Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 809/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 882/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2016 geändert. Der Antragsgegner und die Beigeladene werden verpflichtet, einen weiteren Forderungseinzug aus dem Bescheid vom 04.04.2014 einstweilen zu unterlassen, bis bestandkräftig über den Erlassantrag vom 22.05.2015 entschieden ist. Der Antragsgegner hat die Kosten des Antragstellers zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Einziehung einer Forderung aus einem Bescheid vom 04.04.2014.
Mit Bescheid vom 04.04.2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Rückzahlung von darlehensweise erbrachten Leistungen iHv 9879,85 EUR auf. Mit Schreiben vom 14.04.2014 beantragte der Antragsteller den Erlass der Forderung, mit Bescheid vom 26.05.2014 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab. Mit Schreiben vom 22.05.2015 (Eingang beim Antragsgegner am 27.05.2015) beantragte der Antragsteller erneut den Erlass der Forderung.
Am 06.01.2015 haben der Antragsgegner und die Beigeladene eine "Zusatzvereinbarung nach § 44b Abs. 4 SGB II" über das Zusammenwirken bei der "Übertragung des Forderungseinzugs als Leistung nach § 44b Abs. 4 SGB II von der gE auf die zuständige Dienststelle der BA" (im Folgenden: "Vereinbarung") getroffen. Nach § 1 Abs. 2 der Vereinbarung führt die beigeladene Bundesagentur für Arbeit den Forderungseinzug im Auftrag und im Namen des Antragsgegners durch.
Mit Schreiben vom 21.03.2016 teilte die Beigeladene dem Antragsteller unter der Überschrift "Zahlungserinnerung" mit, er habe die am 22.04.2014 fällige Forderung des Antragsgegners iHv 9929,85 EUR (einschließlich Mahngebühr iHv 50 EUR) noch nicht beglichen. Die Zahlung werde bis spätestens zum 06.04.2016 erwartet. Das Schreiben enthält den Zusatz "Lassen Sie den Zahlungstermin erfolglos verstreichen, werde ich weitere Schritte gegen Sie prüfen. Dadurch können Ihnen zusätzliche Kosten sowie Unannehmlichkeiten entstehen".
Am 29.03.2016 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 04.04.2014 bis zur Entscheidung in der Hauptsache einstweilen einzustellen. Er hat vorgetragen, er habe am 22.05.2015 den Erlass der Forderung gem. § 44 SGB II beantragt. Solange über diesen Antrag noch nicht entschieden ist, sei die Vollstreckung rechtmissbräuchlich.
Mit Beschluss vom 02.05.2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Es könne offen bleiben, ob der Antrag zulässig ist. Jedenfalls fehle es an einem Anordnungsgrund, da die Zwangsvollstreckung noch nicht begonnen habe.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller am 03.05.2016 Beschwerde erhoben. Aus dem Schreiben vom 21.03.2016 ergebe sich hinreichend konkret, dass die Einleitung der Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstehe. Es sei dem Antragsteller nicht zumutbar, den Beginn der Zwangsvollstreckung abzuwarten.
Der Antragsgegner meint, jedenfalls ein wiederholter Erlassantrag stehe der Beitreibung einer Forderung nicht entgegen.
Mit Bescheid vom 09.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2016 hat die Beigeladene den Erlassantrag abgelehnt. Hiergegen hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben (S 29 AL 296/16).
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antragsteller hat iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung; hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.07.2015 - L 11 KR 3149/15 ER) einen Anspruch auf einstweilige Unterlassung der Einziehung der Forderung im tenorierten Umfang und einen entsprechenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Sozialrechtsweg ist gem. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG eröffnet. Der Rechtsstreit betrifft eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne dieser Vorschrift. Indem der Antragsteller begehrt, die Vollstreckung einer nach dem SGB II begründeten Forderung zu unterlassen, macht er einen Unterlassungsanspruch geltend, der noch zu den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehört. Erst wenn die Vollstreckung durch die Vollstreckungsbehörden als Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften des VwVG (§ 40 Abs. 6 1. Hs SGB II) eingeleitet ist und angegriffen wird, ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO) eröffnet.
Der Antragsgegner ist passivlegitimiert.
