie Dr. S. gesehen.
Die seelischen Gesundheitsstörungen, die bei der Klägerin vorliegen und die Dr. R. überzeugend als eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) mit einer dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörung am rechten Arm (ICD-10 F44.6) klassifiziert, sind keine Unfallfolge und eine MdE insoweit nicht zuzuerkennen. Denn diese Störungen sind nicht im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung kausal auf den anerkannten Arbeitsunfall zurückzuführen.
Für die Kausalitätsfeststellung zwischen den durch ein Ereignis unmittelbar hervorgerufenen Gesundheitserstschäden und den als Unfallfolgen geltend gemachten länger andauernden Gesundheitsstörungen (haftungsausfüllende Kausalität) gilt wie für alle Kausalitätsfeststellungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris). Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren dabei auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 – 2 BU 194/97). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris).
Vorliegend lassen sich die oben aufgeführten seelischen Gesundheitsschäden der Klägerin nicht hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückführen. Der Senat hält ebenso wie das Sozialgericht die Feststellungen des Dr. R. für nachvollziehbar und schlüssig, wonach der Unfall bzw. die Handverletzung rechts zwar einen somatischen Auslöser darstellt, die Ausbildung der bei der Klägerin bestehenden Schmerzsymptomatik und die psychische Entwicklung indes nicht durch das Unfallereignis, sondern durch konkurrierende Faktoren wie die erhöhte psychische Vulnerabilität der Klägerin und ein Entschädigungsbegehren entstanden sind und aufrecht erhalten werden. Der Unfall war demnach zwar im naturwissenschaftlichen Sinne (mit)ursächlich (conditio-sine-qua-non), aber nicht wesentlich für die Entstehung und Chronifizierung der Symptomatik. Hierfür sind allein unfallunabhängige Faktoren verantwortlich (vgl. dazu auch Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernr. 051/029, S. 113, S. 124). Anders als Dr. R. geht Dr. M. u. a. in seiner von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Januar 2011 bei dem Schmerzsyndrom der Klägerin von einer Unfallfolge aus. Wegen der Überschneidung der Symptome hält er die exakte diagnostische Zuordnung des unstreitig vorliegenden Schmerzsyndroms als CRPS oder somatoforme Schmerzstörung nicht für relevant. Für die Kausalität des Schmerzsyndroms mit dem Unfall spreche – so der Arzt – dass die Störung zeitlich erst nach dem Unfall aufgetreten und vorher weder ein Schmerzsyndrom noch eine psychische Vorschädigung dokumentiert sei. Der von Dr. M. erwähnte zeitliche Faktor erklärt indes allein nicht die Verursachung und in keinem Fall die Chronifizierung der Erkrankung. Dr. N., die die Klägerin in den Jahren 2008 und 2010 behandelt hat, beschreibt in ihrem Bericht für das Sozialgericht vom 10. Oktober 2008 wie ausgeführt eine besondere Persönlichkeitsstruktur und Vulnerabilität, die die Ärztin ebenso wie Dr. R. für die Chronifizierung und Schwere der Symptomatik verantwortlich macht. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass sich die von Dr. M. u. a. in seinem Privatgutachten vom 4. Januar 2009 geschilderte Zunahme der Schmerzen bei der Klägerin im Laufe der Jahre mit der Einschätzung von Dr. N. im Hinblick auf die Verwicklung der Klägerin in eine Eskalationsspirale deckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII streitig.
Die 1961 geborene Klägerin ist gelernte Zahntechnikermeisterin und war als solche zum Unfallzeitpunkt selbstständig tätig. Sie pflegte damals zusätzlich ihre an Alzheimer erkrankte Mutter. Am 21. Juli 2005 begleitete die Klägerin ihre Mutter eine Treppe hinauf, wobei die Mutter stolperte und die Klägerin bei dem Versuch, sie festzuhalten, ebenfalls stürzte und sich unter anderem eine Fraktur des 5. Mittelhandknochens in der rechten Hand zuzog. Die Fraktur wurde sodann mittels einer Gipsschiene behandelt.
