Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 2229/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 432/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Abweichung vom Kopfteilprinzip bezüglich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Falle einer Leistungsversagung nach § 66 SGB I gegenüber einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2014 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung der Bescheide vom 15. Oktober 2010 in der Fassung der Bescheide vom 10. Februar 2011 und 26. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 31. März 2011 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung wie folgt zu bewilligen: Für den Kläger zu 1 für die Monate Oktober und November 2010 je weitere 77,37 EUR, für Dezember 2010 weitere 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 je weitere 88,34 EUR. Für die Klägerin zu 2 für die Monate Oktober und November 2010 je weitere 77,38 EUR, für Dezember 2010 weitere 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 je weitere 88,33 EUR.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für beide Rechtszüge.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der anteiligen Ansprüche der Kläger auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.
Die erwerbsfähigen Kläger standen beim Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Sie waren nicht in der Lage ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 28. Februar 2011 lebten sie gemeinsam mit ihrem im Jahr 1989 geborenen Sohn in einer ca. 65 m² großen Mietwohnung in A ..., für die sie eine Kaltmiete in Höhe von 335,00 EUR monatlich zuzüglich eine monatliche Vorauszahlung für Betriebskosten in Höhe von 160,00 EUR, ab dem 1. Dezember 2010 in Höhe von monatlich 195,00 EUR zahlen mussten. Parteien des Mietvertrages waren die Kläger als Mieter und die Grundstücksgemeinschaft W ... GbR als Vermieterin.
Der Sohn der Kläger meldete am 16. März 2010 ein Gewerbe (Handel mit Mobilfunkzubehör) an und wurde vom Beklagten vergeblich zur Vorlage der Anlage EKS [Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum] aufgefordert. Zum 28. Januar 2011 meldete er das Gewerbe wieder ab.
Mit Versagungsbescheid vom 29. September 2010 versagte der Beklagte die Leistung für die Kläger und ihren gemeinsamen Sohn wegen fehlender Mitwirkung ab 1. Oktober 2010 vollständig. Auf den Widerspruch der Kläger bewilligte der Beklagte ihnen mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 vorläufig neben der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung Kosten und Unterkunft für Heizung in Höhe von insgesamt 342,12 EUR. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 31. März 2011 wurden den Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 28. Februar 2011 neben der Regelleistung 353,33 EUR, nunmehr endgültig bewilligt.
Mit weiterem Bescheid vom 21. März 2011 wurden den Klägern Leistungen für eine im November 2010 fällige Nachzahlung auf Betriebskosten in Höhe von 373,12 EUR bewilligt.
Bei der Bemessung des Bedarfs rechnete der Beklagte nach dem Kopfteilprinzip einen auf den gemeinsamen Sohn entfallenen Anteil von 1/3 an den Kosten für Unterkunft und Heizung nicht auf die Kläger an. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 als unbegründet zurückgewiesen.
