L 9 SO 191/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 109/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 191/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Allein ein Kontowechsel berechtigt das Sozialamt nicht zu faktischen Einstellung bewilligter Leistungen der Grundsicherung, wenn nicht die Voraussetzungen der §§ 60 ff. SGB I vorliegen und verfahrensfehlerfrei umgesetzt werden.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.04.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers vom 10.04.2017 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.04.2017, mit dem es den auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf unbare Auszahlung der ihm bewilligten Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe von insgesamt 1.266,54 EUR gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) abgelehnt hat, ist unbegründet. Dem Begehren des Antragstellers fehlt es nach wie vor am hierfür erforderlichen Anordnungsgrund, der glaubhaft zu machen ist (s. § 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO).

Ein Eilfall im Sinne einer gegenwärtigen Notlage, die nicht anders als durch ein (vorzeitiges) gerichtliches Eingreifen abgewendet werden kann, liegt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers nicht vor. Der Antragsteller hat es im Anschluss an die insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts, auf die der Senat Bezug nimmt (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), nach wie vor selbst in der Hand, eine durch Nichtleistung der Antragsgegnerin seit Februar 2017 entstandene Notlage selbst zu beseitigen, indem er das auch gegenwärtig bestehende Angebot der Antragsgegnerin wahrnimmt, bei ihrem Sozialamt persönlich vorzusprechen und mittels Abholung eines Barschecks die ihm zustehenden Leistungen in Anspruch zu nehmen. Diese Bereitschaft der Antragsgegnerin hat ungeachtet der um die schriftliche Einladung des Antragstellers mit Schreiben vom 03.04.2017 und dessen Zugang bei dem Antragsteller entstandenen Irritationen im Laufe des gesamten Eilverfahrens bestanden. Ferner hat sich auch der Antragsteller trotz seiner von ihm vertretenen Rechtsauffassung, dass gegenüber der Antragsgegnerin keine Pflicht zur Vorlage einer neuen Kontokundenkarte bzw. Übersendung einer entsprechenden Kopie nach Mitteilung der neuen Bankverbindung besteht, durchaus bereit erklärt, bei der Antragsgegnerin persönlich vorstellig zu werden. Denn er hat im Beschwerdeschriftsatz vom 10.04.2017 ausgeführt, dass, wenn ihm gesagt worden wäre, dass er einen Scheck entgegennehmen könnte, er dort hingegangen wäre. Es bleibt somit dabei, dass der Antragsteller unabhängig von der materiellen Rechtslage (s. sogleich) auch jetzt noch ohne Weiteres in der Lage ist, ohne Einschaltung des Gerichts seine Notlage kurzfristig zu beseitigen. Dass dies offenbar bislang nicht geschehen ist, dürfte in erster Linie an einer gewissen Halsstarrigkeit des Antragstellers liegen.

Eine wiederholte gerichtliche Inanspruchnahme wegen eines vermeintlichen Eilfalls liegt angesichts der fadenscheinigen Gründe des Antragstellers (keine Zeit zum Sozialamt zu gehen, andere Termine etc.) an der Grenze zum Missbrauch.

Dessen ungeachtet erlaubt sich der Senat einige Hinweise zur materiellen Sach- und Rechtslage:

Es spricht einiges dafür, dass die höchst eigenwillige Vorgehensweise der Antragsgegnerin, den Antragsteller mit Schreiben vom 02.01.2017 unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I bei Belehrung über die Folgen fehlender Mitwirkung (§ 66 Abs. 1 SGB I) aufzufordern, die Kopie seiner neuen Kontokundenkarte oder ein Anschreiben seines neuen Kreditinstituts zwecks Überprüfung der Kontodaten einzureichen, rechtswidrig ist, jedenfalls aber nicht zur faktischen Einstellung der ihm bestandskräftig bewilligten Leistungen führen kann.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit Bescheiden vom 20.12.2016 und 10.01.2017 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Monate Januar bis März 2017 bewilligt. Diese Bescheide sind nach wie vor wirksam, so dass dem Antragsteller hieraus ein unmittelbarer Zahlungsanspruch, und zwar regelhaft auf das von ihm angegebene Konto (s. sogleich), erwächst. Würde die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin zutreffen, dass eine Mitwirkungspflicht des Antragstellers in Form der Einreichung einer Kopie seiner Kundenkarte nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I besteht, wäre sie gehalten, dem Antragsteller entsprechend der Belehrung im Schreiben vom 02.01.2017 die Leistung nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I zu entziehen. Ein solcher Entziehungsbescheid liegt bis heute aber ebenso wenig vor wie im Übrigen ein etwaiger Aufhebungsbescheid nach §§ 45, 48 SGB X mit Blick auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 19.04.2017, wo eine mögliche Tätigkeit des Antragstellers als gewerbsmäßiger Verkäufer u.a. von Sportartikeln erwähnt wird. Eine faktische Leistungseinstellung kommt jedoch mangels actus contrarius zu den Bescheiden vom 20.12.2016 und 10.01.2017 nicht in Betracht.