In einem fachärztlichen Bericht vom 20. Oktober 2005 stellten Dr. D./Dr. E. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) Frankfurt fest, dass die Klägerin den Faustschluss rechts vollständig durchführen könne, die grobe Kraft aber reduziert sei. In einem Entlassungsbericht zu einem stationären Aufenthalt der Klägerin in der BGU vom 31. Oktober bis 18. November 2005 wurde hinsichtlich eines Computertomogramms (CT s) der rechten Hand noch ein minimaler Bruchspalt mit deutlicher Callusbildung, jedoch noch nicht vollständig durchbaut festgestellt. In einem weiteren Befundbericht der BGU vom 6. Dezember 2005 stellten Dr. F./Dr. G. fest, dass die Klägerin über eine anhaltende belastungsabhängige Schmerzsymptomatik der rechten Hand und des Unterarms klage, die gesamte Symptomatik zur Zeit aber nicht für eine Heilentgleisung spreche. Dr. D./Dr. H. kamen in einem weiteren Befundbericht der BGU vom 19. Dezember 2005 zu dem Ergebnis, dass Arbeitsfähigkeit ab dem 19. Dezember 2005 vorliege und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß nicht verbleiben werde.
Am 29. Dezember 2005 suchte die Klägerin erneut die BGU auf. In ihrem Bericht vom 5. Januar 2006 kamen Dr. F. und Dr. G. zu dem Ergebnis, dass eine Heilentgleisung weiterhin nicht wahrscheinlich sei, trotzdem zur Abklärung eine Szintigraphie beider Hände empfohlen werde. Am 25. Januar 2006 wurde daraufhin eine 3-Phasen-Skelettszintigraphie der Hände durchgeführt, wobei Frau Dr. J. eine unauffällige Perfusion, venöse Blutfülle und Osteometabolismus in beiden Händen, insbesondere im Bereich des DIG V rechts ohne Hinweis auf entzündungstypische oder frakturtypische Veränderungen feststellte. In einem 1. Rentengutachten führte sodann der Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Handchirurgie Dr. K. am 5. Januar 2008 aus, die Fraktur sei in idealer Stellung fest verheilt und der Kalksalzgehalt sowie die Knochenbälkchenstruktur in der rechten Hand normal. Der Faustschluss sei der Klägerin möglich und die Gebrauchsspuren zeigten, dass die rechte Hand normal eingesetzt werde. Als Unfallfolgen stellte er eine subjektive Kraftminderung beim Faustschluss fest. Die Bewegungsmaße waren für die Finger der rechten wie der linken Hand praktisch identisch, der rechte Arm wies bei der rechtshändigen Klägerin ein Muskelplus von rund 1 cm auf. Die MdE schätzte Dr. K. ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 19. Dezember 2005 bis 18. Juni 2006 mit 10 v. H. und anschließend mit weniger als 10 v. H. ein. In einem neurologischen Zusatzgutachten vom 29. Januar 2008 kam Dr. L. zu dem Ergebnis, bei der Klägerin seien keine eindeutigen Nervenläsionen und auch keine eindeutigen Paresen feststellbar. Insgesamt bestehe kein unfallbedingter Nervenschaden, die Klägerin habe aber konstant sämtliche Funktionen der rechten oberen Extremität weniger als links durchgeführt. Die von der Klägerin angegebenen Schwäche sowie die angegebenen Hautareale verminderten Empfindens ließen sich anatomisch nicht zuordnen und kontrastierten mit einem normalen Reflexbefund. Eine MdE lasse sich nicht feststellen, es werde jedoch die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Störung geäußert.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 erkannte die Beklagte gegenüber der Klägerin daraufhin den Unfall vom 21. Juli 2005 als Arbeitsunfall an, lehnte die Gewährung einer Rente jedoch ab, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert sei.
Die Klägerin erhob Widerspruch und legte zwei Arztbriefe des Facharztes für Neurologie Dr. M. vom 4. November 2007 und 5. April 2008 vor. Dr. M. diagnostizierte bei der Klägerin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) der rechten Hand und wies auf die Dekompensation in einer psychischen Belastungssituation hin. Er überwies die Klägerin zur psychiatrischen Mitbehandlung an die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. Diese Ärztin stellte in ihrem der Beklagten vorgelegten Bericht vom 10. Oktober 2008 bei der Klägerin eine Anpassungsstörung bei chronifiziertem Schmerzsyndrom und depressiver, neurotischer Struktur sowie ein Burnout-Syndrom fest. Die Chronifizierung der Schmerzen habe somatische, psychische und soziale Komponenten als Ursache, wobei der Begriff sozial den Einfluss von Beziehungserfahrungen zwischen Behandlern/Gutachtern und der Klägerin meine. Die Klägerin fühle sich von den Behandlern und Gutachtern teilweise nicht ausreichend gehört und gründlich untersucht und habe das Gefühl, dass man ihr etwas unterstelle. Dagegen habe sie sich nicht angemessen wehren können und fühle sich ungerecht behandelt und begutachtet. Die Klägerin verfüge nicht über ausreichende psychische Mechanismen, um sich zu distanzieren und zu beruhigen. Sie glaube, sich verteidigen bzw. rechtfertigen zu müssen und verwickele sich mehr und mehr bis zur Verzweiflung, wodurch eine psycho-somatische/somato-psychische Spirale der Eskalation entstehe.
