Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 1170/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 860/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 28.04.2017 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, L, bewilligt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Die 1981 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre beiden 2003 und 2004 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 2) und 3), sind bulgarische Staatsangehörige. Sie leben seit dem 24.04.2013 in der BRD. Aufgrund einer ordnungsbehördlichen Einweisung der Stadt L (zuletzt vom 03.03.2017 bis zum 02.09.2017) bewohnen sie eine Wohnung in L.
Die Antragstellerin zu 1) arbeitete vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2015 als Verkäuferin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 8 Stunden zu einem Bruttoarbeitslohn von 250 Euro. Sie ist seit dem 19.03.2015 schwerbehindert mit einem GdB von 50 und leidet an einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (Verordnung zur notfallmäßigen Krankenhausbehandlung vom 06.02.2017). Der am 00.00.2003 geborene Antragsteller zu 2) besucht zurzeit die Klasse 7 der Realschule, die am 00.00.2004 geborene Antragstellerin zu 3) die Klasse 5) der Hauptschule; sie werden die bereits im Jahre 2014 aufgenommene Schulausbildung voraussichtlich im Sommer 2019 bzw. 2022 beendet haben.
Ab dem 01.11.2014 bezogen die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II, weil der Antragsgegner zunächst den Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1), später ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen (Schulausbildung der Antragsteller zu 2) und 3) gem. Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011) annahm. Mit Bescheid vom 18.02.2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 06.12.2016 und 14.12.2016 bewilligte der Antragsgegner Leistungen bis zum 28.02.2017. Dabei berücksichtigte er die bulgarische Waisenrente der Antragstellerin zu 3) (54 EUR), die bulgarische Sozialrente für Behinderung der Antragstellerin zu 1) (70 EUR) und das Kindergeld für die Antragsteller zu 2) und 3) als Einkommen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 19.01.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.02.2017 die Gewährung weiterer Leistungen nach dem SGB II ab. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gelte seit dem 29.12.2016 ein Leistungsausschluss für Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht (ggf. neben dem Zweck der Arbeitsuche) auch aus Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011 ableiteten. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller mit Schreiben vom 09.03.2017 Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Am 22.03.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln (SG) gestellt. Sie sind der Auffassung, der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet und auch nicht mit Völkerrecht vereinbar.
Mit Beschluss vom 28.04.2017 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit ab 22.03.2017 bis einschließlich August 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes monatlich in Höhe der gemäß Bescheid vom 14.12.2016 für den Monat Februar 2017 zuerkannten Leistungen zu zahlen, wobei Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (285,00 Euro) nicht zu erbringen seien. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren sei nicht möglich und deswegen im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Zwar sei nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin zu 1) über ein eigenes Aufenthaltsrecht verfüge, weshalb sie dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung des Gesetzes unterfallen dürfte. Es spreche aber mehr dafür als dagegen, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund des Schulbesuchs ihrer Kinder ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011 herleiten könne. Soweit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung auch für Personen, die ein derartiges Aufenthaltsrecht innehätten, Leistungen nach dem SGB II ausschließe, hege die Kammer erhebliche Zweifel, ob diese Vorschrift europarechtskonform sei, da das diesbezügliche Aufenthaltsrecht gerade nicht von ausreichenden Existenzmitteln abhängig gemacht werden solle. Im Rahmen der Folgenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsteller sich seit ca. vier Jahren in Deutschland aufhielten, sich der Schulbesuch der schulpflichtigen Kinder daher langjährig verfestigt habe und angesichts der offenbar erheblichen psychischen Erkrankung der Antragstellerin zu 1) es eher unwahrscheinlich sei, dass diese gegenwärtig gesundheitlich überhaupt in der Lage sei, nach Bulgarien zurückzukehren. Die Leistungsverpflichtung des Antragsgegners beschränke sich auf den Regelbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung seien nicht zu erbringen. Insofern fehle es am Anordnungsgrund. Die Antragsteller nutzten die von ihnen bewohnte Wohnung aufgrund einer ordnungsbehördlichen Einweisung. Sie seien daher nicht zur Zahlung eines Mietzinses verpflichtet, vielmehr habe der Eigentümer auf Grundlage von § 39 OBG NW Anspruch auf Ersatz des Schadens gegenüber der Ordnungsbehörde, sofern die Antragsteller die Nutzungsentschädigung nicht zahlten.