Die Einziehung von Forderungen des Antragsgegners ist gem. §§ 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, 44b Abs. 4 SGB II als einzelne Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit als Träger iSd § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II zur Wahrnehmung überlassen worden. Dies bedeutet, dass die Einziehung von Forderungen nicht - wie für andere Aufgaben nach dem SGB II gem. § 44b Abs.1 Satz 2 SGB II vorgesehen - von den Jobcentern, sondern von den Trägern wahrgenommen wird. Umstritten ist, ob ein mit dem Forderungseinzug betrauter Träger die Forderung im Namen der gemeinsamen Einrichtung (so bei Anwendung des Auftragsrechts gem. § 89 Abs. 1 SGB X) oder in eigenem Namen geltend machen darf (so Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER; eingehend zur Streitfrage Weißenberger, in: Eicher, SGB II, § 44b Rn. 29; Knapp, in: JurisPK SGB II, § 44b Rn. 105).
Im vorliegenden Fall hat die beigeladene Bundesagentur für Arbeit ersichtlich im Namen des Antragsgegners gehandelt, indem sie ausdrücklich auf "die am 22.04.2014 fällige Forderung des Jobcenters" Bezug genommen hat, auf Fragen zur Entstehung der Forderung an "das zuständige Jobcenter" verwiesen hat und mitgeteilt hat, lediglich mit der "Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt" zu sein. Dieses Vorgehen entspricht § 1 Abs. 2 der Vereinbarung. Zwar hat die Beigeladene nach § 2 Abs. 2 der Vereinbarung im Rahmen der Durchführung des Forderungseinzugs weitreichende Handlungsbefugnisse, ua ist sie berechtigt, Bescheide und Widerspruchsbescheide selbst zu erlassen. Auch insoweit ist indes geregelt, dass die "Dienststelle der BA im Namen der gE" handelt (§ 2 Abs. 2 der Vereinbarung).
Auch wenn die Passivlegitimation des Antragsgegners zu verneinen wäre, wäre der Antrag im Übrigen nicht ohne weiteres abzulehnen gewesen. Das Sozialgericht hätte dann nach Aufklärung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Antragsgegner und der Bundesagentur für Arbeit diese - wie im Beschwerdeverfahren geschehen - beizuladen und auf eine zutreffende Antragstellung (Verpflichtung der Beigeladenen zur Unterlassung der Forderungseinziehung) hinzuwirken (§ 106 Abs. 1 SGG). Im Hinblick auf Ausführungen des Antragsgegners ist insoweit anzumerken, dass auch ein juristisch ausgebildeter Rechtsanwalt diese Rechtsbeziehungen nicht kennen muss, weil sie eine Einsichtnahme in den Aufgabenübertragungsvertrag erfordern, der erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden ist.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil ein laufendes Verfahren auf Erlass einer Forderung dazu führt, dass die Einziehung der Forderung während des Verfahrens rechtsmissbräuchlich und daher vorläufig einzustellen ist (BSG, Urteil vom 29.10.1992 - 13/5 RJ 36/90; Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER). Aus der Verwaltungsakte ergibt sich, dass der Antragsteller am 27.05.2015 einen Antrag auf Erlass der Forderung gestellt hat, ohne dass eine Bearbeitung dieses Antrags - weder durch den Antragsgegner, noch durch die Beigeladene - feststellbar ist. Der Antrag ist - entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners - nicht als "querulatorisch" und damit als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich anzusehen. Zwar hatte der Antragsteller bereits am 14.04.2014 einen Erlassantrag gestellt und ist dieser ist mit Bescheid vom 26.05.2014 durch den Antragsgegner bestandskräftig abgelehnt worden. Dem Bescheid vom 26.05.2014 lassen sich aber - soweit er sprachlich überhaupt nachvollziehbar ist - weder eine Auseinandersetzung mit den für den Erlass einer Forderung nach § 44 SGB II maßgeblichen Voraussetzungen (Unbilligkeit der Einziehung) noch eine Ermessensausübung erkennen. Wenn ein Erlassantrag gestellt wird, ist die Behörde verpflichtet, die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Sie hat die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sowie Art und Höhe des Anspruchs ggfs. zu ermitteln und zu berücksichtigen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Betroffenen sind sodann abzuwägen mit dem grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger. Von einer Unbilligkeit der Einziehung der Forderung ist in der Regel auszugehen, wenn die Einziehung für den Schuldner existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde (ausführlich Burkiczak, in: jurisPK SGB II, § 44 Rn 15 ff mwN). Erst nach einem rechtmäßig durchgeführten Erlassverfahren einschließlich eines - wie hier - nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens können evtl. weitere Erlassanträge ohne Vortrag neuer Tatsachen uU als rechtsmissbräuchlich angesehen werden und unberücksichtigt bleiben.