Auf Veranlassung der Beklagten erstellte Dr. L. am 26. Juni 2008 eine ergänzende Stellungnahme, in welcher er klarstellte, dass zum Zeitpunkt seiner Begutachtung ein CRPS bei der Klägerin nicht vorgelegen habe. Dr. M. beschreibe auch keine eindeutigen Befunde, die diese Diagnose definitiv belegten.
Die Klägerin legte daraufhin ein Attest von Dr. O. vom 9. Dezember 2008 vor, in welchem dieser der Einschätzung von Dr. L. widersprach, zudem einen Bericht der Schmerzklinik des Universitätsklinikums Gießen vom 12. Juni 2008, in dem auf widersprüchliche Untersuchungsergebnisse hingewiesen wird, und ein Privatgutachten von Dr. M. vom 4. Januar 2009. Dr. M. führte aus, aus neurologischer Sicht müsse ein CRPS anerkannt werden. Bei der Erstuntersuchung im November 2007 habe sich am gesamten rechten Arm ein Druckschmerz auslösen lassen, trophische Störungen seien nicht zu sehen gewesen. Die Klägerin habe eine Gefühlsstörung des gesamten rechten Arms angegeben, die neurologische Untersuchung habe aber keine Auffälligkeiten bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit ergeben. Die Diagnose eines CRPS stehe auch nicht im Widerspruch zu der unauffälligen Skelettszintigraphie. Bei der erneuten Untersuchung im April 2008 habe die Klägerin angegeben, dass die Schmerzen weiter zugenommen hätten. Insgesamt seien die Schmerzen neurologisch und unfallchirurgisch nicht ausreichend zu erklären. Es komme bei der Klägerin eine psychische Komorbidität in Form einer Anpassungsstörung hinzu. Diese beruhe zum Teil auch auf den chronischen Schmerzen, basiere aber auch auf unfallunabhängigen Faktoren wie etwa der schweren psychischen Belastung durch die Pflege der demenzkranken Mutter. Die Verschlechterung des Schmerzsyndroms sei nicht mehr allein durch das CRPS zu erklären, sondern hier sei die Entwicklung einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung anzunehmen. Zwischen dem CRPS und der somatoformen Schmerz-störung bestünden dabei fließende Übergänge, die MdE werde insgesamt auf 20 v. H. eingeschätzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Das Vorliegen eines CRPS sei nicht bewiesen, zumal sich die Schmerzen und die vorliegenden Beschwerden auf neuro-psychiatrischem Fachgebiet erklären ließen. Die vorliegende Skelettszintigraphie spreche gegen ein CRPS, so dass der Einschätzung von Dr. M. nicht zu folgen sei. Aus den vorliegenden Unterlagen sowie der Einschätzung von Frau Dr. N. ergäben sich eindeutige unfallunabhängige Stressoren, die die geklagten Beschwerden erklären könnten.
Hiergegen richtet sich die am 21. Oktober 2009 beim Sozialgericht Frankfurt (Sozialgericht) erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, sowohl die organischen als auch die psychiatrischen Befunde seien schwerwiegender, als die Beklagte bisher anerkannt habe. Sie hat zwei Berichte des Oberarztes der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. P. vom 16. Juni 2010 und 26. August 2010 vorgelegt, in welchen dieser als behandelnder Therapeut die Diagnose CRPS stellt, darüber hinaus weitere Stellungnahmen von Dr. M. vom 25. September 2010, 31. Januar 2011, 12. Juni 2011, 11. März 2012 und 15. Juli 2012 sowie eine hausärztliche Stellungnahme von Dr. Q. vom 25. Juli 2012.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. vom 2. Dezember 2011 sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 13. Juni 2012. Dr. R. ist zu dem Ergebnis gekommen, ein CRPS liege bei der Klägerin nicht vor. Er diagnostizierte bei der Klägerin eine dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung am rechten Arm sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Beide Erkrankungen seien nicht ursächlich im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung auf den Arbeitsunfall vom 21. Juli 2005 zurückzuführen.