Die am 29. April 2011 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 10. Februar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der weitere Anteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe eines Drittels ein Anspruch des gemeinsamen Sohnes der Kläger sei, den die Kläger nicht in eigenem Namen geltend machen könnten. Werde eine Unterkunft von mehreren Personen gleichberechtigt gemeinsam bewohnt, so seien die Kosten der Unterkunft im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft seien. Hiervon könne nur eine Ausnahme gemacht werden, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft durch den Leistungsträger sanktioniert werde und sich die Sanktion nach § 31a SGB II auf die Unterkunftskosten auswirke. Zur Vermeidung einer Sippenhaft müsse dann von einer Zuordnung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen abgewichen werden. Ein solcher Fall liege aber nicht vor, da der Sohn der Kläger nicht sanktioniert, sondern ihm Leistungen mangels Mitwirkung versagt worden sind.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 24. Februar 2014 zugestellte Urteil am 9. März 2014 Berufung eingelegt. Sie hätten Anspruch auf die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe ohne dass ein Anteil für ihren Sohn zu ihren Ungunsten berücksichtigt werde. Sie hätten bis zum 28. Februar 2011 mit ihrem Sohn gemeinsame in der Wohnung W ... in A ... gelebt. Zwischen ihnen und ihrem Sohn habe seit dessen 13. Lebensjahr ein sehr schwieriges Verhältnis bestanden. Der Sohn sei ab diesem Zeitpunkt aggressiv gewesen, habe Alkohol und später Drogen konsumiert. Er habe angefangen zu stehlen, um sich Drogen und Alkohol kaufen zu können. Die schulischen Leistungen hätten sich verschlechterten. Er habe seine Eltern und Lehrer respektlos behandelt. Es sei zu regelmäßigen Gewaltausbrüchen in der Wohnung gekommen, bei denen Sachen beschädigt worden seien. Der Sohn habe auf seine Eltern keine Rücksicht mehr genommen. Seine Ausbildung zum Elektriker habe er nicht beendet. Er sei mehrfach straffällig geworden. Sie, die Kläger, hätten keine Beziehung mehr zu ihren Sohn. Sie hätten keinerlei Einfluss mehr auf ihn. Sie hätten deswegen keine Möglichkeit gehabt, auf ihn einzuwirken und ihn zu einem vernünftigen Lebensstil anzuhalten. Er habe auch auf ihr Drängen die EKS nicht erstellt. Die Verweigerung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, dürfe nicht dazu führen, dass die tatsächlich angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nicht mit übernommen werden. Eine Auslegung der gesetzlichen Regelungen dahingehend, dass bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten auch die (übrigen) Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungskürzungen insbesondere bei den Kosten von Unterkunft und Heizung hinnehmen müssten, sei mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem in Artikel 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar. Jeder Mensch habe Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Einschränkungen dieses Grundrechts bedürften einer gesetzlichen Normierung. An einer solchen fehle es.
Zum 1. März 2011 haben die Kläger eine neue Wohnung angemietet, welche sie seit dem ohne ihren Sohn bewohnen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2014 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 10. Februar 2011 und 26. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31. März 2011 abzuändern und den Klägern für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 endgültig höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung und für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 28. Februar 2011 höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Ergänzend trägt er vor, dass sich der vorliegende Fall von dem vom Bundessozialgericht zu einer Sanktion entschiedenen Fall dadurch unterscheide, dass wegen der nicht erfolgten Mitwirkung überhaupt keine Bedarfsberechnung möglich gewesen sei. Es habe sich deshalb nicht feststellen lassen, ob überhaupt eine Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bestanden habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, da Leistungen von mehr als 750,00 EUR streitig sind.
II. Die Berufung ist auch begründet. Die Kläger haben für den streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 28. Februar 2011 Anspruch auf höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.
1. Die Kläger können ihr Rechtsschutzbegehren in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen. Für die Zeit der vorläufigen Bewilligung ist der Anfechtungsteil der Klage darüber hinaus mit dem Ziel statthaft, die Vorläufigkeitserklärung, die ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m § 328 Abs. 1 des Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) hatte, zu beseitigen und eine endgültige, höhere Bewilligung zu erlangen (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86 ff. = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 = juris, jeweils Rdnr. 20; Düe, in: Brand, SGB III [7. Aufl., 2015], § 328 Rdnr. 33, m. w. N.).
2. Streitig sind allein die Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Kosten der Unterkunft und Heizung ist grundsätzlich zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 42/13 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 78 Rdnr. 10 ff; BSG, Urteil vom 6. August 2014 – B 4 AS 55/13 R – BSGE 116, 254 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 38, jeweils Rdnr. 12).
Der Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides 30. März 2011 wurde mit Erlass des endgültigen Bescheids vom 31. März 2011 hinsichtlich des Leistungszeitraumes ab dem 1. Januar 2011 gegenstandslos und wurde gemäß § 96 SGG durch diesen ersetzt. Streitgegenständlich sind nunmehr für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 der vorläufige Leistungsbescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2011 und für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 28. Februar 2011 der endgültige Bewilligungsbescheid vom 31. März 2011.