Inhalt des Anspruchs gegen den Antragsgegner ist es, im Rahmen seiner Rechtsbeziehung zu der Beigeladenen weitere Einziehungsmaßnahmen zu untersagen und eigene Einziehungsmaßnahmen zu unterlassen. Nach § 89 Abs. 2 SGB X, der mindestens seinem Rechtsgedanken nach anwendbar ist, wird durch den Auftrag der Auftraggeber nicht von seiner Verantwortung gegenüber dem Betroffenen entbunden (zu den Einwirkungsmöglichkeiten vergl. nur Dietmair, in: JurisPK SGB X, § 89 Rn. 12 f).
Abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts ist auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Die Geltendmachung und Einziehung einer Forderung - insbesondere wenn es sich um eine so erhebliche Summe wie vorliegend handelt - kann auch außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens bereits erhebliche Nachteile für den Betroffenen nach sich ziehen, die unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen. Wenn - wie ausgeführt - ein Anspruch auf Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung besteht, muss dieser auch effektiv zur Geltung gebracht werden können und ist es dem Betroffenen nicht zumutbar, erst die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen abzuwarten. Die Unterbindung einer drohenden, aber noch nicht eingeleiteten Vollstreckung durch eine einstweilige Anordnung ist dem Prozessrecht des SGG zudem nicht fremd. Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts die Vollstreckung aus einem angefochtenen Titel durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Nicht erforderlich für den Erlass einer solchen Anordnung ist, dass die Zwangsvollstreckung bereits begonnen hat. Es gibt keinen Grund, diese gesetzgeberische Wertung nur auf Titel anzuwenden, die zulasten von Leistungsträgern ergangen sind.
Die Beigeladene ist neben dem Antragsgegner passivlegitimiert und zur Unterlassung der Forderungseinziehung zu verpflichten, da diese wie ausgeführt gem. § 2 Abs. 2 der Vereinbarung neben dem Antragsgegner zur selbständigen Durchführung des Einziehungsverfahrens im Namen des Antragsgegners berechtigt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsgegner das Verfahren veranlasst hat.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Einziehung einer Forderung aus einem Bescheid vom 04.04.2014.
Mit Bescheid vom 04.04.2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Rückzahlung von darlehensweise erbrachten Leistungen iHv 9879,85 EUR auf. Mit Schreiben vom 14.04.2014 beantragte der Antragsteller den Erlass der Forderung, mit Bescheid vom 26.05.2014 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab. Mit Schreiben vom 22.05.2015 (Eingang beim Antragsgegner am 27.05.2015) beantragte der Antragsteller erneut den Erlass der Forderung.
Am 06.01.2015 haben der Antragsgegner und die Beigeladene eine "Zusatzvereinbarung nach § 44b Abs. 4 SGB II" über das Zusammenwirken bei der "Übertragung des Forderungseinzugs als Leistung nach § 44b Abs. 4 SGB II von der gE auf die zuständige Dienststelle der BA" (im Folgenden: "Vereinbarung") getroffen. Nach § 1 Abs. 2 der Vereinbarung führt die beigeladene Bundesagentur für Arbeit den Forderungseinzug im Auftrag und im Namen des Antragsgegners durch.
Mit Schreiben vom 21.03.2016 teilte die Beigeladene dem Antragsteller unter der Überschrift "Zahlungserinnerung" mit, er habe die am 22.04.2014 fällige Forderung des Antragsgegners iHv 9929,85 EUR (einschließlich Mahngebühr iHv 50 EUR) noch nicht beglichen. Die Zahlung werde bis spätestens zum 06.04.2016 erwartet. Das Schreiben enthält den Zusatz "Lassen Sie den Zahlungstermin erfolglos verstreichen, werde ich weitere Schritte gegen Sie prüfen. Dadurch können Ihnen zusätzliche Kosten sowie Unannehmlichkeiten entstehen".
Am 29.03.2016 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 04.04.2014 bis zur Entscheidung in der Hauptsache einstweilen einzustellen. Er hat vorgetragen, er habe am 22.05.2015 den Erlass der Forderung gem. § 44 SGB II beantragt. Solange über diesen Antrag noch nicht entschieden ist, sei die Vollstreckung rechtmissbräuchlich.