Mit Urteil vom 21. November 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls würden keine rentenberechtigende MdE rechtfertigen. Auf orthopädischem Gebiet und neurologischem Fachgebiet bestehe nach den Gutachten von Dr. K., Dr. L. und Dr. R. keine MdE, da Unfallfolgen infolge der Fraktur des Mittelhandknochens nicht verblieben seien. Ein CRPS sei nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. R. nicht im Vollbeweis gesichert. Dr. R. habe darauf hingewiesen, dass die Klägerin den rechten Arm und die rechte Hand während der gesamten Begutachtung in einer Schonhaltung gehalten habe und auf jede Berührung am rechten Arm mit der Äußerung von Schmerzen reagiert habe. Wesentliche Symptome, die für die Diagnose CRPS sprechen würden, habe der Sachverständige bei seiner Untersuchung nicht feststellen können. So seien weder eine auffallende Schwellung der rechten Hand oder des rechten Armes noch eine Muskelatrophie oder trophische Störungen der rechten Hand erkennbar gewesen, ebenso wenig Kontrakturen oder Hinweise auf Veränderungen der Nagelkonsistenz. Eine Glanzhaut habe nicht bestanden, auch keine auffallende Verfärbung im Vergleich zu der sonstigen Haut. Auch einen feinschlägigen Tremor oder eine Dystrophie, Ödeme und eine offensichtliche Schweißsekretionsstörung habe der Sachverständige nicht feststellen können. Eine Allodynie habe er nicht sicher verifizieren können; bei der Prüfung der Muskulatur am rechten Arm hätten sich zudem Hinweise auf eine bewusste Minderinnervation ergeben. Die Skelettszintigraphie sei zudem unauffällig. Dr. R. und ebenso der Vorgutachter im Verwaltungsverfahren Dr. K. hätten zu Recht darauf hingewiesen, dass die bei ihrer Begutachtung vorgefunden objektiven Befunde mit den Angaben der Klägerin über die tatsächliche Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und der rechten Hand nicht in Einklang stehen würden. Die von Dr. R. diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung mit einer dissoziativen Sensibilitätsstörung sei nicht überwiegend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Mit Dr. R. sei zwar davon auszugehen, dass der Unfall bzw. die Handverletzung der Kristallisationspunkt für die weitere psychische Entwicklung der Klägerin gewesen ist. Für diese Entwicklung und Aufrechterhaltung der Symptome seien aber konkurrierende Faktoren die Ursache wie die Persönlichkeitsstruktur und ein Versorgungsbegehren der Klägerin.
Gegen das ihr am 28. November 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Dezember 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie ist der Auffassung, ihre Schmerzstörung sei als ein CRPS zu bewerten und stützt sich dazu insbesondere auf die Berichte ihres behandelnden Schmerztherapeuten Prof. Dr. P. Auf Grund der Schmerzerkrankung könne sie ihren Beruf als Zahntechnikermeisterin nicht mehr ausüben. Dies sei auf den Unfall zurückzuführen und die Beklagte verpflichtet, Rente zu gewähren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2009 zu verurteilen, ein CRPS als Unfallfolge festzustellen und ihr Rente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend. Insbesondere liege bei der Klägerin auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren ein CRPS nicht vor. Dazu verweist sie auf die Stellungnahmen ihres Beratungsarztes, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 7. Dezember 2010 und 4. April 2011 im Klageverfahren und vom 9. Januar 2015 und 21. Dezember 2015 im Berufungsverfahren. Bezüglich des Inhalts dieser Stellungnahmen wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenheilkundlichen Gutachtens durch den Chefarzt der Neurologischen Klinik, Klinikum Aschaffenburg, Prof. Dr. C. vom 23. Oktober 2014 und einer ergänzenden Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 6. November 2015. Im Ergebnis nimmt dieser Sachverständige das Vorliegen eines CRPS bei der Klägerin an. Erhoben werden könnten bei der Klägerin zwar nur "weiche" Befunde (Sensibilitätsstörungen, Asymmetrie der Hauttemperatur, reduzierte Beweglichkeit). Die Diagnose CRPS sei aber durchaus bei dem Vorliegen nur "weicher" Befunde möglich. Konkurrierende Ursachen seien nicht nachgewiesen. Auf Grund der Schmerzerkrankung habe sich eine Depression entwickelt, die somit ebenfalls unfallbedingt sei. Hinsichtlich der Ausführungen dieses Sachverständigen im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich in dem Erörterungstermin vom 14. Juni 2016 mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende anstelle des Senats einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (Bd. I und II) sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten (Band I und II) verwiesen, die zum Verfahren beigezogen waren.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte die Entscheidung durch die Vorsitzende ergehen (§ 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil ist zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalles vom 21. Juli 2005 keinen Anspruch auf Rente gegenüber der Beklagten.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erhalten Versicherte Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Auf Grund des Arbeitsunfalls sind bei der Klägerin keine länger andauernden Gesundheitsstörungen verblieben oder in der Folge entstanden, die als Unfallfolgen ihre Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. mindern.
