S 29 AS 523/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 523/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der am 00.00.1954 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).

Der Kläger ist der Sohn des im Jahr 2004 verstorbenen P E1. Mit notarieller Urkunde vom 11.08.2003 (Notar S D2 in N am Rhein) legte P E1 eine Verfügung von Todes wegen fest. Der Kläger wurde als einer der Erben eingesetzt. Bezüglich seines Erbanteils wurde der Kläger als Vorerbe eingesetzt. Nacherbe ist der Sohn des Klägers, D E1, geb. 00.00.1993. Der Nacherbfall tritt mit dem Tode des Vorerben ein.

Der Kläger stand im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Bei erstmaliger Antragstellung teilte der Kläger seine Vorerbschaft nicht mit. Im Rahmen eines automatisierten Datenausgleichs wurde dem Beklagten bereits 2008 erstmals gemeldet, dass dem Antragsteller Kapitalerträge aus Vermögen auf einem bis dahin nicht bekannten Konto bei der D Bank zuflossen. Bereits Dezember 2008 erklärte der Kläger, dass er das Konto treuhänderisch für die Erbengemeinschaft P E1 verwalte.

Im späteren Verlauf des Leistungsbezugs des Klägers thematisierte der Beklagte die Zinszahlungen auf den Namen des Klägers aus der Vorerbschaft erneut. Der Beklagte vermerkte ein Gespräch mit dem Kläger am 13.03.2014. Der Kläger habe mitgeteilt, als Vertreter der Erbengemeinschaft aufzutreten und dass er daher nicht vollumfänglich Auskunft geben könne. Sein Sohn sei Nacherbe, er selbst nur Vorerbe. Er würde sich strafbar machen, wenn er auf das Vermögen zugreifen würde. Auf dem Konto der D Bank gebe es wohl Wertpapiere über ca. 25.000,00 EUR zum Zeitpunkt der Wertpapierbewertung zum 05.04.2004.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 23.06.2014 vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom Juli 2014 bis Dezember 2014 in Höhe von 729,01 EUR monatlich bis zur Klärung der Vermögensverhältnisse.

Der Beklagte führte ein Kontoabrufersuchen durch. Der Kläger war Kontoinhaber bzw. Verfügungsberechtigter von Konten bei der T X, der Deutschen Q AG sowie der D Bank Aktiengesellschaft. Die Konten waren teilweise bereits aufgelöst, teilweise bestanden sie noch.

Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 31.10.2014 zur Mitwirkung auf. Der Kläger solle Nachweise über seinen Erbanteil, alle Vermögenswerte sowie über bestehende Verfügungsbeschränkungen zu den einzelnen Vermögenswerten einreichen. Die Leistung könne ganz oder teilweise entzogen werden, sofern und solange er nicht mitwirke und die Klärung des Sachverhalts dadurch wesentlich erschwert würde.

Der Kläger teilte mit Schreiben vom 14.11.2014 mit, er habe bereits am 13.03.2014 ausreichend bezüglich des Todesfalls seines Vaters mitgewirkt. Er habe Auskunft darüber erteilt, dass er als "Notgeschäftsführender Miterbe der Erbengemeinschaft P E1" bzw. als Vorerbe verfügungsbeschränkt sei. Er selber verfüge nur über ein Girokonto. Das Verwaltungskonto der Erbengemeinschaft sei auf seinen Namen angemeldet, da die Bank dies verlangt habe. Es sei ihm jedoch nicht gestattet, aus diesem Konto persönlichen Nutzen zu ziehen oder Auskünfte zu erteilen.

Der Beklagte entzog dem Kläger mit Bescheid vom 27.11.2014 die bewilligten Leistungen für den Zeitraum ab dem 01.12.2014. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Das Ermessen werde dahingehend ausgeübt, dass die Leistungen ganz entzogen würden. Im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler liege es, dass Leistungen nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit zu erbringen seien.

Der Kläger beantragte am 01.12.2014 die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab Januar 2015.