Der Antragsgegner hat dagegen am 02.05.2017 mit der Begründung Beschwerde eingelegt, es bestünden keinerlei Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Europarechtswidrigkeit des neugefassten § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II und sich zur Begründung auf eine Entscheidung des 19. Senats des LSG NRW (L 19 AS 190/17 B ER) gestützt. Der vom Antragsgegner gleichzeitig eingereichte Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG vom 28.04.2017 einstweilen auszusetzen, ist mit Beschluss vom 18.05.2017 abgelehnt worden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 28.04.2017 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarfe) an die Antragsteller zu zahlen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu Alter, Erwerbsfähigkeit, gewöhnlichem Aufenthalt und Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II) sind - dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig - für die Antragstellerin zu 1) gegeben. Für den Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 2) und 3) gilt: Sie sind nicht erwerbsfähig, haben aber gem. § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welchen Kindergeld und Halbwaisenrente gem. § 11 Abs. 1 SGB II anzurechnen ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind die Antragsteller nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Der allein hier in Betracht kommende Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II greift nicht. Die Voraussetzungen der Bestimmung, wonach Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, 1) (VO 492/2011), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, 1) geändert worden ist, ableiten, sowie deren Familienangehörige aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sind zwar erfüllt. Denn die Antragsteller zu 2) und 3) besitzen - davon geht auch der Antragsgegner aus - ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011. Der Antragsteller zu 2) besucht derzeit die Klasse 7 der Realschule, die Antragstellerin zu 3) die Klasse 5 der Hauptschule. Mit der Schulausbildung haben die Antragsteller zu 2) und 3) bereits begonnen, als die Antragstellerin zu 1) selbst noch Arbeitnehmerin war. Damit besitzt die Antragstellerin zu 1) ebenfalls ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht, da die 13 bzw. 14 Jahre alten Antragsteller zu 2) und 3) ohne die sorgeberechtigte Mutter ihr Aufenthaltsrecht nicht umsetzen könnten (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - juris Rn. 31 unter Verweis auf EuGH Urteil vom 08.05.2013 - Rs C-529/11).
Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13). Hier folgt er aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004).
Die Verordnung (EG) 883/2004, die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ersetzt, ist am 01.05.2010 in Kraft getreten (s. Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO (EG) 987/2009). Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf; nach dessen Abs. 2 können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden (s. auch BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 - 2 BvR 2261/06 - RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Die Antragstellerin zu 1) unterfällt nach Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Dieser ist gegenüber dem der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und deren Angehörige beschränkt ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71) (vgl. Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werden die Antragsteller bereits als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Bulgarien), die ihren Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) haben, für die die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und die - wie hier über die Kindergeldberechtigung - in ein Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem iSd Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eingebunden sind.
Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung nach dem SGB II fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Die Vorschriften des SGB II gehören zumindest insoweit zu den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 3 VO (EG) 883/2004.
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die VO gilt und sofern in dieser VO nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs (st.Rspr. des EuGH seit Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt (s auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5).
Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich nach Wortlaut und Sachzusammenhang auf den zuvor in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Danach gilt die Schrankenregelung nur für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ". Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG und der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG setzt ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER; LSG SH Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; EuGH Urteil vom 25.02.2016 - C-299/14 - Garcia-Nieto - juris Rn. 40 mit Verweis auf das Urteil vom 15.09.2015 - C 67/14 - Alimanovic - juris Rn. 51 die Vorlagefragen hier bezogen sich allein auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im Sinne der RL 2004/38/EG).
Art. 10 VO (EU) 492/2011 begründet aber ein von den in Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken. Auch diese Bestimmung gilt ohne nationalen Umsetzungsakt unmittelbar im jeweiligen Mitgliedstaat (s LSG aaO mit eingehender Begründung unter Bezugnahme auf EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; EuGH, Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim zur Vorgängerregelung Art. 12 VO (EWG) 1612/68). Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass ausreichend Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz zur Verfügung stehen. Der Zugang zur Ausbildung ist sogar in dem Sinne umfassend auszulegen, dass auch die finanziellen Ressourcen umfasst sind, die benötigt werden, um die Ausbildung abzuschließen, ansonsten das gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere laufen würde (LSG SH aaO; vgl. EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim).
Verstößt danach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II bei Erfüllung der Voraussetzungen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 ist die Vorschrift in ihren diskriminierenden Auswirkungen (Leistungsausschluss) nicht anwendbar; es verbleibt bei dem Leistungsanspruch, dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht sind (vgl. EuGH Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Antragstellern drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht. Dies gilt in noch einmal verstärktem Maße, da die Antragstellerin zu 1) offenbar erheblich psychisch erkrankt ist und im Besonderen der Gewährung von existenznotwendigen und gesundheitsrelevanten Leistungen bedarf.