Der Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides 30. März 2011 ist sowohl im Hinblick auf die vorläufige Leistungsbewilligung als auch hinsichtlich der Höhe der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtswidrig. Der Bescheid vom 31. März ist hinsichtlich der Höhe der bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung rechtswidrig. Die Kläger werden durch die streitigen Bescheide in ihren Rechten verletzt. Die Kläger haben Anspruch auf eine endgültige Leistungsbewilligung (a) und die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher, angemessener Höhe (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Das sogenannte Kopfteilprinzip ist hier nicht anzuwenden (b).
a) Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. (ähnlich: § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung) waren für das Verfahren nach dem SGB II die Vorschriften des § 328 SGB III über die vorläufige Entscheidung entsprechend anwendbar. Nach § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III (in der hier maßgebenden, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) konnte über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich war, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorlagen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hatte.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II konnte abschließend entschieden werden. Sämtliche Leistungsvoraussetzungen waren bekannt. Dies gilt insbesondere für die Kosten der Unterkunft und Heizung, da das Kopfteilprinzip hier nicht anwendbar ist (siehe hierzu unten unter b). Einer gesonderten Geltendmachung eines kopfteiligen Anteils an den Kosten für Unterkunft und Heizung durch den Sohn steht wegen der Gewährung der vollständigen Kosten für Unterkunft und Heizung in Folge der Durchbrechung des Kopfteilprinzips hier dauerhaft der Einwand der Erfüllung entgegen. Auch kann die mangelnde Mitwirkung des volljährigen Sohnes den Klägern nicht zugerechnet werden, sodass die Kläger einen einer endgültigen Entscheidung entgegenstehenden Grund nicht zu vertreten haben.
b) Die Kläger haben Anspruch auf die Übernahme der sich aus der mitvertraglichen Verpflichtung ergebenden tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Berücksichtigung eines Anteils für den volljährigen Sohn.
Die Kläger waren ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Mietvertrages alleinige Schuldner der monatlich wiederkehrend fällig werdenden Miete und der Nebenkosten. Sie waren Gesamtschuldner. Der Bedarf für unterstützende Leistungen für die Unterkunft und Heizung fällt damit allein bei ihnen an. Gleichwohl werden in ständiger Rechtsprechung die Kosten der Unterkunft und Heizung im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufgeteilt, wenn Hilfebedürftigte eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, nutzen (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – BSGE 97, 265 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 = juris Rdnr. 28, m. w. N.). Dies gilt unabhängig davon, ob diese Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Dieses so genannte Kopfteilprinzip ist auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1988 – 5 C 68/85 – BVerwGE 79, 17 ff. = NJW 1989, 313 f. (Leitsatz 2) zurückzuführen. Es dient allein der Verwaltungsvereinfachung und basiert auf der Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.
Bei der Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist. Insofern findet sich in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Bedarfsbeschränkung der Festlegung des Gesetzgebers auf das Prinzip der anteiligen Verteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Nach dem Gesetzeswortlaut greift auch bei den Kosten für Unterkunft und Heizung vielmehr der am Bedarf ausgerichtete Individualisierungsgrundsatz mit der Anknüpfung an die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Allein deren Unangemessenheit – die hier nicht gegeben ist – darf sich begrenzend auswirken.
