Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 1670/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1256/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.05.2017 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beschwerdeführern für die Zeit vom 28.04.2017 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis 28.04.2018, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Form des Regelbedarfes in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer in beiden Rechtszügen. Den Beschwerdeführern wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, L, bewilligt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) (im Folgenden auch Beschwerdeführer) begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Die Antragstellerin zu 1), ihr Ehemann, der Antragsteller zu 2) und ihre drei 1995, 2002 und 2005 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 5), sind spanische Staatsangehörige und bewohnen gemeinsam eine 58 qm große Wohnung in L. Die Antragsteller zu 1), 3), 4) und 5) leben seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Antragsteller zu 2) ist erstmals Ende Mai 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zwischenzeitlich lebte er seit Januar 2015 in Spanien und hält sich seit dem 01.02.2017 wieder dauerhaft in Deutschland auf.
Der Antragsteller zu 2) arbeitete vom 23.07.2013 bis zum 28.02.2014 bei der Firma U zu einem monatlichen Bruttolohn von 594,00 Euro. Das Arbeitsverhältnis endete mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Bis zu seiner Eigenkündigung arbeitete der Antragsteller zu 2) zudem vom 15.09.2012 bis zum 31.07.2013 für die Bauunternehmung L zu einem Bruttolohn von 550,00 Euro monatlich. Der Antragsteller zu 2) bezieht eine spanische Invalidenrente in Höhe von monatlich 887,00 Euro. Die Antragsteller beziehen zudem Kindergeld. Die Antragstellerin zu 3), die keine Beschwerde erhoben hat, ist zu einem Bruttolohn von 660,00 Euro monatlich beschäftigt.
Der am 00.00.2002 geborene Antragsteller zu 4) besuchte seit dem 13.11.2013 bis zum 01.02.2015 das I-Gymnasium in L und seitdem laufend die F-Realschule in L. Die Antragstellerin zu 5) besuchte vom 22.03.2013 bis zum 08.07.2016 die Grundschule und besucht laufend die U-Realschule in L.
Bis zum 31.01.2017 bezogen die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 03.01.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.01.2017 die Gewährung weiterer Leistungen nach dem SGB II ab. Am 24.03.2017 stellten die Antragsteller (Familie C) erneut einen formlosen Antrag auf Leistungen beim Antragsgegner und beantragten am 11.04.2017 die Überprüfung des Bescheids vom 10.01.2017. Den Antrag vom 24.03.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 31.03.2017 ab. Den Antragsteller zu 1), 3), 4) und 5) stünde kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu, da sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zur Arbeitssuche hätten. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller am 21.04.2017 Widerspruch ein.
Am 28.04.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln (SG) gestellt. Sie sind der Auffassung, der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet und auch nicht mit Völkerrecht vereinbar.
Mit Beschluss vom 17.05.2017 hat das SG den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller zu 2) habe schon keinen Antrag beim Antragsgegner gestellt. Für die Antragstellerin zu 3) komme die Gewährung von Leistungen schon deswegen nicht in Betracht, da sie aufgrund ihres Einkommens nicht hilfebedürftig sei.
Die übrigen Antragsteller seien nach der im gerichtlichen Eilverfahren in der Regel allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Antragsteller könnten sich nicht auf ein Daueraufenthaltsrecht berufen, da sie sich keine fünf Jahre im Bundesgebiet aufhielten. Die Antragsteller zu 4) und 5) hätten auch kein Freizügigkeitsrecht als begleitende oder nachziehende Familienangehörige. Die Kammer könne vorliegend offenlassen, ob die Beschäftigungszeiten des Antragstellers zu 2) in Deutschland getrennt zu beurteilen oder zusammenzurechnen sei. Ein Aufenthaltsrecht scheitere vorliegend bereits daran, dass dieses längstens bis zu zwei Jahre nach der Beendigung der Tätigkeit fortwirke. Der Antragsteller zu 2) sei letztmalig am 28.02.2014 in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätig gewesen.