Der Kläger wurde am 01.12.2014 persönlich beim Beklagten vorstellig. Der Beklagte teilte dem Kläger mit, dass die Mitwirkung nach seiner Ansicht nicht ausreichend erfolgt sei. Der Kläger reichte ein Widerspruchsschreiben gegen die Leistungsentziehung ein. Er habe seine Mitwirkungspflicht vollständig erfüllt. Zudem sei die Leistungsversagung ermessensfehlerhaft. Die Bedeutung der zu ermittelnden Tatsache in Bezug auf die öffentlichen und privaten Belange sei verkannt worden.

Der Beklagte versagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab Januar 2015 mit Bescheid vom 04.12.2014 ganz. Er verwies auf die Aufforderung zur Mitwirkung vom 31.10.2014. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles und des Gebots zum wirtschaftlichen Handeln im Interesse des Steuerzahlers übe er sein Ermessen dahingehend aus, dass Leistungen in voller Höhe versagt würden.

Mit Schreiben vom 02.12.2014 gab der Kläger Erklärungen zu den im Kontenabruf genannten Konten ab. Bei zwei der genannten Konten bei der D Bank handele es sich um ein Depotkonto und ein Tagesgeldkonto der Erbengemeinschaft. Er sei von der Erbengemeinschaft nicht befugt, über die Konten Auskunft zu erteilen.

Der Kläger stellte am 08.12.2014 einen sozialgerichtlichen Eilantrag mit dem Ziel, die mit Bescheid vom 23.06.2014 bewilligten Leistungen zu erhalten. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 29 AS 4620/14 ER geführt.

Der Beklagte lehnte den Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid vom 27.11.2014 mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.2015 zurück, der am 13.01.2015 zugestellt wurde.

Der Kläger hat dagegen am 13.02.2015 mit Schriftsatz zum Aktenzeichen S 29 AS 4620/14 ER Klage erhoben, die nunmehr unter dem hiesigen Aktenzeichen geführt wird.

Der Kläger trägt weiter vor, er sei als nicht befreiter Vorerbe Treuhänder des Nachlasses. Er werde sich vom Antragsgegner und vom Gericht nicht zu unrechtmäßigem Handeln drängen lassen. Er werde nicht gegen gesetzliche Auflagen verstoßen und sich strafbar machen. Außer dem Girokonto und dem Nachlassverwaltungskonto würde es keine weiteren Konten geben. Im Rahmen des Kontenabrufverfahrens sei lediglich ein verschollenes Sparbuch aufgefunden worden, welches auf etwa 5,00 EUR valutiert habe. Er habe das Testament bereits vor mehreren Jahren dem Beklagten im Rahmen einer Teamsitzung zur Ansicht gegeben, wobei es dort kopiert worden sei. Streitig seien neben der Leistung für den Monat Dezember 2014 auch die Krankenversicherungsbeiträge für diesen Monat.

Der Kläger reichte im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens eine teilweise geschwärzte Kopie der notariellen Urkunde vom 11.08.2003 sowie eine teilweise geschwärzte Kontoumsatzanzeige für den Zeitraum vom 26.09.2014 bis zum 30.12.2014. Auf Anforderung reichte er zudem eine Kontoübersicht der D Bank ein. Es handele sich um das Verwaltungskonto zum Nachlass. Die Kontonummer war teilweise geschwärzt, der Kontostand betrug am 22.02.2015 insgesamt 59.619,84 EUR.

Der Kläger beantragt,

den Entziehungsbescheid vom 27.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.01.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch den Entziehungsbescheid vom 27.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.01.2015 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Denn der Entziehungsbescheid vom 27.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.01.2015 ist rechtmäßig. Der Beklagte durfte die Leistungen für den Monat Dezember 2014 entziehen.

Ermächtigungsgrundlage für eine Entziehung von Leistungen ist § 66 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I). Danach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Der Kläger ist bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids vom 06.01.2015 seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen.

Gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen und Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.

Zu den hier streitigen Mitwirkungspflichten gehört der Nachweis über den Erbanteil, die Vermögenswerte und über bestehende Verfügungsbeschränkungen.