Deswegen ließ bereits das Bundesverwaltungsgericht eine Korrektur des Grundsatzes der pro Kopf-Aufteilung zu, wenn der Hilfefall durch sozialhilferechtlich bedeutsame Umstände gekennzeichnet war, die ohne Weiteres objektivierbar und dem Träger der Sozialhilfe möglicherweise bekannt waren (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1988 – 5 C 68/85 – BVerwGE 79, 17 ff. = NJW 1989, 313 f. = juris Rdnr. 12). Auch das Bundessozialgericht sah es bereits als möglich und notwendig an, im Einzelfall vom Kopfteilprinzip abzuweichen. So bejahte der 14. Senat eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei gemeinsam in einer Wohnung aber nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen, wenn eine andere Aufteilung aufgrund eines Vertrags bei objektiver Betrachtung aufgrund eines schon vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit vereinbarten notariellen Vertrages und der daraus folgenden Stellung als Eigentümer angezeigt war (vgl. BSG, Urteil von 29. November 2012 – B 14 AS 36/12 – SozR 4-4200 § 22 Nr. 63 = juris, jeweils Rdnr. 28). Weiter erörterten die für Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate eine Abweichung vom Prinzip der Aufteilung nach Kopfteilen in Fallgestaltungen, in denen durch eine Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfanteilen eine Bedarfsunterdeckung infrage stand (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 67/12 R – BSGE 113, 270 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 68 = juris, jeweils Rdnr. 20, m. w. N.).
Hier liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen vor. Bei der Aufteilung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen handelt es sich um eine aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eingeführte Durchbrechung des Prinzips der Bedarfsdeckung. Denn das Kind der Kläger ist nicht Partei des Mietvertrages und mithin nicht (Miet-)Schuldner des Mietzinses gegenüber dem Vermieter. Die rechtliche Verpflichtung zur Tragung der Wohnungskosten trifft allein die Kläger als Gesamtschuldner. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen bewirkt hier, dass der tatsächliche Bedarf der Kläger unterdeckt und der des Sohnes erhöht wird. Diese Abweichung vom Prinzip der Bedarfsdeckung ist ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität allenfalls so lange hinnehmbar, wie die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in der Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft in der Summe auch in tatsächlicher Höhe gedeckt sind. Wenn, wie hier, aber für einen Teil der Bedarfsgemeinschaft (den Sohn) Leistungen nicht erbracht werden, sei es infolge einer Sanktionierung nach §§ 30 ff. SGB II oder infolge einer Entscheidung nach § 66 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Sinne einer Versagung oder Entziehung einer Leistung, ist es den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft, sofern sie – wie hier – im Außenverhältnis allein für die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung haften, nicht zumutbar, die nicht gedeckten Kosten aus ihrer Regelleistung zu bestreiten oder gar eine Verschuldung mit dem Risiko des Verlustes der Wohnung hinzunehmen.
Eine Versagung nach § 66 SGB I richtet sich allein an den seine Mitwirkung Verweigernden. Eine Mithaftung Dritter, sei diese auch nur mittelbar, ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Auch das Argument des Beklagten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Durchbrechung des Kopfteilprinzips im Falle von Sanktionsentscheidungen sei hier nicht übertragbar, da ohne die Mitwirkung des Sohnes nicht festgestellt werden könne, ob die Kläger überhaupt hilfebedürftig sind, überzeugt hier nicht. Wenn das Einkommen des Sohnes seine Hilfebedürftigkeit entfallen lässt, so ist er wegen § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Hilfebedürftigkeit der Kläger entfällt deswegen in diesem Fall nicht.
c) Mithin ergibt sich für die Monate Oktober und November 2010 ein Anspruch der Kläger auf Kosten der Unterkunft und Heizung von je 241,68 EUR bei Berücksichtigung einer Warmwasserpauschale von je 5,82 EUR monatlich. Im Dezember 2010 ergibt sich ein Anspruch von insgesamt je 256,68 EUR und für Januar und Februar von je 262,50 EUR. Unter Berücksichtigung der bereits bewilligten Leistungen ergeben sich monatliche Mehransprüche für den Kläger zu 1 für die Monate Oktober und November 2010 in Höhe von je 77,37 EUR, für Dezember 2010 in Höhe von 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 in Höhe von je 88,34 EUR. Für die Klägerin zu 2 ergeben sich Ansprüche auf weitere Leistungen für die Monate Oktober und November 2010 in Höhe von je 77,38 EUR, für Dezember 2010 in Höhe von 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 in Höhe von je 88,33 EUR.
