L 34 AS 1469/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 34 AS 2790/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1469/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Mai 2016 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat Juni 2015.

Die 1955 geborene, alleinstehende Klägerin wohnt seit Februar 2001 in einer 58 qm großen 2,5 Zimmer-Wohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse, für wel-che sie in der Zeit vom 01. Mai 2013 bis zum 30. Juni 2015 eine monatliche Ge-samtmiete i.H.v. 398,42 EUR (198,42 EUR Grundmiete zzgl. Vorauszahlungen (VZ) für Betriebskosten i.H.v. 95,00 EUR sowie für Heizkosten i.H.v. 105,00 EUR) sowie ab dem 01. Juli 2015 i.H.v. 385,42 EUR (198,42 EUR Grundmiete zzgl. VZ für Betriebskosten i.H.v. 82,00 EUR sowie für Heizkosten i.H.v. 105,00 EUR) schuldete. Aufgrund des Antrags der Klägerin vom 02. April 2008 wird die Miete vom Beklagten direkt an die Vermieterin – die Wohnungsbaugenossenschaft E e.G. – gezahlt. Die Klägerin bezieht eine Wit-wenrente, deren Auszahlungsbetrag sich ab dem 01. Juli 2014 auf 385,08 EUR, ab dem 01. Januar 2015 auf 383,80 EUR und ab dem 01. Juli 2015 auf 393,30 EUR belief.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 für die Zeit vom 01. Januar bis zum 31. Juli 2015 unter Anrechnung von Einkommen aus Witwenrente Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. monatlich insgesamt 442,34 EUR (43,92 EUR Regelbedarf (RB) zzgl. 398,42 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH)). Mit Schreiben vom 04. Mai 2015 rechnete die Vermieterin gegenüber der Klägerin die Betriebskosten für das Jahr 2014 ab und stellte ein Guthaben i.H.v. 285,90 EUR fest. In der Abrechnung wurde ausgeführt, das Guthaben werde im Falle des Bestehens von Forderungen aus dem Vertragsverhältnis mit den Forderungen verrechnet. Da die Klägerin aktuell nicht am Lastschriftverfahren teilnehme, werde um umgehende Mitteilung der Bankverbindung gebeten. Alternativ könne die Klägerin das Guthaben mit der nächsten Mietzahlung verrechnen. Ferner enthielt die Abrechnung eine Anpassung der Betriebskostenvorauszahlung ab 01. Juli 2015.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin mit Änderungsbescheid vom 21. Mai 2015 für den Monat Juni 2015 nur noch Leistungen i.H.v. insgesamt 156,44 EUR (43,92 EUR RB zzgl. 112,52 EUR KdUH) und für den Monat Juli 2015 i.H.v. insgesamt 429,34 EUR (43,92 EUR RB zzgl. 385,42 EUR KdUH). Die Entscheidung vom 19. Dezember 2015 sei mit Wirkung für die Zukunft für die Zeiträume vom 01. bis 30. Juni 2015 sowie vom 01. bis 31. Juli 2015 zurückzunehmen. Berücksichtigt worden seien im Juni 2015 das Betriebskostenguthaben und im Juli 2015 die Mietänderung.

Gegen diesen Änderungsbescheid erhob die Klägerin am 19. Juni 2015 Wider-spruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2015 (W 925/15) zurückwies.

Mit ihrer am 11. August 2015 vor dem Sozialgericht Cottbus erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt nur noch die Bewilligung weiterer Leistungen für den Monat Juni 2015 i.H.v. 285,90 EUR begehrt und vorgetragen, ihr sei das Betriebskostenguthaben von der Vermieterin nicht ausgezahlt worden. Da ihr das Guthaben im Mai 2015 nicht ausgezahlt worden sei, komme eine Reduzierung der Leistung betreffend die Unterkunftskosten für Juni 2015 nicht in Betracht. Soweit der Beklagte entsprechend § 22 Abs. 7 SGB II im Monat Juni 2015 die Miete unter Anrechnung des Betriebskostenguthabens an den Vermieter gezahlt habe, sei hierin eine Verrechnung, die die Klägerin vertreten durch den Beklagten vorgenommen habe, zu sehen. Hierin sei der Zufluss des Guthabens zu sehen, sodass eine Kürzung der Leistung für den Monat Juni 2015 nicht in Betracht komme. § 22 Abs. 7 SGB II treffe keine von § 22 Abs. 3 SGB II abweichende Regelung.