Die entsprechenden Tatsachen bzw. Beweisurkunden sind erheblich für die Leistung.

Die Beurteilung der Erheblichkeit muss grundsätzlich aus einer ex-ante-Perspektive erfolgen, da ohne die geforderte Mitwirkung nicht beurteilbar ist, ob tatsächlich entsprechende Tatsachen gegeben sind, die Auswirkungen auf den Leistungsanspruch haben. Entscheidend ist daher, ob die geforderten Tatsachenerklärungen bzw. Beweisurkunden grundsätzlich Auswirkungen auf den Leistungsanspruch haben können.

Die vom Kläger geforderten Tatsachenerklärungen bzw. Beweisurkunden können grundsätzlich Auswirkungen auf den Leistungsanspruch haben. Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer Erbschaft um zu berücksichtigendes Vermögen. Das gilt auch für einen Erbteil. Nur wenn dem Beklagten das entsprechende Testament vorliegt und die Nachlassgegenstände benannt sind, kann er auf einer ersten Stufe prüfen, ob der Kläger Erbe geworden ist und welchen etwaigen Beschränkungen er unterliegt. Auf einer zweiten Stufe kann er dann prüfen, welchen Wert das Erbe oder der Erbteil hat, ob es sofort oder später verfügbar ist und welche Auswirkungen das auf die Leistungsgewährung hat, etwa ob Hilfebedürftigkeit vorliegt, Leistungen als Darlehen zu erbringen sind oder ähnliches.

Doch selbst wenn vorliegend aufgrund der nachgeholten Mitwirkung eine ex-post-Betrachtung möglich ist und daher eine Beurteilung der Erheblichkeit ex-post zu beurteilen sein könnte, läge die Erheblichkeit vor. Denn die Vorerbschaft war verfügbares Vermögen oberhalb der Vermögensfreibeträge und ließ daher die Hilfebedürftigkeit und damit den Leistungsanspruch entfallen.

Zu den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehört die Hilfebedürftigkeit. Gem. § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Gem. § 12 Abs. 1 SGB II sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.

Vermögen ist grundsätzlich die Gesamtheit von Sachen und Rechten in Geld oder Geldeswert in der Hand des jeweils Berechtigten. Vermögen ist verwertbar, wenn es für den Lebensunterhalt verwendet oder sein Geldwert durch Verbrauch, Verkauf, Beleihung, Vermietung oder Verpachtung für den Lebensunterhalt innerhalb des Zeitraumes, in der Hilfebedürftigkeit besteht, nutzbar gemacht werden kann. Auf die Verwertung vorhandenen Vermögens kann der Vermögensinhaber nur verwiesen werden, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist. Die Verwertbarkeit setzt daher die unbeschränkte Verfügungsmacht des Leistungsberechtigten über den Vermögensgegenstand voraus. Eine rechtliche Unverwertbarkeit liegt vor, wenn der Inhaber des Vermögens in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann (vgl. Radüge in JurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, Stand 08.09.2015, Rn. 30 ff.). Es gibt keinen Rechtssatz, nach dem eine zivilrechtlich wirksame Verfügungsbeschränkung bei der sozialrechtlichen Vermögensbewertung unbeachtlich sei. Der Betreffende muss sich nicht an dem von ihm gesetzten Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen (BSG, Urteil vom 13.09.2006, B 11a AL 19/06 R).

Die Guthaben, die der Kläger im Wege der Vorerbschaft erhalten hat, sind verwertbar, weil der Kläger über diese Guthaben verfügen kann.

Nach § 2112 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann der Vorerbe über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen, soweit sich nicht aus den Vorschriften der §§ 2113 bis 2115 ein anderes ergibt. Die §§ 2113 bis 2115 sind vorliegend nicht relevant. Sie betreffen Verfügungen über Grundstücke, Schiffe und Schiffsbauwerke, Schenkungen, Verfügungen über Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden sowie Zwangsvollstreckungsverfügungen gegen Vorerben.