Auch eigene Aufenthaltsrechte der Antragsteller gemäß § 3 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU schieden aus. Nach dieser Vorschrift behielten die Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers und der Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich ausübe, auch nach dem Tod oder Wegzug des Unionsbürgers, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiteten, bis zum Abschluss einer Ausbildung ihr Aufenthaltsrecht, wenn sich die Kinder im Bundesgebiet aufhielten und eine Ausbildungseinrichtung besuchten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes auf Fälle des Todes oder Wegzuges beschränkt. Vorliegend habe sich der Antragsteller zu 2) zwar von Januar 2015 bis Anfang Februar 2017 nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Er sei jedoch wieder zurückgekehrt und lebe nun wieder mit seinen Kindern in Deutschland. Der Wegfall des Aufenthaltsrechts sei daher nicht aufgrund des Wegzugs begründet, sondern weil ein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU nur bis Februar 2016 fortwirken konnte.
Es sei nicht ersichtlich, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 4) und 5) unmittelbar aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 abzuleiten wäre. Der Beginn des Schulbesuchs müsse vor der Beendigung einer Arbeitnehmertätigkeit des Unionsbürgers erfolgt sein. Dass die Antragsteller zu 4) und 5) bereits die Schule besuchten als der Antragsteller noch erwerbstätig gewesen sei (also bis Februar 2014), sei jedoch von den Antragstellern weder vorgetragen, noch ergäben sich Anhaltspunkte hierfür aus der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Antragsgegners.
Ein Anspruch gegenüber der Stadt L scheide gleichermaßen aus. Der Gesetzgeber habe in § 23 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der seit 29.12.2016 geltenden Fassung einen zum SGB II identischen Anspruchsausschluss formuliert. Die Kammer habe auch keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Anspruchsausschlüsse im SGB II und SGB XII.
Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) haben dagegen am 13.06.2017 mit der Begründung Beschwerde eingelegt, der Antragsteller zu 2) habe nach seiner erneuten Einreise zum 01.02.2017 einen neuen Leistungsantrag gestellt. Dies ergebe sich aus dem Antragsschreiben vom 23.03.2017 sowie dem Mitwirkungsschreiben des Antragsgegners vom 24.04.2017, welches sich ausdrücklich auf den Leistungsanspruch des Antragstellers zu 2) beziehe und von einer Veränderungsmitteilung ausgehe. Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) seien nicht von Leistungen ausgeschlossen. Der Antragsteller zu 2) sei bereits länger als zwölf Monate im Bundesgebiet beschäftigt gewesen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei der Erhalt des Erwerbsstatus nicht auf zwei Jahre befristet. Jedenfalls hätten die Antragsteller zu 1), 4) und 5) aber ein Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgrund des Wegzugs des Antragstellers zu 2). Dieses ende nicht dadurch, dass der Antragsteller zu 2) in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Selbst wenn die Antragsteller nur über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügen würden, wäre ein Leistungsausschluss nicht zu rechtfertigen, da ein solcher weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet noch mit Völkerrecht zu vereinbaren sei
Die Beschwerdeführer beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.05.2017 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Beschwerdeführen Leistungen in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren,
hilfsweise, die Stadt L beizuladen und im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Beschwerdeführern Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des 3. Kapitels SGB XII (ohne Kosten der Unterkunft) zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) (Beschwerdeführer) ist begründet. Der Antragsgegner ist verpflichtet, vorläufige Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarfe) an die Beschwerdeführer unter Anrechnung des Einkommens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO-). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Die Beschwerdeführer haben den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund ab Stellung des Eilantrages beim SG am 28.04.2017 bis 28.04.2018 glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu Alter, Erwerbsfähigkeit, gewöhnlichem Aufenthalt und Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1, § 9 SGB II) sind - soweit dies im Rahmen der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ersichtlich ist - hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und 2) gegeben. Der Senat geht im Rahmen der summarischen Prüfung - ebenso wie wohl der Antragsgegner (siehe Schreiben vom 24.04.2017) auch - davon aus, dass auch der Antragsteller zu 2) einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hat.
Entgegen der Meinung des SG sind die Antragsteller zu 1) und 2) nicht von SGB II-Leistungen ausgeschlossen.