Mit Änderungsbescheid vom 25. April 2016 hat der Beklagte der Klägerin unter Be-rücksichtigung eines Zahlbetrags der Witwenrente i.H.v. 383,80 EUR für den Monat Juni 2015 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 157,72 EUR (45,20 EUR RB zzgl. 112,52 EUR KdUH) bewilligt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 17. Mai 2016 abgewiesen. Gegen-stand des Klageverfahrens seien die Ansprüche der Klägerin im Monat Juni 2015. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen für den Monat Juni 2015. Zutreffend habe der Beklagte im Monat Juni 2015 lediglich einen Bedarf für Unterkunft und Heizung i.H.v. 112,52 EUR berücksichtigt, denn das Betriebskostenguthaben i.H.v. 285,90 EUR sei auf die Miete im Juni 2015 anzurechnen gewesen. Der Beklagte habe dem Vermieter der Klägerin in diesem Monat lediglich die um das Guthaben geminderte Miete überwiesen, sodass allein in diesem Umfang ein Bedarf der Klägerin bestanden habe. Die Verrechnung, die in der Betriebskostenabrechnung 2014 vorgesehen sei, obliege dem Beklagten. § 22 Abs. 7 SGB II sehe die Möglichkeit vor, dass der Beklagte die Miete direkt an den Vermieter überweise. Entsprechend seien die Beteiligten verfahren. Die Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II stehe der Berücksichtigung des Guthabens im Juni 2015 nicht entgegen. § 22 Abs. 3 SGB II sei nur auf die Konstellation anwendbar, in der der Leistungsempfänger die Miete an den Vermieter zahle. § 22 Abs. 3 SGB II modifiziere den Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens. Hier sei der Klägerin das Guthaben aber tatsächlich nicht zugeflossen. Das Guthaben habe ihr als bereites Mittel nie zur Verfügung gestanden. Der Beklagte habe die Verrechnung mit dem Mietzins selbst vorgenommen und auf diese Weise über das Guthaben verfügt. Darüber hinaus spreche die Zweckrichtung des § 22 Abs. 3 SGB II gegen eine Anwendung. Zweck sei die Verwaltungsvereinfachung. Mit der Regelung solle ein nachfolgendes Aufhebungs- und Erstattungsverfahren vermieden werden. Bei einer Direktzahlung durch das Jobcenter an den Vermieter greife diese Zwecksetzung jedoch nicht. In diesem Falle zahle das Jobcenter gerade in dem Monat der Verrechnung weniger Miete und gewähre demzufolge schon rein tatsächlich einen geringeren Unterkunftsbedarf. Dies spiegele sich in dem entsprechenden Bescheid wider. Ein anderes Vorgehen sei dem Beklagten nicht möglich gewesen. Da der Unterkunftsbedarf durch ihn direkt gedeckt werde, könne eine Verrechnung der Miete mit einer Gutschrift den Unterkunftsbedarf nur im Monat der Verrechnung mindern. Anderenfalls müssten der Klägerin für den Monat der Verrechnung Unterkunftskosten ausgezahlt werden, die im Folgemonat wieder zurückverlangt werden müssten. Dies erscheine widersinnig. Auf den Hilfebedarf der Klägerin i.H.v. 511,52 EUR (399,00 EUR RB zzgl. 112,52 EUR KdUH) sei das Einkommen aus Witwenrente i.H.v. 383,80 EUR, bereinigt um die Versicherungspauschale i.H.v. 30,00 EUR (§ 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-VO)), anzurechnen. Der Leistungsanspruch der Klägerin habe sich im Juni 2015 demnach auf 157,72 EUR (511,52 EUR abzügl. 353,80 EUR) belaufen. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 30. Mai 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Juni 2016 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einge-gangene, vom Sozialgericht zugelassene, Berufung der Klägerin, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren fortführt. Der Beklagte habe die Verrechnung durchge-führt, ohne hierfür von ihr bevollmächtigt gewesen zu sein. Sie habe ihren Anspruch auf Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auch nicht an die Vermieterin abgetreten. Sie legt ein Schreiben der Vermieterin vom 29. Juli 2015 vor, wonach das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung i.H.v. 285,90 EUR im Juni 2015 mit der Miete verrechnet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Mai 2016 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 21. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. April 2016 zu verurteilen, ihr für den Monat Juni 2015 weitere Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 285,90 EUR zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 11. Mai 2017 (Klägerin) und 09. Juni 2017 (Beklagter) mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bände ) verwiesen, die Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene (§ 151 SGG) Berufung der Klägerin ist statthaft. Das Landessozialgericht ist an die Zulassung der Berufung in dem angefochtenen Urteil gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Streitgegenstand ist allein die Bewilligung höherer Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juni 2015. Gegenständlich ist insoweit der Änderungsbescheid vom 21. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2015 in der Fas-sung des Änderungsbescheides vom 25. April 2016. Diese Bescheide sind, soweit mit ihnen der Klägerin für den Monat Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts i.H.v. 157,72 EUR bewilligt worden sind, rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte war berechtigt, den Bewilligungsbe-scheid vom 19. Dezember 2014 teilweise aufzuheben und die Leistungen durch Änderungsbescheid vom 21. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. April 2016 neu festzusetzen. Die materielle Rechtmäßigkeit der Bescheide beurteilt sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 19. Dezember 2014, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit seit Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, dass zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat.