Die Verfügungsbefugnis ausschließende Umstände liegen nicht vor. Insbesondere wurde keine Testamentsvollstreckung angeordnet (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 13.09.2012, L 4 AS 167/10).

Ein Verwertungsausschluss folgt auch nicht aus § 2134 Satz 1 BGB (vgl. SG Düsseldorf, Urteil vom 05.12.2014, S 29 AS 2617/13, nicht veröffentlicht; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 02.11.2015, L 19 AS 289/15 (PKH)), ebenfalls nicht veröffentlicht). Danach ist der nicht nach § 2136 BGB befreite Vorerbe nach dem Eintritt der Nacherbfolge dem Nacherben gegenüber zum Ersatz des Wertes verpflichtet, wenn er einen Erbschaftsgegenstand für sich verwendet.

§ 2134 Satz 1 BGB bestimmt jedoch nur eine auf den Nacherbfall bedingte, zukünftig fällige Wertersatzpflicht. Die Verfügung selbst ist wirksam. Die eigennützige Verwendung eines Erbschaftsgegenstandes stellt keinen Verstoß gegen eine wirksame Verpflichtung des Vorerben dar, sondern löst allein eine bedingte Ersatzpflicht aus. Darin unterscheidet sich die Vorerbenstellung von der Stellung eines Treuhänders. Der Treuhänder ist wirksam verpflichtet, bestimmte Verfügungen zu unterlassen.

Zwar ist der Vorerbe zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Vermögensstammes verpflichtet und gem. § 2119 BGB sogar zur mündelsicheren Anlage des Geldes. Gleichwohl betrifft diese Verpflichtung nur das Verhältnis zwischen Vorerben und Nacherben und hat keinen unmittelbaren Durchschlag auf die Verfügungsbefugnis des Vorerben. Die Beziehung von Nacherbe und Vorerbe untersteht in weiten Teilen deren Dispositionsbefugnis. Daher sind dem Nacherben eine Reihe von Rechten eingeräumt, um seiner Stellung als Nacherbe Rechnung zu tragen. So stehen dem Nacherben z.B. Auskunftsansprüche zur Seite. Er könnte auch bereits vor Eintritt des Erbfalls vom Kläger verlangen, das Geld mündelsicher anzulegen. Besteht wegen der ungünstigen Vermögenslage des Antragstellers für den Nacherben die Besorgnis einer erheblichen Verletzung seiner Rechte, so kann er gem. § 2128 BGB Sicherheitsleistung verlangen. Würde der Kläger daraufhin Sicherheit leisten müssen oder wäre die Zwangsverwaltung über den Nachlassgegenstand angeordnet, so wäre der entsprechende Betrag der Sicherheitsleistung bzw. der zwangsverwaltete Nachlassgegenstand nicht mehr verfügbar. Ohne Sicherheitsverlangen des Nacherben besteht kein Verfügungshindernis. Eine unbedingte Geltendmachung eines Sicherheitsverlangens ist unter Berücksichtigung der häufig – so auch vorliegend - familiären Verhältnisse zwischen Vor- und Nacherben ungewiss. Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 12 SGB II, die Stellung des Nacherben zu schützen und dessen Dispositionsbefugnis auszuüben.

Der Kläger würde sich bei einer Verfügung über den Nachlassgegenstand nicht strafbar machen. Der insoweit einzig in Betracht kommende Untreuetatbestand des § 266 Strafgesetzbuch (StGB) scheitert bereits daran, dass der Vorerbe nicht über fremdes Vermögen verfügt, sondern über eigenes. Insoweit fehlt es auch an einer Vermögensbetreuungspflicht über fremdes Vermögen. Die Vorerbschaft ist gerade nicht als Treuhandverhältnis ausgestaltet, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Treunehmer über fremdes Vermögen verfügt. Hätte der Erblasser P E1 ein solches Treueverhältnis herstellen wollen, hätte er den Kläger als Nachlassverwalter gegenüber dem Nachlassberechtigten einsetzen können. Dies tat er nicht, sondern setzte den Kläger als Vorerben ein.