Mit Beschluss vom 02.05.2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Es könne offen bleiben, ob der Antrag zulässig ist. Jedenfalls fehle es an einem Anordnungsgrund, da die Zwangsvollstreckung noch nicht begonnen habe.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller am 03.05.2016 Beschwerde erhoben. Aus dem Schreiben vom 21.03.2016 ergebe sich hinreichend konkret, dass die Einleitung der Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstehe. Es sei dem Antragsteller nicht zumutbar, den Beginn der Zwangsvollstreckung abzuwarten.
Der Antragsgegner meint, jedenfalls ein wiederholter Erlassantrag stehe der Beitreibung einer Forderung nicht entgegen.
Mit Bescheid vom 09.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2016 hat die Beigeladene den Erlassantrag abgelehnt. Hiergegen hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben (S 29 AL 296/16).
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antragsteller hat iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung; hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.07.2015 - L 11 KR 3149/15 ER) einen Anspruch auf einstweilige Unterlassung der Einziehung der Forderung im tenorierten Umfang und einen entsprechenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Sozialrechtsweg ist gem. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG eröffnet. Der Rechtsstreit betrifft eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne dieser Vorschrift. Indem der Antragsteller begehrt, die Vollstreckung einer nach dem SGB II begründeten Forderung zu unterlassen, macht er einen Unterlassungsanspruch geltend, der noch zu den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehört. Erst wenn die Vollstreckung durch die Vollstreckungsbehörden als Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften des VwVG (§ 40 Abs. 6 1. Hs SGB II) eingeleitet ist und angegriffen wird, ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO) eröffnet.
Der Antragsgegner ist passivlegitimiert.
Die Einziehung von Forderungen des Antragsgegners ist gem. §§ 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, 44b Abs. 4 SGB II als einzelne Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit als Träger iSd § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II zur Wahrnehmung überlassen worden. Dies bedeutet, dass die Einziehung von Forderungen nicht - wie für andere Aufgaben nach dem SGB II gem. § 44b Abs.1 Satz 2 SGB II vorgesehen - von den Jobcentern, sondern von den Trägern wahrgenommen wird. Umstritten ist, ob ein mit dem Forderungseinzug betrauter Träger die Forderung im Namen der gemeinsamen Einrichtung (so bei Anwendung des Auftragsrechts gem. § 89 Abs. 1 SGB X) oder in eigenem Namen geltend machen darf (so Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER; eingehend zur Streitfrage Weißenberger, in: Eicher, SGB II, § 44b Rn. 29; Knapp, in: JurisPK SGB II, § 44b Rn. 105).
Im vorliegenden Fall hat die beigeladene Bundesagentur für Arbeit ersichtlich im Namen des Antragsgegners gehandelt, indem sie ausdrücklich auf "die am 22.04.2014 fällige Forderung des Jobcenters" Bezug genommen hat, auf Fragen zur Entstehung der Forderung an "das zuständige Jobcenter" verwiesen hat und mitgeteilt hat, lediglich mit der "Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt" zu sein. Dieses Vorgehen entspricht § 1 Abs. 2 der Vereinbarung. Zwar hat die Beigeladene nach § 2 Abs. 2 der Vereinbarung im Rahmen der Durchführung des Forderungseinzugs weitreichende Handlungsbefugnisse, ua ist sie berechtigt, Bescheide und Widerspruchsbescheide selbst zu erlassen. Auch insoweit ist indes geregelt, dass die "Dienststelle der BA im Namen der gE" handelt (§ 2 Abs. 2 der Vereinbarung).