Der allein hier in Betracht kommende Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II greift nicht. Die Voraussetzungen der Bestimmung, wonach Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b) aus Art. 10 der VO (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, 1) (VO 492/2011), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, 1) geändert worden ist, ableiten, sowie deren Familienangehörige aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sind zwar erfüllt. Denn die Antragsteller zu 4) und 5) besitzen ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011. Sie besuchen derzeit die Realschule. Mit der Schulausbildung hatten die Antragsteller zu 4) und 5) bereits begonnen, als der Antragsteller zu 2) selbst noch Arbeitnehmer war. Damit besitzen die Antragsteller zu 1) und 2) ebenfalls ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht, da die 15 bzw. 12 Jahre alten Antragsteller zu 4) und 5) ohne die sorgeberechtigten Eltern ihr Aufenthaltsrecht nicht umsetzen könnten (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - juris Rn. 31 unter Verweis auf EuGH Urteil vom 08.05.2013 - Rs C-529/11).
Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13). Hier folgt er aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004).
Die Verordnung (EG) 883/2004, die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ersetzt, ist am 01.05.2010 in Kraft getreten (s. Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO (EG) 987/2009). Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf; nach dessen Abs. 2 können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden (s. auch BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 - 2 BvR 2261/06 - RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Die Antragsteller zu 1) und 2) unterfallen nach Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Dieser ist gegenüber dem der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und deren Angehörige beschränkt ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71) (vgl. Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werden die Antragsteller bereits als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Spanien), die ihren Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) haben, für die die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und die - wie hier über die Kindergeldberechtigung - in ein Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem iSd Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eingebunden sind.
Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung nach dem SGB II fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Die Vorschriften des SGB II gehören zumindest insoweit zu den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 3 VO (EG) 883/2004.
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die Verordnung gilt und sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs (st.Rspr. des EuGH seit Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt (s auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5).
Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich nach Wortlaut und Sachzusammenhang auf den zuvor in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Danach gilt die Schrankenregelung nur für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ". Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG und der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG setzt ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER; LSG SH Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; EuGH Urteil vom 25.02.2016 - C-299/14 - Garcia-Nieto - juris Rn. 40 mit Verweis auf das Urteil vom 15.09.2015 - C 67/14 - Alimanovic - juris Rn. 51 die Vorlagefragen hier bezogen sich allein auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im Sinne der RL 2004/38/EG).
Art. 10 VO (EU) 492/2011 begründet aber ein von den in Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken. Auch diese Bestimmung gilt ohne nationalen Umsetzungsakt unmittelbar im jeweiligen Mitgliedstaat (s LSG aaO mit eingehender Begründung unter Bezugnahme auf EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; EuGH, Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim zur Vorgängerregelung Art. 12 VO (EWG) 1612/68). Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass ausreichend Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz zur Verfügung stehen. Der Zugang zur Ausbildung ist sogar in dem Sinne umfassend auszulegen, dass auch die finanziellen Ressourcen umfasst sind, die benötigt werden, um die Ausbildung abzuschließen, ansonsten das gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere laufen würde (LSG SH aaO; vgl. EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim).
Verstößt danach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II bei Erfüllung der Voraussetzungen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 ist die Vorschrift in ihren diskriminierenden Auswirkungen (Leistungsausschluss) nicht anwendbar; es verbleibt bei dem Leistungsanspruch, dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht sind (vgl. EuGH Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Für den Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 4) und 5) gilt: Sie sind nicht erwerbsfähig, haben aber gem. § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zu 1) und 2) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welchen Kindergeld gem. § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II anzurechnen ist. Der Ausschlussgrund (für Familienangehörige) des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht.
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Antragstellern drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.
Den Antrag auf vorläufige Gewährung von Kosten der Unterkunft haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt, da der Wohnraum aufgrund eines rechtskräftigen Räumungsurteils nicht erhalten werden kann.