3. Die Kostentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
4. Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob in Haushaltsgemeinschaften vom Kopfteilprinzip abzuweichen ist, wenn in Folge einer Versagung oder aus einem sonstigen Grund einem Mitglied der Haushaltgemeinschaft keine Leistungen nach dem SGB II erbracht werden, hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für beide Rechtszüge.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der anteiligen Ansprüche der Kläger auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.
Die erwerbsfähigen Kläger standen beim Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Sie waren nicht in der Lage ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 28. Februar 2011 lebten sie gemeinsam mit ihrem im Jahr 1989 geborenen Sohn in einer ca. 65 m² großen Mietwohnung in A ..., für die sie eine Kaltmiete in Höhe von 335,00 EUR monatlich zuzüglich eine monatliche Vorauszahlung für Betriebskosten in Höhe von 160,00 EUR, ab dem 1. Dezember 2010 in Höhe von monatlich 195,00 EUR zahlen mussten. Parteien des Mietvertrages waren die Kläger als Mieter und die Grundstücksgemeinschaft W ... GbR als Vermieterin.
Der Sohn der Kläger meldete am 16. März 2010 ein Gewerbe (Handel mit Mobilfunkzubehör) an und wurde vom Beklagten vergeblich zur Vorlage der Anlage EKS [Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum] aufgefordert. Zum 28. Januar 2011 meldete er das Gewerbe wieder ab.
Mit Versagungsbescheid vom 29. September 2010 versagte der Beklagte die Leistung für die Kläger und ihren gemeinsamen Sohn wegen fehlender Mitwirkung ab 1. Oktober 2010 vollständig. Auf den Widerspruch der Kläger bewilligte der Beklagte ihnen mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 vorläufig neben der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung Kosten und Unterkunft für Heizung in Höhe von insgesamt 342,12 EUR. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 31. März 2011 wurden den Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 28. Februar 2011 neben der Regelleistung 353,33 EUR, nunmehr endgültig bewilligt.
Mit weiterem Bescheid vom 21. März 2011 wurden den Klägern Leistungen für eine im November 2010 fällige Nachzahlung auf Betriebskosten in Höhe von 373,12 EUR bewilligt.
Bei der Bemessung des Bedarfs rechnete der Beklagte nach dem Kopfteilprinzip einen auf den gemeinsamen Sohn entfallenen Anteil von 1/3 an den Kosten für Unterkunft und Heizung nicht auf die Kläger an. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 als unbegründet zurückgewiesen.
Die am 29. April 2011 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 10. Februar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der weitere Anteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe eines Drittels ein Anspruch des gemeinsamen Sohnes der Kläger sei, den die Kläger nicht in eigenem Namen geltend machen könnten. Werde eine Unterkunft von mehreren Personen gleichberechtigt gemeinsam bewohnt, so seien die Kosten der Unterkunft im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft seien. Hiervon könne nur eine Ausnahme gemacht werden, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft durch den Leistungsträger sanktioniert werde und sich die Sanktion nach § 31a SGB II auf die Unterkunftskosten auswirke. Zur Vermeidung einer Sippenhaft müsse dann von einer Zuordnung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen abgewichen werden. Ein solcher Fall liege aber nicht vor, da der Sohn der Kläger nicht sanktioniert, sondern ihm Leistungen mangels Mitwirkung versagt worden sind.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 24. Februar 2014 zugestellte Urteil am 9. März 2014 Berufung eingelegt. Sie hätten Anspruch auf die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe ohne dass ein Anteil für ihren Sohn zu ihren Ungunsten berücksichtigt werde. Sie hätten bis zum 28. Februar 2011 mit ihrem Sohn gemeinsame in der Wohnung W ... in A ... gelebt. Zwischen ihnen und ihrem Sohn habe seit dessen 13. Lebensjahr ein sehr schwieriges Verhältnis bestanden. Der Sohn sei ab diesem Zeitpunkt aggressiv gewesen, habe Alkohol und später Drogen konsumiert. Er habe angefangen zu stehlen, um sich Drogen und Alkohol kaufen zu können. Die schulischen Leistungen hätten sich verschlechterten. Er