Auch wenn die Passivlegitimation des Antragsgegners zu verneinen wäre, wäre der Antrag im Übrigen nicht ohne weiteres abzulehnen gewesen. Das Sozialgericht hätte dann nach Aufklärung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Antragsgegner und der Bundesagentur für Arbeit diese - wie im Beschwerdeverfahren geschehen - beizuladen und auf eine zutreffende Antragstellung (Verpflichtung der Beigeladenen zur Unterlassung der Forderungseinziehung) hinzuwirken (§ 106 Abs. 1 SGG). Im Hinblick auf Ausführungen des Antragsgegners ist insoweit anzumerken, dass auch ein juristisch ausgebildeter Rechtsanwalt diese Rechtsbeziehungen nicht kennen muss, weil sie eine Einsichtnahme in den Aufgabenübertragungsvertrag erfordern, der erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden ist.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil ein laufendes Verfahren auf Erlass einer Forderung dazu führt, dass die Einziehung der Forderung während des Verfahrens rechtsmissbräuchlich und daher vorläufig einzustellen ist (BSG, Urteil vom 29.10.1992 - 13/5 RJ 36/90; Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014 - L 7 AS 260/14 B ER). Aus der Verwaltungsakte ergibt sich, dass der Antragsteller am 27.05.2015 einen Antrag auf Erlass der Forderung gestellt hat, ohne dass eine Bearbeitung dieses Antrags - weder durch den Antragsgegner, noch durch die Beigeladene - feststellbar ist. Der Antrag ist - entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners - nicht als "querulatorisch" und damit als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich anzusehen. Zwar hatte der Antragsteller bereits am 14.04.2014 einen Erlassantrag gestellt und ist dieser ist mit Bescheid vom 26.05.2014 durch den Antragsgegner bestandskräftig abgelehnt worden. Dem Bescheid vom 26.05.2014 lassen sich aber - soweit er sprachlich überhaupt nachvollziehbar ist - weder eine Auseinandersetzung mit den für den Erlass einer Forderung nach § 44 SGB II maßgeblichen Voraussetzungen (Unbilligkeit der Einziehung) noch eine Ermessensausübung erkennen. Wenn ein Erlassantrag gestellt wird, ist die Behörde verpflichtet, die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Sie hat die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sowie Art und Höhe des Anspruchs ggfs. zu ermitteln und zu berücksichtigen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Betroffenen sind sodann abzuwägen mit dem grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger. Von einer Unbilligkeit der Einziehung der Forderung ist in der Regel auszugehen, wenn die Einziehung für den Schuldner existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde (ausführlich Burkiczak, in: jurisPK SGB II, § 44 Rn 15 ff mwN). Erst nach einem rechtmäßig durchgeführten Erlassverfahren einschließlich eines - wie hier - nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens können evtl. weitere Erlassanträge ohne Vortrag neuer Tatsachen uU als rechtsmissbräuchlich angesehen werden und unberücksichtigt bleiben.
Inhalt des Anspruchs gegen den Antragsgegner ist es, im Rahmen seiner Rechtsbeziehung zu der Beigeladenen weitere Einziehungsmaßnahmen zu untersagen und eigene Einziehungsmaßnahmen zu unterlassen. Nach § 89 Abs. 2 SGB X, der mindestens seinem Rechtsgedanken nach anwendbar ist, wird durch den Auftrag der Auftraggeber nicht von seiner Verantwortung gegenüber dem Betroffenen entbunden (zu den Einwirkungsmöglichkeiten vergl. nur Dietmair, in: JurisPK SGB X, § 89 Rn. 12 f).
Abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts ist auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Die Geltendmachung und Einziehung einer Forderung - insbesondere wenn es sich um eine so erhebliche Summe wie vorliegend handelt - kann auch außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens bereits erhebliche Nachteile für den Betroffenen nach sich ziehen, die unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen. Wenn - wie ausgeführt - ein Anspruch auf Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung besteht, muss dieser auch effektiv zur Geltung gebracht werden können und ist es dem Betroffenen nicht zumutbar, erst die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen abzuwarten. Die Unterbindung einer drohenden, aber noch nicht eingeleiteten Vollstreckung durch eine einstweilige Anordnung ist dem Prozessrecht des SGG zudem nicht fremd. Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts die Vollstreckung aus einem angefochtenen Titel durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Nicht erforderlich für den Erlass einer solchen Anordnung ist, dass die Zwangsvollstreckung bereits begonnen hat. Es gibt keinen Grund, diese gesetzgeberische Wertung nur auf Titel anzuwenden, die zulasten von Leistungsträgern ergangen sind.
Die Beigeladene ist neben dem Antragsgegner passivlegitimiert und zur Unterlassung der Forderungseinziehung zu verpflichten, da diese wie ausgeführt gem. § 2 Abs. 2 der Vereinbarung neben dem Antragsgegner zur selbständigen Durchführung des Einziehungsverfahrens im Namen des Antragsgegners berechtigt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsgegner das Verfahren veranlasst hat.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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