Gesundheitsstörungen müssen, um als Unfallfolge anerkannt zu werden, zunächst im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (§ 128 SGG; BSGE 103, 99, 104).
Die von der Klägerin geltend gemachte Erkrankung CRPS, mit deren Vorliegen sie im Berufungsverfahren im Wesentlichen einen Rentenanspruch begründet hat, ist zur Überzeugung des Senats auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht im Vollbeweis gesichert und kommt von daher schon als Unfallfolge nicht in Betracht.
Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. in dessen Gutachten vom 2. Dezember 2011 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juni 2012 sowie auf die Ausführungen des Beratungsarztes Dr. S. in dessen Stellungnahmen vom 7. Dezember 2010, 4. April 2011, 9. Januar 2015 und 21. Dezember 2015. Die Feststellungen dieser Ärzte überzeugen. Dr. S. hat sich ausdrücklich mit dem aktuellen Wissensstand zu diesem Krankheitsbild in den Leitlinien (vgl. S1-Leitlinie zur CRPS, Stand: September 2012, gültig bis 30. September 2017, AMWF-Registernummer: 030/116) und in der Literatur (Widder/Tegenthoff, Begutachtung komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS) in: MEDSACH 1/2014 S. 26 ff.) auseinandergesetzt. Auch die Ausführungen von Dr. R. stehen mit dem aktuellen Wissensstand zur CRPS in Einklang. Beide Ärzte haben sich bei ihren Feststellungen zudem an den Beweis- und Kausalitätsregeln in der gesetzlichen Unfallversicherung orientiert.
Nach der genannten S1-Leitlinie und der aktuellen Literatur ist das CRPS ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, bei dem die Schmerzen im Vergleich zum erwarteten Heilungsverlauf unangemessen stark sind, wobei ursächlich vorwiegend somatische Faktoren sind. Die Diagnose CRPS ist eine klinische Diagnose. Deshalb sind die Anamneseerhebung, die klinisch-orthopädische und neurologische Untersuchung die entscheidenden Schritte. Es gilt nach der Leitlinie, dass die dokumentierten Befunde wichtiger sind als die subjektiven Beschwerden. Maßgebliche diagnostische Grundlage für ein CRPS bilden die sog. "Budapester Konsensus-Kriterien" (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27, S. 30; S1-Leitlinie, a.a.O., Diagnostik S. 3). Danach müssen folgende Punkte 1 – 4 alle erfüllt sein, um die Diagnose stellen zu können:
1. Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr erklärt wird.
2. In der Anamnese mindestens ein Symptom aus 3 der 4 folgenden Kategorien:
Sensorik Hyperästhesie und/oder Allodynie
Vasomotorik Asymmetrie der Hauttemperatur und/oder Änderung bzw. Asymmetrie der Hautfarbe
Sudomotorik/Ödem Ödem und/oder Änderung bzw. Asymmetrie der Schweißproduktion
Motorik/Trophik reduzierte Beweglichkeit und/oder motorische Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) und/oder Veränderungen der Trophik (Haare, Nägel, Haut)
3. Zum Zeitpunkt der Untersuchung mindestens ein Symptom aus 2 der 4 folgenden Kategorien:
Sensorik Nachweis einer Hyperalgesie auf spitze Reize (z.B. Nadelstich) und/oder Allodynie auf leichte Berührung, Temperaturänderung, Fingerdruck und/oder Gelenkbewegungen
Vasomotorik Nachweis einer Asymmetrie der Hauttemperatur) 1 °C und/oder einer Änderung bzw. Asymmetrie der Hautfarbe
Sudomotorik/Ödem Nachweis eines Ödems und/oder einer Änderung bzw. Asymmetrie der Schweißproduktion
Motorik/Trophik Nachweis einer reduzierten Beweglichkeit und/oder motorischen Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) und/oder veränderter Trophik (Haare, Finger/ Zehennägel, Haut)