habe seine Eltern und Lehrer respektlos behandelt. Es sei zu regelmäßigen Gewaltausbrüchen in der Wohnung gekommen, bei denen Sachen beschädigt worden seien. Der Sohn habe auf seine Eltern keine Rücksicht mehr genommen. Seine Ausbildung zum Elektriker habe er nicht beendet. Er sei mehrfach straffällig geworden. Sie, die Kläger, hätten keine Beziehung mehr zu ihren Sohn. Sie hätten keinerlei Einfluss mehr auf ihn. Sie hätten deswegen keine Möglichkeit gehabt, auf ihn einzuwirken und ihn zu einem vernünftigen Lebensstil anzuhalten. Er habe auch auf ihr Drängen die EKS nicht erstellt. Die Verweigerung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, dürfe nicht dazu führen, dass die tatsächlich angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nicht mit übernommen werden. Eine Auslegung der gesetzlichen Regelungen dahingehend, dass bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten auch die (übrigen) Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungskürzungen insbesondere bei den Kosten von Unterkunft und Heizung hinnehmen müssten, sei mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem in Artikel 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar. Jeder Mensch habe Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Einschränkungen dieses Grundrechts bedürften einer gesetzlichen Normierung. An einer solchen fehle es.
Zum 1. März 2011 haben die Kläger eine neue Wohnung angemietet, welche sie seit dem ohne ihren Sohn bewohnen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2014 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 10. Februar 2011 und 26. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31. März 2011 abzuändern und den Klägern für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 endgültig höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung und für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 28. Februar 2011 höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Ergänzend trägt er vor, dass sich der vorliegende Fall von dem vom Bundessozialgericht zu einer Sanktion entschiedenen Fall dadurch unterscheide, dass wegen der nicht erfolgten Mitwirkung überhaupt keine Bedarfsberechnung möglich gewesen sei. Es habe sich deshalb nicht feststellen lassen, ob überhaupt eine Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bestanden habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, da Leistungen von mehr als 750,00 EUR streitig sind.
II. Die Berufung ist auch begründet. Die Kläger haben für den streitigen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 28. Februar 2011 Anspruch auf höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.
1. Die Kläger können ihr Rechtsschutzbegehren in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen. Für die Zeit der vorläufigen Bewilligung ist der Anfechtungsteil der Klage darüber hinaus mit dem Ziel statthaft, die Vorläufigkeitserklärung, die ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) i. V. m § 328 Abs. 1 des Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) hatte, zu beseitigen und eine endgültige, höhere Bewilligung zu erlangen (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86 ff. = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 = juris, jeweils Rdnr. 20; Düe, in: Brand, SGB III [7. Aufl., 2015], § 328 Rdnr. 33, m. w. N.).
2. Streitig sind allein die Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Kosten der Unterkunft und Heizung ist grundsätzlich zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 42/13 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 78 Rdnr. 10 ff; BSG, Urteil vom 6. August 2014 – B 4 AS 55/13 R – BSGE 116, 254 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 38, jeweils Rdnr. 12).
Der Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides 30. März 2011 wurde mit Erlass des endgültigen Bescheids vom 31. März 2011 hinsichtlich des Leistungszeitraumes ab dem 1. Januar 2011 gegenstandslos und wurde gemäß § 96 SGG durch diesen ersetzt. Streitgegenständlich sind nunmehr für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 der vorläufige Leistungsbescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. März 2011 und für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 28. Februar 2011 der endgültige Bewilligungsbescheid vom 31. März 2011.