Die erwerbsfähige Klägerin, die die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte, konnte im gegenständlichen Zeitraum ihren Gesamtbedarf (Regelbedarf gemäß § 20 SGB II sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II) nicht vollständig aus eigenem Einkommen und Vermögen decken. Sie war daher Leistungsberechtigte i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, weil sie die Voraussetzungen dieser Norm erfüllte, insbesondere hilfebedürftig i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II war. Sie hat im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch keinen Anspruch auf höhere als die bereits vom Beklagten anerkannten Leistungen in Gestalt von Leistungen zur Deckung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung.

Der Gesamtbedarf der Klägerin belief sich im Juni 2015 auf 797,42 EUR (399,00 EUR RB zzgl. 398,42 EUR KdUH). Auf diesen Gesamtbedarf ist das von der Klägerin erzielte Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 SGB II in der Gestalt der Witwenrente anzurechnen. Diese ist zuvor, wie das Sozialgericht zutreffend aufgezeigt hat, um die Versiche-rungspauschale i.H.v. 30,00 EUR (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO) zu bereinigen, sodass letztlich ein Betrag i.H.v. 353,80 EUR (383,80 EUR - 30,00 EUR) auf den RB (§ 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II) anzurechnen ist mit der Folge, dass ein RB i.H.v. 45,20 EUR verbleibt.

Das in der Betriebskostenabrechnung vom 04. Mai 2015 ausgewiesene Guthaben i.H.v. 285,90 EUR ist ebenfalls Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 22 Abs. 3 SGB II. Nach § 22 Abs. 3 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011 mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen. § 22 Abs. 3 SGB II modifiziert damit abweichend von § 19 Abs. 3 Sätze 2 f. SGB II für Rückzahlungen und Guthaben, die den Bedarfen für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Reihenfolge der Einkommensberücksichtigung und bestimmt, dass sie die für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung entstehenden Aufwendungen mindern. Außerdem wird der Zeitpunkt der Berücksichtigung des Zuflusses auf den Folgemonat verschoben und sind die Absetzbeträge des § 11b SGB II nicht zu berücksichtigen (vgl. Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. A. 2015, § 22, Rn. 162).

Nach dem Wortlaut der Betriebskostenabrechnung vom 04. Mai 2015 konnte die Klägerin realistischerweise im selben Monat – nach Bekanntgabe ihrer Bankverbin-dung – mit einer Rückerstattung rechnen. Auch wenn die Klägerin das Guthaben tatsächlich selbst nie von der Vermieterin erhalten hat, ist rechtlich gesehen dennoch von einem Zufluss an die Klägerin in diesem Monat auszugehen. Denn die tatsächliche Buchung des Guthabens auf dem Konto der Klägerin ist nicht notwendig, um die Rechtsfolge des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II auszulösen. Entscheidend ist nicht die tatsächliche Zahlung eines bestimmten Geldbetrags unmittelbar an den Hilfebedürftigen oder die tatsächliche Gutschrift zugunsten des Hilfebedürftigen, sondern ob die Aufwendungen für Unterkunft oder Heizung durch die Rückzahlung oder das Guthaben tatsächlich gemindert werden. Dies ist der Fall, wenn dem Hilfebedürftigen die Mittel aus der Gutschrift oder der Rückzahlung konkret zur Verfügung stehen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. Februar 2012 - L 3 AS 189/11 - juris Rn. 19f m.w.N.). Eine Betriebskostenabrechnung kann daher dann als anrechnungsfähiges Einkommen bewertet werden, wenn der begünstigte Mieter auch die "tatsächliche Verfügungsgewalt" über das Guthaben besitzt und diesen Vermögensvorteil ohne weiteres hätte realisieren können. Dies bedeutet, dass die Gutschrift dem Mieter als "bereites Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen muss (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, juris).