4. Es gibt keine andere Diagnose, die diese Schmerzen erklärt.
Vorliegend ist die Diagnose im Vollbeweis nach diesen Kriterien nicht gesichert. Die von der Klägerin vorgetragenen subjektiven Beschwerden finden in dem klinischen Befund nach Punkt 3 der Budapester Konsensus-Kriterien keine Entsprechung. Dabei ist der Senat mit Dr. S., der sich insoweit auf die Literatur stützt (vgl. Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27), der Auffassung, dass im gutachterlichen Kontext, d.h. für den Vollbeweis des Krankheitsbildes CRPS in der gesetzlichen Unfallversicherung, den objektivierbaren Befunden wesentliche Bedeutung zukommt. Entgegen der Auffassung von Prof. Dr. C. im Berufungsverfahren kann bei einem Krankheitsbild wie dem vorliegenden, welches zwischen den Polen einer organischen und einer psychischen Erkrankung liegt und bei dem Symptome durch den Betroffenen durch Immobilisation selbst beeinflusst werden können (vgl. dazu Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27, S. 28, S. 29), das Vorliegen allein "weicher Befunde", d.h. beeinflussbarer Symptome und subjektiver Angaben, die volle richterliche Überzeugung nicht begründen.
Im Einzelnen stellt sich der klinische Befund nach Punkt 3 der sog. Budapester Konsensus-Kriterien (4 Kategorien) und unter Berücksichtigung der Anforderungen an den hier erforderlichen Vollbeweis wie folgt dar: Fraglich ist schon, ob die von der Klägerin beklagte Berührungsempfindlichkeit des rechten Armes (Kategorie 1 Sensorik) klinisch nachgewiesen ist. Nach Dr. R. war die Untersuchung des rechten Armes deutlich erschwert. Es sei zu starken Schmerzäußerungen gekommen und es hätten sich Hinweise auf ein aggravatorisches Verhalten hinsichtlich der Beeinträchtigungen des rechten Armes ergeben. Prof. Dr. C. teilt in seinem Gutachten diesbezüglich mit, eine subtile Testung der Sensorik habe bei der Klägerin nicht durchgeführt werden können, da nach den Angaben der Klägerin der Schmerz alles überlagere.
Das Vorliegen eines Symptoms aus der Kategorie 3 (Sudomotorik/Ödem) ist nicht nachgewiesen. Allein Prof. Dr. P., auf dessen Feststellungen als behandelnder Therapeut die Klägerin maßgeblich ihr Begehren stützt, hat in seinem von der Klägerin vorgelegten Bericht vom 16. Juni 2010 ein "leichtes Ödem" attestiert. Alle übrigen im Verfahren gehörten Ärzte und Sachverständige haben indessen bei ihrer Untersuchung eine einseitige ödematöse Schwellung oder Seitenunterschiede der Schweißsekretion an den Händen der Klägerin nicht feststellen können.
Ebenso ist auch die in der Kategorie 2 (Vasomotorik) aufgeführte Asymmetrie der Hauttemperatur nicht nachgewiesen, denn eine Temperaturdifferenz zwischen den Händen der Klägerin wird im Laufe des Verfahrens und der Untersuchungen nur einmal von Dr. M. dokumentiert und von Prof. Dr. C. und Prof. Dr. P. lediglich subjektiv-eindrucksmäßig festgestellt. Prof. Dr. C. selbst verweist in seinem Gutachten darauf, dass eine Temperaturdifferenz inkonstant aufzutreten scheint, da sie nicht bei allen Untersuchungen beschrieben wird. Anders als Dr. R. hält er den Nachweis des Symptoms durch diesen Befund schon für erbracht. Dies überzeugt nicht, da jede Immobilisation einer Extremität bereits innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem Temperaturabfall sowie zu Hautveränderungen führt. Nachvollziehbar wird in der Literatur daher Temperaturunterschieden nur im Rahmen von Langzeitmessungen diagnostische Bedeutung zugesprochen (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 27). Dies muss ebenso für den Nachweis des zu der Kategorie 2 (Vasomotorik) gehörenden Symptoms einer Veränderung der Hautfarbe gelten. Das Symptom ist hier nicht nachgewiesen, da es nur von Prof. Dr. P. in seinem Bericht aufgeführt und von den übrigen Gutachtern bei den Untersuchungen nicht festgestellt worden ist.