Es ist nicht angezeigt, ein Rechtsgutachten zur Frage des Umfangs der Rechte und Pflichten aus der Vorerbschaft in Auftrag zu geben. Das Gericht kennt das in Deutschland geltenden Recht (iura novit curia). Nur zur Ermittlung ausländischen Rechts wäre die Einholung eines Rechtsgutachtens statthaft.

Weitergehende Beschränkungen als durch die Vorerbschaft begründet lassen sich der teilweise geschwärzten notariellen Urkunde nicht entnehmen.

Die verwertbaren Guthaben waren zu berücksichtigen. Die Verwertung der Guthaben stellt für den Kläger keine besondere Härte dar.

Als Vermögen sind gem. § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

Es handelt sich bei dem im Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II verwandten Begriff "besondere Härte" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ob von einer besonderen Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II auszugehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgebend sind dabei nur außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen (§ 12 Abs. 3 S. 1 SGB II) und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden. Demnach setzt § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II voraus, dass die Umstände dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sind nicht allein der Verlust der Altersvorsorge und dessen Zeitpunkt, sondern beides nur zusammen mit einer Versorgungslücke geeignet, eine besondere Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II darzustellen. Es sind nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen (LSG NRW, Urteil vom 13.09.2013, L 19 AS 771/13 m.w.N.).

Grundsätzlich ist es denkbar, dass eine eigennützige Verwendung des Vorerben eine besondere Härte darstellen könnte. Es kann grundsätzlich von niemandem verlangt werden, Schulden zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit aufzunehmen. Spiegelbildlich zu einer sofortigen Verwertung der Guthaben entsteht eine auf den Nacherbfall bedingte, zukünftig fällige Schuld in gleicher Höhe. Ist der Eintritt des Nacherbfalls sicher (etwa nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder bei Eintritt eines sicheren Ereignisses wie der Tod einer bestimmten Person), ist auch die Wertersatzpflicht hinreichend wahrscheinlich. Sie entfiele nur, wenn alle möglichen Nacherben die Nacherbschaft ausschlagen würden oder der Nacherbe den Wertersatzanspruch nicht geltend machen würde. Es mag zwar sein, dass in familiären Verhältnissen solche Ansprüche regelmäßig nicht geltend gemacht werden. Gleichwohl kann der Betroffene nicht auf das Gutdünken seines Nacherben verwiesen werden. Denn es hinge nur noch von dem Gutdünken seines Nacherben ab, ob der Betroffene mit einer Schuld belastet wäre, die er zur Bestreitung des Lebensunterhalts hätte riskieren müssen.

Im vorliegenden Fall kann jedoch offen gelassen werden, ob und wenn ja, unter welchen Umständen eine besondere Härte vorliegt, wenn ein Vorerbe mit einer Inanspruchnahme durch den Nacherben rechnen muss. Denn im vorliegenden Fall ist eine besondere Härte für den Kläger ausgeschlossen. Der Nacherbfall tritt erst mit seinem Tode ein. Er wird zu Lebzeiten keiner Wertersatzforderung eines Nacherben ausgesetzt sein. Einzig sein Erbe, das er hinterlässt, wird durch einen etwaigen Wertersatzanspruch des Nacherben geschmälert. Hierin vermag das Gericht jedoch keine besondere Härte für den Kläger zu erkennen. Auch der Umstand, dass der Nacherbe gegebenenfalls zu Lebzeiten eine Sicherheitsleistung nach § 2128 BGB fordern könnte, führt nicht zu einer besonderen Härte. Eine Sicherheitsleistung des vorhandenen Guthabens oder eine Zwangsverwaltung würden den Kläger nicht wesentlich schlechter stellen als er stünde, wenn er von vornherein keine eigennützigen Verwendungen vornehmen würde.

Auch die Höhe des tatsächlich vorhandenen Vermögens war erheblich für die Leistungsgewährung.

In der Zeit von 2004 bis 2015 entwickelte sich das Vermögen von rund 25.000 EUR auf über 59.000,00 EUR. Das verwertbare Vermögen wird Dezember 2014 bei über 25.000 EUR gelegen haben. Damit überstieg es die Vermögensfreibeträge in Höhe von 9.750,00 EUR.