Der Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides 30. März 2011 ist sowohl im Hinblick auf die vorläufige Leistungsbewilligung als auch hinsichtlich der Höhe der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtswidrig. Der Bescheid vom 31. März ist hinsichtlich der Höhe der bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung rechtswidrig. Die Kläger werden durch die streitigen Bescheide in ihren Rechten verletzt. Die Kläger haben Anspruch auf eine endgültige Leistungsbewilligung (a) und die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher, angemessener Höhe (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Das sogenannte Kopfteilprinzip ist hier nicht anzuwenden (b).
a) Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. (ähnlich: § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung) waren für das Verfahren nach dem SGB II die Vorschriften des § 328 SGB III über die vorläufige Entscheidung entsprechend anwendbar. Nach § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III (in der hier maßgebenden, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) konnte über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich war, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorlagen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hatte.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II konnte abschließend entschieden werden. Sämtliche Leistungsvoraussetzungen waren bekannt. Dies gilt insbesondere für die Kosten der Unterkunft und Heizung, da das Kopfteilprinzip hier nicht anwendbar ist (siehe hierzu unten unter b). Einer gesonderten Geltendmachung eines kopfteiligen Anteils an den Kosten für Unterkunft und Heizung durch den Sohn steht wegen der Gewährung der vollständigen Kosten für Unterkunft und Heizung in Folge der Durchbrechung des Kopfteilprinzips hier dauerhaft der Einwand der Erfüllung entgegen. Auch kann die mangelnde Mitwirkung des volljährigen Sohnes den Klägern nicht zugerechnet werden, sodass die Kläger einen einer endgültigen Entscheidung entgegenstehenden Grund nicht zu vertreten haben.
b) Die Kläger haben Anspruch auf die Übernahme der sich aus der mitvertraglichen Verpflichtung ergebenden tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Berücksichtigung eines Anteils für den volljährigen Sohn.
Die Kläger waren ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Mietvertrages alleinige Schuldner der monatlich wiederkehrend fällig werdenden Miete und der Nebenkosten. Sie waren Gesamtschuldner. Der Bedarf für unterstützende Leistungen für die Unterkunft und Heizung fällt damit allein bei ihnen an. Gleichwohl werden in ständiger Rechtsprechung die Kosten der Unterkunft und Heizung im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufgeteilt, wenn Hilfebedürftigte eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, nutzen (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – BSGE 97, 265 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 = juris Rdnr. 28, m. w. N.). Dies gilt unabhängig davon, ob diese Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Dieses so genannte Kopfteilprinzip ist auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1988 – 5 C 68/85 – BVerwGE 79, 17 ff. = NJW 1989, 313 f. (Leitsatz 2) zurückzuführen. Es dient allein der Verwaltungsvereinfachung und basiert auf der Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.
Bei der Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist. Insofern findet sich in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Bedarfsbeschränkung der Festlegung des Gesetzgebers auf das Prinzip der anteiligen Verteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Nach dem Gesetzeswortlaut greift auch bei den Kosten für Unterkunft und Heizung vielmehr der am Bedarf ausgerichtete Individualisierungsgrundsatz mit der Anknüpfung an die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Allein deren Unangemessenheit – die hier nicht gegeben ist – darf sich begrenzend auswirken.
Deswegen ließ bereits das Bundesverwaltungsgericht eine Korrektur des Grundsatzes der pro Kopf-Aufteilung zu, wenn der Hilfefall durch sozialhilferechtlich bedeutsame Umstände gekennzeichnet war, die ohne Weiteres objektivierbar und dem Träger der Sozialhilfe möglicherweise bekannt waren (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1988 – 5 C 68/85 – BVerwGE 79, 17 ff. = NJW 1989, 313 f. = juris Rdnr. 12). Auch das Bundessozialgericht sah es bereits als möglich und notwendig an, im Einzelfall vom Kopfteilprinzip abzuweichen. So bejahte der 14. Senat eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei gemeinsam in einer Wohnung aber nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen, wenn eine andere Aufteilung aufgrund eines Vertrags bei objektiver Betrachtung aufgrund eines schon vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit vereinbarten notariellen Vertrages und der daraus folgenden Stellung als Eigentümer angezeigt war (vgl. BSG, Urteil von 29. November 2012 – B 14 AS 36/12 – SozR 4-4200 § 22 Nr. 63 = juris, jeweils Rdnr. 28). Weiter erörterten die für Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate eine Abweichung vom Prinzip der Aufteilung nach Kopfteilen in Fallgestaltungen, in denen durch eine Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfanteilen eine Bedarfsunterdeckung infrage stand (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 67/12 R – BSGE 113, 270 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 68 = juris, jeweils Rdnr. 20, m. w. N.).
