L 8 AL 73/15 B KO

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 28 SF 676/14 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 73/15 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Abhilfe außerhalb des gerichtlichen Verfahrens (sog. Klaglosstellung) und die bloße Übersendung des abhelfenden Bescheides an das Gericht ist kein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG und löst damit keine fiktive Terminsgebühr aus.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. März 2015 wird zurückgewiesen.

II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwaltes.

Der Kläger führte – anwaltlich durch die Beschwerdeführerin vertreten – vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) das Klageverfahren S 28 AL 1015/13. Für dieses Verfahren bewilligte das SG dem Kläger mit Beschluss vom 18.02.2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Beschwerdeführerin. Am 25.02.2014 setzte die Urkundsbeamtin des SG den der Beschwerdeführerin zu zahlenden Vorschuss auf 339,15 EUR fest. Streitig war im Verfahren, ob im Zeitraum vom 01.10.2013 bis 23.12.2013 eine Sperrzeit eingetreten war und deswegen der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht. Mit Änderungsbescheid vom 17.03.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 01.10.2013 Arbeitslosengeld bis 30.03.2014. Mit Schriftsatz vom 16.04.2014 erklärte die Bevollmächtigte des Klägers die Annahme des aus ihrer Sicht konkludent abgegebenen Anerkenntnisses und den Rechtstreites insgesamt für erledigt.

Mit Schriftsatz vom 07.05.2014 beantragte die Beschwerdeführerin, ihre aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) für das Klageverfahren S 28 AL 1015/13 wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG 270,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Anrechnung Beratungshilfe -35,00 EUR Zwischensumme netto 555,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 105,45 EUR Summe brutto 660,45 EUR Gesamtbetrag 321,30 EUR Hiervon brachte sie den erhaltenen Vorschuss von 339,15 EUR in Abzug. Sie teilte ferner mit, am 30.01.2014 Beratungshilfe in Höhe von 41,63 EUR erhalten zu haben.

Mit Beschluss vom 01.08.2014 setzte die Urkundsbeamtin des SG die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Klageverfahren auf insgesamt 339,15 EUR wie folgt fest: Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Anrechnung Beratungshilfe nach Nr. 2501 VV -35,00 EUR Zwischensumme netto 285,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 54,15 EUR Gesamtsumme 339,15 EUR

Die gegen die Festsetzung gerichtete Erinnerung der Beschwerdeführerin blieb erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts vom 12.03.2015).

Gegen den am 17.03.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 26.03.2015. Eine fiktive Terminsgebühr sei angefallen. Die Beklagte habe mit Erlass des Bescheides vom 17.03.2014 ein konkludentes Anerkenntnis abgegeben, welches von der Klägerin angenommen worden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des PKH-Beiheftes sowie die Akten des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, über die - da die angefochtene Entscheidung vom Kammervorsitzenden des Sozialgericht erlassen wurde - der Einzelrichter entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG) ist unbegründet.

Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Vergütung.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG richtet sich die Höhe der Vergütung nach den Bestimmungen des VV RVG, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Grundsätzlich ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige Gebühr im Sinne des RVG. Die Mittelgebühr ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt; sie gilt damit in "Normalfällen" als billige Gebühr (BSG, Urteil vom 09.12.2010 – B 13 R 63/09 R – juris RdNr. 35 m.w.N.). Jedes in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannte Bemessungskriterium kann indes Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt abweicht (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 14 RdNr. 10).

Unter Berücksichtigung dessen ist die Vergütungsfestsetzung nicht zu beanstanden.

Eine (fiktive) Terminsgebühr, die in Verfahren vor den Sozialgerichten nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG entstehen kann, wenn das Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis endet (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 3 RdNr. 57 m.w.N.), ist nicht angefallen.

Ein die Gebühr auslösendes angenommenes Anerkenntnis liegt nicht vor.

Ein Anerkenntnis ist das im Wege einseitiger Erklärung abgegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 101 Rn. 20). Es muss als Prozesshandlung gegenüber dem Gericht abgegeben werden. Dies kann in einem Schriftsatz, zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll des Gerichts (§ 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) erfolgen. Die Erklärung muss stets durch den unbedingten Bindungswillen des Anerkennenden gekennzeichnet sein, und zwar auch für den Fall, dass das Anerkenntnis nicht angenommen wird. Erforderlich ist, dass sich ein darauf gerichteter Wille hinreichend deutlich aus dem gesamten Inhalt der Äußerung und aus dem Zusammenhang, in dem sie steht, ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 16/09 R –, m.w.N., juris).

Eine solche ausdrückliche Prozesserklärung hat die Beklagte gegenüber dem SG nicht abgegeben. Sie hat lediglich mit Schriftsatz vom 24.03.2014 den bereits am 17.03.2014 erlassenen und direkt gegenüber der Beschwerdeführerin bekanntgegebenen Änderungsbescheid übersandt.