Vom Vermögen sind gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB II abzusetzen ein Grundfreibetrag in Höhe von 150 Euro je vollendetem Lebensjahr für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende volljährige Person und deren Partnerin oder Partner und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten.

Der dem Kläger zustehende Vermögensfreibetrag in Höhe von 9.750,00 EUR setzt sich zusammen aus dem Grundfreibetrag in Höhe von 9.000,00 EUR (60 Lebensjahre x 150,00 EUR) sowie dem Anschaffungsfreibetrag in Höhe von 750,00 EUR.

Die damit erheblichen Tatsachen bzw. Beweisurkunden hat der Kläger nicht erklärt bzw. vorgelegt. Da der Kläger bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids auch keine Auskunft über die genauen Nachlassgegenstände und ihren aktuellen Wert gegeben hat und entsprechend nachgewiesen hat, kann offen bleiben, ob er hinsichtlich der Vorlage des Testaments ausreichend mitgewirkt hat. Denn schon die fehlende Auskunft über die genauen Nachlassgegenstände und ihren aktuellen Wert sowie die fehlenden Nachweise hierüber stellen eine erhebliche Mitwirkungsverletzung dar. Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass das in der Vergangenheit vorgelegte Testament nicht mehr in den Verwaltungsakten auffindbar war. Es reicht nicht aus, irgendwann in einem anderen Bewilligungsabschnitt mitgewirkt zu haben. Ein neuer Bewilligungsabschnitt bedeutet auch ein neues Verwaltungsverfahren. Ist eine Angabe oder Beweisurkunde aus früheren Verwaltungsverfahren nicht mehr auffindbar, so trifft den Betroffenen die Mitwirkungspflicht, die Angabe erneut zu machen bzw. die Beweisurkunde erneut vorzulegen. Andernfalls kann der für die Entscheidung zuständige Sachbearbeiter keine Entscheidungsgrundlage herbeiführen.

Auch die weiteren Voraussetzungen einer Entziehung liegen vor. Durch die fehlende Mitwirkung war die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

Der Beklagte kann die Beweisurkunden nicht ohne Weiteres selbst anfordern. Testament und Kontounterlagen sind nicht oder nicht mehr in den Verwaltungsakten enthalten gewesen, so dass eine Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung der Verwaltungsakten nicht möglich war.

Ohne die geforderte Mitwirkung sind die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen, da die Hilfebedürftigkeit nicht beurteilbar war.

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 31.10.2014 unter Hinweis auf die Möglichkeit des Entzugs zur Mitwirkung aufgefordert.

Es sind auch keine Ermessensfehler erkennbar.

Die Behörde ist bei Ermessensentscheidungen nicht gänzlich frei. Sie hat ihr Ermessen pflichtgemäß auszuüben. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I bestimmt, dass die Leistungsträger, wenn sie ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessen einzuhalten haben. Auf pflichtgemäße Ermessenausübung besteht ein Anspruch. Das Gericht darf bei der Ermessensüberprüfung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise gem. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG Gebrauch gemacht ist. Dem steht es gleich, wenn der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nicht nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch).

Im Entziehungsbescheid vom 27.11. wurde erkannt, dass Ermessen auszuüben ist und es wurde Ermessen ausgeübt. Die gewählte Rechtsfolge ist von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Es blieben keine wesentlichen Gesichtspunkte unberücksichtigt und es wurden keine berücksichtigten Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet. Soweit der Kläger nach Erlass des Widerspruchsverfahrens im Rahmen des Eilverfahrens eine teilweise geschwärzte Kopie des Testaments eingereicht hat sowie Kontoauszüge des Nachlasskontos, führt dies nicht zur Aufhebung des Entziehungsbescheids. Der Kläger hat lediglich einen Anspruch auf eine Entscheidung nach § 67 SGB I über die nachträglich Erbringung von Leistungen nach nachgeholter Mitwirkung. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren, das hier nicht streitgegenständlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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