Hier liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen vor. Bei der Aufteilung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen handelt es sich um eine aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eingeführte Durchbrechung des Prinzips der Bedarfsdeckung. Denn das Kind der Kläger ist nicht Partei des Mietvertrages und mithin nicht (Miet-)Schuldner des Mietzinses gegenüber dem Vermieter. Die rechtliche Verpflichtung zur Tragung der Wohnungskosten trifft allein die Kläger als Gesamtschuldner. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen bewirkt hier, dass der tatsächliche Bedarf der Kläger unterdeckt und der des Sohnes erhöht wird. Diese Abweichung vom Prinzip der Bedarfsdeckung ist ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität allenfalls so lange hinnehmbar, wie die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in der Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaft in der Summe auch in tatsächlicher Höhe gedeckt sind. Wenn, wie hier, aber für einen Teil der Bedarfsgemeinschaft (den Sohn) Leistungen nicht erbracht werden, sei es infolge einer Sanktionierung nach §§ 30 ff. SGB II oder infolge einer Entscheidung nach § 66 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) im Sinne einer Versagung oder Entziehung einer Leistung, ist es den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft, sofern sie – wie hier – im Außenverhältnis allein für die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung haften, nicht zumutbar, die nicht gedeckten Kosten aus ihrer Regelleistung zu bestreiten oder gar eine Verschuldung mit dem Risiko des Verlustes der Wohnung hinzunehmen.
Eine Versagung nach § 66 SGB I richtet sich allein an den seine Mitwirkung Verweigernden. Eine Mithaftung Dritter, sei diese auch nur mittelbar, ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Auch das Argument des Beklagten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Durchbrechung des Kopfteilprinzips im Falle von Sanktionsentscheidungen sei hier nicht übertragbar, da ohne die Mitwirkung des Sohnes nicht festgestellt werden könne, ob die Kläger überhaupt hilfebedürftig sind, überzeugt hier nicht. Wenn das Einkommen des Sohnes seine Hilfebedürftigkeit entfallen lässt, so ist er wegen § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Hilfebedürftigkeit der Kläger entfällt deswegen in diesem Fall nicht.
c) Mithin ergibt sich für die Monate Oktober und November 2010 ein Anspruch der Kläger auf Kosten der Unterkunft und Heizung von je 241,68 EUR bei Berücksichtigung einer Warmwasserpauschale von je 5,82 EUR monatlich. Im Dezember 2010 ergibt sich ein Anspruch von insgesamt je 256,68 EUR und für Januar und Februar von je 262,50 EUR. Unter Berücksichtigung der bereits bewilligten Leistungen ergeben sich monatliche Mehransprüche für den Kläger zu 1 für die Monate Oktober und November 2010 in Höhe von je 77,37 EUR, für Dezember 2010 in Höhe von 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 in Höhe von je 88,34 EUR. Für die Klägerin zu 2 ergeben sich Ansprüche auf weitere Leistungen für die Monate Oktober und November 2010 in Höhe von je 77,38 EUR, für Dezember 2010 in Höhe von 83,21 EUR und für die Monate Januar und Februar 2011 in Höhe von je 88,33 EUR.
3. Die Kostentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
4. Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob in Haushaltsgemeinschaften vom Kopfteilprinzip abzuweichen ist, wenn in Folge einer Versagung oder aus einem sonstigen Grund einem Mitglied der Haushaltgemeinschaft keine Leistungen nach dem SGB II erbracht werden, hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.
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