Hierin ist auch kein konkludentes Anerkenntnis der Beklagten zu sehen. Weder der Erlass des Abhilfebescheides noch die Mitteilung der Beklagten hierüber an das Gericht stellt ein solches dar (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 18.12.2015 – L 1 KR 54/15 –, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.11.2014 - L 32 AS 1145/14 B –, juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.10.2013 - L 8 AS 1254/12 B KO-, juris). Stellt die Beklagte den Kläger durch Erfüllung des streitbefangenen Klaganspruchs außerhalb des gerichtlichen Verfahrens klaglos, hat dies noch keinen unmittelbaren Einfluss auf das gerichtliche Verfahren selbst. Die Klaglosstellung ist vielmehr lediglich ein Ereignis, durch das die Hauptsache erledigt und damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Weiterverfolgung des Anspruchs entfallen ist (vgl. Hauck in Henning, SGG, Stand Februar 2017, § 101 SGG RdNr. 46). Daher kann auch die durch einen Prozessbeteiligten erfolgte schlichte Information des Gerichts über eine außergerichtliche Abhilfe oder Erfüllung keine Prozesserklärung im Sinne eines Anerkenntnisses sein (A. in Roos/Wahrendorf, SGG, § 101 RdNr. 38). Hinzu kommt, dass der Abhilfebescheid unmittelbar nur gegenüber dem Kläger beziehungsweise der Beschwerdeführerin als seine Bevollmächtigte erteilt worden ist und nicht - wie es Voraussetzung einer Prozesshandlung wäre - gegenüber dem Gericht. Soweit die Beklagte den Kläger aufforderte zu erklären, ob damit der Rechtstreit in der Hauptsache erledigt ist, hat sie lediglich in den Raum gestellt, dass aus ihrer Sicht der Kläger an einer weiteren gerichtlichen Geltendmachung seines Begehrens kein Interesse mehr haben dürfte. Schließlich bezieht sich die Erklärung der Beklagten, die Kosten des Verfahrens dem Grunde nach zu übernehmen, allein auf diese und kann somit nicht auch als Anerkenntnis in der Hauptsache ausgelegt werden. Gerade dieses ist nicht erklärt worden. Ein weitergehender Erklärungsgehalt kann dem Schreiben vom 24.03.2017 nicht entnommen werden.

Gegen die von der Beschwerdeführerin bevorzugte großzügige Auslegung spricht auch, dass ein nicht angenommenes Anerkenntnis eine wirksame Prozesserklärung bleibt, wenngleich es als solches den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt. Dennoch bindet dieses dem Gericht erklärte Anerkenntnis auch ohne seine Annahme den Erklärenden. Dementsprechend hat auch im sozialgerichtlichen Verfahren auf ein nicht angenommenes Anerkenntnis ein Anerkenntnisurteil (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 307 ZPO) zu ergehen (vgl. BSG, Urteil vom 06.05. 2010 – B 13 R 16/09 R –, m.w.N., juris). Gerade vor diesem Hintergrund sind an das Vorliegen eines Anerkenntnisses im prozessualen Sinne strenge Maßstäbe stellen. Denn es kann schwerlich unterstellt werden, dass eine Behörde, die gerade zur Vermeidung einer Verurteilung dem klägerischen Begehr durch Erlass der begehrten Entscheidung nachkommt und damit der Klage die Grundlage entzieht, eine Verurteilung im Wegen eines Anerkenntnisurteils in Kauf nehmen will, falls der Kläger gleichwohl an der Klage festhält. Vielmehr bedient sie sich der prozessualen Möglichkeit, durch vorbehaltlose Erfüllung des Klageanspruchs ein Erledigungsereignis (Wegfall des Rechtschutzbedürfnisses) zu schaffen. Letztlich gebietet auch der Umstand, dass das angenommene Anerkenntnis nach § 199 SGG einen vollstreckbaren Titel darstellt, strenge Maßstäbe an das Vorliegen eines konkludent erklärten Anerkenntnisses anzulegen.

Die anderslautende Auffassung, wonach ein Anerkenntnis bereits dann vorliegt, wenn dem Klagbegehren durch die Behörde vollständig entsprochen wird, da lediglich darauf abzustellen sei, dass dem Klagebegehren im Ergebnis nachgekommen worden sei, und anderenfalls gesetzlich vorgesehene Gebührentatbestände durch irreguläre Prozesserklärungen unterlaufen werden könnten (vgl. SG Hildesheim, Beschluss vom 17.05.2006 – S 12 SF 18/06 –, juris), überzeugt nicht. Denn die Frage, ob einem prozessualen Verhalten der Erklärungswert einer Prozesshandlung eines bestimmten Inhaltes zukommt (hier die bloße Übersendung eines Bescheides als prozessuales Anerkenntnis) beantwortet sich nicht danach, ob und ggf. welche Gebühren für den vertretenden Rechtsanwalt bei dem einen oder anderen Verständnis anfallen. Vielmehr entstehen die Gebühren nach dem VV RVG erst dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen.

Die Terminsgebühr setzt neben einer Annahmeerklärung voraus, dass ein ausdrückliches Anerkenntnis erklärt wird, oder ein prozessuales Verhalten vorliegt, dem der Erklärungswert eines Anerkenntnisses zukommt. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Dass sich die Beklagte eines von der Prozessordnung vorgesehenen Verhaltens bedient, um der Klage die Grundlage zu entziehen, kann ihr dabei nicht als irreguläres Verhalten vorgeworfen werden.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Schurigt Richter am Landessozialgericht
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