Auch ein Symptom aus der Kategorie 4 (Motorik/Trophik) liegt nicht vor. Keiner der Gutachter beschreibt trophische Veränderungen (Veränderung des Ernährungs- oder Stoffwechselzustandes) wie eine Glanzhaut oder ein verändertes Erscheinungsbild der Fingernägel der betroffenen Hand. Ebenso ist der objektive Nachweis einer reduzierten Beweglichkeit und/oder motorischen Dysfunktion (Schwäche, Tremor, Dystonie) der rechten Extremität nicht erbracht. Der Neurologe Dr. L. hat eindeutige Paresen nicht feststellen können und beschreibt seitengleiche Muskeleigenreflexe. Prof. Dr. C. hat zwar eine reduzierte Beweglichkeit als Symptom der Kategorie 4 bescheinigt, den Nachweis dieses Symptoms aber allein mit dem Hinweis auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin begründet, bei der es auf die Feinmotorik ankomme. Schwerwiegende motorische Funktionsstörungen und Störungen des Muskeltonus hat auch dieser Sachverständige bei der Klägerin verneint. Vielmehr beschreibt er ebenso wie Dr. R. und schon die Ärzte Dr. K. und Dr. L. im Verwaltungsverfahren, dass das Muskelrelief auf beiden Seiten gleich sei, Muskelatrophien nicht auffallen würden, die Beschwielung der Hände seitengleich und der Faustschluss rechts (schwach) möglich sei. Das völlige Fehlen von Muskelatrophien und/oder Gelenkkontrakturen der betroffenen Extremität ist indes das wesentliche Unterscheidungskriterium bei vorgetäuschten motorischen Störungen (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O. S. 29). Überzeugend ist für den Senat insoweit auch das Argument des Sachverständigen Dr. R., dass sich insbesondere so viele Jahre nach dem Unfallereignis (bei seiner Untersuchung waren es 6 Jahre) und bei der Annahme des durchgehenden Vorliegens eines CRPS trophische und motorische Störungen wie sichtliche Hautveränderungen, Muskelatrophien, Gelenkversteifungen oder Sehnenverkürzungen hätten finden lassen müssen. Die Umfangmaße und Gebrauchsspuren an den oberen Extremitäten der Klägerin lassen hingegen, wie schon Dr. K. bei seiner Untersuchung 2008 konstatiert hat, darauf schließen, dass die rechte Hand von der Klägerin (weiterhin) normal eingesetzt werden kann und wird.
Auch wenn bildgebenden Untersuchungen im Hinblick auf die Diagnose CRPS nur eine begrenzte Aussagekraft zukommen soll (S1-Leitlinie, a.a.O., S. 4), bestätigt die hier ein halbes Jahr nach dem Unfall durchgeführte Knochenszintigraphie auf Grund des unauffälligen Ergebnisses jedenfalls nicht das Vorliegen der Diagnose. Dabei kommt diesem Verfahren vor allem in den ersten sechs bis neun Monaten nach der Symptomatik von Bedeutung zu, da die Sensitivität im Verlauf der Erkrankung abnimmt (Widder/Tegenthoff in: MEDSACH, a.a.O., S. 28).
Schließlich ist der Vollbeweis der Diagnose CRPS vorliegend auch deshalb nicht erbracht, weil Punkt 4 der Budapester Konsensus-Kriterien nicht erfüllt ist, wonach gefordert wird, dass keine andere Diagnose die Schmerzen erklärt. Nach der S1-Leitlinie müssen, um Punkt 4 beantworten zu können, Erkrankungen ausgeschlossen sein, die ein CRPS vortäuschen. Mit Dr. S. und entgegen Prof. Dr. C. ist insofern festzustellen, dass die S1-Leitlinie nicht den Nachweis möglicher konkurrierender Erklärungsansätze fordert, sondern die Abgrenzung des CRPS gegenüber anderen Erkrankungen. Zur Überzeugung des Senats sind vorliegend aber psychogene Störungen, die der Diagnose CRPS entgegenstehen, gerade nicht ausgeschlossen. Nicht nur Dr. R., sondern auch Dr. M. und die behandelnde Psychiaterin Dr. N. beschreiben konkurrierende Faktoren zu dem Unfall, insbesondere psychiatrische Diagnosen, die die Schmerzen erklären können und die schon vor dem Unfall bestanden haben. Entgegen Prof. Dr. P. und Prof. Dr. C. geht der Senat daher nicht davon aus, dass eine psychische bzw. psychosomatische Komponente bzw. nach Prof. Dr. C. eine rezidivierende Depression erst Folge eines CRPS ist. Als unfallunabhängiger Stressor für die Entstehung und Chronifizierung der Schmerzsymptomatik ist schon die durch Dr. M. beschriebene, vor dem Unfall bestehende schwere psychische Belastung der Klägerin durch die Pflege der demenzkranken Mutter zu werten. Dr. N. hat der Klägerin zudem vor dem lebensgeschichtlichen Hintergrund und der Persönlichkeitsstruktur eine erhöhte psychische Vulnerabilität attestiert. Dr. R. hat das Schmerzsyndrom der Klägerin von Seiten seines, des psychiatrischen Fachgebietes für den Senat nachvollziehbar mit der Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erklärt, d.h. mit der Umwandlung von psychischen Konflikten in die körperlich wirkenden (somatoformen) Symptome (vgl. dazu auch Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernr. 051/029, S. 113). Anhaltspunkte für diese Diagnose haben auch die Neurologen Dr. L. und Dr. M. sowie Dr. S. gesehen.