Den Antragstellern war gemäß § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. §§ 114 S. 1, 119 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens - ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Die 1981 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre beiden 2003 und 2004 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 2) und 3), sind bulgarische Staatsangehörige. Sie leben seit dem 24.04.2013 in der BRD. Aufgrund einer ordnungsbehördlichen Einweisung der Stadt L (zuletzt vom 03.03.2017 bis zum 02.09.2017) bewohnen sie eine Wohnung in L.
Die Antragstellerin zu 1) arbeitete vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2015 als Verkäuferin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 8 Stunden zu einem Bruttoarbeitslohn von 250 Euro. Sie ist seit dem 19.03.2015 schwerbehindert mit einem GdB von 50 und leidet an einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (Verordnung zur notfallmäßigen Krankenhausbehandlung vom 06.02.2017). Der am 00.00.2003 geborene Antragsteller zu 2) besucht zurzeit die Klasse 7 der Realschule, die am 00.00.2004 geborene Antragstellerin zu 3) die Klasse 5) der Hauptschule; sie werden die bereits im Jahre 2014 aufgenommene Schulausbildung voraussichtlich im Sommer 2019 bzw. 2022 beendet haben.
Ab dem 01.11.2014 bezogen die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II, weil der Antragsgegner zunächst den Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1), später ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen (Schulausbildung der Antragsteller zu 2) und 3) gem. Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011) annahm. Mit Bescheid vom 18.02.2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 06.12.2016 und 14.12.2016 bewilligte der Antragsgegner Leistungen bis zum 28.02.2017. Dabei berücksichtigte er die bulgarische Waisenrente der Antragstellerin zu 3) (54 EUR), die bulgarische Sozialrente für Behinderung der Antragstellerin zu 1) (70 EUR) und das Kindergeld für die Antragsteller zu 2) und 3) als Einkommen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 19.01.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.02.2017 die Gewährung weiterer Leistungen nach dem SGB II ab. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gelte seit dem 29.12.2016 ein Leistungsausschluss für Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht (ggf. neben dem Zweck der Arbeitsuche) auch aus Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011 ableiteten. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller mit Schreiben vom 09.03.2017 Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Am 22.03.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln (SG) gestellt. Sie sind der Auffassung, der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet und auch nicht mit Völkerrecht vereinbar.
Mit Beschluss vom 28.04.2017 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit ab 22.03.2017 bis einschließlich August 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes monatlich in Höhe der gemäß Bescheid vom 14.12.2016 für den Monat Februar 2017 zuerkannten Leistungen zu zahlen, wobei Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (285,00 Euro) nicht zu erbringen seien. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren sei nicht möglich und deswegen im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Zwar sei nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin zu 1) über ein eigenes Aufenthaltsrecht verfüge, weshalb sie dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung des Gesetzes unterfallen dürfte. Es spreche aber mehr dafür als dagegen, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund des Schulbesuchs ihrer Kinder ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der EU-Verordnung 492/2011 herleiten könne. Soweit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung auch für Personen, die ein derartiges Aufenthaltsrecht innehätten, Leistungen nach dem SGB II ausschließe, hege die Kammer erhebliche Zweifel, ob diese Vorschrift europarechtskonform sei, da das diesbezügliche Aufenthaltsrecht gerade nicht von ausreichenden Existenzmitteln abhängig gemacht werden solle. Im Rahmen der Folgenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsteller sich seit ca. vier Jahren in Deutschland aufhielten, sich der Schulbesuch der schulpflichtigen Kinder daher langjährig verfestigt habe und angesichts der offenbar erheblichen psychischen Erkrankung der Antragstellerin zu 1) es eher unwahrscheinlich sei, dass diese gegenwärtig gesundheitlich überhaupt in der Lage sei, nach Bulgarien zurückzukehren. Die Leistungsverpflichtung des Antragsgegners beschränke sich auf den Regelbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung seien nicht zu erbringen. Insofern fehle es am Anordnungsgrund. Die Antragsteller nutzten die von ihnen bewohnte Wohnung aufgrund einer ordnungsbehördlichen Einweisung. Sie seien daher nicht zur Zahlung eines Mietzinses verpflichtet, vielmehr habe der Eigentümer auf Grundlage von § 39 OBG NW Anspruch auf Ersatz des Schadens gegenüber der Ordnungsbehörde, sofern die Antragsteller die Nutzungsentschädigung nicht zahlten.