Diese Verfügungsmöglichkeit hatte die Klägerin im Mai 2015, denn in diesem Monat hätte die Klägerin – bei Mitteilung ihrer Bankverbindung – mit einer Auszahlung des Guthabens rechnen können. Keineswegs war die Klägerin aufgrund der Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II rechtlich oder tatsächlich daran gehindert, sich das Guthaben auszahlen zu lassen. Die Klägerin hatte auch keine Mietrückstände, gegen welche die Vermieterin das Guthaben "verrechnet" (richtig: aufgerechnet) hätte. Der Zufluss ist nicht erst in dem Moment eingetreten, in welchem der Beklagte der Vermieterin lediglich den geminderten Bedarf für Unterkunft und Heizung ausgezahlt hat. Denn hierbei handelt es sich lediglich um die der Minderung des Bedarfs infolge der Anwendung von § 22 Abs. 3 SGB II nachfolgende Ausführungshandlung der Auszahlung. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 3 SGB II minderte das Guthaben also die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Folgemonat des Zuflusses, d.h. im Juni 2015.

Hieran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass der Beklagte die Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II (§ 22 Abs. 4 SGB II a.F.) direkt an die Vermieterin erbringt. Die Vorschrift schafft eine Verpflichtung zur Auszahlung von bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung an Vermieter oder andere Empfangsberechtigte, wenn der Leistungsberechtigte dies so vom Leistungsträger begehrt (Piepenstock a.a.O. Rn. 224). Für diese Dritten wird durch die Regelung lediglich eine Empfangsberechtigung geschaffen. Die hierin enthaltene Zahlungsbestimmung begründet keine Rechte und Pflichten von Vermietern oder anderen Empfangsberechtigten gegenüber dem Leistungsträger. Wird an den Dritten gezahlt, so führt dies auch nicht zu einer Gesamtschuldnerschaft. Der Leistungsträger kann – auch bei Einwilligung in die Direktzahlung an den Dritten durch den Leistungsberechtigten – die Leistung grundsätzlich nur vom Leistungsberechtigten zurückfordern. Eine durch den Leistungsträger verursachte verspätete Zahlung der Miete an den Vermieter berechtigt diesen auch nicht zur Kündigung des Mietverhältnisses, weil der Leistungsträger nicht Erfüllungsgehilfe des Leistungsberechtigten als Mieter ist und sich dessen Verschulden nicht zurechnen lassen muss. Der Leistungsberechtigte schaltet den Leistungsträger insoweit nicht als Hilfsperson zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Vermieter ein, er wendet sich vielmehr selbst an eine staatliche Stelle, um die notwendigen Mittel zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes zu erlangen (Piepenstock a.a.O. Rn. 227f). § 22 Abs. 7 SGB II führt also nicht zur Begründung einer direkten Leistungsbeziehung zwischen dem Leistungsträger – hier dem Beklagten – und dem Vermieter. Der Beklagte rückt auch nicht kraft Gesetzes in vertragliche Rechte oder Pflichten der Klägerin als Mieterin gegenüber deren Vermieter ein. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin auch nicht ihren Anspruch auf Leistungen zur Deckung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung an die Vermieterin abgetreten. Eine "Verrechnung" (korrekt: Aufrechnung i.S.d. § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) des Guthabens mit der Miete gegenüber der Vermieterin der Klägerin durch den Beklagten war rechtlich nicht zulässig. Aus § 22 Abs. 7 SGB II folgt lediglich, dass der Leistungsträger im Monat der Minderung nach § 22 Abs. 3 SGB II nur diesen geminderten Bedarf ("Soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird ") an den Vermieter zahlt.

Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertritt, § 22 Abs. 3 SGB II gelte nur für die Konstellation, dass die Miete durch den Leistungsberechtigten selbst an den Vermieter gezahlt wird, ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut der Vorschriften § 22 Abs. 3 und 7 SGB II. Es ist auch weder eine Unklarheit des Gesetzes noch eine Gesetzeslücke erkennbar, die in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation zur Notwendigkeit der Auslegung (systematisch, historisch oder teleologisch) des § 22 Abs. 3 SGB II führen würde. Insbesondere ist Zweck des § 22 Abs. 3 SGB II nicht – wie vom Sozialgericht behauptet - allein oder vorrangig die Verwaltungsvereinfachung. Die Gerichte sind – wie auch der Beklagte – an das geltende Recht und Gesetz gebunden. Allein die Tatsache, dass die Anwendung der geltenden Gesetze im Einzelfall zu "widersinnigen" Ergebnissen führt, berechtigt die Gerichte nicht, Gesetze abweichend von ihrem Wortlaut "auszulegen".

Der nach § 22 Abs. 3 SGB II im Juni 2015 geminderte Bedarf für Unterkunft und Heizung der Klägerin belief sich somit auf 112,52 EUR (398,43 EUR - 285,90 EUR). Die Klägerin hatte demnach im Juni 2015 – wie vom Beklagten zuletzt mit Änderungsbescheid vom 25. April 2016 zutreffend festgestellt – lediglich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 157,72 EUR (45,20 EUR RB zzgl. 112,52 EUR KdUH).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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