Die seelischen Gesundheitsstörungen, die bei der Klägerin vorliegen und die Dr. R. überzeugend als eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) mit einer dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörung am rechten Arm (ICD-10 F44.6) klassifiziert, sind keine Unfallfolge und eine MdE insoweit nicht zuzuerkennen. Denn diese Störungen sind nicht im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung kausal auf den anerkannten Arbeitsunfall zurückzuführen.
Für die Kausalitätsfeststellung zwischen den durch ein Ereignis unmittelbar hervorgerufenen Gesundheitserstschäden und den als Unfallfolgen geltend gemachten länger andauernden Gesundheitsstörungen (haftungsausfüllende Kausalität) gilt wie für alle Kausalitätsfeststellungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris). Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren dabei auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 – 2 BU 194/97). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris).
Vorliegend lassen sich die oben aufgeführten seelischen Gesundheitsschäden der Klägerin nicht hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückführen. Der Senat hält ebenso wie das Sozialgericht die Feststellungen des Dr. R. für nachvollziehbar und schlüssig, wonach der Unfall bzw. die Handverletzung rechts zwar einen somatischen Auslöser darstellt, die Ausbildung der bei der Klägerin bestehenden Schmerzsymptomatik und die psychische Entwicklung indes nicht durch das Unfallereignis, sondern durch konkurrierende Faktoren wie die erhöhte psychische Vulnerabilität der Klägerin und ein Entschädigungsbegehren entstanden sind und aufrecht erhalten werden. Der Unfall war demnach zwar im naturwissenschaftlichen Sinne (mit)ursächlich (conditio-sine-qua-non), aber nicht wesentlich für die Entstehung und Chronifizierung der Symptomatik. Hierfür sind allein unfallunabhängige Faktoren verantwortlich (vgl. dazu auch Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernr. 051/029, S. 113, S. 124). Anders als Dr. R. geht Dr. M. u. a. in seiner von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Januar 2011 bei dem Schmerzsyndrom der Klägerin von einer Unfallfolge aus. Wegen der Überschneidung der Symptome hält er die exakte diagnostische Zuordnung des unstreitig vorliegenden Schmerzsyndroms als CRPS oder somatoforme Schmerzstörung nicht für relevant. Für die Kausalität des Schmerzsyndroms mit dem Unfall spreche – so der Arzt – dass die Störung zeitlich erst nach dem Unfall aufgetreten und vorher weder ein Schmerzsyndrom noch eine psychische Vorschädigung dokumentiert sei. Der von Dr. M. erwähnte zeitliche Faktor erklärt indes allein nicht die Verursachung und in keinem Fall die Chronifizierung der Erkrankung. Dr. N., die die Klägerin in den Jahren 2008 und 2010 behandelt hat, beschreibt in ihrem Bericht für das Sozialgericht vom 10. Oktober 2008 wie ausgeführt eine besondere Persönlichkeitsstruktur und Vulnerabilität, die die Ärztin ebenso wie Dr. R. für die Chronifizierung und Schwere der Symptomatik verantwortlich macht. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass sich die von Dr. M. u. a. in seinem Privatgutachten vom 4. Januar 2009 geschilderte Zunahme der Schmerzen bei der Klägerin im Laufe der Jahre mit der Einschätzung von Dr. N. im Hinblick auf die Verwicklung der Klägerin in eine Eskalationsspirale deckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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