Den Antragstellern war gemäß § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. §§ 114 S. 1, 119 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens - ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) (im Folgenden auch Beschwerdeführer) begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Die Antragstellerin zu 1), ihr Ehemann, der Antragsteller zu 2) und ihre drei 1995, 2002 und 2005 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 5), sind spanische Staatsangehörige und bewohnen gemeinsam eine 58 qm große Wohnung in L. Die Antragsteller zu 1), 3), 4) und 5) leben seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Antragsteller zu 2) ist erstmals Ende Mai 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zwischenzeitlich lebte er seit Januar 2015 in Spanien und hält sich seit dem 01.02.2017 wieder dauerhaft in Deutschland auf.
Der Antragsteller zu 2) arbeitete vom 23.07.2013 bis zum 28.02.2014 bei der Firma U zu einem monatlichen Bruttolohn von 594,00 Euro. Das Arbeitsverhältnis endete mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Bis zu seiner Eigenkündigung arbeitete der Antragsteller zu 2) zudem vom 15.09.2012 bis zum 31.07.2013 für die Bauunternehmung L zu einem Bruttolohn von 550,00 Euro monatlich. Der Antragsteller zu 2) bezieht eine spanische Invalidenrente in Höhe von monatlich 887,00 Euro. Die Antragsteller beziehen zudem Kindergeld. Die Antragstellerin zu 3), die keine Beschwerde erhoben hat, ist zu einem Bruttolohn von 660,00 Euro monatlich beschäftigt.
Der am 00.00.2002 geborene Antragsteller zu 4) besuchte seit dem 13.11.2013 bis zum 01.02.2015 das I-Gymnasium in L und seitdem laufend die F-Realschule in L. Die Antragstellerin zu 5) besuchte vom 22.03.2013 bis zum 08.07.2016 die Grundschule und besucht laufend die U-Realschule in L.
Bis zum 31.01.2017 bezogen die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II.
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 03.01.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.01.2017 die Gewährung weiterer Leistungen nach dem SGB II ab. Am 24.03.2017 stellten die Antragsteller (Familie C) erneut einen formlosen Antrag auf Leistungen beim Antragsgegner und beantragten am 11.04.2017 die Überprüfung des Bescheids vom 10.01.2017. Den Antrag vom 24.03.2017 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 31.03.2017 ab. Den Antragsteller zu 1), 3), 4) und 5) stünde kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu, da sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zur Arbeitssuche hätten. Gegen den Bescheid legten die Antragsteller am 21.04.2017 Widerspruch ein.
Am 28.04.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln (SG) gestellt. Sie sind der Auffassung, der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II sei weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet und auch nicht mit Völkerrecht vereinbar.
Mit Beschluss vom 17.05.2017 hat das SG den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller zu 2) habe schon keinen Antrag beim Antragsgegner gestellt. Für die Antragstellerin zu 3) komme die Gewährung von Leistungen schon deswegen nicht in Betracht, da sie aufgrund ihres Einkommens nicht hilfebedürftig sei.
Die übrigen Antragsteller seien nach der im gerichtlichen Eilverfahren in der Regel allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in der ab 29.12.2016 geltenden Fassung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Antragsteller könnten sich nicht auf ein Daueraufenthaltsrecht berufen, da sie sich keine fünf Jahre im Bundesgebiet aufhielten. Die Antragsteller zu 4) und 5) hätten auch kein Freizügigkeitsrecht als begleitende oder nachziehende Familienangehörige. Die Kammer könne vorliegend offenlassen, ob die Beschäftigungszeiten des Antragstellers zu 2) in Deutschland getrennt zu beurteilen oder zusammenzurechnen sei. Ein Aufenthaltsrecht scheitere vorliegend bereits daran, dass dieses längstens bis zu zwei Jahre nach der Beendigung der Tätigkeit fortwirke. Der Antragsteller zu 2) sei letztmalig am 28.02.2014 in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätig gewesen.