Der Antragsgegner hat dagegen am 02.05.2017 mit der Begründung Beschwerde eingelegt, es bestünden keinerlei Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Europarechtswidrigkeit des neugefassten § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II und sich zur Begründung auf eine Entscheidung des 19. Senats des LSG NRW (L 19 AS 190/17 B ER) gestützt. Der vom Antragsgegner gleichzeitig eingereichte Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG vom 28.04.2017 einstweilen auszusetzen, ist mit Beschluss vom 18.05.2017 abgelehnt worden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 28.04.2017 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarfe) an die Antragsteller zu zahlen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu Alter, Erwerbsfähigkeit, gewöhnlichem Aufenthalt und Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II) sind - dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig - für die Antragstellerin zu 1) gegeben. Für den Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 2) und 3) gilt: Sie sind nicht erwerbsfähig, haben aber gem. § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welchen Kindergeld und Halbwaisenrente gem. § 11 Abs. 1 SGB II anzurechnen ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind die Antragsteller nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Der allein hier in Betracht kommende Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II greift nicht. Die Voraussetzungen der Bestimmung, wonach Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, 1) (VO 492/2011), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, 1) geändert worden ist, ableiten, sowie deren Familienangehörige aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sind zwar erfüllt. Denn die Antragsteller zu 2) und 3) besitzen - davon geht auch der Antragsgegner aus - ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011. Der Antragsteller zu 2) besucht derzeit die Klasse 7 der Realschule, die Antragstellerin zu 3) die Klasse 5 der Hauptschule. Mit der Schulausbildung haben die Antragsteller zu 2) und 3) bereits begonnen, als die Antragstellerin zu 1) selbst noch Arbeitnehmerin war. Damit besitzt die Antragstellerin zu 1) ebenfalls ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht, da die 13 bzw. 14 Jahre alten Antragsteller zu 2) und 3) ohne die sorgeberechtigte Mutter ihr Aufenthaltsrecht nicht umsetzen könnten (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - juris Rn. 31 unter Verweis auf EuGH Urteil vom 08.05.2013 - Rs C-529/11).
Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13). Hier folgt er aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004).
Die Verordnung (EG) 883/2004, die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ersetzt, ist am 01.05.2010 in Kraft getreten (s. Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO (EG) 987/2009). Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf; nach dessen Abs. 2 können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden (s. auch BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 - 2 BvR 2261/06 - RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Die Antragstellerin zu 1) unterfällt nach Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Dieser ist gegenüber dem der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und deren Angehörige beschränkt ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71) (vgl. Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werden die Antragsteller bereits als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Bulgarien), die ihren Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) haben, für die die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und die - wie hier über die Kindergeldberechtigung - in ein Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem iSd Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eingebunden sind.
Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung nach dem SGB II fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Die Vorschriften des SGB II gehören zumindest insoweit zu den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 3 VO (EG) 883/2004.
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die VO gilt und sofern in dieser VO nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs (st.Rspr. des EuGH seit Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt (s auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5).
Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich nach Wortlaut und Sachzusammenhang auf den zuvor in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Danach gilt die Schrankenregelung nur für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ". Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG und der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG setzt ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER; LSG SH Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; EuGH Urteil vom 25.02.2016 - C-299/14 - Garcia-Nieto - juris Rn. 40 mit Verweis auf das Urteil vom 15.09.2015 - C 67/14 - Alimanovic - juris Rn. 51 die Vorlagefragen hier bezogen sich allein auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im Sinne der RL 2004/38/EG).
Art. 10 VO (EU) 492/2011 begründet aber ein von den in Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken. Auch diese Bestimmung gilt ohne nationalen Umsetzungsakt unmittelbar im jeweiligen Mitgliedstaat (s LSG aaO mit eingehender Begründung unter Bezugnahme auf EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; EuGH, Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim zur Vorgängerregelung Art. 12 VO (EWG) 1612/68). Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass ausreichend Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz zur Verfügung stehen. Der Zugang zur Ausbildung ist sogar in dem Sinne umfassend auszulegen, dass auch die finanziellen Ressourcen umfasst sind, die benötigt werden, um die Ausbildung abzuschließen, ansonsten das gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere laufen würde (LSG SH aaO; vgl. EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim).
Verstößt danach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II bei Erfüllung der Voraussetzungen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 ist die Vorschrift in ihren diskriminierenden Auswirkungen (Leistungsausschluss) nicht anwendbar; es verbleibt bei dem Leistungsanspruch, dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht sind (vgl. EuGH Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Antragstellern drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht. Dies gilt in noch einmal verstärktem Maße, da die Antragstellerin zu 1) offenbar erheblich psychisch erkrankt ist und im Besonderen der Gewährung von existenznotwendigen und gesundheitsrelevanten Leistungen bedarf.
Den Antragstellern war gemäß § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. §§ 114 S. 1, 119 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens - ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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