Aber auch eine von der Antragsgegnerin reklamierte Mitwirkungspflicht des Antragstellers hinsichtlich der Vorlage einer Kopie der neuen Kontokarte als solche erweist sich nach Aktenlage als zweifelhaft. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Auch hat er Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Zu den für Leistungen nach dem SGB XII erheblichen Tatsachen gehören insbesondere solche Umstände, die im Zusammenhang mit dem Nachweis der Hilfebedürftigkeit stehen. So kann die Behörde in diesem Zusammenhang insbesondere die Vorlage von Kontoauszügen als Beweismittel verlangen (s. nur Voelzke, in: jurisPK-SGB I, § 60 Rn. 31.1). Hier geht es jedoch nicht um die Leistungsvoraussetzungen an sich, sondern die Leistungsmodalitäten hinsichtlich der Art der Auszahlung. Ungeachtet der Frage, ob hierauf überhaupt Mitwirkungspflichten eines Leistungsberechtigten nach § 60 SGB I gegründet werden können, was bereits zweifelhaft ist, regelt § 47 SGB I, der bei Leistungen der Sozialhilfe jedenfalls im Rahmen des nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen ist (s. Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 10 Rn. 3 m.w.N.), die Modalitäten der Auszahlung von Sozialleistungen. Danach sollen Geldleistungen kostenfrei auf ein Konto des Empfängers übermittelt werden. Gleiches gilt auch für die Mitteilung einer Kontoänderung. Teilt der Gläubiger die Eröffnung eines neuen Kontos mit und wünscht er die Zahlung noch ausstehender Beträge ausschließlich auf das neue Konto, so hat der Schuldner dem im Regelfall Folge zu leisten (BSG, Urt. v. 14.08.2003 - B 13 RJ 11/03 R -, juris Rn. 20). Hierbei handelt es sich auch um eine Ausprägung des § 33 SGB I, wonach der Leistungsträger bei der Ausgestaltung von Rechtsansprüchen den Wünschen des Berechtigten entsprechen soll, soweit sie angemessen sind. Daraus folgt, dass der Leistungsträger grundsätzlich verpflichtet ist, den Wünschen des Leistungsempfängers Folge zu leisten, hier also die Überweisung einer Geldleistung auf das von ihm ausdrücklich genannte Konto vorzunehmen (BSG, Urt. v. 14.08.2003 - B 13 RJ 11/03 R -, juris Rn. 22). Der Leistungsträger kann diesen Wunsch jedoch verweigern, wenn der zusätzliche Verwaltungsaufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zu den objektiven oder vermeintlichen Vorteilen für den Berechtigten steht, also unangemessen ist (BSG, a.a.O.).

Damit der Leistungsträger seiner Pflicht zur Leistung auf das vom Leistungsempfänger gewünschte Konto nachkommen kann, muss der Berechtigte seinerseits Sorge dafür tragen, dass dieser Wunsch dem leistungsverpflichteten Träger hinreichend deutlich und rechtzeitig vor dem gewünschten oder in Betracht kommen Zahlungstermin bekannt wird. Betroffene Leistungen und gewünschter Änderungstermin müssen so klar und für den Leistungsträger unmissverständlich bezeichnet sein, dass dieser bei vernünftiger Organisation in der Lage ist, die gewünschte Änderung fristgerecht umzusetzen (BSG, Urt. v. 14.08.2003 - B 13 RJ 11/03 R -, juris Rn. 23). Diesen Voraussetzungen ist der Antragsteller mit seinem Schreiben an die Antragsgegnerin vom 19.12.2016 nachgekommen, indem er die neue Bankverbindung unter Angabe des Namens der Bank sowie von IBAN und BIC mitgeteilt und um Abänderung für Januar, spätestens Februar 2017 gebeten hat. Ein Ausnahmetatbestand im Sinne eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes, der den Leistungsträger zur Verweigerung der Überweisung auf das angegebene Konto berechtigen könnte (s.o.), ist nicht ersichtlich. Ob die Antragsgegnerin darüber hinaus die Kopie der neuen Kontokarte verlangen kann, ist zumindest mit der von ihr hierfür gegebenen Begründung zweifelhaft. Dies wäre allenfalls dann denkbar, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Zweifel gerade an der Kontoinhaberschaft des Antragstellers bestehen würden. Solche Zweifel macht die Antragsgegnerin nach Aktenlage selbst nicht geltend, sondern begründet ihre Vorgehensweise damit, dass ein früherer Sachbearbeiter des Duisburger Sozialamtes unter erheblicher krimineller Energie zahlreiche Sozialhilfezahlungen auf eigene Konten überwiesen habe und die Vorgesetzten nun gehalten seien, im Rahmen des Vieraugenprinzips alle Kontendaten bei der Zahlbarmachung von Sozialhilfe zu überprüfen. Auch wenn dies aus Sicht des Sozialhilfeträgers durchaus legitim erscheinen mag, stellt sich doch die Frage, ob eine solche ausschließlich in der Sphäre des Sozialhilfeträgers liegende Problematik dazu führen kann, Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten zu statuieren, die eine Entziehung von existenzsichernden Leistungen zur Folge haben könnten. Aus Sicht des Senats dürfte insoweit wohl nur eine Optimierung der internen Verwaltungsabläufe ohne rechtliche Sanktionierung der Leistungsberechtigten in Betracht kommen. Eine ggf. abschließende Klärung soll jedoch dem beim Sozialgericht Duisburg anhängigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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