Auch eigene Aufenthaltsrechte der Antragsteller gemäß § 3 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU schieden aus. Nach dieser Vorschrift behielten die Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers und der Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich ausübe, auch nach dem Tod oder Wegzug des Unionsbürgers, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiteten, bis zum Abschluss einer Ausbildung ihr Aufenthaltsrecht, wenn sich die Kinder im Bundesgebiet aufhielten und eine Ausbildungseinrichtung besuchten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes auf Fälle des Todes oder Wegzuges beschränkt. Vorliegend habe sich der Antragsteller zu 2) zwar von Januar 2015 bis Anfang Februar 2017 nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Er sei jedoch wieder zurückgekehrt und lebe nun wieder mit seinen Kindern in Deutschland. Der Wegfall des Aufenthaltsrechts sei daher nicht aufgrund des Wegzugs begründet, sondern weil ein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU nur bis Februar 2016 fortwirken konnte.
Es sei nicht ersichtlich, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 4) und 5) unmittelbar aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 abzuleiten wäre. Der Beginn des Schulbesuchs müsse vor der Beendigung einer Arbeitnehmertätigkeit des Unionsbürgers erfolgt sein. Dass die Antragsteller zu 4) und 5) bereits die Schule besuchten als der Antragsteller noch erwerbstätig gewesen sei (also bis Februar 2014), sei jedoch von den Antragstellern weder vorgetragen, noch ergäben sich Anhaltspunkte hierfür aus der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Antragsgegners.
Ein Anspruch gegenüber der Stadt L scheide gleichermaßen aus. Der Gesetzgeber habe in § 23 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der seit 29.12.2016 geltenden Fassung einen zum SGB II identischen Anspruchsausschluss formuliert. Die Kammer habe auch keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Anspruchsausschlüsse im SGB II und SGB XII.
Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) haben dagegen am 13.06.2017 mit der Begründung Beschwerde eingelegt, der Antragsteller zu 2) habe nach seiner erneuten Einreise zum 01.02.2017 einen neuen Leistungsantrag gestellt. Dies ergebe sich aus dem Antragsschreiben vom 23.03.2017 sowie dem Mitwirkungsschreiben des Antragsgegners vom 24.04.2017, welches sich ausdrücklich auf den Leistungsanspruch des Antragstellers zu 2) beziehe und von einer Veränderungsmitteilung ausgehe. Die Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) seien nicht von Leistungen ausgeschlossen. Der Antragsteller zu 2) sei bereits länger als zwölf Monate im Bundesgebiet beschäftigt gewesen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei der Erhalt des Erwerbsstatus nicht auf zwei Jahre befristet. Jedenfalls hätten die Antragsteller zu 1), 4) und 5) aber ein Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgrund des Wegzugs des Antragstellers zu 2). Dieses ende nicht dadurch, dass der Antragsteller zu 2) in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Selbst wenn die Antragsteller nur über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 verfügen würden, wäre ein Leistungsausschluss nicht zu rechtfertigen, da ein solcher weder mit Unionsrecht noch mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet noch mit Völkerrecht zu vereinbaren sei
Die Beschwerdeführer beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.05.2017 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Beschwerdeführen Leistungen in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren,
hilfsweise, die Stadt L beizuladen und im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Beschwerdeführern Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des 3. Kapitels SGB XII (ohne Kosten der Unterkunft) zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller zu 1), 2), 4) und 5) (Beschwerdeführer) ist begründet. Der Antragsgegner ist verpflichtet, vorläufige Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarfe) an die Beschwerdeführer unter Anrechnung des Einkommens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO-). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Die Beschwerdeführer haben den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund ab Stellung des Eilantrages beim SG am 28.04.2017 bis 28.04.2018 glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zu Alter, Erwerbsfähigkeit, gewöhnlichem Aufenthalt und Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1, § 9 SGB II) sind - soweit dies im Rahmen der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ersichtlich ist - hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und 2) gegeben. Der Senat geht im Rahmen der summarischen Prüfung - ebenso wie wohl der Antragsgegner (siehe Schreiben vom 24.04.2017) auch - davon aus, dass auch der Antragsteller zu 2) einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hat.
Entgegen der Meinung des SG sind die Antragsteller zu 1) und 2) nicht von SGB II-Leistungen ausgeschlossen.
Der allein hier in Betracht kommende Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II greift nicht. Die Voraussetzungen der Bestimmung, wonach Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b) aus Art. 10 der VO (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, 1) (VO 492/2011), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, 1) geändert worden ist, ableiten, sowie deren Familienangehörige aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sind zwar erfüllt. Denn die Antragsteller zu 4) und 5) besitzen ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011. Sie besuchen derzeit die Realschule. Mit der Schulausbildung hatten die Antragsteller zu 4) und 5) bereits begonnen, als der Antragsteller zu 2) selbst noch Arbeitnehmer war. Damit besitzen die Antragsteller zu 1) und 2) ebenfalls ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht, da die 15 bzw. 12 Jahre alten Antragsteller zu 4) und 5) ohne die sorgeberechtigten Eltern ihr Aufenthaltsrecht nicht umsetzen könnten (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - juris Rn. 31 unter Verweis auf EuGH Urteil vom 08.05.2013 - Rs C-529/11).
Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II erfüllt, entfaltet der Leistungsausschluss wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sozialrechts keine Wirkung (vgl. auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13). Hier folgt er aus dem Verstoß der Vorschrift gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004).
Die Verordnung (EG) 883/2004, die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ersetzt, ist am 01.05.2010 in Kraft getreten (s. Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO (EG) 987/2009). Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf; nach dessen Abs. 2 können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden (s. auch BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 - 2 BvR 2261/06 - RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Die Antragsteller zu 1) und 2) unterfallen nach Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Dieser ist gegenüber dem der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und deren Angehörige beschränkt ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71) (vgl. Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werden die Antragsteller bereits als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Spanien), die ihren Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) haben, für die die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und die - wie hier über die Kindergeldberechtigung - in ein Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem iSd Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 eingebunden sind.
Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung nach dem SGB II fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Die Vorschriften des SGB II gehören zumindest insoweit zu den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 3 VO (EG) 883/2004.
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Maßgabe des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die Verordnung gilt und sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs (st.Rspr. des EuGH seit Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt (s auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5).
Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich nach Wortlaut und Sachzusammenhang auf den zuvor in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Danach gilt die Schrankenregelung nur für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ". Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG und der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG setzt ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER; LSG SH Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; EuGH Urteil vom 25.02.2016 - C-299/14 - Garcia-Nieto - juris Rn. 40 mit Verweis auf das Urteil vom 15.09.2015 - C 67/14 - Alimanovic - juris Rn. 51 die Vorlagefragen hier bezogen sich allein auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im Sinne der RL 2004/38/EG).
Art. 10 VO (EU) 492/2011 begründet aber ein von den in Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken. Auch diese Bestimmung gilt ohne nationalen Umsetzungsakt unmittelbar im jeweiligen Mitgliedstaat (s LSG aaO mit eingehender Begründung unter Bezugnahme auf EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; EuGH, Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim zur Vorgängerregelung Art. 12 VO (EWG) 1612/68). Das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass ausreichend Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz zur Verfügung stehen. Der Zugang zur Ausbildung ist sogar in dem Sinne umfassend auszulegen, dass auch die finanziellen Ressourcen umfasst sind, die benötigt werden, um die Ausbildung abzuschließen, ansonsten das gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere laufen würde (LSG SH aaO; vgl. EuGH Urteil vom 23.02.2010 - C-480/08 - Texeira; Urteil vom 23.02.2010 - C-310/08 - Ibrahim).
Verstößt danach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II bei Erfüllung der Voraussetzungen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der VO (EG) 883/2004 ist die Vorschrift in ihren diskriminierenden Auswirkungen (Leistungsausschluss) nicht anwendbar; es verbleibt bei dem Leistungsanspruch, dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht sind (vgl. EuGH Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
Für den Anordnungsanspruch der Antragsteller zu 4) und 5) gilt: Sie sind nicht erwerbsfähig, haben aber gem. § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zu 1) und 2) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welchen Kindergeld gem. § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II anzurechnen ist. Der Ausschlussgrund (für Familienangehörige) des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht.
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Antragstellern drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.
Den Antrag auf vorläufige Gewährung von Kosten der Unterkunft haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt, da der Wohnraum aufgrund eines rechtskräftigen Räumungsurteils nicht erhalten werden kann.
Den Antragstellern war gemäß § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. §§ 114 S. 1, 119 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens - ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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